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  • Die Hexe und ihr Mentor oder Tod einer Ratte


    Dinlair NiMurdil

    "Ja," flüsterte sie leise, ein Hauch nur im kalten Nebel des anbrechenden Morgens.

     

    Ein strahlend heller Wintertag war zu Ende, müde und zufrieden hatte sie sich auf den Weg nach Hause gemacht. Zu Hause, das war das alte Kellergewölbe am Stadtrand, ein großer Schlafraum mit Platz für viele weitere wie sie. Eng und schmutzig, aber sie wurden versorgt, es gab jeden Tag eine Mahlzeit und sie waren geschützt vor Regen und Kälte. Es war die einzige Art zu Leben, die sie kannte und sie war es zufrieden.

     

    Außerdem war da ja Hen, ihre kleine Freundin. Eines Tages hatte sie einfach neben ihr gesessen, ihr mit ihren schwarzen Knopfaugen zugesehen und gar keine Angst gezeigt. Immer wieder war sie in ihrer Nähe aufgetaucht und sie hatte begonnen, Reste ihrer Mahlzeiten für sie aufzusparen. Die Ratte hatte sich schnell an sie gewöhnt und sie genoss die Wärme des Tieres. Schon bald waren sie unzertrennlich.

     

    Auch heute war Hen mit ihr unterwegs, auf dem Heimweg trug sie sie in ihrer Westentasche, um schneller vorwärts zu kommen.

     

    Es wurde bereits dunkel, als sie Schritte hinter sich bemerkte. Sie ging etwas schneller, bog in eine Gasse ab. Nach einer Weile hörte sie die Schritte wieder, sie blieb abrupt stehen und sah sich um. Nichts. Niemand war zu sehen, alles war still. Langsam ging sie weiter, die Schritte waren wieder da. In ihrem Kopf begann eine Alarmglocke zu schrillen. Sie rannte los, schließlich bog sie in eine enge dunkle Gasse ein und presste sich in der Dunkelheit fest an eine Mauer. Ihr Herz raste, sie versuchte verzweifelt, flach durch die Nase zu atmen. Panik rammte sich wie eine glühende eiserne Faust in ihren Magen, als plötzlich mehrere Gestalten vor ihr standen. Im Dunkeln konnte sie keine Gesichter erkennen, doch sie hörte leises, boshaftes Lachen. Schon hatten sie sie gepackt und hielten sie fest. Sie fühlte, wie der Boden unter ihr zu schwanken begann, als sie die Ratte aus ihrer Tasche zogen. Mit aller Kraft versuchte sie, sich aus den eisernen Griffen zu befreien, biss in die Hand, die sie hielt. Ein harter Schlag ins Gesicht liess sie zusammensacken. Wie durch dichten Nebel hörte sie, wie sie begannen, das kleine Tier zu quälen, das ängstlich quiekte, laut und panisch, schließlich immer leiser und es brach ihr das Herz. Dann legten sie Hen flach auf den Boden und ergriffen einen schweren Wackerstein. "Nein!" schrie sie verzweifelt, "oh bitte, nein! Warum hilft uns denn niemand". Mit lautem Klatschen traf der schwere Wackerstein ihre kleine Freundin und die Tränen liefen ihr über die Wangen, als die Gestalten, immer noch lachend, wegliefen.

     

    Sie war allein. Auf dem kalten Boden, an die Mauer gelehnt, sass sie und fühlte nichts mehr, da hörte sie die leise flüsternde Stimme, ganz so, als käme sie aus ihrem eigenen Inneren: "Ich helfe dir und du hilfst mir. Ein Pakt, und du wirst nie wieder alleine und hilflos sein. Triff deine Entscheidung." Sie spürte, wie sich die Härchen auf ihren Armen aufstellten. Ein seltsamer Geruch lag in der Luft, ein Hauch von brennendem Ziegendung. Verwirrt sah sie sich um, aber sie war alleine. Ihr Blick fiel auf den großen Wackerstein, unter dem kleine Füßchen und ein dünnes rosa Schwänzchen hervorschauten. Sie weinte wieder, bis die Erschöpfung sie übermannte und sie keine Tränen mehr hatte. Schließlich setzte sie sich auf den kalten Boden, legte den Kopf auf die Knie und verharrte still und ohne zu denken.

     

    Ein plötzlicher Lufthauch im Nacken liess sie frösteln, sie hob den Kopf und öffnete die Augen. Kantige Steine pressten sich hart an ihren Rücken. Unverändert, dunkel und kalt. Und doch, die Trostlosigkeit hatte ein klein wenig ihrer Starre verloren, eine Ahnung erst vom Grau des Morgens. Sachte hob sie den Wackerstein und schaute auf ihre kleine Hen, die jetzt breit und flach vor ihr lag. Schmerzlich spürte sie die Leere in ihrer Westentasche. In ihrem Kopf flüsterte die Stimme: "Nie wieder allein und hilflos. Die Zeit ist um. Was sagst du?"

     

    Ganz langsam brach der neue Tag an, eiskalt und unendlich einsam. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen.

    Der bleierne Nebel wurde lichter und es begann leise zu schneien. Ein feines, glitzerndes Tuch legte sich sanft über ihre kleine Freundin.

     

    Und der Klang ihrer Stimme durchbrach, jetzt laut und klar, die frostige Stille: "Ja."


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