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Warum sich überhaupt mit Rollenspieltheorie beschäftigen?


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Neulich stellte jemand die Frage:

Ich habe es nie für nötig befunden, Rollenspiel soweit soziologisch (?) unter die Lupe zu nehmen und alles mit Fachbegriffen zu benennen. Am Spieltisch helfen diese Modelle und Stilbezeichnungen doch nicht wirklich, oder?
Darauf antwortete ich:

Doch, die Modelle können dir völlig neue Herangehensweisen an das Hobby aufzeigen. Auch kannst du mehr aus den Spielen herausholen, wenn du mehr kennst. Selbst Midgard kann auf verschiedene Arten gespielt werden - mit unterschiedlichen Ergebnissen. Das kannst du natürlich auch per try&error herausfinden, allerdings gibt dir eine gewisse Beschäftigung mit der Theorie auch Anleitung, es gezielt anzugehen.

 

Mein Spiel ist sicherer und besser durch die Beschäftigung mit der Theorie geworden. Ich kann nun viel zielstrebiger die Elemente herauspicken, die mir Spaß machen und andere meiden, die mich stören. Ich weiß und kenne mehr. Ist alles weniger dem Zufall überlassen.

 

Das klingt jetzt aber sehr technisch. :worried:

 

Verbirgt sich nicht darin die Gefahr, daß man das Rollenspiel 'kleiner' macht, indem man bestimmte Facetten gezielt ignoriert? Schließlich dürfte es in einer Gruppe durchaus unterschiedliche Vorlieben geben...

Ich ignoriere keine Facetten. Ich kann nur inzwischen besser definieren, was mir und meinen Spielern gefällt. Früher dachte ich, man muss gewisse Dinge so und so machen. Heute weiß ich, dass das nicht stimmt. Dafür gibt es andere Sachen, die unverzichtbar sind, aber früher eher nicht so genau beachtet wurden.

 

Das jungfräuliche Staunen über das Spiel ist in den vielen Jahren einer gewissen Bewusstheit und Reflexion gewichen - das geht meiner Ansicht nach automatisch. Ich weiß einfach genauer, wie die Spiele funktionieren und was ich tun muss, um ans Ziel zu gelangen. Die Beschäftigung mit der Theorie eröffnet dir Sicht- und Denkweisen, die dir das Spiel deutlich größer, statt kleiner machen. Dadurch, dass du auf Dinge verzichtest, die deinen Spielspaß geschmälert haben, hast du viel mehr Raum für die wirklich spaßigen Dinge.

 

Ich dachte beispielsweise früher als SL immer, dass ich mir eine spannende Geschichte ausdenken muss, der dann die Spieler möglichst genau folgen sollen, um an ein Ziel zu kommen, das besonders grandios ist. Es hat mich ungemeint gestresst, diese Geschichten zu entwerfen und dann vor allem während des Spiels immer darauf zu achten, die Spieler (möglichst unbewusst) in die richtige Richtung zu bugsieren, damit sie meine vorbereiteten Szenen auch genießen können. So hatte ich Stunden umd Stunden an eher langweiliger Vorbereitungsarbeit und während des Spiels Stressmomente, wenn ich die Spieler richtig hinbugsieren musste. Für die Spieler war es manchmal auch spielspaßmindernd, wenn sie dann doch die Führung bemerkt haben, was zumindest ich nicht immer verheimlichen konnte.

 

Dieses "Railroading" habe ich inzwischen erkannt und abgeschafft. Durch die Beschäftigung mit der Theorie habe ich Techniken wie "flag framing" oder "kickers" kennen gelernt, wodurch die Spieler viel stärker die Kampagne schon in der Vorbereitung beeinflussen können. Ich arbeite mit Beziehungs- und Konfliktnetzen und meine Vorbereitung ist auf ein Minimum geschrumpft - ohne dass irgendwas kleiner wurde. Es gibt eine größere Zahl von Techniken oder Herangehensweisen, die erprobt sind und viele Probleme im Spiel beseitigen. Manche dieser Probleme spürt man nur so im Hinterkopf, kann sie ohne Vokabular und Analyse kaum benennen, aber wenn sie weg sind, gewinnt alles.

 

Um mal bildhaft zu werden: Ich sehe es so, als würde man die ganze Zeit beim Spiel immer mit einen schweren Gewicht herumlaufen. Man hat sich daran gewöhnt, man spürt es kaum noch. Trotzdem wird man nachweislich langsamer laufen und kürzer springen können, denn das Gewicht ist trotzdem da. Die Theorie hilft einem, das Gewicht zu erkennen und abzuwerfen. Schwupps wird alles leichter und Dinge, die man vorher für unmöglich hielt, sind plötzlich leicht erreichbar.

 

Liebe Grüße...

Der alte Rosendorn

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Vielleicht ist es jetzt klarer, warum sich eine Beschäftigung mit der Rollenspieltheorie und Spielstilen lohnen kann und nicht zwangsläufig nur dummes Karussellfahren oder Geseiere ist. Ich sage nicht, dass sich jeder mit der Theorie beschäftigen muss oder dass man ohne sie keinen Spielspaß hat.

 

Ich zumindest habe gewonnen und werde mich auch weiterhin mit der theoretischen Seite unseres Hobbies beschäftigen.

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Wie zu jeder sozialer Aktivität läßt sich auch zum Rollenspiel Empirie gewinnen und aus dieser verallgemeinernde Schlußfolgerungen ziehen. Das kann zumindest dabei helfen, sytematischer vorzugehen und Dinge nicht zu vergessen.

 

Es hilft z.B. durchaus, ein Abenteuer aus der Sicht unterschiedlicher "Typen" zu betrachten - gibt's was für die Taktiker, gibt es eine Story, können sich die Rollen-Spieler ausleben?

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Mir persönlich haben bislang neben jeder Menge Internet-Diskussionen und sogar dem einen oder anderen Blog-Beitrag vor allem das dünne Heftchen von Robin D. Laws "Robin's Laws of Good Gamemastering" und das neuere Buch "Spielleiten" von Dominic Wäsch geholfen.

 

Durch Robin's Laws bekam ich erstmals das Werkzeug, meine Spieler genauer zu analysieren, zu kategorisieren und ihnen dann das zu bieten, womit sie am meisten Spaß haben. Auch Olafsdottir hat hierzu mal in einem Vortrag Bezug genommen. Selbstverständlich gibt es kaum Menschen, die nur exakt einen der Spielertypen darstellen, aber trotzdem ist das ungemein hilfreich.

 

In "Spielleiten" sind viele Werkzeuge und Herangehensweisen enthalten, wie man überhaupt an das Spiel herangehen kann. Ich würde nicht alles 1 zu 1 übernehmen, aber interessant und vor allem ebenfalls hilfreich ist das Ding allemal. Der Preis ist zur Zeit mehr als fair, man bekommt viel für sein Geld.

 

Wenn man also mein "Warum" von oben nachvollziehen kann, dann gebe ich hier eine erste Antwort auf ein "Wie". Viel Spaß damit.

 

Liebe Grüße...

Der alte Rosendorn

  • Like 1
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Rollenspieltheorie liefert ein wenig Systematik und Struktur und die Beschäftigung damit *kann* ein wenig die Scheu vorm Spielleiten nehmen. Wenn man sich erst einmal ein paar innere Zusammenhänge klar gemacht hat, dann verliert Spielleiten seinen Mythos. Zudem findet man im Dunstkreis der Rollenspieltheorie einige Techniken, an die man sich "halten" kann.

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Und, wie Rosendorn schon schrieb, können auch alte Hasen von der Beschäftigung mit Rollenspieltheorie profitieren. Wir haben Techniken wie Kickers oder Flag-Framing implizit bzw. abgewandelt auch schon früher angewendet, aber man vergegenwärtigt sich diese Techniken teilweise nicht. Bei uns hat der SL z.B. hin und wieder vor Spielbeginn Wünsche zur Rahmenhandlung bzw. zu Randepisoden eingesammelt und diese dann teilweise in das Abenteuer bzw. die Improvisation eingebaut. Daraus sind nette Spielabende entstanden und es wurden tolle Ideen von Spielern umgesetzt, die sonst wohl möglich verloren gegangen wären, weil diese Spieler nicht leiten. Theorie und Technik hilft einem dabei, einen Spielabend effizienter vorzubereiten. Hört sich vielleicht hochtrabend an, aber eines der größten Probleme bei mir als SL ist z.B. meist die knapp bemessene Vorbereitungszeit.

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  • 1 Monat später...
Siehe auch: Versuch "Wozu Theorie?" für Einsteiger im Tanelorn-Forum

 

Sehr gut geschriebener Text!

 

Ich möchte kurz ein Abschlusszitat daraus bringen, für die, die nicht den ganzen Text lesen wollen:

 

Die einfache Antwort auf die Frage, was Rollenspieltheorie soll, lautet natürlich, dass sie für dich und deine Gruppe mehr Spass rausschlagen soll. Sie will dir nicht sagen, was gutes Rollenspiel an und für sich ist. Sie will dir helfen, herauszufinden, mitzuteilen und umzusetzen, was für dich ganz persönlich gutes Rollenspiel sein soll, und die Theorie, die du eh schon hast, als Theorie zu sehen, die unter bestimmten Bedingungen zustande gekommen ist und auch anders aussehen könnte. Du musst dann aber selber wissen, ob dich eine mögliche andere Theorie mehr reizt.
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