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Drachenmann

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Blogbeiträge von Drachenmann

  1. Drachenmann
    Szene
     
    Die baulich abgetrennte Heißtheke mit Straßenverkauf einer Metzgerei am Samstag nachmittag
     
    Personen
     
    Heißmamsell: Die stark übergewichtige Verkäuferin, die den Verkauf nahezu vollständig und in Presspassung ausfüllt, geistig leicht abwesend wirkt und diesen Eindruck durch häufige leere Blicke auf einen imaginären Punkt am Himmel verstärkt.
     
    ich: Ein ausgehungerter Kunde auf dem Weg zur Arbeit, der sich von dem Geruch der gegrillten Fleischwaren hat einfangen lassen und nun der ungewollt perfiden Retorik der Heißmamsell zum Opfer fällt.
     
    weitere Kunden: Als Statisten eine wachsende Anzahl geduldiger Kunden in einer Warteschlange
     
    -------------------------------------------
     
    ich [ die Auslage betrachtend]:
    Guten Tag, sie haben ja anscheinend zwei verschiedene Sorten Fleischklopse?
     
    Heißmamsell [ ]
     
    ich [ ]:
    Halloentschuldigung?
     
    Heißmamsell [ reglos bis auf Augen und Mund]:
    Die hellen sind Pute, die dunklen sind normal.
     
    ich [ ]:
    Achso? Na, dann hätte ich gerne einmal normal...
     
    Heißmamsell [ immer noch reglos]:
    Warmoderkalt?
     
    ich [ ]:
    Warm bitte.
     
    Heißmamsell [ ohne einen Finger zu rühren]:
    Im Brötchen?
     
    ich [ ]:
    Nein danke, nur den Klops.
     
    Heißmamsell [ ]:
    Senf?
     
    ich [ ]:
    Nein danke.
     
    Heißmamsell [ ]:
    Kaltoderwarm?
     
    ich [ ]:
    Warm. Ohne Brötchen, ohne Senf. Danke.
     
    Heißmamsell [ Hebt den Unterarm, ohne ihren restlichen Körper zu bewegen, spießt einen Fleischklops auf und schiebt ihn in der Mikrowelle ab.]
     
    ich [ ]
     
    Heißmamsell [ ]
     
    weitere Kunden [ ]
     
    ich [ ein weiteres Angebot lesend]:
    Ich sehe gerade, sie haben auch Merguez, davon nehme ich auch eine, bitte...
     
    Heißmamsell [ ]:
    Muss ich erst warmmachen.
     
    ich [ ]:
    Und? Ist das jetzt ein Problem?
     
    Heißmamsell [ Wuchtet ihren Körper auf der Stelle stehend um neunzig Grad und lässt zunächst zwei Würste auf einen Kontaktgrill und danach den Grilldeckel darauf fallen.
    Danach erstarrt sie wieder.]
     
    ich [ ]:
    Äh, ich zahle schon mal?
     
    Heißmamsell [ die Wand über dem Grill anstarrend]:
    Frikadelle ist noch nicht fertig.
     
    ich [ :confused: ]:
    Aber ich könnte doch trotzdem schon zahlen, dann haben wir's hinter uns?
     
    Heißmamsell [ dreht mir das Gesicht zu]:
    Brötchen?
     
    ich [ ]:
    Nein, DANKE. Frikadelle, Merguez. Das war's.
     
    Heißmamsell [ fährt ihre Hand aus, ohne sich zurückzudrehen]:
    Vier.
     
    ich [ wortlos zahlend]
     
    weitere Gäste [ ]
     
    Heißmamsell [ die Frikadelle aus der Mikrowelle ziehend]:
    Senf?
     
    ich [ ]:
    Nein. Her damit, ich bin hungrig.
     
    weitere Gäste [ ]:
    Wir auch!
     
    Heißmamsell [ ]:
    Wurst ist aber noch nicht fertig.
     
    ich [ ]:
    Hören sie bitte: Geben sie mir einfach jetzt den Klops und die Wurst dann, wenn sie fertig ist. Bis dahin kann ja vielleicht noch jemand bestellen?
     
    Heißmamsell [ ]:
    Also kein Senf, kein Brötchen.
     
    ich [ ]:
    Nein, verdammt.
     
    Heißmamsell [ reicht mir endlich die Frikadelle]
     
    ich [ ]:
    Danke.
     
    Heißmamsell [ ]
     
    [Zwei Minuten später, ohne, dass einer der weiteren Gäste bestellen konnte.]
     
    Heißmamsell [ ]:
    Wurst ist fertig. Ihre Pappe.
     
    ich [ nehme den Rest der Frikadelle in die Hand und reiche ihr die Pappe]
     
    Heißmamsell [ ]:
    Brötchen und Senf?
     
    ich []:
    Nein, nur die Wurst, und zwar, bevor sie wieder kalt wird!
     
    Heißmamsell [ ]:
    Scharfe Soße?
     
    ich [ ]:
    Meinetwegen, ist mir scheißegal.
     
    Heißmamsell [ ]:
    Ja oder nein?
     
    ich [ ]:
    In Gottes Namen: Ja.
     
    Heißmamsell [ Hebt einen Deckel in der Kühlung und begutachtet den Inhalt]:
    Soße ist aus.
    Senf?
     
    ich []
  2. Drachenmann
    Anscheinend kann ich nicht einmal einkaufen gehen, ohne dass die schrecklichsten Dinge passieren.
     
    Neulich jedenfalls wollte ich mich am Abend im Supermarkt um die Ecke mit den Grundgütern des täglichen Lebens versorgen,
    Kaffee, Milch, O-Saft, Klopapier... was der Mann von Welt eben so benötigt.
     
    Ich wollte ja gar nicht der einzige Kunde sein,
    aber außer mir war anscheinend das ganze Viertel zu derselben Zeit auf dieselbe Idee gekommen.
    Trotz drei besetzter Kassen standen bestimmt sieben oder acht Einkäufer vor mir an.
    Gut, was soll's, es dauert eben so lange, wie es dauert.
    Hinter mir wächst die Warteschlange weiter, und direkt in meinem Rücken nörgelt eine Rentnerin den Griff ihres Wagens an:
    "Herrgott, wie langsam die wieder sind.
    Geht das denn nicht schneller?"
    Zum Glück sagt sie das nicht so laut, denn von solchen Leuten bin ich recht schnell genervt.
    Was können denn die Kassiererinnen dafür, wenn halb Offenbach gleichzeitig einkaufen will?
    Und vor allem, wenn sich die Dame hinter mir dieselbe Uhrzeit aussucht,
    obwohl sie höchstwahrscheinlich in ihrer Tagesplanung freier ist als die allermeisten um sie herum?
    Aber nein, sie muss ausgerechnet dann ihren fußlahmen Kadaver durch den Markt schleppen,
    wenn alle es tun... aber dann noch gereizt sein wollen!
     
    Ah, es geht einen Meter weiter.
    Verdammt, schlechte Augen hat die Alte auch noch, sie drückt mir ihren Wagen in die Ferse.
    Ich gehe ein kleines Stückchen vor, denn das ist echt unangenehm.
    Keine zehn Sekunden später habe ich den Wagen wieder in meiner Achillessehne hängen.
    Weiter vorrücken kann ich aber nicht, sonst glaubt der Mann vor mir noch, ich wollte was von ihm.
    Also mache ich einen Entenarsch und drücke den Einkaufswagen zurück.
     
    Der nächste Kunde hat bezahlt, jetzt sind nur noch etwa fünf vor mir.
    Ich rücke nach, die Alte auch.
    Aber ich bin ja nicht dumm und habe vorsorglich meinen Hintern ausgefahren,
    den sie auch prompt mit ihrem Wagen trifft.
    Ich grinse mir einen und gehe den Schritt vor, den ich zusätzlich zu meinem Vordermann als Abstand gelassen hatte.
    Sehr schön, geht doch alles auch ohne Streit.
     
    Plötzlich rammt sie mich von hinten, diesmal richtig schmerzhaft!
    Jetzt reicht es mir.
    Ich drehe mich um und sehe ihr in die bösartig funkelnden Augen.
    Schlagartig wird mir klar: Die sieht nicht schlecht, die ist einfach schlecht und fährt mich absichtlich und mit Freude an!
     
    Gut, das kann sie haben:
    "Sagen sie mal, haben sie was mit den Augen?
    Merken sie nicht, dass sie mir die ganze Zeit ihren Dreckseinkaufswagen in die Hacken fahren?"
     
    Und was antwortet diese miese, scheintote Schabracke?
     
    "Dann trödeln sie halt nicht so herum, junger Mann!
    Aber eigentlich könnten sie mich ja ruhig vorlassen, sie haben ja schließlich Zeit!"
  3. Drachenmann
    Ich arbeite ja nicht nur als Barmann, sondern auch als Servierschlitten.
    An einem der letzten warmen Tage war die Terrasse knallvoll, entsprechend tief musste ich fliegen.
     
    Zwei neue Gäste, ein Pärchen. Studium der Abendkarte.
     
    Sie:"Ich hätte vorab zwei, drei Fragen." (Oh Gott, bitte keine Diskussion)
    Ich signalisiere Zustimmung zu höchstens zwei Fragen, dann muss das Ding durch sein.
    Sie:"Ich schwanke zwischen dem Rumpsteak und der Kürbislasagne."
    Pause.
    Ich:"Und wann kommt die Frage?"
    Sie:"Naja, was ist denn besser?"
    Ich:"Äh... also gut ist beides und frisch auch. Beides wird oft bestellt, immer aufgegessen und nie reklamiert."
    Sie:"Neiennein, welches Gericht schmeckt denn besser?"
    Ich:"Naja, ist halt Geschmackssache, gell?"
    Er:"Mädchen, wenn Du Fleisch willst, ist das Steak besser. Wenn Du vegetarisch essen willst, die Lasagne. Sag halt endlich was, der Kellner hat noch mehr Gäste!"
    Dankbarer Blick von mir an ihn.
    Er:"Ist doch wahr..."
    Sie wirft ihm einen strafenden Blick zu, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und fragt mich:
    "Na schön, die Männer halten wieder zusammen. Welches würden sie mir denn empfehlen?"
    Für mich ist die Antwort klar, sie ergibt sich aus der Preisdifferenz, der Haltbarkeit und meiner Abneigung gegen Kürbis:
    "Das Rumpsteak, wenn ich wählen sollte."
    Sie:"Danke, dann nehme ich die Lasagne. Ist die denn nicht nur mit Kürbis, sondern auch mit Hackfleisch?"
    Er:"Die Lasagne steht bei den vegetarischen Gerichten..."
    Sie:"Na und?"
    Er:"Ach, nur so. Ich nehme noch ein großes Pils bitte, um meinen Kummer zu ersäufen."
    Ich:"Geht klar. Was darf es denn jetzt zu essen sein, die Dame?"
    Sie:"Ein Stück Käsekuchen."

  4. Drachenmann
    Neulich in der S-Bahn, nachmittags.
    Drei etwa sechzehnjährige Vorstadtprolli-Ischen sitzen beisammen.
    Eine von ihnen erzählt gerade ein Erlebnis, in dem anscheinend sie und ein befreundeter männlicher Mitmensch eine tragende Rolle spielen:
     
    "Aldä, un er dann so: Ey Aldä!
    Un isch dann so: Was?
    Un er dann so: Aldä, bis du dumm oder was?
    Un isch so: Hääh, was wills du Aldä?
    Un er so: Pffftz!
    Un isch dann so: Böööh!
    Un er so: Was dann Aldä?
    Un isch so: Ey Aldä!
    Un er dann so: Boah, Aldä, was dann!?
    Un isch so: Ey Aldä, bis du dumm oder was?
    Un er so: Ey Aldä!"
     
    Und so weiter, und so weiter.
    Die Spannung steigt, und die ganze Situation ist in ihrer Dramatik kaum noch zu ertragen.
     
    Dann endet die Erzählung; die Protagonistin wirft einen bedeutungsschweren Blick in die Runde und meint:
     
    "Ey Aldä, voll krass, der Alde!"
     
    Stille.
    Beide Freundinnen schauen sie an wie zwei überfahrene Frösche.
    Dann rafft sich die eine zu einer Antwort auf:
     
    "Ey Aldä, verschdeh isch kein Wort..."
     
     
    Das Schlimme daran ist:
    Alle drei dürfen irgendwann wählen!

  5. Drachenmann
    Respekt, so wertneutral gehen viele Erwachsene nicht in Konflikte!
    Alle vier sind Zweitklässler und richtige Kracher, die sehr gerne Grenzen überschreiten,
    nicht unbedingt "Vorzeigekinder", wenn es um dialogische Konfliktlösung geht...
    Ich hätte ja sogar ansatzweise nachvollziehen können, wären sie zu dritt auf den Adressaten losgegangen:
    Sie hatten einen Turm aus 0,5 cm dicken Plastikbauklötzen gebaut und sich dafür eine Leiter geliehen,
    nachdem der Tisch nicht mehr hoch genug war.
    Einer hielt vorbildlich die Leiter, der Zweite reichte dem Dritten die Steine farblich sortiert an.
    Als sie bei mehr als 2,4 m Gesamthöhe waren und nur noch eine Handvoll Steine übrig hatten,
    kam der Adressat vorbei, trat wortlos auf Bodenhöhe in den Turm hinein und ging weiter.
    Aber bei den drei schockierten Jungen kam noch nicht einmal die Idee von Gewaltanwendung zur Sprache!
    Alleine schon, dass sie das "aufräumen (wolltest)" ersetzt haben, finde ich sensationell und hoch reflektiert:
    Ihnen wurde beim Schreiben klar, dass die Bauklötze ja von ihnen und nicht vom Adressaten verbaut wurden,
    das Aufräumen also trotzdem an ihnen selbst hängen bleibt, nicht von ihm verlangt werden kann
    und auch nichts mit dem eigentlichen Beschwerdeinhalt zu tun hat:
    Denn der besteht in der Forderung nach echter Wiedergutmachung.
    Ich liebe unsere kleinen Rocker, allesamt Rohdiamanten!

     

  6. Drachenmann
    Heute stand ein Zweitklässler meiner Stammgruppe völlig fassungslos vor mir:
    "Eben hat das Telefon geklingelt, niemand ging dran, aber trotzdem hat jemand gesprochen!"
    Ich: "Und, was wurde gesagt?"
    Zweitklässler: "Wir sollen unsere Telefonnummer und den Namen entlassen!"
    Ich: "Vergiss es, das machen wir nicht! Wir geben unsere Namen nicht her!"
    Zweitklässler: "Dann ist ja gut! Und die Nummer: Wie soll meine Mutter uns anrufen, wenn was ist?"
    Ich: "Die Nummer entlassen wir auch nicht, da könnte ja jeder kommen!"
  7. Drachenmann
    Seit ich wie ein normaler Mensch arbeite, habe ich mein Auto abgeschafft.
    Also fuhr ich heute, wie so oft, morgens mit der Bahn zur Arbeit.
    Fahrkartenkontrolle:
    Morgens um acht schieben sich menschliche Maschinen durch die übervolle Bahn,
    die einen sind hoffnungslos übergewichtig, die anderen erschreckend großgewachsen und überaus muskulös.
    Neben mir steht ein Mann mit ansehnlichem Bizeps.
    Er ist nicht besonders groß gewachsen, vielleicht 1,70.
    Dennoch verströmt er einen durchaus männlichen Moschusgeruch aus dem Fächer seiner Achselhaare heraus,
    denn er hält sich mit erhobenem Arm an der Haltestange fest, neben der ich stehen muss.
    Fahrkartenkontrolle:
    Der Mann bewegt sich nicht.
    Die Kontrolleure sammeln sich um ihn, latent aggressiv.
    Er ebenso.
    Ich versuche, in der überfüllten Bahn Platz zu finden.
    Es riecht nach Schweiß.
    Erste Schimpfworte werden gewechselt.
    Endlich zieht der Mann seine Karte und zeigt sie vor.
    Die Kontrolleure ziehen ab.
    Und plötzlich beugt der Mann sich schulterwärts und küsst seinen Oberarmmuskel.
  8. Drachenmann
    Die Straße, in der ich wohne, gleicht einem Biotop für merkwürdige Gewohnheiten und Lebenskonzepte, vielleicht fühle ich mich deshalb hier so wohl.
    Vielleicht habe ich auch deshalb die Kernsanierung meines Nachbarhauses so sehr bedauert, denn dort wohnten skurrile und liebenswerte Gestalten:
    Der uralte Langzeitarbeitslose im dritten Stock, der manchmal nachts und bei offenem Fenster meckerte wie eine Ziege.
    Der Kollege aus dem ersten Stock, der in Teilzeit arbeitete, um mehr Zeit für seine Auftritte als Mietclown zu haben.
    Nach der Sanierung konnten sich alle bisherigen Bewohner des Hauses die nun saftig erhöhte Miete nicht mehr leisten und zogen aus.
    Stattdessen wohnen dort nun irgendwelche Leute, die niemanden grüßen und eilig das Haus betreten und verlassen, als lebten sie ungern in dieser Nachbarschaft.
    Schade.
    Doch es gibt eine lobenswerte Ausnahme!
    Irgendwo in diesem Haus hat eine ältere Frau ihr Domizil, und diese Frau verleiht dem Wort Zwangshandlung eine völlig neue Dimension.
    Dass sie zu jeder Jahreszeit in immer demselben beigefarbenen Regenmantel und mit weißen Glacé-Handschuhen herumläuft -
    geschenkt, da kenne ich ganz andere Fälle.
    Wirklich beeindruckend ist ihr Verhalten, das mich für den Verlust der nächtlichen Bergziege und des Teilzeit-Clowns fürstlich entschädigt!
    Es fing an sich unspektakulär an, kurz nach ihrem Einzug traf ich sie an unserer Haustür an, wie sie das Klingelfeld mit Glasreiniger und Küchenpapier putzte.
    Na gut, dachte ich, wenn sie Freude daran hat, die Klingeln der Nachbarhäuser zu polieren, bitteschön.
    Einige Zeit darauf sah ich ihr gebannt zu, wie sie das Zeitungsrohr aus Edelstahl, das am sanierten Haus prangt,
    mit einem Müllsack abklebte, um es vor dem einsetzenden Nieselregen zu schützen.
    Oha, dachte ich mir da, das kann noch spannend werden...
    Eines Tages sah ich aus meinem Küchenfenster und erblickte sie,
    wie sie im Nachbarhof- wieder mit Glasreiniger und Küchenrolle bewaffnet - die Deckel sämtlicher Mülltonnen abwischte.
    Dafür kann jemand Zeit und Energie aufbringen?
    Dann kam ich einmal von der Arbeit, schloss die Haustür auf, die Hintertür in unseren Hof stand offen, und wer stand dort und schaute in unsere Mülltonnen?
    Das war zuviel, ich stellte sie und zwang sie zum Gespräch.
    Dabei hatte ich den Eindruck, dass ihr nicht das Thema unangenehm war, sondern die Tatsache, mit der Außenwelt in Kontakt treten zu müssen.
    Ihr eigenes Verhalten fand sie durchaus normal und nachvollziehbar:
    Schließlich seien aus dem Grad der äußeren Verschmutzung unserer Tonnen Rückschlüsse auf die mangelhafte Mülltrennung unseres Hauses zu ziehen.
    Meine Hinweise darauf, dass sie sich in einem fremden Haus befinde und hier nichts zu suchen habe, liefen dagegen ins Leere...
    Erst als ihr ins Gesicht sagte, dass sie unsere Mülltonnen mal überhaupt nichts angingen und sie schließlich genügend liebesbedürftige Tonnen in ihrem eigenen Hof hätte,
    um die sie sich kümmern könnte, zog sie maulend ab.
    Vor nicht allzulanger Zeit bewegte sie sich im Entengang mit dem Rücken zu mir über den Gehweg, als ich vom Hundespaziergang zurück kam.
    Im Vorbeigehen schaute ich hin: Sie hielt doch tatsächlich Handfeger und Kehrblech in ihren Händen und kehrte damit die Straße!
    Mit ihren weißen Glacé-Handschuhen, während ihr hellbrauner Regenmantel hinter ihr herschleifte.
    Da begann ich, sie ein wenig zu bedauern, vielleicht war sie ja selbst nicht glücklich damit, sich so seltsam verhalten zu müssen...?
    Doch damit ist seit gestern Schluss, seither habe ich mein schlechtes Gewissen abgeschafft:
    Gestern hob sie mal wieder kleine Abfallstücke und auch eine weggeworfene Plastiktüte vor ihrem Haus auf und ging damit die Straße hinunter.
    Der Wind fuhr in die Tüte, die Nachbarin kämpfte sichtlich, das widerspenstige Ding in der Mitte zu falten.
    Kopfschüttelnd sah ich ihr nach, und was tat die alte Schrapnelle?
    Sie ließ den Abfall aus ihrer Hand gemeinsam mit der Tüte zwei Häuser weiter auf den Gehweg fallen und ging weiter!
  9. Drachenmann
    Neulich war ich mit Hund und Rad unterwegs, die Nidda runter.
    Das ist eine Superstrecke, Oskar und ich kamen auf unsere Kosten.
    In Nied dann in die Bahn gestiegen, zurück in die gruselige Stadt.
     
    Im Lastenabteil standen irgendwann drei Räder voreinander, dazu Reisende mit Koffern, aber alle verstanden sich gut.
    Ein etwa 14-jähriger Junge kraulte Oskar, sein Vater und ich machten Scherze:
    Ich zum Jungen:"Na, gefällt dir der Hund?"
    Junge:"Ja, schon. Sieht lustig aus und ist sehr nett!"
    Vater:"Pass bloß auf, gleich schenkt der Mann ihn dir!"
    Ich:"Genau, willst du ihn haben?"
    Vater:"In so ner S-Bahn kriegt man schon schnell überzählige Haustiere los, gell?"
    Ich:"Jepp, zuhause hatte ich fünfzehn, die meisten sind schon weg..."
    Vater:"Gibt's dafür Provision vom Tierheim?"
    Ich:"Ach was, ich mach' das ehrenamtlich, da gibt's eh nicht viel zu holen."
    Usw, usw.
     
    Andere folgen unserem Dialog, zwei Farbige mit schweren Koffern bieten einer älteren Dame einen Sitz an.
    Sie lehnt lächelnd ab, habe schon den ganzen Tag gesessen.
    Es war schon verdächtig friedlich.
     
    Und tatsächlich:
    Am Hauptbahnhof geht die Zwischentür zur ersten Klasse auf,
    eine völlig ungepflegte, struppige Frau um die sechzig schiebt sich heraus und schreit direkt los:
    "Die VERDAMMTEN SCHEIßRÄDER!
    Euch ARSCHLÖCHER sollte man alle WÄHREND DER FAHRT AUS DER BAHN WERFEN!
    Asoziales PACK!"
     
    Irritiertes Schweigen, vor allem, weil die Tür überhaupt nicht zugestellt war.
     
    Nach einem Moment ich:
    "Ah, und das sagt die Dame, die ganz bestimmt eine Erste-Klasse-Karte hat?"
    Sie:"Halt's MAUL mit dem DRECKSKÖTER! VERPISST EUCH DOCH ALLE!"
     
    Puh, das sitzt. Die ersten Fahrgäste grinsen.
    Mittlerweile hat die Bahn gehalten.
    Die Tür wird von einem aussteigewilligen Mitmenschen geöffnet.
     
    Die Alte rammt ihm die Faust in den Rücken, drückt den Überraschten in die geparkten Fahrräder und steigt mit den Worten aus:
    "Weg da, du PENNER!
    ICH steige ZUERST aus!"
     
    Andächtige Stille herrscht danach, jeder Mitreisende hängt so seinen ganz eigenen Gedanken nach...
  10. Drachenmann
    Gestern erzählte mir eine meiner Kolleginnen aus dem Service folgende Begebenheit:
     
    (Sie ist über fünfzig Jahre alt, hat rote Haare bis zum Hintern und ist eine echte Frohnatur.
    Außerdem ist sie tätowiert vom Hals bis auf die Fingerrücken.Eine echte Punk-Rock-Lady.)
     
    Am Tisch sitzen ein etwa Siebzigjähriger und sein gut zwanzigjähriger Lover.
    Zwar nicht in der Station meiner Kollegin, aber wenn sie schon mal da ist, wischt sie auch gern den Tisch.
    Säuselt der alte Mann:"Oooh, so erotisch hat selten eine Frau meinen Tisch gewischt..."
    Meine Kollegin schaut verdutzt.
    Er packt ihre Hand:"Und Du hast so weiche Haut..."
    Meine Kollegin:"Nicht anfassen!"
    Der junge Lover rollt mit den Augen, offensichtlich schämt er sich gerade fremd.
     
    Zwischendurch räumt sie den Tisch ab und serviert neue Getränke.
    Dabei fällt ein Bierdeckel auf den Boden, den sie aufhebt.
    Der alte Mann wirft lasziv eine Serviette hinterher und meint:
    "Nein, wie erotisch! Bückst du dich auch noch mal für mich?"
    Dass er sich dabei nicht breitbeinig in den Schritt fasst, fehlte gerade noch.
    Sein junger Lover sieht angeekelt woandershin, meine Kollegin macht dem Lüstling deutlich, wofür er die Serviette ihretwegen benutzen kann, aber nicht hier und keinesfalls in ihrer Anwesenheit.
     
    Später will der Alte zahlen. Der eigentlich zuständige Kollege, der den Tisch sowieso die meiste Zeit bedient hatte, erscheint.
    Meint der Gast:"Ich möchte aber bei der rothaarigen Bedienung zahlen!"
    Antwortet meint Kollege lakonisch und absichtlich gelangweilt:
    "Mein Tisch, meine Gäste, mein Umsatz."
    "Nein, ich zahle nur bei der hübschen Kellnerin!"
    Sagt laut sein Lover:
    "Alter, Du bezahlst mich, damit ich dich ficke.
    Vorher Einen trinken gehen ist ja ok, aber du bist total peinlich!
    Können wir jetzt also bitte gehen?"
     
    Wortlos begleicht der ältere Gast die Rechnung, beide gehen ab, Vorhang.
    Schön, wenn ein Gast mal ausspricht, was der Kellner so nicht sagen darf...
  11. Drachenmann
    Gestern abend ging ich zum Automaten, er hängt schlappe zwanzig Meter von unserem Haus entfernt.
    Diverses Kleingeld hatte ich dabei, denn der mechanische Kollege verschluckt sich gern.
     
    Das Geld hat er gern genommen, meine Bankkarte als Altersnachweis aber nicht.
    Dummerweise war die Geldrückgabe auch im Eimer, meine fünf Tacken behielt er also.
     
    Meine Perle warf mir folgerichtig meine Börse aus dem dritten Stock an den Schädel,
    während ich den Automaten im Blick behielt, der ja schließlich meine Barschaft verwahrt hielt.
    Ich führte zunächst diverse Bankkarten durch den Erkennungsschlitz, danach meine Krankenkassenkarte und zuletzt meinen Führerschein,
    diesen allerdings mit dem Daumennagel durch das zweite Lesegerät.
    Denn aus Sicherheitsgründen ist dieser Schlitz so tief, dass Ausweisdokumente nahezu vollständig darin verschluckt werden.
     
    Direkt anschließend geht der Automat im laufenden Prozeß schlafen und spuckt meine Münzen an mir vorbei auf den Gehweg und in die Hecke,
    denn ihm wurde die Klappe am Auswurf gewaltsam amputiert.
     
    Nun gut, auf ein Neues:
    Alles geht gut, wobei ich meine Raucherberechtigung zunächst mit meinem Führerschein nachweise,
    danach wiederum mit meiner Krankenkassenkarte bestätige und zwischendurch bar per Einwurf bezahle.
    Es ist nun einmal eine böse und hinterhältige Welt, aber ich habe endlich und gottlob meine Kippen!
     
    Auf meinem Heimweg von zwanzig Metern aber habe ich eine Begegnung der dritten Art:
    Mir kommt der völlig überfressene Dackel unserer Nachbarschaft entgegen, seiner längst überfälligen Darmentleerung entgegenhechelnd.
     
    Und was trägt sein ebenfalls übergewichtiger Halter?
    Adiletten, Bademantel und ansonsten nichts!
     
    Und dann soll man nicht vom Glauben abfallen...?
  12. Drachenmann
    Karfreitag nachmittag:
    Auf Bitte meiner Perle holen wir eine Katze ab, um sie zur Schwiegermutter zu bringen.
    Die macht nämlich nebenher in Katzensitting.
    Klar, mache ich gern, und der Hund besucht auch immer begeistert die Würstchentante.
     
    Also Frau und Hund ins Auto gepackt und die Mieze holen.
    Das Tier wohnt noch nicht so lange bei ihrer italienischen Halterin, also dauert es einen Moment, bis es niedergerungen und im Polizeigriff in den Transportkorb verbracht worden ist.
     
    Die Fahrt ist recht unterhaltsam, vor allem, als Oskar sich aus dem Halsband gewurschtelt hat, aus dem Fußraum mit einem Hechtsprung meiner Perle auf die Schulter gesprungen ist und nur noch von der Kopfstütze aufgehalten wird.
    Das Ganze an der roten Ampel, neben uns die Cops, die nur noch mit den Köpfen schütteln.
    Meine Perle, ganz Frohnatur, lächelt hinüber und meint durch das offene Fenster:"Normalerweise sitzt er ja hinten, aber da steht heute der Katzenkorb!"
    Ich könnte ins Lenkrad beißen, gleich starten die beiden eine Verkehrskontrolle.
    Doch zum Glück grinsen sie zurück, wünschen weiter frohe Ostern und biegen ab.
     
    Bei der Schwiegermutter Kuchen schnabuliert und wieder ab, schließlich sind wir morgen sowieso wieder dort verabredet.
     
    Ostersamstag:
    Großes Rätselraten, wie die Katze eigentlich so dick sein kann, geradezu unförmig?
    Minutenlang reden wir um den heißen Brei, bis endlich sich einer traut und das Wort "trächtig" haucht.
    Panik, Hysterie, Nervenzusammenbruch.
    Ich ans Telefon, eine Bekannte mit Sachkenntnis konsultieren.
    Die Schwiegermutter ans Telefon, Katzenhalterin rundmachen.
    Meine Perle hält die Stellung bei der Katze und krault dem Vieh verzückt den Bauch.
    Weiber halt...
    Zwischendurch gerät Oskar zwischen die Fronten, weil er endlich auch mal gucken will, wenn es schon nix zu essen gibt.
    Zack, Platzverweis durch die leicht übererregte Schwiegermutter, die inzwischen zu Höchstform aufläuft:
    Die Halterin versteht kein Wort, ihr deutschsprachiger Sohn ist außer Haus.
    Aber ich fürchte, auch der hätte wenig von dem Wortschwall verstanden.
    Eigentlich wäre das Telefon auch gar nicht nötig, bei der Lautstärke reicht es, sich ans offene Fenster zu stellen.
    Meine Bekannte hat inzwischen telefonisch zur Klärung der Sachlage beigetragen, die Katze ist definitiv hochträchtig, ihr Gesäuge ist rot und der Bauchpelz ausgedünnt:
    Die Tragzeit beträgt etwa 65 Tage, seit zwei Monaten wohnt sie jetzt bei ihrer italienischen Freundin.
    Jedenfalls meint die Schwiegermutter, die Halterin so verstanden zu haben.
     
    Das Essen verläuft in leicht gedrückter Stimmung und ist auch nicht ganz so gut wie sonst, leicht unterschiedliche Garstufen.
    Wir versprechen moralische Unterstützung und morgen wiederzukommen.
    Super, ich bin jetzt schon bedient.
     
    Ostersonntag:
    Die Katze hat geworfen, fünf Junge.
    Zweimal rotgetigert, einmal schwarz, einmal grau getigert, einmal grau uni.
    Die Schwiegermutter hat sich endgültig in ein seelisches Wrack verwandelt.
    Telefonat mit der Halterin, ich will nicht wissen, wie weit der Telefonterror schon gegangen sein mag.
    Jedenfalls ist jetzt endlich der Sohn zuhause.
    Ja, vor gut zwei Monaten ist ihnen das Tier zugelaufen.
    Ja, die Mutter war beim Tierarzt, was der aber sagte, weiß der Sohn nicht, er war ja nicht dabei.
    O-Ton Schwiegermutter:"Was ist eigentlich bei ihnen zuhause los? Reden Sie nicht miteinander?
    Ihre Mutter weiß bescheid, versteht aber kein deutsch, Sie verstehen mich, wissen aber dafür nichts!""
    Meine Perle versucht, ihrer Mutter das Telefon zu entwinden, leider erfolglos.
    Es stellt sich heraus, dass die Halterin inzwischen auf dem Weg nach München ist, was ja der Grund für das Katzensitting war.
    Oskar versucht, die Tür zur Waschküche einzutreten, wo die Katzenfamilie liegt.
    Wieder Platzverweis.
    Ich wäre so gerne ganz woanders. Oskar bestimmt auch.
     
    Essen, schon wieder.
    Der Hund kommt auch nicht mehr, sitzt wohl im Garten und schmollt.
    Aber er verpasst auch nichts, das Essen ist eine wüste und versalzene Komposition aus seltsamen Körperteilen von Außerirdischen, wild zerhackt, begleitet von Broccoli (zerkocht), Blumenkohl (in Butter ersäuft) und Kartoffeln (roh).
    Schade, aber nachvollziehbar.
    Ich bin ja nur froh, dass es keine Katze gibt, denn die Schwiegermutter erzählt Geschichten aus ihrer Kindheit, die sich alle um ungewollten Tiernachwuchs, Regentonnen, Hackklötze und harte Gegenstände drehen.
     
    Nichts wie weg!
    Perle ins Auto gesetzt, Hund gerufen.
    Kein Hund.
    Gepfiffen, keine Reaktion.
    Ich finde Oskar im Nachbarsgarten, wo er inzwischen einen Krater gewühlt hat, in dem man zehn Katzenfamilien begraben könnte.
     
    Ostermontag:
    Ich bin bei den Nachbarn und schaufele die Grube wieder zu.
     
    Der Osterhase kann mich mal, bis ihm die Zunge platzt!
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