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Artikel: Güterverkehr im Rheinland um 1880


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Geschrieben

Im Jahr 1880 war das Eisenbahnnetz im Rheinland gut ausgebaut. Mit der Verstaatlichung vieler Privatbahnen durch den preußischen Staat ab 1879 übernahmen die Königlich Preußischen Staatseisenbahnen die Organisation des Personen- und Güterverkehrs in der Region. Für Gewerbetreibende, Handwerker, Landwirte und Fabrikantenwar die Bahn ein zentrales Transportmittel. Doch der Versand per Eisenbahn war kein einfacher Vorgang - er erforderte Kenntnisse der Tarife, der Abläufe und eine gute Planung.

Güterverkehr im Rheinland im Jahr 1880 - Aus Sicht eines Bahnkunden

  1. Die Güterabfertigung als zentrale Schnittstelle
    Am Bahnhof existierte eine eigene „Expedition für den Güterverkehr“, in der die Organisation des Warentransports stattfand. Diese bestand typischerweise aus:

  • einem Bürogebäude für die Frachtabwicklung,

  • einem überdachten Güterschuppen für empfindliche Sendungen,

  • einer Waage für die Verwiegung der Ladung,

  • sowie Ladestraßen und Rampen.

Der Kunde meldete sich dort an, wenn er Waren aufgeben oder empfangen wollte. Der persönliche Kontakt mit dem Expedienten war die Regel – Telefon oder Telegraf waren
selten verfügbar und wurden meist nur für innerbetriebliche Zwecke genutzt.

  1. Der Versandvorgang im Detail
    a) Vorbereitung
    Der Kunde – z. B. ein Weinhändler aus der Nähe von Koblenz – verpackte seine Fässer oder Flaschenkisten selbst und beschriftete sie deutlich mit dem Zielort
    (z. B. „Berlin-Lichtenberg“). Die Kennzeichnung erfolgte per Kreide, Schablone oder Feder direkt auf der Verpackung. Schäden durch falsche Adressierung waren ein
    häufiges Risiko.

b) Erstellung des Frachtbriefs
Der Frachtbrief war das zentrale Transportdokument. Er wurde vom Expedienten handschriftlich ausgefüllt, enthielt Angaben zu:

  • Absender und Empfänger,

  • Warenart und Menge,

  • Verpackung, Gewicht,

  • Zielstation und gewünschte Beförderung.

Er diente zugleich als Rechtsgrundlage bei Reklamationen und als Quittung für die Übergabe.

c) Tarifierung
Die Transportkosten wurden anhand des „Preußisch-Hessischen Gütertarifs“ berechnet. Diese Tariftabellen waren nach Entfernungszonen und Güterklassen geordnet. Die
Einstufung der Ware (leicht, empfindlich, gefährlich etc.) bestimmte die Tarifklasse.

  1. Versandarten und Zugverkehr
    a) Stückgutverkehr
    Waren mit geringem Volumen oder Gewicht wurden als Stückgut versendet. Die Bahn sammelte Sendungen verschiedener Absender zu sogenannten Sammelgüterzügen.
    Eine Umladung war dabei oft nötig, insbesondere bei längeren Strecken. Umladestellen im Rheinland waren u. a. Köln, Aachen und Düsseldorf.

b) Wagenladungsverkehr
Großkunden wie eine Ziegelei oder ein Kohlenhändler bestellten einen ganzen Güterwagen, der zur Laderampe gestellt wurde. Dort konnte unter eigener Regie verladen
werden. Die Wagen waren in der Regel gedeckt (G-Wagen) oder offen (O-Wagen) und mussten rechtzeitig beantragt werden - oft mit mehreren Tagen Vorlauf.

c) Zugtypen

  • Güterzüge (Gz) verkehrten ohne festen Fahrplan für die Öffentlichkeit.

  • Übergabefahrten verbanden Anschlussgleise mit den Hauptstrecken.

  • Schnellere Transporte waren nur mit besonderen Sonderregelungen möglich.

  1. Empfang einer Sendung
    Wurde eine Sendung erwartet, erhielt der Empfänger eine Benachrichtigung durch den Stationsvorsteher oder er erkundigte sich regelmäßig selbst. Die Wagen mussten
    innerhalb einer bestimmten Ladefrist (meist 1 Werktag) entladen werden, sonst wurde Standgeld erhoben.

War die Ware beschädigt, musste dies unmittelbar nach dem Entladen beanstandet werden. Dafür war in der Regel ein Beamter der Bahn hinzugezogen, der ein
„Schadenprotokoll“ anfertigte.

  1. Typischer Tagesablauf – Ein fiktiver Fall
    Tuchfabrikant Heinrich Moeller, wohnhaft in Düren, möchte 20 Ballen Wollstoffe an einen Händler in Frankfurt senden.

  • 08:00 Uhr: Moeller beauftragt zwei Arbeiter, die Stoffballen auf einen Pferdewagen zu laden und zur Güterabfertigung am Bahnhof Düren zu bringen.

  • 09:00 Uhr: Am Schuppen angekommen, wird die Ware von der Waage verwogen und vom Expedienten begutachtet.

  • 09:30 Uhr: Der Expedient erstellt den Frachtbrief: 20 Ballen „Feinwollstoffe“, 1.200 kg, Zielbahnhof Frankfurt/M. Der Tarif wird berechnet: 2. Klasse, ca. 18 Mark Fracht.

  • 10:00 Uhr: Die Ballen werden in den Laderaum eines gedeckten Güterwagens geladen.

  • 13:45 Uhr: Der Nahgüterzug Gz 1723 nimmt den Wagen auf und fährt Richtung Köln.

  • Nächster Tag: Umladung in Köln, Weiterfahrt via Mainz.

  • Zwei Tage später: Der Empfänger erhält die Ware am Güterbahnhof Frankfurt, quittiert den Empfang.


Beispielfrachtbrief für eine Lieferung von Büchern aus Stelzenberg

Frachtbrief Nr. 2301
Absender:
Verlag für Fantasy- und SF-Spiele GbR (VFSF)
Ringstraße 22
Stelzenberg (Pfalz)

Empfänger:
Buchhandlung Müller & Co.
Weinbergstraße 3
Frankfurt am Main

Lieferung:

  • 20 Kartons mit verschiedenen Büchern

  • Gesamtgewicht: 500 kg

  • Verpackung: Holzkisten

Zielbahnhof: Frankfurt Hauptbahnhof

Gütertarif:

  • Güterklasse: 4 (Bücher, geringwertig)

  • Frachtkosten: 10 Mark

  • Verladung: 12. Februar 1880, 10:00 Uhr

  • Zugtyp: Übergabegüterzug 07, Köln

Bemerkungen:

  • Bitte die Lieferung bis spätestens 16. Februar abholen.

  • Schäden oder Fehlmengen sind sofort zu melden.

Unterschrift des Absenders: ________________________
Unterschrift des Empfängers: _______________________

Vermerkt vom Expedienten: _________________________



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