In einer Ecke des "Gasthaus am Wunschbrunnen" sitzt eine dunkelblonde Frau um die 30 bei ihrem Frühstück und sieht scheinbar abwesend aus einem der kleinen Fenster auf den Platz mit dem Brunnen. Ihr Blick, wenn er denn mal durch den Gastraum streift, sagt unmissverständlich "kümmere Dich um Deine eigenen Angelegenheiten". Außer der Wirtstochter und einem etwas verwahrlost aussehenden Ausländer(*) ist gerade sowieso niemand hier, der diesen zur Perfektion einstudierten Blick würdigen könnte. Während erstere schon weiß, wann Magdalena besser nicht anzusprechen ist, hat letzterer wohl beschlossen, lieber weiter seinen Rausch auszuschlafen, und den Kopf wieder auf die Tischplatte sinken lassen. In ein paar Stunden wird er sie wohl wieder vergessen haben - selbst wenn sich ihre Wege nochmal kreuzen sollten.
Nun also wieder Dargirna. Die Stadt ruft immer noch gemischte Gefühle und Erinnerungen in Magdalena hervor. Die Kindheit in den Gassen und unterirdischen Gängen - hart aber auch glücklich im Kreis der anderen Kinder, die ihr die Eltern und Geschwister ersetzten, die sie nie kennengelernt hat. Der Tod des "Alten" und dann die Katastrophe und ihre Flucht aus der geliebten Stadt. Eva hatte damals schon immer gesagt "Magdalena ist wie eine Ratte - die überlebt alles!". Und so war es dann gekommen. Dabei hatte sie nur Glück gehabt. Als Einzige. Würde irgendwer sie in diesem Augenblick beobachten, fiele ihm vielleicht ein noch härterer Ausdruck in ihrem eigentlich eher hübschen Gesicht auf.
So war sie zu "Magdalena la Parda" geworden. Magdalena, die mausgraue, die Wanderratte. Die überlebte und niemals vergaß.
So vieles hatte sich seitdem getan. Sie war nicht mehr die kleine Diebin, die von der Hand in den Mund leben musste. Sie hatte eine Ausbildung genossen, viele wunderbare und so praktische Dinge gelernt. Hatte einflussreiche Bekannte und Auftraggeber und war vor einigen Monden, beim letzten Cardonale, sogar von der Fürstin persönlich beauftragt worden, mit anderen gemeinsam ihre Tochter zu retten - und gleichzeitig die eine oder andere Information zu erlangen. Eine seltsame Gruppe war das damals gewesen und sie hatte sich schon gefragt, wieso man ausgerechnet sie eingeladen hatte. Und auch wenn ihre Fähigkeiten kaum zum Einsatz gekommen waren, war das Unternehmen doch von Erfolg gekrönt worden. Und sie hatte einige gute Kontakte geknüpft! Allen voran Maria, die inzwischen zur neuen Hofverzauberin ernannt worden war, wie Chelinda ihr gestern berichtet hatte. Maria! Beim Gedanken daran muss Magdalena doch ein bisschen schmunzeln. Ob die fürstlichen Likörvorräte wohl schon merklich abgenommen hatten? Sal war auch dabei gewesen, der kleine Halunke. Sie hatte ihm später noch einmal aus der Patsche geholfen und ihn dafür verdonnert, sie nach Rawindra zu begleiten, wohin sie ein Auftrag geführt hatte. Dass sie dort dann mit anderen den bisher größten Coup seines Lebens drehen würden, hatte niemand ahnen können. Dabei hatten sie auch Chelinda kennengelernt, die sie vorher doch nur flüchtig auf dem Cardonale gesehen hatten. Chelinda mit ihren Saris und dem Bauchnabelschmuck, die auch gestern schon wieder auf dem Weg zum Schneider war. Schon wieder muss Magdalena schmunzeln. So langsam bessert sich ihre Laune wieder. Es ist gut, wieder Freunde in dieser Stadt zu haben. Und dennoch. Ipolitho Gondragas. Den Namen hat sie bei ihrem letzten Aufenthalt immerhin herausgefunden. Seine Zeit wird schon noch kommen. Magdalena la Parda ist wieder zurück. Die überlebte und niemals vergaß.
(*) Kann ja bei Bedarf durch einen anderen SC oder NCS ersetzt werden.