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Die Hexe

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Blogbeiträge von Die Hexe

  1. Die Hexe
    An Enya, meine liebste Tochter,
    ich bin in Fiorinde. Vor wenigen Tagen war Teck hier. […] Er hat sich gefreut von dir zu hören. Wie kannst du sagen, dass er dich vergessen hat, Kind? Er hat dich aufgezogen, auch wenn die Jahre für ihn nur ein Augenblick in seiner Ewigkeit sind, bist du für ihn nicht ohne Bedeutung. Soweit ich weiß, bist du seine einzige Tochter. Auch deine Mutter hat dich lange nicht gesehen, ich würde mich freuen, wenn dich dein Weg nach Fiorinde führt. Jedoch kann ich dich verstehen, mir ist er nach all den Jahren ebenso ein Rätsel wie dir. Ich werde sein Wesen wohl nie verstehen.
    Deine Erzählungen erinnern mich an früher, als ich selbst in der Kanalisation von Corrinis war, zusammen mit Ikarus, diesem Weiberheld. Die Erinnerungen sind immer noch schmerzhaft, was für ein dummes Mädchen ich damals gewesen war. […]
    Als ich die Zeilen mit diesem Diener lass, musste ich jedoch schmunzeln. Endlich entdeckt meine Tochter ihre Weiblichkeit. Ich wusste der Moment wird kommen, du wirst davor nicht weglaufen können. Deine Schönheit ist genauso ein Teil von dir, wie deine Arme. Nimm sie an und lerne ihre Vorteile zu schätzen. Enya, wenn du willst liegen dir die Männer zu Füßen. Aus deinen Erzählungen schließe ich, dass dir einer deiner Begleiter, der Sorellor auch nicht ganz abgeneigt ist. Jedoch scheint er mir recht merkwürdig. Ist er zumindest ein staatlicher Mann? Ich hoffe er benimmt sich nicht so, wie man es von den Barbaren aus dem Norden behauptet.
    Pass auf deine Haare auf, bald wird der Ansatz wieder herauswachsen. Entschuldige Liebes, ich höre mich an wie eine Mutter, die ihr kleines Kind ermahnt. Ich weiß, dass du sehr vorsichtig und bedacht bist.
    Die Geschichte von dem Traum des Magus Kryaru und dem Drachengott im Halfdal klingen äußerst interessant. Du musst mir auf jeden Fall, sofern es dir möglich ist, mehr davon berichten.
    Ich bin froh, dass du trotz aller Gefahren die dir begegnet sind, wohl auf bist. Ich mache mir um deine Psyche fast mehr Sorgen, als um dein körperliches Wohlbefinden.
    Enya, wer glaubst du soll dir vergeben? Die Götter? Ich bezweifle, dass sie sich so sehr für die Menschen und ihre Lügen interessieren. Er? Du weißt, dass ihm anderes wichtig ist, sicher nicht, ob du nun einen Mann anschwindelst um einer Freundin zu helfen. Kind, du bist es, der dir vergeben sollte, niemand anderes, Denn auch nur du gibst dir Schuld an irgendetwas. Sei nicht so streng mit dir.
    Mir geht es hier gut, auch wenn ich deinen Vater und dich vermisse.
    Ich hoffe bald wieder von dir zu hören.
    Er wacht über dich
    Ich liebe dich
    Chelinda
  2. Die Hexe
    Liebste Mutter,
    ich frage mich, wo du bist, in Fiorinde oder bei Vater im Pengannion, wenn ich diese Zeilen schreibe und ob ich bald eine Antwort erhalten werde.
    Ich habe viel erlebt, seitdem ich Beornanburg in Richtung Norden verlassen habe. Der Stadt hatte ich nur einen kurzen Besuch abgestattet. Auf meiner Reise hörte ich Gerüchte über den Roten Ritter, welcher sein Unwesen in dieser Gegend trieb. Sie führten mich in MacArans Rasthaus an der Königstraße. Dort befand sich der im Land bekannte Ritter Riodbart MacSeal, genannt Rotbart, welcher auf einem Turnier in Maris nur knapp einen Mordanschlag entging und nun um sein Leben rang. Der Rote Ritter, der diesen Anschlag verübt hatte wurde daraufhin von einer Gruppe mutiger Abenteurer verhaftet und dem Henker übergeben, der ihm den Kopf abschlug. Nach albischen Recht wurde dem Gesetz genüge getan, aber der kopflose Ritter stand kurz darauf auf, sprang auf sein Pferd und galoppierte davon.
    In dem Gasthaus traf ich auf eben jene Abenteurer, die den Roten Ritter gefangen und übergeben hatten. Diese Gruppe bestand aus einen frechen Halbling, Mirabell, einer kriegerischen Zwergin, Bruna und einen leichtbekleideten Magus Kryaru, Gray. Sie, sowie Sandor, Priester des Thurion und Bernardo, ein Mann aus den Küstenstaaten waren ebenfalls auf der der Suche nach dem Roten Ritter.
    Zusammen suchten wir Rotbart auf, der uns einen Schatz versprach, sollten wir seinen Leichnam nach Muranmuir bringen. Zuvor erzählte er uns noch etwas über sein Leben, das mir von Gier und Wahnsinn geprägt schien. Wir schworen einen Eid und Curathan, sein Diener würde uns den Ort des Schatzes verraten, sobald wir in der Erzabtei ankämen.
    Als Riodbart seinen letzten Atemzug tat, hörten wir von unten einen Schrei: „Endlich“. Als wir die Treppe herunter eilten, sahen wir eine alte Frau auf dem Tisch, zuvor war sie als junge, hübsche Maid nicht weiteraufgefallen. Doch bevor wir etwas sagen oder tun konnten, verschwand sie vor unseren Augen.
    Meister Cleobolus, ein altes Männlein aus Chryseia, war ebenfalls in MacArans Rasthaus untergekommen und wir erbaten uns seine Hilfe, denn er verfügte über einen Wagen, in dem wir den Sarg transportieren konnten. So brachen wir in Richtung Muranmuir auf.
    Die Reise verlief mit einigen Ereignissen. Als wir die Brücke über dem Morne überquerten, wurden wir von einfachen, in Lumpen gekleideten Menschen, sogar Kinder angegriffen. Der Rote Ritter stellte sich uns in den Weg und forderte die Herausgabe des Leichnams, doch mit vereinten Kräften und Glück schafften wir es zu entkommen. Für einen kurzen Moment stand ich dem Ritter entgegen und konnte seinen wuchtigen Schlag abwehren, jedoch kostete mich dies all meine Kraft. Mit einem wahrlich gefährlichen Gegner hatten wir es zu tun. Curathan, der junge Knappe fand fast den Tod, nur mit meinen bescheidenen Fähigkeiten als Wundheilerin und Meister Cleobolus Tränken konnte ich sein Leben retten. Da vertraute er sich mir an und offenbarte mir, dass es keinen Schatz gab. Ich entschied mich auf sein Bitten hin, den anderen nichts davon zu erzählen, bis wir in Muranmuir angekommen waren. Ich entschloss mich, trotz meiner Zweifel an der Moral und Ethik der Gruppe, sie noch weiter zu begleiten und vor allem mein Versprechen einzulösen. Meine anfänglichen Zweifel verstärkten sich während der Reise. Ihre Vorstellungen, was richtig und wichtig ist im Leben entsprechen nicht meinen, anderseits brauchen sie jemanden, der sie immer wieder an das Gesetzt und gute Sitten erinnert. Viel von der albischen Kultur und deren Gebräuche scheinen sie jedenfalls nicht zu verstehen. Zumindest haben sie mir bisher noch keine Fragen bezüglich meiner Haare gestellt, darüber bin ich sehr erleichtert.
    Eine Einladung dubioser Ritter hielt uns weiter auf. Später stellte sich heraus, dass es sich um Raubritter handelte, denn sie verfolgten uns und griffen uns an. Wir hätten wahrscheinlich den Tod gefunden, wäre uns nicht die Frau aus dem Gasthaus zu Hilfe gekommen. Gesehen hatten wir sie nicht, doch ihr Gelächter erklang aus dem Wald und Blitze kamen hervor, die die Männer trafen. Ihre Motive sind mir schleierhaft, beschützten wir doch den Leichnam des Mannes, dessen Tod sie gewünscht, vielleicht auch herbeigeführt hatte. Geschwächt, doch am Leben kamen wir im nächsten Gasthaus an. Dort verabschiedeten sich Bernardo und Sandor.
    Es handelt sich um die Taverne "Zur alten Tränke", in der wir Zeuge eines unmenschlichen Verbrechens wurden. Der Wirt Rianmar hatte über Wochen den Menschen Wolfsfleisch zum Verzehr gegeben. Er wollte in der folgenden Nacht fliehen, doch durch unser Tun gelang es ihm nicht und die rasenden Dorfbewohner schlugen ihn zu Tode. Ich konnte sie nicht aufhalten, es war grauenvoll mit anzusehen, niemand hatte solch einen Tod verdient. Bedrückt verließen wir den Ort des Schreckens.
    Der Priester hatte uns einen Zettel mit dem Wort „Mandriconon“ hinterlassen. Auf dem Weg erfuhren wir, dass es sich dabei um Wesen handelte, deren Kopf nicht auf dem Hals sondern in der Brust saß. Der Rote Ritter könnte so ein Wesen sein, viel mehr fanden wir leider nicht heraus. Die letzten Tage unserer Reise verliefen ruhig und endlich kamen wir in Muranmuir an. Dort enthüllten Curathan und ich, dass uns kein Schatz in Crossing erwartet und ich machte den Fehler meine Zweifel an der Ehrenhaftigkeit der Gruppe auszusprechen. Um ehrlich zu sein, war mit nie in den Sinn gekommen, dass sie wütend auf mich sein würden, viel mehr hatte ich Sorge um Curathan. Wenn ich nun darüber nachdenke, wäre es besser gewesen, ich hätte es nicht für mich behalten. Sie hatten ihr Versprechen gegeben und wären trotzdem nach Muranmuir gezogen. Ich entschuldigte mich, jedoch minderte dies kaum den Zorn Brunas. Auch Schweigen kann eine Lüge sein.
    Nun bin ich in Muranmuir und morgen soll Riodbart bestattet werden. Ich habe das Gefühl, wir wiegen uns zu sehr in Sicherheit, deshalb werde ich noch einmal nach seinem Leichnam sehen, bevor ich mich zu Bett begebe.
    In Liebe
    Enya
  3. Die Hexe
    Hier setzt sich die Geschichte welche mit Enyas Briefen begonnen in den Tagebucheinträgen von Edana fort.
     
    Die erste Seite im Buch meines Lebens ist aufgeschlagen worden. Heute ist der erste Tag, der Tag meiner Geburt, obwohl ich bereits 21 Sommer zähle.
    Mein Name ist Edana. Ich wurde nach dem Feuer benannt, der Macht, welcher ich diene, dem Element, dessen Erbe in meinem Blut fließt. Doch mein Name ist auch ein Erbe aus meinem vergangenen Leben, in dem ich einen ähnlichen trug. Von der Feurigen wurde ich zum kleinen Feuer, welches nach Größe, Sinn und Wahrheit sucht. Meine Erinnerungen gleichen Bildern ohne Gefühl und sind mit meinem Leben verbunden und doch kein Teil davon. Ich stehe an einer Weggabelung, der Weg hinter mir ist in Nebenschleier gehüllt, der Weg zu meiner Linken in vollkommene Finsternis getaucht. Auf dem rechten Pfad weiß ich nicht, was mich erwartet und doch ist es der einzige Weg, den ich gehen kann um zu leben und zu erfahren.
    Ich habe mich vergessen, mich verloren und mein altes Ich nie wiedergefunden. Ich wandelte am Rande des Wahnsinns und drohte immer wieder gänzlich in seinen Abgrund zu stürzen. Doch ich wurde gerettet. Ich weiß nicht wie, doch mein Vater fand mich und brachte mich zu Mutter. Ich wusste jedoch nicht wer sie waren. Ich hatte das Gesicht meiner Mutter in meinen Träumen gesehen und doch konnte ich mich nicht an ihren Namen erinnern. Der sich in ihrem Gesicht wiederspiegelnde Schmerz, brach mir das Herz, welches im Gegensatz zu meinem Kopf nie vergessen hatte. Sie gaben mir meine Erinnerungen wieder. Doch ich konnte mich lediglich bis zu dem Tag, an dem ich das Haus meiner Mutter verlassen hatte, erinnern. Ich wusste nun wer ich war, doch spüren konnte ich mich nicht. Ich verstand das Wesen, welches sie mir offenbart hatten nicht. Mich quälte die Frage, was in dem Jahr, welches ich fern ab von Fiorinde verbracht hatte, geschehen war. Woher waren all die schrecklichen Wunden gekommen, die mein Körper trug, als mein Vater mich zurück nach Hause brachte? Immer wieder wurde ich von schrecklichen Träumen heimgesucht, die meinen verwirrten Geist noch mehr ins Chaos stürzten. Sehnsucht war ein ständiger Begleiter geworden und doch wusste ich nicht nach was mein Herz sich sehnte. Das Gefühl von Verlust wurde mit jedem weiteren Tag stärker.
    Eines Tages führte mich Mutter in den Wald, errichtete dort ein großes Feuer und rief ihren Mentor, den Fürst der Flammen. Auch ich war eine seiner Schülerinnen gewesen, doch sein Anblick, wenn gleich merkwürdig vertraut, erfüllte mich mit Schrecken. Er konnte mich weder in seine Dienste nehmen noch mir mein verlorenes Wissen zurückgeben. Ich glaube, ich wäre gänzlich verrückt geworden, hätten Vater und Mutter nicht ein Wunder vollbracht. Für ewig werde ich ihnen dafür dankbar sein.
    Ich schlief für mehrere Tage bis zum heutigen Tag und als ich erwachte, erwachte ich zu einem neuen Leben. Das kleine Feuer hatte begonnen zu brennen. Edana war erwacht.
    Mit der Wandlung meines Äußeren, schien eine Veränderung im Inneren stattgefunden zu haben. Seele, Geist und Körper hatten Heilung erfahren. Noch ist mir mein Anblick im Spiegel fremd und doch vertrauter als die Frau mit bronzefarbenen Haaren und den vor Wahnsinn glühenden Augen. Keine Narbe ist mehr sichtbar, keine Schuppen, welche meinen rechten Arm überzogen. Das Vermächtnis meines Vaters. Doch nun gehören sie, ebenso wie meine Erinnerungen, der Vergangenheit an. Ich habe nichts mehr zu verbergen.
    In mir spüre ich Klarheit und Ruhe. Die Sehnsucht und das Gefühl von Verlust sind nur noch eine schwache Erinnerung. Es spielt keine Rolle mehr, was im vergangenen Jahr passiert ist. Ich möchte meine Vergangenheit, mein anderes Ich hinter mir lassen und einen Neubeginn wagen.
    Auch wenn ich es mir nicht wünsche, schließe ich es dennoch nicht vollkommen aus. Eines Tages werde ich meine Erinnerungen vielleicht gänzlich wiedererlangen. Wenn es dazu kommen sollte, hoffe ich stark genug zu sein, denn ich habe – davon bin ich überzeugt – aus gutem Grund vergessen.
  4. Die Hexe
    Liebste Mutter,
    ich bin von meiner Reise ins Pengannion zurückgekehrt. Mira, Bruna, Gray, Dylan und ich sind wieder vereint.
    Gray, Dylan und ich brachen am Catrudag, 1. Trideade Feenmond auf. Die fünf Tage bis zu Vater verliefen ereignislos. Die beiden stellten keine Fragen, ich konnte jedoch ihre fragenden Blicke spüren. Ich muss mich für sie ungewöhnlich vertraut im Gebirge verhalten haben. Sobald ich Vater in meinen Gedanken erreichen konnte, teilte ich ihm unser Kommen mit. Kurz darauf kam er uns entgegen. Dylan und Gray griffen zu ihren Waffen als sich die Gestalt von Vater näherte, doch ich beruhigte sie. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht und den Worten „Meine Tochter“ schloss er mich in seine Arme. Freude und Erleichterung erfüllten mich und ich erwiderte die Umarmung. In Gedanken sandte ich ihm meine Gefühle und er antwortete ebenfalls mit Freude. Dann wendete er sich an Gray und Dylan. Ich war gespannt, wie er sie empfangen würde. Er begrüßte zuerst Gray, der bei Vaters Worten und seiner Berührung merklich kleiner wurde, seine Augen stattdessen wurden groß. Dann wendete er sich an Dylan. Dieser schien, wie Gray, neben Vater zu schrumpfen und war sprachlos. Ich war sehr glücklich und hatte das Gefühl, dass es die richtige Entscheidung gewesen war mit den beiden hier her zu kommen. Gemeinsam begaben wir uns in die kleine Holzhütte und Erinnerungen stiegen in mir empor. Vater meinte, dass ich schon lange nicht mehr bei ihm gewesen und nun scheinbar aus einem bestimmten Grund hergekommen wäre. Ich antwortete, dass es so scheinen möge, doch dass ich schon lange den Wunsch hatte ihn wiederzusehen. Er schaute sich meine Haut an und strich mit dann mit den Worten „Das sollten wir beheben“ über mein Gesicht. Augenblicklich begannen die Schuppen sich aufzulösen und ich fiel ihm überglücklich um den Hals. Tränen der Freude, Erleichterung und Dankbarkeit füllten meine Augen. Grays und Dylans Erstaunen wuchs noch mehr und sie saßen nur schweigend, mit offenen Mündern da. Glücklich setzte ich mich zu Dylan und nahm seine Hand, als Gray und Teck begannen, sich über Magie zu unterhalten.
    Die nächsten vier Tage verbachten wir noch im Pengannion und Vater lehrte mich einen neuen Zauber. Am Abend saßen wir zusammen und erzählten von unseren Reisen. Ich berichtete ihm auch von dem Vorfall mit Bernardo und seine Worte waren deinen sehr ähnlich. Darüber musste ich schmunzeln. Dylan wagte es kein einziges Mal sich mir zu nähern und wurde von Tag zu Tag stiller. Am letzten Tag konnte ich meine Neugier nicht unterdrücken und fragte Vater nach den Gefühlen des Barden. Er antwortete, dass er durchaus tiefe Gefühle für mich empfinden, jedoch nicht über die Zukunft nachdenken würde. Er war letztlich eben ein Lebemensch. Nichts anderes hatte ich erwartet und mehr wollte ich auch nicht erfahren.
    Dann verabschiedeten wir uns. Ich wäre gerne länger geblieben, doch ich hatte Mira gesagt, dass wir bald wieder zurück sein würden. Zuvor bat ich Vater noch um ein Geschenk für Bruna und er gab mir einen goldenen Armreif, der mit einem Rubin geschmückt war.
    Zum Abschied überreichte er Gray einen eisblauen Magierstab aus Alchimistenmetall mit den vier Himmelsrichtungen in seiner Spitze. Mit Vaters Namen würde Gray den Stab aktivieren können. Vaters Worte an ihn waren: „Ich danke Euch, dass ihr meine Tochter beschützt habt. Gebt weiter auf sie Acht, sonst werde ich Euch in Stücke reißen.“ Dann wendete er sich an Dylan und gab ihm ein Schwert mit goldenem Griff und bronzefarbener Klinge. „Auch Euch danke ich, dass Ihr meine Tochter beschützt habt, doch für Euch gilt dasselbe. Ihr hegt starke Gefühle für meine Tochter und werdet Euch über ihre Tiefe noch klar werden.“ Ich verabschiedete mich schweren Herzens von ihm und ließ ihn meine tiefe Dankbarkeit und Liebe spüren. Gray und Dylan gesellten sich augenblicklich an meine Seite, als wir ins Halfdal aufbrachen.
    Wahrscheinlich wird dir mein Bericht nicht ausreichen Mutter. Die Zeit mit Vater war sehr kurz und doch intensiv. Mein Kopf ist voll von Erinnerungen, Gedanken und Fragen und es fällt mir schwer diese in Worte zu fassen. Es ist am besten zu fragst Vater, er wird dir bestimmt mit Freuden berichten. Er kennt meine Gedanken und Gefühle, vielleicht besser als ich selbst…
    Am Abend des vierzehnten Tages kamen wir in Meliand im Gasthaus an. Dort wurden wir von Mira und Bruna begrüßt. Mira gab mir meinen Ring zurück und bedankte sich für das Geschenk. Gray und ich nahmen die beiden in den Arm und ich war froh und erleichtert, sie wiederzusehen. Doch Iros, wie man uns erzählte, war vor einigen Tagen ohne ein Wort verschwunden. Wir saßen noch eine Weile am Tisch und erzählten von unserer Reise, wobei ich eher Gray und Dylan sprechen ließ. Sie berichteten von der Begegnung mit meinem Vater und beschrieben ihn als sehr beeindruckende Persönlichkeit. Mira hätte ihn auch gerne getroffen und ich meinte, dass wir vielleicht eines Tages gemeinsam dort hinreisen könnten. Gray erwiderte, dass er sich nicht sicher ist, ob Mira ihn kennenlernen wollen würde. Hatte er solch einen Eindruck hinterlassen? Innerlich musste ich lachen, denn das hatte er sicher beabsichtigt. Mira fragte nach Dylan und mir und wann wir endlich heiraten würden, jetzt da ich ihn meinem Vater vorgestellt hatte. Das war zu viel für den Barden und er trank noch etwas mehr von seinem Wein. Ich schwieg zu dem Thema und hatte etwas Mitleid mit Dylan. Noch kannten wir uns kaum und er war kein Mensch, der sich schnell binden würde. Die Begegnung mit Vater, der doch recht bestimmende Worte zu ihm gesprochen hatte und jetzt auch noch Miras Forderung nach einer Heirat, mussten ihn überfordern.
    Wir sprachen auch über unsere weiteren Pläne und beschlossen den Winter über im Halfdal zu bleiben. Ich äußerte den Wunsch Miras Familie zu besuchen, doch sie meinte, dazu sei sie noch nicht bereit. Ihre Schwester hätte noch immer das größere Haus. Was auch immer sie damit meinte, aber ich wäre der letzte Mensch, der sie dazu drängen würde.
    Ich freue mich, dass wir wieder vereint sind und die nächsten Trideaden hier an diesem wundervollen Ort verbringen können. Nun nachdem ich Vater wiedergesehen habe, ist der Wunsch dich zu treffen noch größer geworden. Vielleicht führt uns unsere Reise irgendwann nach Fiorinde, doch wer weiß, wann das sein wird. Ich wünsche mir, dass es bald eine Möglichkeit geben wird, dich zu sehen, Mutter.
     
    In Liebe
    Enya
  5. Die Hexe
    Wir sind wieder in Thame angekommen. Unseren Auftrag haben wir erfüllt. Wir konnten alle drei Insignien bergen und nun sind sie wieder in den Händen der Zwerge. Meinen Gefährten, abgesehen von Golrek, dem der Rückweg durchs Gebirge ordentlich zugesetzt hat, geht es gut. Trotz der Schrecken, die wir bei unserer Suche noch erlebt haben. Wir waren nicht die einzigen gewesen, die etwas in der Binge gesucht hatten. Als wir im Inbegriff waren die Binge zu verlassen, kam ein Mann auf einem fliegenden Dämon, um einen weiteren Orcsstamm unter sich zu vereinen. Er war mutig und mächtig genug um sich dem Drachen zu stellen, welcher über die Orcs herrschte.
    Als Golrek den Mann beschrieb, wäre mir um ein Haar sein Name über die Lippen gekommen. Thalion. Er weckte Erinnerungen an Niertalf, an eine Zeit in der Enya noch gemeinsam mit ihren Gefährten gefährliche Abenteuer erlebt hatte. Dieses neuste Ereignis ist zutiefst beunruhigend und macht deutlich, dass die Gefahr durch den Herrn der Nebelberge und seine Schergen – welche Pläne sie auch immer verfolgen – nicht zu verachten ist. Doch Edana sollte vom Herrn der Nebelberge, Thalion und den Geschehnissen in Niertalf nichts wissen. Ich hätte mich damit verraten.
    Mittlerweile muss ich mir darüber keine Sorgen mehr machen, nicht mehr darauf achten was ich sage. Es gibt keine Geheimnisse mehr und das ist gut so.
     
    Ich habe es mir so einfach gemacht und doch so schwer. Jetzt wo die Worte ausgesprochen sind, frage ich mich wie ich sie so lange in mir behalten konnte. Erleichterung erfüllt mich. Der geteilte Schmerz ist so viel erträglicher. Und dann sind da noch Grays Worte. Worte, die mein Kopf nicht fassen kann und mein Herz doch voller Hoffnung glauben möchte.
    Ich hatte Gray in der Zwergenbinge gesagt, dass ich ihm etwas zu erzählen hätte und mir damit jegliche Ausflucht genommen. Ich wusste, wenn ich nachdem wir in Thame angekommen waren nicht zeitnah an ihn herantreten würde, würde er mich von sich aus ansprechen. So wählte ich einen Moment in Rumildas Herberge in dem wir ungestört waren, um mich ihm zu offenbaren. Glannis, Golrek und Nissyen hatten sich bereits zu Bett begeben.
    Ich hatte Angst. Angst vor Grays Reaktion. Wäre er wütend, weil ich ihm etwas verschwiegen hatte. Würde er mein Schweigen als Lügen betrachten? Würde ihn der Verlust von Dylan zu sehr schmerzen? Würde er mich überhaupt noch nach meinem Geständnis an seiner Seite haben wollen? Was war seitdem wir uns das letzte Mal gesehen hatten passiert, wo war der Rest unserer Gefährten, Mira, Kirschli und Salomon? Es fiel mir schwer einen Anfang zu finden, doch als ich erst einmal begonnen hatte, flossen die Worte wie Lava aus einem ausbrechenden Vulkan. Es war gut so, Gray musste erfahren was seit unserer Trennung geschehen war, er hatte ein Recht darauf vom Tod seines Freundes zu erfahren. Er sollte nicht länger in dem Irrglauben bleiben, ich könnte mich nicht an ihn erinnern.
    Zuerst begann ich mit Feuermal. Wie es mich zu ihm und den anderen geführt hatte. Dann gab ich zu meine Erinnerungen wiederzuhaben. Alle. Bevor Gray mich unterbrechen konnte und meine Entschlossenheit ins Wanken geriet, sprach ich über die Ereignisse in Glamis. Manches führte ich nicht aus und Gray fragte nicht weiter nach. Dafür war ich ihm dankbar. Selbst wenn der Albtraum durch die Seelenheilung gemildert worden war, blieben es dennoch furchtbare Erinnerungen von denen niemand erfahren musste. Schließlich erzählte ich Gray von Dylans Tod. Da überraschte er mich, als er meinte, er habe anderes gehört. Anscheinend hatte Glannis Dylan an der Bardenschule in Erainn getroffen. Das bedeutet er lebt noch! Aber wie ist das möglich? Sandrina hat ihn doch von seinem Tod gesprochen und dann vor meinen Augen das Gift eingeflößt. Hatte ich mich etwa getäuscht? War mein Geist schon so verwirrt gewesen durch all die Schrecken und Schmerzen?
    Mein erster Gedanke war, dass ich ihn suchen muss. Ich war davon ausgegangen, dass Gray den Wunsch Dylan wiederzusehen und sich zu vergewissern, dass er lebt mit mir teilt, doch ich hatte mich getäuscht. Als er über Dylan sprach wurde mir unmissverständlich klar, dass er ihn für das was geschehen war verantwortlich machte. In seinen Augen hatte Dylan mich nicht beschützt, obwohl sie es beide vor Vater geschworen hatten. Es schmerzte mich Gray so zornig auf seinen ehemals guten Freund zu erleben. In meinen Augen trifft Dylan keine Schuld. Wer auch immer diese Menschen waren, ich war ihr Ziel gewesen. Wie hätte Dylan davon wissen können? Und wenn dieser Mann tatsächlich ein Feind meiner Mutter ist, dann hätten auch Gray und Dylan gemeinsam nichts gegen ihn ausrichten können. Ich möchte mir gar nicht ausmalen wie mächtig er ist und wie viel Glück ich hatte, ihm zu entkommen. Aber so ist Gray nun einmal, ich bin fast froh, dass er mich nicht begleitet hat. Er hätte sich das selbst nie verzeihen können.
    Er war auch zornig, weil Dylan den Kummer über meinen Verlust in Alkohol ertränkte, anstatt mich zu suchen oder zumindest zurück zu kommen, um den anderen von den Geschehnissen zu berichten. Ich kann mir gut vorstellen, dass Dylan ebenso von meinem Tod überzeugt war, wie ich von seinem. Ein Grund mehr ihn zu suchen. Ich muss ihm sagen, dass ich noch am Leben bin. Er soll nicht weiter einen Verlust betrauern, den es nie gegeben hat. Doch warum ist er noch am Leben? Ist er ebenfalls entkommen oder haben sie ihn gehen lassen? Warum ist er nicht zu Gray zurückgekehrt? Vor was hatte er so Angst, dass er nach Erainn geflohen ist?
    Wenn Glannis Geschichte stimmt, hat er das Lied welches wir gemeinsam begonnen hatten zu Ende geschrieben. Wie gerne würde ich es hören und gemeinsam mit ihm singen. Und doch, je mehr ich darüber nachdenke, desto größere Zweifel kommen mir. Wie soll ihn ihm nur begegnen, nach allen was geschehen ist? Ist es für ihn nicht sicherer, er ist nicht an meiner Seite? Vielleicht ist es besser, ihn in dem Glauben zu lassen, ich sei tot, sodass er nachdem er den Verlust verwunden hat neues Glück finden kann. Ich würde es ihm wünschen. Mit uns so lange zu verweilen, an meiner Seite zu bleiben, hat ohnehin nie seinem Wesen und Vorstellungen entsprochen. Und dann ist da noch Grays Zorn auf ihn. Ich kenne Gray gut genug um zu wissen, dass eine Begegnung der beiden keine gute Idee ist, auch wenn mein Herz es sich anders wünscht. Vielleicht kann ich Dylan eine Nachricht zukommen lassen, welche ihn von seinem Schmerz erlöst und dennoch eine Suche nach mir verhindert… Bevor ich jedoch dafür zur Feder greife, muss ich mir darüber in Ruhe Gedanken machen und entscheiden, was ich möchte.
     
    Gray erzählte mir, dass unsere Gefährten sich nach meinem Verschwinden einer nach dem anderen verabschiedet hatten. Zuerst kehrte Kirschli, die wir ohnehin noch nicht lange kannten, zurück in ihre Heimat, das Halfdal. Salomon kehrte ebenfalls alsbald Thame den Rücken und damit dem Warten auf Dylans und meine Rückkehr. Nun, mit ihm war es von Anfang an nicht leicht gewesen, so überrascht es mich wenig. Als letzte verließ, nach ein paar Auseinandersetzungen mir Gray, schließlich Mira die Stadt, über ihren Verbleib weiß er nichts. Dass sie nicht mehr bei ihm ist, nicht bereit war auf unsere Rückkehr zu warten oder sich auf die Suche nach Dylan und mir zu machen schmerzt mich wohl am meisten.
    Seit unserer Trennung in Thame und dem was danach folgte, haben wir uns alle verändert. Ich habe das Gefühl, etwas ist zerbrochen. Unsere Bande, die ich für stark gehalten habe sind einfach zerbrochen. Das Schlimmste daran ist, dass ich mir dafür die Schuld gebe. Ich hätte den Brief als eine Fälschung identifizieren können, hätte seinen Inhalt hinterfragen müssen. Mutter hätte andere Mitteln und Wegen gehabt mich schnell zu sich zu bringen. Ich hätte es besser wissen sollen, dann wäre uns viel Leid erspart geblieben.
    Nun sind es nur noch Gray und ich. Ich bin froh, dass ich ihm endlich die Wahrheit erzählt habe. Und doch mache ich mir hingegen aller Hoffnung nichts vor. So einfach können wir nicht zu dem zurückkehren was war. Ich kann nur hoffen, dass Gray unser Band genauso wichtig ist wie mir. Jetzt wo ich wieder bei ihm bin, weiß ich wie sehr er mir gefehlt hat. Die Erinnerungen an die Momente in denen ich ihn um ein Haar verloren hätte und der Schock darüber sitzen tief. Ich brauche ihn. Ich kann, darf ihn nicht verlieren!
  6. Die Hexe
    Liebste Mutter,
    viel Zeit ist vergangen, der erste Wintermonat ist angebrochen und es gibt Neuigkeiten. Gestern saßen wir beim Abendessen und besprachen, was wir nun als nächstes tun würden. Gray wollte nach Thame, denn es war die nächste Stadt mit einer Magiergilde. Ich schlug vor, dass wir dann weiter nach Corrinis und von dort aus nach Fiorinde reisen könnten. Sie fragten mich, was ich dort wolle und ich antwortete, dass in Fiorinde meine Mutter lebte, es in beiden Städten Magiergilden geben und der Winter dort nicht so streng sein würde. Mira fragte, ob ich Dylan nachdem er schon meinen Vater kennengelernt hatte, auch nicht meiner Mutter vorstellen wollte. Gray meinte auf diese Begegnung könnte er verzichten und ich beteuerte, dass du anders wärst als Vater. Ein bisschen verletzt hat mich Grays Bemerkung schon. Ich habe die Hoffnung, dass er seine Worte nicht ganz ernst gemeint hat. Vielleicht sollte ich mit ihm noch einmal bezüglich Vaters Drohung reden. Ich möchte nicht, dass er das Gefühl hat er muss mich beschützen. Er soll dies nur tun, wenn es sein Wunsch ist.
    Letztlich beschlossen wir nach Thame zu reisen und dort dann weitere Entscheidungen zu treffen, schließlich wussten wir nicht, was alles auf unserer Reise passieren und wo uns unser Weg hinführen würde.
    Als wir dort saßen und unsere Pläne besprachen, öffnete sich die Tür. Ein Mann, mit der Kapuze tief ins Gesicht gezogen, kam herein und begab sich an unseren Tisch. Wir begrüßten ihn verwundert, als wir Iros erkannten. Er berichtete uns, dass er die Zeit in Dalesend verbracht und viel nachdacht hatte. Er hatte meinen Brief gelesen und danach sich zurückgezogen um einen freien Kopf zu bekommen. Dylan warf ihm einen kritischen Blick zu und auch ich war skeptisch, obgleich gespannt, was er uns noch zu sagen hatte. Iros setzte sich zu uns und bestellte sechs Falschen Blauwasserrebe. Nachdem ersten Glas, sagte Iros, dass die Trennung gut gewesen wäre. Gray berichtete kurz von unserer Reise und meinte Iros hätte meinen Vater kennenlernen müssen. Ich war da andere Meinung, ich denke, dass es für Iros tatsächlich nicht ungefährlich gewesen wäre, nun da ich Vaters Reaktion auf Gray und Dylan gesehen und seine Drohung gehört habe. Doch ich schwieg. Iros sprach weiter. Er wollte sich der Gruppe nicht aufdrücken und würde nur weiter mit uns reisen, wenn wir ihn willkommen hießen. Gray meinte, dass er eigentlich ein gutes Verhältnis zu dem Chryseier gehabt hätte. dadurch dass er aber Misstrauen in der Gruppe gesät hatte, hatte er es sich verscherzt. Wenn Iros dieses Verhalten ablegen würde und den nötigen Vertrauensvorschuss jedem einzelnen in der Gruppe entgegenbringen würde, hätte Gray damit kein Problem. Iros erzählte uns die Geschichte, weshalb er so dringend Geld benötigte. Er wollte die Frau, die er liebte, von ihrem Ehemann für 2000 Oring freikaufen. Ihr Vater war jedoch dagegen, weshalb es dazu kommen könnte, dass der Gruppe Gefahr drohe, sollte Iros mit uns reisen. Man versicherte ihm, dass dies kein Problem für uns darstellen würde und auch ich beschloss ihm eine zweite Chance zu geben. Den restlichen Abend verbrachten wir bei Speis und Trunk, Gesang und Lautenspiel. Gray nahm eine Okarina zu Hand und spielte darauf ein sehr schönes Lied. Ich hatte nicht gewusst, dass auch er die Musik liebte. Ich war begeistert und sogleich spielten und sangen wir gemeinsam ein Stück. Zu später Stunde begaben uns zu Bett. An jenem Abend überreichte ich Gray sein Geschenk, um damit meine tiefe Dankbarkeit zu zeigen. Ich hatte für ihn Beutel für seine Zaubermaterialien anfertigen lassen. Sie waren in einem hellen Blau mit Eiskristallen in Weiß bestickt. Er hat sich darüber sehr gefreut.
    Morgen werden wir nach Thame aufbrechen. Fin hat uns verlassen. Ich denke ich habe mich zu wenig um ihn gekümmert und war mit meinen Gedanken bei anderen Dingen. Ich vermisse ihn, jedoch habe ich gelernt, dass die Verbindung zu einem Vertrauten viel Zeit und Aufmerksamkeit bedarf und es nichts ist, was man nebenher einfach mal so tun kann. Vielleicht werde ich noch einmal ein Tier finden, welches ich als Vertrauten an meiner Seite haben möchte oder welches mich erwählt.
    Du möchtest sicher wissen, wie es um mich und Dylan steht. Es war nicht mein Wunsch gewesen, dass wir uns jemals so nahe kommen, dennoch empfinde ich mittlerweile mehr für ihn, als ich es jemals erwartet hatte. Doch immer noch bin ich vorsichtig, Vaters Worte, meine eigenen Zweifel kommen mir immer wieder in den Sinn. Vielleicht bin ich zu gerne in seiner Gesellschaft und habe mich zu schnell daran gewöhnt, dass er an meiner Seite ist. Ich weiß nicht, wie es wäre, würde er uns, mich verlassen. Er ist ein (meistens) vernünftiger Ruhepol in der Gruppe und hat schon die eine oder andere Situation mit seiner lockeren, leichten Art beruhigt und geschlichtet. Es erwärmt mein Herz Gray und Dylan zusammen zu sehen. Wer hätte gedacht, dass sich diese beiden einmal so gut verstehen würden.
    Dylan hat mir während der gesamten Zeit nicht einmal eine Frage zu meinen Wesen gestellt. Interessiert es ihn nicht, reicht es, dass ich schön bin? Einerseits bin ich froh, dass er mein Schweigen respektiert, anderseits schmerzt es mich. Ich habe das Gefühl, dass etwas fehlt oder…nein, ich weiß nicht wie ich es sagen soll. Deshalb bitte ich dich nun um etwas. Eine Bitte, von der ich nie erwartet hatte, dass sie eines Tages über meine Lippen kommt und doch werde ich sie nun aussprechen.
    Ich möchte, dass du mich von meinem Versprechen entbindest.
    Mutter, ich weiß was ich von dir verlange. Ich hoffe du kannst meine Gefühle und Gründe für diese Bitte verstehen. Nimm dir so viel Zeit wie du brauchst, um darüber nachzudenken und eine Entscheidung zu treffen. Ich werde so lange warten.
    Verzeih mir, dass ich so lange nicht geschrieben habe. Ich habe am Myrkdag des Hirschmonds an dich gedacht, ich hoffe, dass du einen angenehmen Tag verbracht hast und meine Gedanken bei dir angekommen sind. War Vater bei dir? Ich würde dir gerne etwas schenken, doch habe ich bisher noch nichts gefunden.
    Ich denke an dich und mit Freude erwarte ich deine Antwort.
    In Liebe
    Enya
  7. Die Hexe
    Liebste Mutter,
    nachdem wir das Halfdal schließlich verlassen hatten und in Richtung Thame aufgebrochen waren, hörten wir nach langer Zeit wieder Gerüchte über den Roten Ritter. Er schien wieder oder immer noch sein Unwesen zu treiben. Am Aonadag, 2. Trideade Rabenmond erreichten wir die ersten Ausläufer des Pengannions und kamen an ein größeres Dorf. Dort kehrten wir in das einzige Gasthaus „Zum Vielfraß“ ein. Dylan wurde von dem Wirt erkannt und da wir für musikalische Unterhaltung sorgten, bekamen wir ein Zimmer kostenlos. Während sich die Taverne mit Musik und Menschen füllte und Mira nach unserer Darbietung Dylans Hut rumgehen ließ, machte Dylan den Vorschlag uns einen Namen zu geben, denn er fand es unpassend uns als seine Begleitung vorzustellen. Ein Gedanke, der mir nicht in den Sinn gekommen wäre, doch die Vorstellung, so gemeinsam durch Alba zu reisen, zauberte mir ein Lächeln auf das Gesicht. Ich werde mir einen Namen überlegen, vielleicht habe ich eine passende Idee. Später kam Dylan mit einem weiteren Schlüssel zu mir und ich war froh, mit ihm alleine in einem Zimmer zu sein
    Als der Abend weitervorangeschritten war, öffnete sich die Tür und ein Mann in Begleitung einer blass aussehenden Frau betrat das Gasthaus. Es handelte sich um Aelfrod MacBeorn, ein Mann der Wache und seine Schwester Hiladis. Sie erbaten unsere Hilfe. Sie war von Vanaspring hier her gekommen, denn die Göttin Vana hatte ihr in einer Vision aufgetragen zu dem kleinen Dorf Gileburne zu gehen. Ihr Bruder konnte sie jedoch nicht begleiten und so bat er uns, sie sicher dort hin und wieder zurück zu begleiten. Obgleich uns die Reise in Richtung Südosten und den Sumpf führen würde, beschlossen wir den beiden zu helfen. Aufgrund eines Fests brachen wir erst am Criochdag auf nach Gileburne. Dort angekommen sollten wir nach Royden, einem alten Waffengefährten von Aelfrod fragen. Am Abend teilten wir die Wache ein, doch es war eine ruhige Nacht. Am nächsten Tag gelangten wir in das Moor. Hiladis saß auf dem Wagen, doch nach einiger Zeit konnten wir nicht mehr weiter, denn sie hatte unerklärliche Schmerzen. In der Nähe stand eine kleine Schilfhütte, in die wir die Frau trugen. Die Schmerzen wurden immer schlimmer und sie begann zu bluten. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich gesagt, sie würde ein Kind gebären. Bruna und ich kümmerten uns so gut es ging um die Frau, als wir auf einmal ein Fauchen hörten. Draußen waren drei Echsenmenschen, die uns eine Wurzel gaben, die der Frau helfen würde. Dafür wollten sie etwas Glitzerndes und bekamen die Maske, die wir damals in Crossing gefunden hatten, von Gray. Ich hatte schon befürchtet, es würde zum Kampf kommen, doch Iros beherrschte sich (erstaunlicherweise). Die Wurzel half Hiladis tatsächlich und schon bald schlief sie ein. Schließlich bauten wir eine Trage und setzten damit unseren Weg fort. Am Abend des Ljosdag kamen wir an das kleine Dorf Gileburne, das nur aus neun Hütten bestand.
    Etwas stimmte dort nicht, eine seltsame Lethargie schien sich der Dorfbewohner bemächtigt zu haben. Auch Royden zeigte dieses merkwürdige Verhalten und wir erfuhren, dass seine Frau gerade erst ein Kind bekommen hatte. Sofort kamen uns Hiladis Schmerzen in den Sinn und wir fragten nach dem Zeitpunkt, welcher genau mit dem Datum übereinstimmte. Wir verließen die Hütte wieder, denn wir hatten nicht das Gefühl Hiladis unter seiner Aufsicht lassen zu können, solange wir nicht geklärt hatten, was in diesem Dorf vor sich ging. Als nächstes suchten wir den Dorfvorsteher Brannel auf. Wir erkundigten uns nach ungewöhnlichen Ereignissen, doch alles was er erwähnte waren ein paar Orte wie ein Schiffswrack im Moor und die Moortrolle. Als Hiladis am Schrein zum Gebet kniete, versammelt sich alle Dorfbewohner, doch verloren sie schnell das Interesse. Gray nahm sich einen Mann beiseite und schnitt ihn, bevor jemand etwas tun konnte, mit dem Dolch. Der Mann zeigte wenig Reaktion, noch erschien eine Wunde, jedoch blutete Hiladis an der Stelle, an der der Mann hätte bluten sollen. Damit wurde unser Verdacht endgültig bestätigt. Es war schon spät, weshalb wir uns etwas abseits im Dorf unser Lager aufschlugen. In der Nacht wachten alle durch Hiladis Schmerzensschreie auf, als sich acht Schnitte, einer nachdem anderen, auf ihren Fußsohlen abzeichneten.
    Vom Dorfvorsteher erfuhren wird am nächsten Morgen von Jofrid, der Vanapriesterin die dem Dorf viel Gutes gebracht hatte, jedoch seit einem Jahr verstorben war. Sie hatte in einer kleinen Hütte außerhalb des Dorfes zusammen mit ihrem Gehilfen Woldren gelebt. Niemand außer ihm wusste, wo die Hütte sich befand. Wir beschlossen den alten Mann aufzusuchen. Doch aufgrund mangelndem Wissen und Neugierde mancher Gruppenmitglieder begaben wir uns zuerst zum Schiffswrack. Mira blieb zurück, um auf Hiladis aufzupassen. Während wir im Sumpf herum stapften ging Iros etwas voraus um nach Spuren zu suchen. Er verschwand aus unserem Sichtfeld und kurz darauf hörten wir einen Schrei. Als wir zu dem Chryseia hineilten, sahen wir wie er von den Armen eines Riesenkranken in Richtung Wasser gezogen wurde. Wir versuchten das Wesen aufzuhalten, doch es gelang uns nicht. Gray sprang Iros ins Wasser hinterher und verzweifelt versuchten Bruna, Dylan und ich die beiden zu retten. Am Ende blieb mir nichts anderes als das Tier für kurze Zeit zu verwirren, doch dadurch schwand meine Kraft in wenigen Augenblicken. Endlich tauchte Iros aus dem Wasser, doch von Gray keine Spur. Grauen überkam mich, ich trank den Krafttrunk den mir Mira gegeben hatte und warf dem Wesen mit letzter Kraft noch einen Zauber entgegen. Doch Gray tauchte immer noch nicht auf. Ich kniete mich auf den Boden und bete verzweifelt zu den Göttern, als Iros um etwas bat, was ihn schneller oder stärker machen würde. Ich gab ihn den Trank von Merstonix und betete, dass es auch tatsächlich die gewünschte Wirkung zeigen würde. Iros trank ihn, nahm seine Wurfspeer, rannte auf das Wasser zu und sprang ab. In dem Moment, als er seinen Speer warf, tauchte das Wesen auf und die Waffe bohrte sich in sein Maul. Ein gellender Schrei ertönte und das Wesen versank wieder unter Wasser. Iros schwamm ans Ufer zurück und auch Gray tauchte endlich auf. Unbeschreibliche Erleichterung erfüllte mich und ich warf mich um seinen Hals. Die Tatsache, dass er über und über mit Schlamm bedeckt war, bemerkte ich erst hinterher. In dem Moment war ich einfach nur überglücklich, dass Gray überlebt hatte. Wir entschlossen zurückzugehen und uns zu erholen. Auf dem Rückweg wurde Iros von einer Schlange gebissen, doch vom Dorfvorsteher erfuhren wir, dass es sich nicht um tödliches Gift handelte. Zurück bei Mira, versuchten wir unsere Kleider zu trocknen und ich bekam eine Schüssel Wasser aus dem Dorf, sodass ich zumindest den größten Teil des Schmutzes loswurde. Nachdem einige Zeit verstrichen war, brachen wir wieder auf, doch diesmal blieb Dylan bei der Priesterin. Etwas unwohl fühlte ich mich, getrennt von ihm. Ich hätte ebenfalls bleiben können, doch ich wollte nach der Begegnung mit dem Kraken an Gray Seite sein. Auch diesmal kamen wir nicht gleich an das Schiffswrack. Vorher wurden wir von einem kleinen Wesen mit dunklen Mottenflügeln aufgehalten. Es brauchte nur ein Speerwurf von Iros und das Wesen fand den Tod, doch davor setzte es uns schwer zu. Besonders Bruna, die durch die entstehende Dunkelheit fast im Sumpf versunken und dort von Blutegeln ausgesaugt worden war. Ich werde den Zauber Bannen von Dunkelheit lernen, so etwas soll uns nicht noch einmal passieren. Endlich kamen wir an das Schiff, welches jedoch meterweit im Sumpf lag. Ich konnte Gray und somit den Rest der Gruppe davon überzeugen, vom dem Wrack abzulassen und zum Lager zurückzukehren. Dort hörten wir uns noch einmal wegen der Hütte um, doch niemand konnte uns etwas sagen. Bruna musste sich von den Ereignissen erholen und blieb beim Zelt. Als wir gerade dabei waren nach Spuren im Wald zu suchen, kam uns ein alter Mann entgegen. Wir vermuteten, dass es sich um den Gehilfen handelte und sprachen ihn an. Er fragte uns, was wir hier wollten und bat uns zu gehen. Er war der erste, der dies getan hatte und so verstärke sich unser Misstrauen ihm gegenüber. Er weigerte sich uns zu seiner Hütte zu führen, doch schließlich willigte er ein. Auf unserem Weg kamen wir an eine Schlucht. Woldren wollte uns dort an einem Seil herunterlassen. Wir vermuteten eine Falle und Gray versetzte den alten Mann in Schlaf. Er wurde gefesselt und geknebelt. Gray weckte den Mann auf und begann ihm Fragen zu stellen, doch er konnte ihm noch nicht einmal antworten. Ich hatte mir das Geschehen lang genug angeschaut. Auch wenn wir den Mann verdächtigten, ging diese Behandlung zu weit. Ich nahm ihm den Knebel ab. Ein großer Fehler, wie sich kurz darauf herausstelle. Wir ließen uns an einem Seil in die Senke hin ab und begannen sie zu durchqueren. Woldren führte uns, doch nach einer Weile gellte der Pfiff des Mannes durch die Stille und der Boden vor uns brach auf. Aus dem Loch sprang ein Wesen, wie wir ihm schon einmal begegnet sind. Ein Schlammteufel. Ich schrie den anderen eine Warnung zu und begann zurück zu eilen. Ich hatte nur deine Worte im Kopf, sodass ich nicht nachdachte, was ich tat. Dann waren alle am Ende der Senke, nur Gray nicht. Er stand noch dort mit Woldren und der Schlammteufel wendet sich ihnen zu. Schon wieder fürchtete ich um Grays Leben, doch er warf den alten Mann dem Tier entgegen und rannte zu uns. Das Schauspiel was folgte, war grauenvoll, der Mann wurde von dem Tier in tausend Stücke zerfetzt. Hätten ich gewusst, was sei Tod bedeutete, ich hätte mich trotz der Gefahr ohne zu zögern auf den Schlammteufel gestürzt. Es grämte mich, dass der alte Mann so einen Tod gefunden hatte. Noch wussten wir kaum etwas über ihn, auch er mochte seine Gründe für sein Handeln gehabt haben. Als wir nach oben geklettert waren, standen wir vor zehn Echsenmenschen, die begannen uns zu umkreisen und anzufauchen. Wir konnten sie beruhigen und fragten ob sie uns zur Hütte von Joyfrid bringen könnten. Im Gegenzug wollten sie etwas Glitzerndes habe, doch niemand schien derartiges bei sich zu haben. Ich löste meinen rechten Ohrring und gab ihn schweren Herzens an den Echsenmenschen. Ich konnte die Tränen nicht verhindern, als ich Vaters Geschenk für immer aus meinen Händen gab. Die Wesen führten uns sicher durch den Wald und das Moor, bis wir schließlich an eine Hütte kamen. Drinnen entdeckten wir einen Raum mit einem Steinalter, auf dem ein Skelett lag, daneben ein Buch und eine mit Dornen besetzte Peitsche. Plötzlich erklang Dylans Stimme hinter uns und der Geist Joyfrids materialisierte sich über dem Skelett. Wir erfuhren, dass sie, nachdem sie ins das Dorf gekommen war, ihr ganzen Leben für die Dorfbewohner aufgeopfert hatte. Sie hatte die Menschen von ihrem Unglück befreit und das Paradies geschaffen, indem sie ihren Schmerz auf sich genommen hatte. Obgleich Dylan sich nicht mehr bewegen konnte, sah ich an seinen Augen, dass er alles mitbekam. Ich war erschüttert über die Taten der Priesterin und versuchte sie vom Gegenteil zu überzeugen. Denn wo kein Schmerz war konnte auch keine Freude, kein Glück sein. Gray nahm die Peitsche und hieb damit auf den Geist. Die Peitsche fuhr durch sie hindurch, stattdessen hatte Gray sich selbst die Wunde zugefügt. Außer mir vor Wut und Entsetzten nahm ich Dylans Schwert und hieb damit auf die Peitsche. Doch alles was ich damit erreichte, war ein verärgerter Geist, der mich angriff. Ich schaffte es dieses entsetzliche Werkzeug zu zerstören, doch es ändere nichts. Sie ließ dann von mir ab und ich hatte Zeit Gray zu verbinden. Ich versuchte den Geist weiter zu überzeugen, doch es war aussichtslos.
    Wenn wir versuchten ihr zu schaden, erlitten wir die Schmerzen. Wenn wir jedoch den Angriff jedoch gegen uns selbst richteten, schien der Geist leicht zu verblassen. Dennoch widerstrebte es uns, uns selbst zu verletzten, umso mehr, da sie uns dazu aufforderte. Gray hatte Zweifel, ob nicht Hiladis ebenfalls unsere Schmerzen spüren würde und so ließen wir von dem Geist ab. Es war schon spät, wir waren erschöpft und verwundet und zogen uns zurück. Wir suchten uns ein Zimmer und verbrachten dort die Nacht. Am nächsten Morgen bot Dylan an, nach der Priesterin zu schauen. Ich wollte ihn begleiten, denn es war wahnsinnig durch dieses Moor alleine zu gehen. Doch Dylan hielt mich zurück. Er war wieder einmal besorgt um mein Wohlergehen und sah mich lieber in Sicherheit bei den anderen. Wut und Panik mischten sich in meinen Inneren, warum sah er nicht auch meine Sorge? Warum wurde mir nicht erlaubt, aus Sorge um das Wohlergehen eines geliebten Menschen, zu handeln. Als Dylan aus der Hütte trat, wollte ich ihm folgen, doch Mira hielt mich fest und aus den Augenwinkeln sah ich Gray mit einem Säckchen spielen. Zähneknirschend gab ich auf und begab mich in tiefe Meditation. Ich flehte die Götter an Dylan zu beschützen. Danach versuchte ich etwas zu ruhen, doch ich konnte nicht in den Schlaf finden.
    Nun sitze ich hier und habe das Gefühl, die Zeit ist stehengeblieben. Tage sind schon vergangen, seitdem ich auf Dylans Rückkehr warte. Die Angst greift mit ihren kalten Fingern nach meinem Herzen. Meine Gedanken sind ein Chaos aus Sorgen, Furcht, Fragen und Müdigkeit. Ich wünsche, dass endlich morgen wird. Er wird zurückkommen.
    Ich werde noch einmal versuchen zu schlafen.
    Gute Nacht, Mutter.
     
    In Liebe
    Enya
  8. Die Hexe
    Liebste Mutter,
    er ist zurückkommen. Mein Schlaf war unruhig und früh stand ich auf, um draußen auf Dylan und Bruna zu warten. Endlich sah ich zwei Gestalten auf die Hütte zu kommen. Mein Ärger war verflogen und Erleichtert fiel ich Dylan um den Hals, doch da bemerkte ich, dass etwas geschehen war. Trauer verzerrte die Gesichter der beiden und sie berichteten uns von Hiladis Tod. Sie war von Bissen auseinandergerissen worden, das blutgetränkte Zelt musste ein schrecklicher Anblick gewesen sein. Sofort wussten wir wann und wie sie gestorben war. Sie hatte durch den Tod Woldrens mit dem Leben büßen müssen. Und wer war dafür verantwortlich? Wir. Wir, die sie eigentlich hätten beschützen sollen, hatten ihr den Tod gebracht. Nun blieb uns nur eines, wenigsten den Geist Joyfrids zu erlösen und den Dorfbewohnern ihr Leben zurück zu geben. Vor dem Geist, der wieder Dylans Stimme übernahm, rammte sich Gray, bevor ich etwas dagegen tun konnte, den Dolch in seinen ohnehin schon verwundeten Leib, worauf hin der Geist der Priesterin mit den Worten „Endlich bin ich erlöst“ verschwand. Trauernd und schweigend liefen wir zurück zum Dorf. Die Veränderung war augenblicklich spürbar. Wir erzählten den Dorfbewohnern die Geschichte und bereiteten die Beerdigung Hiladis vor. Gray bestand darauf, das Grab alleine auszuheben und wir respektierten seinen Wunsch. War er doch derjenige gewesen, der Woldren dem Schlammteufel entgegen geworfen hatte. Doch die Schuld traf ihn nicht allein. Hätte ich nicht dem Mann den Knebel abgenommen, hätte er das Tier nicht rufen können. Hätten wir uns dem Tier, trotz der Gefahr für unser Leben, entgegen gestellt, dann wäre die Priesterin noch am Leben. Wie hatte ich nur so egoistisch denken können? Nicht einen Moment hatte ich bedacht, dass auch Woldren unter dem Bann Joyfrids stand und damit Hiladis all seine Wunden und Schmerzen auf sich nahm. Groß war die Trauer und die Reue als wir das blutgetränkte Zelt mit dem Körper der Priesterin in das Loch hinab ließen und es mit Erde bedeckten. Ich kniete mich vor das Grab und betete zu den Göttern. Doch Zweifel und Unglaube nagten an mir. Warum hatte gerade Vana, die Göttin der Fruchtbarkeit und des Lebens, dieser Frau eine solche Prüfung gestellt? Hätte eine Vision nicht ausgereicht? Warum musste eine Frau die Schmerzen so vieler Menschen auf sich nehmen? Warum hatte die Göttin Joyfrid nicht von Anfang an aufgehalten? Warum hatte Vana dieses Werk so lange gebilligt, hatte sich nicht vorhersehen können, was die Priesterin mit ihrem Tun anrichten würde? Fragen auf die ich wohl nie eine Antwort bekommen würde. Die Wege der Götter sind unergründlich, doch nach diesen Ereignissen scheinen sie mir noch fremder.
    Ich denke wir werden diesen Ort bald verlassen und zu Aelfrod MacBeorn zurückkehren, um ihm die schreckliche Nachricht zu überbringen. Wenn ich nur etwas tun könnte, doch nichts wird seine Schwester zurück in Leben bringen. Das Gefühl des Versagens könnte kaum größer sein.
    Doch nicht nur die Frau, die wir hätten beschützen sollen fand den Tod. Ich hätte beinahe zwei mir wichtige Menschen verloren. Ich fühle mich schrecklich. Bestürzt, schwach, nutzlos, verloren. Dass mich etwas in dieser Welt so tief erschüttert… Dieses Gefühl war mir unbekannt, diese Angst, ich hatte sie noch nie verspürt. Ich muss stärker werden. Stärker, damit ich an ihrer Seite sein kann. Stärker um sie vor dem Tod zu bewahren. Stärker um mich selbst zu schützen, damit sie es nicht tun müssen. Vater hat gesagt, er reißt sie in Stücke, sollte sie mich nicht beschützen. Doch wenn sie dabei ihr Leben verlieren, dann möchte ich ihren Schutz nicht, denn innerlich würde es mich in Stücke reißen. Das Nächste Mal werden sie mich mit Gewalt zurückhalten müssen. Nie wieder möchte ich zurück gelassen werden!
    Ich mache mir Sorgen um Gray. Er war so still, was er wohl denkt? Nimmt er alle Schuld auf sich? Wie kann ich ihm helfen, diese Last zu tragen? Ich habe ein ungutes Gefühl, ich werde in den nächsten Tagen ein Auge auf ihn haben.
    Die Geschehnisse der letzten Tage haben mir bewusst gemacht, was mir die Menschen um mich herum wirklich bedeuten. Obwohl ich Gray kaum kenne und wenig über ihn weiß, fühle ich eine tiefe Verbundenheit zu ihm. Auch wenn er seine Schattenseiten hat und wir uns in manchem grundlegend unterscheiden, ändert es nichts an meinem Vertrauen und meiner Zuneigung ihm gegenüber. Ich würde ihm ohne zu Zögern mein Leben anvertrauen.
    Neben dem Schrecken und der Trauer, findet immer noch Verärgerung Raum in mir. Mich würde der Barde nie alleine gehen lassen, aber ich musste zuschauen wie er im Moor verschwand, ohne die Gewissheit, dass ich ihn wiedersehen würde. Oh Mutter, was wäre geschehen, hätte er den Tod gefunden? Trotz aller Vorsätze, jeglicher Vernunft wurde meine Zuneigung zu Dylan immer größer. Ohne dass ich es gewünscht oder bemerkt hatte, wurde aus Zuneigung Liebe. Ertrage ich es, wenn er mich verlässt oder schicke ich ihn lieber fort, um diese Trauer nicht erleben zu müssen? Was für eine unsinnige Frage. Natürlich möchte ich, dass er an meiner Seite bleibt. Ich werde den Tod als Bestandteil des Lebens akzeptieren müssen und mich jeden Tag freuen, den ich gemeinsam mit den mir lieben Menschen erlebe.
    Ich habe ein Gedicht geschrieben, vielleicht finde ich dazu noch eine Melodie. Ich werde es zu meinem Brief legen. Ich warte sehnlich auf deine Antwort.
     
    In Liebe
    Enya
  9. Die Hexe
    Liebste Mutter,
    ich befinde mich wieder in Twineward, doch wir werden nur eine Nacht hier verweilen. Morgen setzten wir unsere Reise nach Thame fort.
    Vier Tage blieben wir in Gileburne, um Hiladis Tod zu betrauern und um wieder zu Kräften zu kommen. Am Sedag brachen wir auf und verließen den Ort des Schreckens. Nach zwei Tagen ereignisloser Reise kamen wir schließlich in Kildandun an. Zugleich fragten wir bei der Wache nach Aelfrod, der uns kurz darauf erwartungsvoll entgegen trat. Wie groß muss der Schmerz über den Verlust seiner Schwester gewesen sein. Seine Schwester, die einzige, die ihm von seiner Familie geblieben war. Er dankte uns und meinte, dass wir sicherlich alles getan hätten um sie zu beschützen. Wie Schwerthiebe waren seine Worte und in meinen Ohren wurden sie zu Hohn. Ich wäre am liebsten vor ihm auf den Boden zusammengesunken, so schwer wogen Reue und Schuld. Als Aelfrod sich ein Stück entfernte, bat Gray mich, seinen Stab zu nehmen. Verwirrt blickte ich ihn an, dann begann ich zu ahnen was er vorhatte. Etwas in mir schrie vor Entsetzen auf und wollte ihn zurückhalten, doch ich unterdrückte es, schließlich war es seine Entscheidung. Darüber hinaus war ich mir noch nicht einmal über seine Absicht sicher. Er folgte Aelfrod und wechselte ein paar Worte mit ihm. Nach kurzer Zeit zog Aelfrod sein Schwert, Gray kniete sich vor ihm nieder und bot ihm seinen Nacken dar. Da wand sich das Etwas in mir und entkam meinem Griff. Mit grauenvollen Bildern vor Augen, stürzte ich mit einem Schrei zu Gray. Die anderen folgten mir. Aelfrod, stand mit erhobenem Schwert vor Gray und Tränen rannen über sein vor Wut und Schmerz verzerrtes Gesicht. Iros und Mira rangen ihn zu Boden, worauf hin er schrie: „Glaubt ihr wirklich ich würde einen Unschuldigen…“ Nachdem sie von ihm abgelassen hatten, bat er endlich zu erfahren, wie es zu dem Tod seiner Schwester gekommen ist. Ich erzählte ihm die Geschichte und teilte ihm mit, dass Hiladis Auftrag, den sie von der Göttin Vana erhalten hatte, erfüllt worden war. Nachdem ich geendet hatte, zog Gray einen Dolch, schnitt sich damit, ließ einige Tropfen Blut in ein Döschen fließen und übergab es Aelfrod, mit den Worten: „ Falls Ihr es Euch doch noch eines Tages anders überlegt. Damit werdet ihr mich finden.“ Schweigend kehrten wir in den Vielfraß ein. Als wir am Tisch saßen, ergriff Iros das Wort und äußerte sich ziemlich verärgert über Grays Handeln. Gray entgegnete ihm, dass Hiladis Bruder das Recht Rache zu nehmen gehabt hätte. Bruna stimmte ihm zu, es sei eine Frage der Ehre. Iros hielt dies alles für Schwachsinn und sprach von Vertrauen in der Gruppe. Mir war nicht klar, was Vertrauen damit zu tun hatte. Dylan stellte sich jedoch auf seine Seite und meinte die Schuld, die sich Gray aufladen würde, wäre zu schwer. Er erinnerte ihn an das Versprechen, welches er meinem Vater gegeben hatte.
    Gerade als Iros aufstehen wollte, trat eine uns bekannte Gestalt an den Tisch. Es war niemand anderes als Meister Cleobolus. Er war mit seinem neuen Wagenlenker, ein Mann namens Lakon, ebenfalls auf dem Weg nach Thame und wir beschlossen am nächsten Morgen gemeinsam aufzubrechen. Eine Weile saßen wir noch am Tisch und tauschten ein paar Worte über vergangene Zeiten aus. Noch war es nicht lange her, und doch kam es mir wie eine Ewigkeit vor. So viel war inzwischen geschehen. Auf Bitten der Dorfbewohner, die Dylan erkannt hatten, stimme er gemeinsam mit Gray und mir eine traurige Ballade über Hiladis tragischen Tod an.
    Am Morgen des Seachdag brachen wir trotz Neuschnee in Richtung Twineward auf. Am Abend bauten wir unser Lager auf. Dylan beanspruchte im Scherz Iros Zelt, damit er und ich die Nacht alleine verbringen könnten. Iros flüsterte ihm etwas in Ohr und zu meinem Erstaunen schüttelten sie Hände. Mira, die es sich schon in dem Zelt gemütlich gemacht hatte, konnte es nicht fassen, als Iros von ihr verlangte, das Zelt zu verlassen. Ich werde aus diesem Mann nicht schlau, seine Taten sind so schwer einzuschätzen. Ich weiß nie, was er als nächsten vorhat, geschweige denn was er sich dabei denkt. Mit einem Kopfschütteln trat ich mit Gray die erste Nachtwache an. Iros verlangte mit Dylan die zweite und dritte zu übernehmen. Was genau er damit bezweckte, war mir schleierhaft. Ich wusste nur, dass Dylan mit mir alleine sein wollte. Männer…
    Meine Gedanken dagegen waren mit anderen Dingen beschäftigt. Als die anderen zu Bett gegangen waren, saßen Gray und ich eine Weile schweigend am Feuer. Dann begann ich. Ich sprach über das schreckliche Gefühl in dem Moment, in dem ich dachte ich würde ihn verlieren. Über die Zuneigung, die ich zu ihm empfinde und welche größer ist, als ich es jemals für möglich gehalten habe. Er widersprach mir, als ich sagte, dass er nicht alleine die Schuld trägt. Ich meinte, wenn er keine Achtung vor dem Leben hat, könnte ich daran nichts ändern, doch sollte ihm bewusst sein, dass es Menschen gibt, die ihn schätzen und über seinen Tod trauern würden. Ich fragte ihn, ob der Tod nicht vielmehr eine Flucht vor der Schuld sei. Die einfachere Lösung, anstatt mit der Reue weiterzuleben. Wir hatten alle für unsere Taten Verantwortung zu tragen und sollten wie nicht eher versuchen, sie in unserem Leben wieder gutzumachen? Er stimmte mir zu, jedoch meinte er, dass es keine Flucht gewesen sei. Aelfrod hätte das Recht gehabt zu nehmen, was ihm genommen wurde. Zorn regte sich in mir und ich erhob meine Stimme. Grays Tod hätte Hiladis nicht zurückgebracht. Stattdessen hätte er nur Aelfrod mit Schuld beladen, ihn als Mörder zurückgelassen. Gray gab zu, dass er nicht über die Konsequenzen seiner Entscheidung nachgedacht hatte und sprach auch seinerseits über die Zuneigung zu mir. Er hätte das Versprechen an Vater nicht gegeben, wenn er nicht so fühlen würde wie ich. Mit dem Gefühl von Wärme, Verbundenheit und dem Gefühl, ihn beschützen zu müssen, umarmte ich Gray. Nachdem wir den Rest der Wache schweigend verbracht hatten, weckten wir Iros und Dylan. Als ich gerade dabei war einzuschlafen, huschte eine Gestalt zu mir ins Zelt. Kurz darauf spürte ich Dylans Arme, die mich an ihn zogen. Meine Verwirrung schwand in wenigen Augenblicken und ich war froh für einige Zeit die Geschehnisse der vergangenen Tage vergessen zu können. Im Halbschlaf merkte ich noch, wie er das Zelt wieder verließ, doch im nächsten Moment war ich schon eingeschlafen.
    Am Nachmittag des Oachdag kamen wir an die Stadttore Twinewards. Nach einigen Schwierigkeiten mit den Wachen bezüglich des Zolls (dank Iros), entschieden wir uns ins Chet Halbytla zu gehen. Wie sehr freuten wir uns auf das köstliche Essen und die Gastfreundschaft der Halblinge. Im Hort der Gemütlichkeit angekommen und gespeist, brachen wir zum Badehaus auf. Da meinte Dylan, er hätte eine Idee, nahm meine Hand und führte uns hinaus, in vertraute Gassen. Als wir an dem mit Hütchen spielenden Gnom vorbeikamen, wusste ich mit Sicherheit, was sein Ziel war. Eine Mischung aus Beschämung, Belustigung, Freude und Glück stieg in mir auf. Schließlich kamen wir an den Marktplatz, an dem Dylan, Gray und ich uns das erste Mal getroffen hatten. Kaum eine Handvoll Monde sind seitdem vergangen, und doch scheint es so lange her. Dylan stellte sich auf die Bühne und die Menge begann zu raunen. Er kündigte ein Liebeslied an, welcher er für „diese schöne Frau“ singen würde. Damit stimmte er ein mir wohlbekanntes Lied an. Zuvor hatte Gray es sich nicht nehmen lassen, während der Barde sprach, seine Laute mit Hilfe von Magie von Dylans Rücken in seine Hände schweben zu lassen. Für einen Moment trat Schrecken in Dylans Augen, doch dann zwinkerte er Gray zu und lachte, so wie auch ich lachen musste. Gray stimmte mit seiner Okarina in Dylans Spiel ein. Als ich dort stand wurde ich von Liebe, Glück und Freude überwältigt. Gerührt und glücklich betrachtete ich die beiden und lauschte ihrer Musik. Mira ließ einen Hut rumgehen (wie immer) und gab das Geld anschließend an Gray. Zu Dylan gewandt meinte sie, er bräuchte es nicht, denn er habe ja bereits seinen größten Schatz gefunden. Verschmitzt lächelte er mich an und meinte, dass sie recht habe. Ich frage mich, wie viel davon ehrliches Gefühl und wie viel Aufschneiderei ist. Mutter, werde ich mir ihm jemals sicher sein können? Manchmal fühle ich mich ihm so nah, manchmal habe ich das Gefühl zwischen uns liegen Welten. Werde ich ihn gehen lassen können, wenn er sich entscheidet mich zu verlassen?
    Schließlich begaben wir uns ins Badehaus. Ich genoss gerade das wohltuende Bad und die Ruhe, als ich durch die Vorhänge Dylans Aufschrei hörte. Kurz darauf waren weitere Rufe und das Platschen und Spitzen von Wasser zu hören. Auf einmal übergoss mich ein Schwall kaltes Wasser und ich schrie erschrocken auf. Daraufhin kam Mira zu mir gerannt und fragte, was los sei. Panisch tauchte ich unter und drückte meinen Arm gegen den Rand des Zubers. Ich hoffte inständig, dass ihr in dem schwachen Licht und aufgrund der nassen Haare nichts auffallen würde. Ich hatte sie schon viel zu lange nicht mehr nachgefärbt. Endlich hatte ich etwas Ruhe und Zeit nur für mich und dann passierte so etwas. Ich schrie, dass alle raus und mich alleine lassen sollten, worauf hin Mira wieder zurück lief. Kurz darauf hörte ich die wutentbrannte Stimme des Badehausbesitzers und kurzer Hand wurden Gray und Iros hinausgeschmissen. Nach kurzem Überlegen, pfiff ich und einen Moment später erschien Dylan lächeln hinter dem Vorhang…
    Ich war froh, diesmal den Weg nicht alleine zurück durch die dunklen Gassen gehen zu müssen. Als wir uns alle wieder im Hort der Gemütlichkeit versammelt hatten, besprachen wir noch einmal das Ziel unserer Reise. Gray teilte uns mit, er wolle in Thame der Magiergilde beitreten. Bruna schien davon wenig begeistert, denn sie wollte dort nicht lange verweilen und erst recht nicht ihre Familie besuchen. Weder Mira noch Bruna scheinen auf ihre Verwandtschaft besonders gut zu sprechen sein, ich frage mich wie es wohl dazu gekommen ist. Vielleicht werde ich es eines Tages erfahren. Noch weiß ich so wenig über meine Reisegefährten. Selbst mein lieber Barde hat noch viele Geheimnisse. Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie alle erfahren möchte. Ich habe dir noch gar nicht viel über ihn erzählt. So fröhlich und unbeschwert wie man ihn erlebt, würde man nicht denken, dass seine Kindheit alles andere als glücklich war. Er verlor mit vier Jahren seine Familie und der alte Barde des Dorfes nahm sich ihm an. Doch er nutze Dylans Talent aus und bezahlte damit seinen Alkohol. Als Dank dafür bekam der Junge die Fäuste seines betrunkenen Meisters zu spüren. Einige Jahre später, nach dem Tod seines Lehrers, zog er alleine durch Alba. Sein Wunsch ist es, eines Tages in die Bardenschule nach Erainn zu gehen. Wie gerne würde ich ihn dorthin begleiten. Ein Ort voller Musik, ich kann mir wenig Schöneres vorstellen. Wenn mich nicht andere Aufgaben riefen, dann…
    Hier im Hort der Gemütlichkeit scheinen die Ereignisse der letzten Tage schon nicht mehr so schrecklich. Langsam verebben die schmerzhaften Erinnerungen und quälenden Gefühle und wir können wieder lachen, wenn auch vielleicht noch nicht aus vollem Herzen. Ich bin erleichtert, dass meine Begleiter immer noch an meiner Seite sind. Ich schaue der Reise nach Thame mit Freude entgegen. Es gibt einiges, was ich in der Stadt tun möchte. Doch erst einmal muss etwas gegen mein immer wiederkehrendes Problem geschehen. Bis auf eine Goldmünze, eine Handvoll Syring und Penning, besitze ich nichts mehr. Ein paar Nächte werde ich mir noch leisten können, dann weiß ich nicht was ich tun soll. Ich frage mich ob ich zu viel ausgebe? Ich muss dagegen etwas tun, ich möchte den anderen nicht zur Last fallen, erst recht nicht mit Geldsorgen.
    Nach der Geschichte mit dem Thursen, der wie sich herausstellte nur ein Troll war und der Reise im Winter, sollte ich schnellstmöglich ein Zauber lernen, der mich vor Kälte schützt. Ich wäre die erste, die im Kampf gegen ein Eiswesen fallen würde. Die Magie, Dinge mit unsichtbarer Hand zu bewegen, die Gray schon einige Male angewandt hat, erscheint mir auch recht nützlich. Oh, es gibt noch so viel was ich zu lernen habe.
    Mutter, ich danke dir für deine Antwort. Ich weiß deine Worte sehr zu schätzen. Bisher war jedoch noch nicht die passende Gelegenheit mich meinen Gefährten anzuvertrauen. Fühle dich umarmt. Vielleicht kann ich die anderen doch noch überzeugen von Thame aus weiter nach Fiorinde zu reisen. Ich möchte dich wiedersehen und vor allem möchte ich dir meine Begleiter vorstellen!
     
    In Liebe
    Enya
  10. Die Hexe
    Liebste Mutter,
    endlich sind wir in Thame angekommen. Es hat länger gedauert, als wir erwartet hatten und die Reise war weitaus schlimmer, als ich es mir jemals ausgemalt hätte.
    Am Morgen des Aonadag verließen wir Twineward gemeinsam mit Meister Cleobolus und Lakon. Die ersten zwei Tage verliefen ereignislos und das Einzige, was uns zu schaffen machte, waren Schnee und Kälte. Als Nachtlager hatte Gray uns eine Schneehütte gebaut, in der erstaunlicherweise die Kälte kaum noch zu spüren war. Über einem Feuer konnten sogar eine warme Suppe und Tee zubereitet werden. Es war der Abend des Dosandag, wie auch schon in den vergangenen Nächten teilten wir die Wachen ein.
    Am Morgen, zumindest glaubte ich, dass es Morgen war, erwachte ich mit Kopfschmerzen und einem widerlichen Geschmack im Mund. Im schwachen Lichtschein konnte ich erkennen, dass ich mit den anderen, bis auf Meister Cleobolus und Lakon, in einem Art Käfig eingesperrt war. Wir hatten bis auf unsere Nachtgewänder nichts mehr an uns, lagen auf Stroh und waren von dicken Holzpfählen umgeben. Vom anderen Ende des Raumes grinsten uns zwei hässliche Gestalten an. Orcs. Kurz darauf verließen sie den Raum und gaben Mira damit die Möglichkeit, das rostige Schloss mit Hilfe eines ebenso rostigen Nagels zu öffnen. So wenig wie ich dieses Handwerk schätze, war ich doch froh, dass Mira diese Fertigkeit beherrscht. Mit vereinten Kräften überwanden wir die ersten Orcs und fanden schließlich einen Teil unserer Sachen wieder. Der Verbleib von Grays und meinem Magierstab, Dylans Schwert, weiteren Waffen und allen unseren Rucksäcken war jedoch noch ungewiss. Es kam zu einer weiteren Konfrontation. Wir hatten die Wahl uns für einen von zwei Wegen zu entscheiden. Wir wählten den falschen. Anstatt durch die Eisentür zu gehen, stießen wir auf weitere Orcs. Doch diesmal waren ihr Anführer, ein großen Wolf und ein Orcschamane unter ihnen. Meister Cleobolus hing dort an einen großen Stein gekettet, der Orcanführer stand vor ihm. Es war ein harter Kampf, den wir teilweise ohne (unsere) Waffen zu bestreiten hatten. Ich hatte den Fehler gemacht und war zu weit in den Raum gegangen, so dass ich, ehe ich mich versah, erst dem Wolf und kurzdarauf auch noch dem Orchäuptling entgegen stand. Mein Vorhaben, meinen Gegnern eine Feuerlanze entgegen zu schmettern, war damit unmöglich und nach wenigen Hieben bemächtigte sich Erschöpfung meiner Glieder. Es waren so viele Orcs. Um mich herum waren alle dabei ihr Leben zu verteidigen. Weit entfernt jedoch schien mir das Geschehen, als ich in die Augen des Wolfes blickte und in ihnen meinen Tod sah. Da kam mir Dylan zu Hilfe, doch mit seinem Dolch in der Hand hatte er diesen Ungetümen ebenfalls nichts entgegenzusetzen. Stattdessen hieb dieses Monster von einem Orc mit seinen beiden Äxten auf Dylan ein und er ging unter dem wuchtigen Hieb zu Boden. Mit einem Schrei stürzte ich mich auch ihn, um ihm mit meinem Körper zu schützen. Als die anderen sich um den Orc kümmerten, war da nur noch der Wolf. Gray schickte ihn ins Land der Träume und ich rammte ihm die Fackel ins Fell. Daraufhin schreckte er auf und ergriff die Flucht. Damit war der Kampf vorbei. Ich erkannte mir Entsetzten, dass Dylan kaum noch lebte. Gemeinsam mit Bruna kümmerte ich mich um seine Verletzungen. Gray hatte bei dem Orcschamanen Verbände, Kräuter und Salben gefunden. Da geschah etwas, das mein Herz für einen Moment still stehen ließ. Als Bruna sich an der Wunde zu schaffen machte, es sah recht grob aus, gab Dylan ein schmerzerfülltes Stöhnen von sich und ich konnte fühlen, wie sein Leben schwand. Fassungslos starrte ich auf sein bleiches Gesicht. Meine Hände zitterten, als ich versuchte ihn zu retten. Doch es war vergebens, ich spürte wie er unter meinen Händen starb. Unbeschreibliches Grauen erfasste mich, um mich herum gab es nichts mehr, ich sah nur noch Dylans weißes, regungsloses Gesicht und das rote Blut an meinen Händen. Da reichte Mira mir ein kleines Fläschchen und ohne Zögern flößte ich es Dylan ein. Seine Wunden begannen sich zu schließen und er schlug seine Augen wieder auf. Tränen unsäglicher Erleichterung rannen meine Wangen herab, während ich seine Hand fest an mein Gesicht presste. Eine Sekunde länger, eine falsche Bewegung und es wäre zu spät gewesen…Die Erkenntnis traf mich wie ein Hammerschlag. Ich wollte mich nicht von ihm lösen, nie wieder wollte ich ihn loslassen, doch auch Meister Cleobolus benötigte unsere Hilfe und so wendete ich mich schweren Herzens dem alten Mann zu. Wir erfuhren, dass der Orchäuptling auf gebrochenem Albisch ihn nach Schätzen und Geld ausgefragt hatte. Von Lakon war keine Spur.
    Wir verließen den Raum, auf der Suche nach unseren noch fehlenden Besitztümern und einem Ausgang. Letzteres fanden wir nach weiteren Gängen und Räumen, doch von draußen drang Kampflärm an unsere Ohren. Einen weiteren Kampf würde keiner überleben. Mein Herz sank und einen Moment drohte Verzweiflung mich zu überwältigen, doch ich hatte etwas zu schützen und dafür würde ich bis zum letzten Atemzug kämpfen. Ich blieb mit Cleobolus und Dylan zurück, während die anderen ins Freie traten. Kurze Zeit später machten wir Bekanntschaft mit einer äußert hübschen Frau. Sie kam wie Bernardo aus den Küstenstaaten und stellte sich als Cecilia vor. Gemeinsam mit Bruna kümmerte ich mich um ihre Wunden, die sie sich im Kampf mit den Orcs zugezogen hatte. Dylan konnte natürlich nicht wiederstehen und machte ihr schöne Augen. Ich wollte nicht, dass es mir etwas ausmacht, doch dem Stich konnte ich mich nicht entziehen. Hätten wir doch nur ihre wahre Absicht erkannt, wie dumm wir waren einer dahergelaufenen Frau zu trauen, aber wie hätten wir ahnen, wie hätte ich wissen können...? Sie meinte, sie wäre im Auftrag eines reichen Händlers auf dem Weg nach Thame. Unsere Waffen und Rucksäcke fehlten immer noch. Gray entdeckte Spuren im Schnee, die uns zu einer kleinen Höhle führten, bei der die Wägen und Pferde standen. Dort befand sich auch alles andere und so setzten wir uns erst einmal, ausgehungert wie wir waren, um etwas zu uns zu nehmen.
    Als die anderen aufbrachen, um noch einmal die Höhle zu untersuchen, insbesondere die Eisentür, wollte ich mit Dylan, Cleobolus und Cecilia zurückbleiben, doch Iros bestand darauf, dass ich sie begleite. Ich würde Cecilia mit, nein Dylan nicht alleine lassen, doch als auch er sagte, ich solle gehen, drehte ich mich um und lief wortlos zum Höhleneingang. Wie albern, wie töricht mich zu solch niedrigen Gefühlen hinreißen zu lassen. Wäre ich einfach meiner Intuition gefolgt und geblieben, ungeachtet aller Worte.
    Wir schritten durch die Höhle ohne weitere Vorkommnisse, öffneten die Eisentür und gelangten in einen Raum, in dem wir auf die Leiche eines Zwerges stießen. Empor schwebte der Geist des Zwerges und gebot Bruna den Körper des Toten zurück ins Atrossgebirge zu bringen. Da hörten wir einen Schrei von oben. Panisch machte ich kehrt und eilte zum Ausgang, Gray folgte mir, Mira und Iros kletterten durch den Kamin, der sich im Raum befand. Draußen bot sich mir ein Anblick des Grauens. Cleobolus lag im Schnee. Dylan war an einen Baum gebunden, seine Handgelenke waren auf groteske Weise verdreht. Überall war Blut. Neben ihm im Baum steckte ein Messer, darunter ein Zettel:
    „Seid gegrüßt meine teuren Gefährten, ich bin im Auftrag eures geschätzten Freundes unterwegs, um euch meine Freuden zu bringen… Erinnert Ihr euch, ihr habt ihm so ein Leid zu gefügt, dabei ist jeder wie er ist, dafür könnt ihr ihn doch nicht betrafen. Da ihr es aber getan habt, ist es nun an mir euch zu strafen, einen nach dem anderen… Er möchte, dass Ihr leidet. Mit ihm habe ich angefangen, dieser schnuckelige Barde, ist er nicht süß, wie er da so hängt. So wird es euch ergehen, nur ihr werdet nicht überleben. Er war zu schön zum Sterben. Ach ja, ganz liebe Grüße von eurem Freund Alphrik MacBeorn. Sandrina, die Jägerin.“
    Sogleich kümmerten Bruna und ich uns um Dylan. Doch viel konnten wir nicht für ihn tun. Beim Anblick seiner Hände verschlug es mir den Atem. Es würde ihm unmöglich sein mit ihnen auf seiner Laute zu spielen. Die Vorstellung, was dies für ihn bedeutete, füllten meine Augen erneut mit Tränen. Cleobolus lebte zu unserer Erleichterung noch. Doch etwas bemerkten wir mit Entsetzen: Herbert fehlte. Mira war außer sich, Iros versuchte den Spuren zu folgen, doch natürlich war es aussichtslos. Die Frau war verschwunden. Wie hatte sie nur so etwas Grausames tun können? Was bewegt einen Menschen so etwas zu tun? Ich kann es nicht verstehen.
    Gray, Mira und Bruna erzählten mir die Geschichte um Alphrik MacBeorn. Sie hatten ihn der Kinderschändung und des Kindesmordes überführt, doch trotz ihres Bemühens war seine Strafe nicht der Rede wert gewesen. Danach las ich den Brief mit neuen Augen und als ich die Zeilen ein weiteres Mal durchging, wurde mir speiübel. Diese Abartigkeit, die Unmenschlichkeit war mir so fremd, so zuwider. Mit Müh und Not konnte ich das gerade zu mir Genommene bei mir behalten.
    Bruna, die dagegen gewesen war nach Thame, insbesondre zu den Zwergen, zu reisen, meinte, dass es nun doch notwendig sei und damit brachen wir in Richtung Thame auf. Am Nachmittag des Triudag kamen wir an den Stadttoren an. Wir erfuhren von dem Frühlingsfest, welches in wenigen Tagen stattfinden würde, doch über Sandrina konnte uns die Wache nichts sagen. Wir kamen im Staubigen Zwerg unter und Bruna, Mira und Iros machten sich auf zum Zwergenviertel.
    Ich blieb bei Dylan. Keine Sekunde wollte ich ihn mehr aus den Augen lassen. Hatte ich mir nicht erst vorgenommen stärker zu werden, um die Menschen um mich herum zu schützen? Doch bevor ich die Möglichkeit dazu bekam, ging einer davon beinahe in Ylathors Reich ein. Ich finde keine Worte für das was ich empfinde. Bestürzung? Angst? Schmerz? Verzweiflung? Das Gefühl versagt zu haben? Es ist zu viel, als dass ich es erfassen könnte…
    Die nächsten Tage in Thame werden uns hoffentlich etwas Ruhe bringen. Wir müssen uns nicht nur von unseren körperlichen Wunden erholen. Trotz allem bin ich froh wieder in einer Stadt zu sein. Es gibt noch so viel zu tun, bevor wir wieder weiterreisen. Nicht zuletzt die Heilung von Dylans Händen. Ich kann es immer noch nicht fassen. Seine Hände, das Schlimmste was man ihm hätte antun können.
    Ich frage mich wie es weitergeht. Die letzten Ereignisse haben uns gezeigt, dass wir niemand mehr trauen können. Wir wissen, dass Sandrina auf uns Jagd macht, doch ist sie die einzige? Wie können wir Alphrik MacBeorn finden und was tun wir, wenn wir ihm gegenüber stehen?
    Ich kann nicht in den Schlaf finden, Mutter. Zu viele Fragen, Gedanken und Erinnerungen schwirren in meinem Kopf umher. Werden wir jemals noch einmal eine ruhige Nacht verbringen, solange wir verfolgt werden und diesen Mann nicht gefunden haben?
    Immerhin meine Geldsorgen haben sich für die nächste Zeit erübrigt. Doch noch weiß ich nicht, wie viel die Heilung von Dylans Händen kostet…
     
    In Liebe
    Enya
  11. Die Hexe
    Liebste Mutter,
    Am nächsten Morgen begaben auch wir uns zu den Zwergen und trafen dort auf Glarn Rabenbart, der uns zum Dank etwas Gold und Amulett überreichte. Das Amulett ist bronzefarben und zeichnet seinen Träger als Zwergenfreund aus.
    Da wir es aufgrund der vergangenen Ereignisse für gefährlich hielten, alleine unterwegs zu sein, gingen Gray, Dylan und ich gemeinsam zur Magiergilde. Vorher bat ich noch um einen Besuch im Badehaus und ließ mir in MacAelfins Badehaus den Ansatz nachfärben. Schließlich kamen wir an die Gilde von Thame, die Gilde des weißen Steins. Dort wurden wir zu einem Zwerg namens Gram Funkenflug geführt, der Gray am Naondag einen Termin mit Arlena NiConuilh, der Vorsteherin der Gilde, gab. Nachdem wir noch ein paar Zauberkomponenten erstanden hatten, gingen wir in der Stadt noch andere Besorgungen machen. Ein Besuch im Tempel, bescherte Heilung für Dylans Hände, doch er würde sie zehn Tage lang nicht benutzen können. Bleibende Schäden würden sich erst später herausstellen. Die nächste Zeit verbrachte ich mit meinen Studien. So konnte ich endlich von der Schriftrolle, die mir Gray damals geschenkt hatte, lernen. Mein Wissen über die arkanen Künste und meine Fähigkeiten als Wundheilerin konnte ich ebenfalls verbessern.
    Als wir am Sedag beim Frühstück saßen, Bruna war im Zwergenviertel, Iros verschwunden, ging die Tür der Taverne auf. Im Eingang stand Iros, gekleidet in einen schwarzen Umhang, an den Armen vergoldete Armschienen, auf dem Kopf ein prunkvoller Helm mit schwarzem Federkamm. Stolz präsentierte er sich uns und ich fragte mich, wie viel Wahrheit noch an der Geschichte mit seiner Geliebten, die er freikaufen wollte, war. Auf meine Zweifel antwortete er, dass es auch andere Mittel und Wege gäbe und er alles tun würde für sie. Dylan würde sich auch noch einmal die Finger brechen lassen für mich. Zu meiner Verärgerung stimmte Dylan ihm auch noch zu. So etwas Törichtes. Als würde es ihn glücklich machen, wenn er nie wieder seine Hände benützen konnte, was würde ich ihm da viel bringen, wenn er auf seine große Liebe, die Liebe zur Musik verzichten müsste?
    Anschließend begaben wir uns auf den Markt. Dort traf Dylan einen Bekannten. Es handelte sich um Bardulf, ebenfalls ein Barde. Nach einiger Zeit leerte sich der Markplatz und das Bogenschießen auf den „Oger von Thame“ begann. Für das Bogenschießen lieh sich Iros Dylans Bogen aus. Es wurde auf einen Schneemann, welcher den Oger von Thame repräsentierte, geschossen. Die ersten beiden Male flogen Iros Pfeile überall hin, nur nicht ins Ziel. Mit dem dritten und letzten Pfeil durchbohrte er jedoch den Kopf des Ogers und in der Menge dahinter hörten wir einen Aufschrei. So schnell ich konnte, eilte ich dorthin. Ich sah eine gutgekleidete Frau, die sich ihren Arm hielt. Ich war froh meine Tasche mit den Verbänden mitgenommen zu haben und kümmerte mich augenblicklich um die Wunde. Wir erfuhren, dass es sich um Udele NiRathgar, eine angesehene Händlerin in der Stadt handelte. Ich riet ihr zum Arzt zu gehen, denn besonders gut hatte ich meine Arbeit nicht getan, doch sie wollte zurück zu ihrem Haus. Wir begleiteten sie schließlich. Dort angekommen, fragte Iros zu meiner Überraschung, ob sie Samiel kenne. Nein, ich hatte mich nicht verhört, er sprach tatsächlich vom grünen Jäger, aber was sollte dieser mit Udele zu tun haben? Nichts, so schien es, denn sie verneinte die Frage. Gray war der Meinung, es handle sich dabei um einen Schutzpatron der Waldläufer und ließ sich nicht vom Gegenteil überzeugen. Sie bat uns herein, doch Gray weigerte sich, das Haus zu betreten. Er erinnerte uns an unsere Abmachung, niemandem zu trauen. Doch Iros und Mira waren bereits in das prunkvolle Haus hineingegangen. Hin und her gerissen zwischen Grays Warnung und dem Wunsch die beiden dort drinnen nicht allein zu lassen, betrat ich schließlich ebenfalls das Haus. Dylan folgte mir. Drinnen war es dunkel und nur im Wohnzimmer, in welchem Udele saß, brannte Feuer im Kamin. Die Frau äußerte den Wunsch mit uns zu sprechen. Nur uns konnte sie ihre Geschichte erzählen, denn wir waren Fremde in Thame und trotzdem keine schlechten Menschen, denn wir trugen das Amulett der Zwerge. Sie trat vor den Kamin und wir sahen, dass sie keinen Schatten hatte. Wir erfuhren, dass sie sich im Wald von Tureliand in einen Seeelfen verliebt hatte. Doch da diese Wesen anscheinend zu den seelenlosen gehören, musste sie sich von ihrer Seele trennen, um mit dem Elf leben zu können. Sie forschte und fand schließlich eine Möglichkeit auf magische Weise ihre Seele von sich zu lösen. Doch als sie zu dem Elf gehen wollte, erschrak sie über ihren fehlenden Schatten. Sie fühlte sich leer und kehrte wieder zurück. Sie hatte Angst vor dem Schatten, der die Form ihres Spiegelbildes angenommen hatte und ihr wohl nach dem Leben trachtete. Nachdem sie mit der Geschichte geendet hatte, bat sie um Schutz und Hilfe, ihre Seele wieder zu ihr zurück zu bringen. Noch hatte ich einige Fragen und Zweifel und nahm Iros beiseite, um ihn noch einmal nach Samiel zu fragen. In dem Moment, als er den letzten Pfeil abgeschossen hatte, wurde ihm dieser Name ins Ohr geflüstert, von wem wusste er nicht. Was hatte dies zu bedeuten? Bei der Vorstellung, dass der grüne Jäger mit den Ereignissen in Verbindung stand, graute es mir. Ich begab mich zu Gray und erzählte ihm das Gehörte. Zweifel und Misstrauen waren ihm deutlich anzusehen und er stellte klar, dass er kein Leibwächter sein würde, doch schließlich kam er mit in das Haus. Udele sprach von unserer Belohnung und es war wohl die Menge des Goldes, welche zum Annehmen des Auftrages überzeugte. Wir vereinbarten ein Zeichen, mit dem wie sie als Udele erkennen würde. Nachdem dieses beschlossen war, begaben wir uns in den „staubigen Zwerg“ und holten unser Hab und Gut. Zurück bei Udele führte sie uns durch ihr Haus, welchem man ihren Reichtum deutlich ansah. Sie hatte sogar eine Kegelbahn, solch eine Verschwendung. Das eigene Bad jedoch gefiel mir sehr gut. Um vor Eindringligen gewarnt zu werden, brachten wir Glöckchen und Faden an den Fenstern in Udeles Schlafzimmer an und teilten dann die Nachtwachen ein. Ich werde mit Gray und Dylan im Badezimmer wachen, während die anderen im Flur nächtigen. Morgen werde ich zur Magiergilde gehen, um etwas über Schatten, Seelen und diese Art von Magie herauszufinden. Zu Udele werde ich ebenfalls Nachforschungen anstellen. Noch immer habe ich Grays Warnung im Sinn: „Traue niemandem“.
     
    In Liebe
    Enya
  12. Die Hexe
    Liebste Mutter,
    wie geplant begab ich mich in die Magiergilde. Gray und Mira begleiteten mich. Ungern ließ ich Dylan zurück, doch er hatte gemeint, dass ich ihn auch mal einen Moment alleine lassen könnte. Das hatte er das letzte Mal auch gesagt, man hat ja gesehen, was passiert ist…
    In der Magiergilde angekommen – Udele hatte uns ein Schreiben für die Bibliothek mitgegeben – begann ich mit der Suche. Gray konnte die albische Schrift nicht lesen, weshalb er keine große Hilfe war und entschuldigte sich, als er einen interessanten Bereich entdeckt hatte. Nach einiger Zeit bat ich Mira zurück zu Udele zu gehen und sie nach dem Zauber zu fragen, in der Hoffnung, dass mir dies bei der Suche weiterhelfen würde. Dies hätte ich schon vorher tun sollen. Ich hatte immer noch nichts gefunden, als sie wieder zurückkehrte. Das was sie von Udele erfahren hatte war wenig und half mir nicht im Geringsten weiter. Sie erzählte mir jedoch, dass Iros sich zusammen mit Dylan betrunken und sogar versucht hatte, sie zu schlagen. Den ersten Teil der Geschichte glaubte ich ihr sofort, beim zweiten Teil war ich mir nicht so sicher. Verärgert über ihren Leichtsinn, doch nicht bereit wegen ihnen meine Suche aufzugeben, wendete ich mich wieder den Regalen zu. Kurze Zeit später verließ Gray die Bibliothek und kehrte zu den andere zurück. Endlich wurde ich fündig. In einem Werk, welches den Name „Baltur Diompors Aufzeichnungen“ trug, fand ich einen Brief, den er an seine Schwester geschrieben, aber nie abgeschickt hatte. Dort war von dem Dämonenfürsten Torangareg Schattenspender die Rede, den seine Familie heimlich verehrte. Er schrieb über ein Schattenreich, welches neben unserer Welt existierte und in dem Abbilder der Seelen körperliche Gestalt annehmen und materielle Dinge zu Schatten würden. Der Brief stammte aus der Zeit kurz vor dem Ausbruch des Krieges der Magier. Enttäuscht klappte ich das Buch wieder zu. Was brachte mir diese Information? Ermattet von der langen Suche, begab ich mich schließlich mit Mira zurück zum Rabenhaus, wie Udeles Haus aufgrund der Staturen genannt wird.
    Als ich den Flur betrat, drangen mir bereits die Stimmen von Iros, Dylan und Gray entgegen. Sie saßen auf der Empore, lachend und grölend, mit einem Krug Wein in der Hand. Unbändige Wut wallte in mir auf. Wie konnten sie es wagen? In meinem Zorn zauberte ich einen Flammenkreis um mich herum, da es das einzige war, was sichtbar und doch für sie nicht schädlich war. Sie wussten ohnehin nicht um was es dabei handelt. Umgeben von grünen Flammen, ging ich die Treppe herauf, woraufhin die Herrschaften weiter nach oben flohen. Nachdem der erste Anflug von Zorn verebbt war, lief ich zuerst zu Udele, entschuldigte mich für das Verhalten der Männer und begab mich dann zu den Mägden. Irgendetwas hatte Iros mit ihnen angestellt, dieser Hund, weshalb ich nicht wusste ob sie meiner Bitte, den Weinkeller geschlossen zu halten, nachkommen würden.
    Wieder oben angekommen, sah ich noch wie Gray, während er sich auszog, zum Badezimmer hüpfte. Die Wut begann wieder in mir zu brodeln, doch ich versuchte ruhig zu bleiben und gesellte mich zu Mira auf die Empore. Wir waren uns einig, die Männer konnte man wohl keinen Augenblick alleine lassen. Nun, von Iros war das nicht verwunderlich, obwohl er sich als Adeliger von den drei am besten benehmen sollte. Während ich dort nachdenklich stand, ging die Tür des Badezimmers auf und Iros und Dylan rannten völlig entkleidet auf den Flur hinaus. Fassungslos starrte ich die beiden an, als sie auf uns zu gewankt kamen. Als Iros den Krug an Dylan gab, hatte ich genug von dem Theater. Ich griff nach dem Krug und warf ihn mit aller Kraft auf den Boden zu Iros Füßen. Er beschwerte sich lauthals und unterstellte mir, Dylan zu überwachen und nur deshalb würde er sich hier betrinken, ansonsten wäre er einfach mit ihm zusammen in eine Taverne gegangen. Das war zu viel. Ich begann zu schreien, schrie ihm all meine Wut entgegen. Wie daneben ich ihr Verhalten fand, dass ich den ganzen Tag in der Bibliothek verbracht hatte, um damit dem Erfüllen unseres Auftrags näher zu kommen und alles was sie zu tun hatten, war die Gastfreundschaft von Udele mit Füßen zu treten. Sich zu betrinken, obwohl wir den Auftrag hatten jemanden zu beschützen und jederzeit wachsam zu sein. Und dass nun Mira und ich alleine die Nachtwache zu übernehmen hatten, weil sie alle zu voll waren, um wach zu bleiben geschweige denn im Ernstfall zu handeln. Doch Iros schien dies recht wenig zu interessieren und er redete weiterhin auf mich ein. Gray, der durch den Lärm das Badezimmer verlassen hatte, versuchte ihn einzuschläfern, doch es gelang ihm nicht. Ich bat den Chryseier, mir aus den Augen zu treten, weil ich nicht wusste, wie lange ich ihn noch ertragen konnte, bevor ich wirklich genug hatte. Doch er weigerte sich „wie ein Hund zu gehorchen.“ Dylan hatte sich schon längst verzogen, als auch Iros sich endlich abwandte. Zu Gray meinte ich, dass ich von ihm mehr erwartet hätte. Er erwiderte, dass er eigentlich mir etwas erzählen hatte wollen, doch niemand hätte ihm zugehört. Damit verschwand auch er und ließ mich sprachlos zurück. Ich konnte es nicht fassen, was sich in den letzten Augenblicken vor meinen Augen abgespielt hatte. War ich mit einem Haufen Kinder unterwegs? Iros Worte hatten mich mehr getroffen, als es mir lieb war. Und ich kann nicht umhin ihm einzugestehen, dass er Recht hat. Wahrscheinlich war meine (Für)Sorge um Dylan zu viel, doch wie kann ich nach den letzten Ereignissen nicht besorgt sein? Wieder einmal regt sich Trotz in mir. Wäre ich an seiner Stelle…wie damals im Kampf gegen den Troll. Er hat das Recht mich zu schützen, doch mir wirft er es vor. Er hat das Recht sich um mich zu sorgen, doch mir wird vorgeworfen, ich enge ihn ein. Ich möchte doch nur, dass er bald mit seinen Händen wieder auf seiner Laute spielen kann…und dass er bei mir bleibt.
    Zur Nachtwache, die die ganze Nacht füllen würde, begab ich mich ins Badezimmer. Von den Männern fehlt jegliche Spur und wir können wohl wenig Hilfe von ihnen erwarten, sollte in der Nacht etwas passieren.
     
    In Liebe
    Enya
  13. Die Hexe
    Liebste Mutter,
    verzeih mir, dass ich mich erst jetzt melde. Mir war die Möglichkeit nicht eher gegeben Und nun da dich mein Brief ereilt, enthält er eine dringende Bitte. Doch zuerst möchte ich dir erzählen, was mir widerfahren ist.
    Während unsere betrunkenen Burschen sich im und um das Haus ihre Schlafplätze gesucht hatten, traten Mira und ich unsere Nachtwache an. Nach einiger Zeit hörte ich, wie die Eingangstür aufging und wieder zufiel. Ich verwünschte Iros, Gray und Dylan für ihre Dummheit. Hätte ich doch nur in der Stadt nach Udele gefragt, vielleicht hätte ich bemerkt, dass etwas nicht stimmte. So aber wartete ich auf ihr vermeintliches Spiegelbild und da kam es die Treppe herauf. Vor mir sah ich Udele NiRathgar, jedoch war sie in schlechtere Kleider gehüllt. Zu meiner Verwunderung rief sie: „Was hat das zu bedeuten, wo ist Udele NiRathgar?“ Doch viel Zeit über ihre Worte nachzudenken blieb mir nicht, als dunkle Silben der Macht von den Wanden widerhallten und sich Schatten aus dem Nichts erhoben. Augenblicklich senkte sich ein dunkler Nebel und verringerte das Licht meiner Fackel. Mira eilte mir zu Hilfe und so standen wir zu zweit sechs von diesen Schattenwesen gegenüber. Es ging so schnell und der erste Schatten griff mich an, so dass mir nicht einmal mehr die Möglichkeit zum Zaubern blieb. Immer noch verstört über das Geschehene, konnte ich den Angriff des Schattenkriegers nicht abwehren. Sein Schwert dran in meine Kehle, löste ein furchtbares Kratzen in meinem Hals aus und ich begann zu husten. Mit Entsetzten realisierte ich, dass mir die Schattenklinge die Luft zum Atmen nahm. Die angebliche Seele Udeles schrie auf. Lag Panik, Freude, Wahnsinn in ihrer Stimme? Ich konnte es nicht sagen. Hätte ich doch nur nach Udele gefragt, ich hätte gewusst, wem wir da gegenüber standen. Die anderen zwei Schatten drangen mit ihren Schwertern ebenfalls in meine Kehle und kurz darauf verließ mich jegliche Kraft. Keuchend versuchte ich noch, sie von mir weg zu drängen, doch ich war nicht im Stande irgendetwas auszurichten. Kaum hatte der Kampf begonnen, war ich bereits machtlos. Irgendwann mussten Iros und Gray gekommen sein, denn ich sah Iros, wie er mit seinen Speer zu stach und die Frau daraufhin unter Schmerzen aufschrie. War dies wirklich ein Schatten, eine Seele, sie sah mit den blutgetränkten Kleider so menschlich aus. Doch nach Luft ringend, konnte ich nicht wirklich darüber nachdenken. Als Iros ein zweites Mal mit seinem Speer zu stieß, ging die Frau zu Boden. Die Schattenkämpfer blieben jedoch und noch immer bekam ich keine Luft. Ich versuchte noch einmal ein wenig einzuatmen, doch es gelang mir nicht. Da hörte ich Dylan schreien, wann war er gekommen? Ich sah wie er mit seinem Schwert nach einem der Schatten hieb und dabei vor Schmerzen aufschrie. „Seine Hände, welch ein Narr“, war das Letzte was ich noch denken konnte, bevor ich zu Boden sank. Dann bekam ich auf einmal wieder Luft, als die Schatten verschwanden. Augenblicklich stürzte ich zu der, auf dem Boden liegenden, Frau. Ein Blick genügte und ich wusste, dass sie unwiderruflich in Ylathors Reich eingegangen war. Warum hatte er das getan? Wir hatten doch besprochen, dass wir dem Schatten nicht den Tod bringen würden, schließlich lautete unser Auftrag, ihn zurück zu Udele zu führen. Er hätte doch bemerken müssen, dass er einem Mensch aus Fleisch und Blut gegenüber gestanden hatte. Sie hatte sich nicht einmal gewehrt. Die Tür zu Udeles Schlafgemach war verriegelt und langsam regte sich unser Zweifel und so brachen wir sie auf. Das Zimmer war leer, die Fenster offen. Kaum wurden wir uns über die Bedeutung bewusst, als die Eingangstür aufschlug und das Geräusch von Schritten zu vernehmen war. Die Stadtwache. Hinter ihr lief Udele mit einem boshaften Grinsen auf dem Gesicht. Als sie uns erblickte, schrie sie: „Sie haben meine Schwester umgebracht!“ Fassungslos starrte ich die Frau an, die in Tränen ausbrach. Die Stadtwache begann uns zu fesseln. Da rief Gray: „Ich hab es euch gesagt. Sie hat uns benutzt um ihre Schwester umzubringen. Dämonenpaktiererin. Ihr habt es selbst nachgelesen.“ Wie recht er hatte, die Erkenntnis traf mich wie ein Schwerthieb. Wieder einmal waren wir in eine Falle getappt und hatten den Falschen getraut. Ich wäre dahinter gekommen, hätte ich nur mehr Zeit gehabt. Doch der Schrecken war zu groß, als dass ich wirklich wütend sein konnte. Es war vielmehr ein Gefühl von Verzweiflung, welches sich meiner bemächtigte.
    Das was danach folgte, zählt für mich zu den schrecklichsten Erlebnissen in meinem bisherigen Leben. Wir wurden unserem Besitz bis auf die Unterkleider entledigt und in ein dunkles, feuchtes Loch geworfen. Die Erinnerung an den Geruch wird mich den Rest meines Lebens verfolgen. Mutter, es glich einem Alptraum. Doch noch hatten wir genügend Kraft, oder nenn es wie du willst, und so gerieten Iros und ich ein weiteres Mal aneinander. Er wies alle Vorwürfe von sich und zeigte sich seiner Fehler nicht im Geringsten einsichtig. Er machte es sich einfach und dachte nicht einmal über sein Handeln und die Konsequenzen nach. Ich konnte es nicht fassen, doch angesichts der Lage, sah ich keinen Sinn in unserem Streit. Doch ich wünschte mir, dass er wenigsten ein wenig über sein Verhalten reflektieren würde. Sollten wir hier jemals wieder lebend heraus gelangen, täten wir alle gut daran, aus unseren Fehlern gelernt zu haben.
    Fieberhaft dachte ich über einen Ausweg nach und rief nach einer Wache. Ich bat um Pergament und Feder, um eine Nachricht an dich zu verfassen. Doch im Gegenzug verlangte der Mann etwas und schaute mich dabei lüstern an. Ich wusste, nach was er verlangte. Meine Gedanken überschlugen sich, das Klopfen meines Herzens hallte laut in meiner Brust. Ein Strom aus Bildern überschwemmte und lähmte mich. Doch wenn es die einzige Möglichkeit wäre, um das Leben meiner Gefährten zu retten…Da packte Gray die Mann mit seiner Magie, stieß ihn gegen das Gitter und brüllte ihn an. Daraufhin starrte die Wache ihn panisch an und floh. Zwischen Verärgerung, Verzweiflung, dass mit der Wache auch die Möglichkeit, dich benachrichtigen, verschwunden war und unbeschreiblicher Erleichterung und Dankbarkeit, war es mir kaum möglich zu sprechen. Doch Grays Wutausbruch hatte bittere Folgen. Die Nacht bracht herein und dauerte an. Niemand kam, um uns etwas zu essen und zu trinken zu bringen. Bis zu unserem Prozess, heute weiß ich sechs Tage lang, ließ man uns alleine in der Dunkelheit. Ich hätte mich, wie Gray, gegen diese Entbehrung auf magische Weise stählen können, doch mir fehlte dazu jegliche Kraft. Endlich hatte der Alptraum ein Ende, als man uns am Ljosdag, 2. Trideade Trollmond auf den Marktplatz schleifte. Dort hatte sich schon eine beachtliche Menschenmenge versammelt. Oh Mutter, dass ich jemals dort stehen würde, des Mordes angeklagt. Wie konnte dies nur geschehen?
    Udele, dieses Biest saß ebenfalls dort und grinste uns höhnisch an. Der Laird Donuilh MacConuilh, Fürst von Conuilhnor, erhob das Wort und klagte uns des kaltblütigen Mordes an Rubin NiRathgar an. Dann war es an der Händlerin ihre Anklage vorzubringen. Als sie geendet hatte, wurde uns das Wort erteilt und ich erzählte die Geschichte aus unserer Sicht. Ich sprach dabei ausschließlich Wahres, weshalb ich nicht bestritt, für Rubins Tod verantwortlich zu sein, denn Iros hatte sie, aus welchen Gründen auch immer, getötet. Der Laird hielt unsere Geschichte für unglaubwürdig und ich konnte es ihm nicht einmal verübeln. Denn sie noch einmal aus meinem eigenen Mund zu hören, ließ mich unsere Einfältigkeit und die Absurdität unseres Auftrages erkennen. Nun lag unser Schicksal in den Händen der Leumundszeugen. Sofort trat Glarn Rabenbart vor und sprach sich für uns aus. Ihm folgten Bardulf und Meister Cleobolus, der ein Schreiben des Abts von Muranmuir vorzeigte. Schließlich trat ein mir unbekannter Mann in Robe aus der Menge und stellte sich als Nervan, Magister der königlichen Akademie zu Cambryg. Er suche nach einer Gruppe, die einen Auftrag erfüllen sollten und meinte wir wären dafür, den Erzählungen zufolge, die richtigen. Sollten wir ihn erfüllen, würden wir frei gesprochen werden, sollten wir fliehen, würde man uns für vogelfrei erklären. Der Laird hielt diesen Vorschlag für eine gute Möglichkeit, doch verlangte er von uns darüber hinaus noch ein Blutgeld von 100 Oring, das wir an Udele zu zahlen hatten. Sie hat uns belogen, benutzt, schließlich angeklagt und sollte nun auch noch 600 Oring dafür bekommen. Wahrscheinlich war sie auch noch mit einem Dämon im Bunde. Bei diesem Gedanke stieg erneut Zorn in mir auf, doch was hatten wir für eine Wahl? Uns wurde freigestellt, das Geld selbst zu bezahlen oder einen Bürgen zu finden. Und genau dies ist der Grund weshalb ich dir in aller Eile diesen Brief schreibe. Niemand von uns nennt 100 Oring sein Eigen und ich weiß nicht an wen ich mich sonst wenden soll. Es beschämt mich, mit solch einer Bitte an dich heranzutreten, Mutter. Es tut mir leid… Wie sehr ich mir wünsche, ich könnte dich sehen.
    Ich hoffe, dass der Bote schnell ist und mich deine Antwort bald ereilt.
     
    In Liebe
    Enya
  14. Die Hexe
    Liebste Mutter,
    nach der Verhandlung begaben wir uns in den Staubigen Zwerg. Nachdem wir etwas zu uns genommen hatten – so gut hatte albischen Essen noch nie geschmeckt – gingen wir ins Badehaus. Dort sprachen Dylan und ich darüber, dass er nicht mitkommen würde, denn mit seinen Händen war er uns keine große Hilfe. Es viel ihm schwer, doch er sah ein, dass er uns mehr im Weg sein würde. Ich gab ihm meinen zweiten Ohrring, den letzten, den ich noch hatte, als Erinnerung an mich. In mir war es ein Versprechen, dass ich zu ihm zurückkommen würde. Ich konnte seine Sorge verstehen, doch ich meinte, dass wir mit dieser Unsicherheit zu leben hatten. Endlich konnte ich ihm mein Gedicht, das Lied für ihn singen. Wir redeten auch über das Vergangene, doch ich hatte wenig Lust auf diese Erinnerungen, so dass wir das Gespräch bald beendeten.
    Von Nervan erfuhren wir mehr über unseren Auftrag. Wir sollten in der verlassenen Zwergenbinge Nierthalf am Rande der Nebelberge, einen alten Folianten der Zwerge bergen und ihn zu Nervan bringen. Alles andere was wir dort finden würden, stünde uns zur freien Verfügung. Die Reise würde acht Tage dauern, fünf bis zum Schlauen Fuchs, dem Gasthaus, in welchem Nervan auf uns warten würde. Wir hatten Zeit bis zum Myrkdag des Wolfmondes. Sehr zu meinem Erstaunen feilschten Bruna, Mira und Iros um unsere Belohnung. War ihnen nicht bewusst in welcher Lage wir uns befanden? Nervan konnte uns nicht einen Penning zahlen und wir würden den Auftrag trotzdem erfüllen, denn schließlich verdankten wir ihm unser Leben und waren seiner Gnade ausgeliefert. Mir wurde bewusst wie sehr mich die Vorstellung traf, aus Alba fliehen zu müssen. Ich liebe mein Heimatland, trotz des Wetters und des Essens, trotz der Menschen und ihren Eigenheiten. Schließlich zahlte er uns von den 25 Oring Belohnung zehn im Voraus.
    Am nächsten Tag zogen wir los, um uns für die Reise auszurüsten. Um Heilränke zu kaufen ging ich unter anderem zu den Priestern des Vraidos. Dort gab ich mich als eine der ihren zu erkennen. Wir hatten unsere letzten Münzen zusammengelegt um uns einen starken Heiltrank zu kaufen. Mira hatte mir heimlich noch die Summe für einen weiteren gegeben. Verwundert nahm ich das Gold an. Ich frage mich woher der Halbling so viel Gold hat, wo ich nach kurzer Zeit wieder in einen leeren Beutel schaue. Ich bin mir nicht sicher ob ich es tatsächlich wissen möchte…
    Wir verblieben noch sechs Tage in Thame um uns von dem Kerkeraufenthalt zu erholen und unsere Fertigkeiten zu verbessern. Gray, Dylan und ich spielten jeden Abend in den Gasthäusern der Stadt, um etwas Kleingeld zu verdienen. Unter anderen Umständen wäre es für uns ertragreicher gewesen, doch im Allgemeinen schien man uns aus dem Weg zu gehen.
    Sedag, 1 Trideade Draugmond brachen wir auf. Am Abend des Oachdag kamen wir im Schlauen Fuchs an. Wir fragten nach etwas zu essen, zu trinken und einem Bett. Der Wirt konnte uns neben dem Gemeinschaftsschlafraum nur ein Doppelbett anbieten. Natürlich wollte Iros in dieses Zimmer, doch ich bat ihn, mir diese Nacht mit Dylan zu gewähren. Um ehrlich zu sein, war ich überrascht, als er nachgab. Die Gaststube war gut besucht und es spielte bereits ein Barde. Er trug eine Ballade vor über Heldentaten, Schlachten und Runenklingen vor. Gebannt lauschte ich seiner Stimme und seinem wundervollen Harfenspiel. Auf einmal schrie Mira auf. Ein kleiner Junge hatte ihr den Geldbeutel entwendet. Augenblicklich versuchten wir den kleinen aufzuhalten. Gray gelang dies auch, doch seine Methode ließ mich erschrocken den Atem anhalten. Er hatte eine Eiswand vor die Tür gezaubert, gegen die der Junge lief. Schlagartig wurde es still im Gasthaus. Erinnerungen stiegen in mir hoch, ich hörte den aufgebrachten Ruf der Menge „Hexe!“ und Grauen packte mich. Doch zu meiner Erleichterung konnten Mira und Gray die Menschen beruhigen. Hinterher wendete sich Iros wütend Gray zu. Ausnahmsweise war ich mit dem Chryseier einer Meinung, doch Gray zeigte sich unbeeindruckt. Als der Barde geendet hatte, ging ich auf ihn zu, begrüßte ihn und sprach über sein wundervolles Harfenspiel. Er stellte sich als Tachwallon vor. Aufgrund des Namens und seines Aussehens vermutete ich, dass er erainnischer Herkunft war. Kurz darauf kam auf einmal Iros herbei und stellte uns drei Gläser Schnaps vor die Nase. Irritiert fragte ich mich, was er diesmal bezwecken wollte und teilte ihm mit, dass ich den Alkohol nicht anrühren würde. Nachdem Iros die Hälfte in sein Glas geschüttet hatte, ließ ich mich doch überreden und trank das Gläschen. Im Anschluss fragte ich, ob Tachwallon sich nicht an unseren Tisch setzten wollte. Dort setzte ich mich neben Dylan, der mir seinen Arm um die Schulter legte. In dem Moment hatte ich noch nicht begriffen, was alle dachten. Als der Barde mich „Blume“ nannte, lachte Gray lauthals. Der Barde kam nicht weit mit seinen Erzählungen – Mira hatte ihn nach den Runenklingen gefragt – denn Iros musste ihm irgendetwas in den Schnaps getan haben. Er entschuldigte sich und stand auf. Doch Gray hielt ihn fest und er übergab sich vor unserem Tisch. Alle brachen in schallendes Gelächter aus und ich schämte mich ihrer. Iros hielt Dylan die Hand hin und Iros ließ verlauten: „Dylan…Zelt, Zimmer, Konkurrenz.“ Ich wendete mich dem armen Mann zu und versuchte ihm so gut es ging zu helfen. Ich hätte dazu gerne noch etwas gesagt, doch kurz vor unserer Trennung, wollte ich keine Diskussion anfangen. Als Iros jedoch Anstalten machte, sich und dem Rest den Abend mit Wein zu versüßen, gebot ich dem Einhalt und erinnerte ihn an die letzte Erfahrung mit übermäßigem Verzehr von Alkohol.
    Am nächsten Morgen erreichte mich endlich die erwartete Nachricht von dir. Gold befand sich natürlich keines mehr dabei, dies war schon bei Udele angekommen. Wie zornig mich dieser Gedanke macht, Vaters Schätze in den Händen dieser Frau. Meine Gefährten waren natürlich verwundert, doch stellten sie, den Göttern sei Dank, kaum Fragen. Ich fand, es fehlte ihnen etwas an Dankbarkeit, wie hätten sie das Blutgeld in so kurzer Zeit aufbringen wollen? Bis wir wieder aus der Binge zurück sein würden, konnten Trideaden vergehen. Vielleicht wäre es anders gewesen, ich hätte es mit ihnen im Vorfeld besprochen, doch ich muss zugeben, dass meine Handlung aufgrund der Ereignisse unüberlegt und überstürzt war. Immerhin haben wir nun erst einmal eine Sorge weniger.
    Ich danke dir aus tiefsten Herzen, Mutter. Bitte teile Vater ebenfalls meine Dankbarkeit mit, ich weiß was er davon hält. Ich werde alles tun, damit das Gold so schnell wie möglich wieder zu ihm zurück findet. Wer weiß, was wir in dieser Binge alles finden werden. Du hast mit deiner Warnung vollkommen Recht. Ich werde mir deine Worte zu Herzen nehmen und aus den Ereignissen lernen. Es soll nicht mehr vorkommen, dass ich euch auf diese Weise um Hilfe bitte. Du sprichst von Vertrauen. Vertrauen…nach allem was geschehen ist, fällt es mir schwer. Trotzdem habe ich noch die Befürchtung, dass ich nach wie vor zu vertrauensselig bin, weil ich an das Gute im Menschen glaube, glauben möchte. Ich frage mich ob mir eines Tages dieser Glaube abhandenkommt, ich hoffe es nicht.
    Nachdem sich der Bote wieder verabschiedet hatte, brachen wir auf und Dylan begleitete uns noch einen Tag. Ich hatte den Entschluss gefasst, ihnen zu offenbaren, was ich vor ihnen versteckte, Dylan wollte ich dabei an meiner Seite haben, da selbst er nicht alles wusste. So ließen wir den Wagen bei Nervan, Bernesse nahmen wir jedoch mit, da er mit ihr schneller wieder beim Schlauen Fuchs sein würde, wo er mit dem Gelehrten auf uns warten würde. Auf unserem Weg begegneten uns tatsächlich Begor Balodin und Krund Pöttenschmeißer. Nach einem kurzen Austausch zogen wir jedoch weiter, denn allen war Eile geboten. Bis auf eine Begegnung mit einer alten Kräuterfrau, die uns von einem Hexenmeister, der hier Krähen, Orcs und dergleichen um sich sammeln würde, erzählte, verlief der Tag bis wir das nächste Gasthaus erreichten, ereignislos. Doch uns erwartete kein Feuer im Kamin, keine warme Mahlzeit, denn von der Taverne waren nicht mehr als rußbedeckte Ruinen übrig. Wir bauten unser Lager auf und ich kümmerte mich um das Feuer. Nachdem wir fertig waren, ergriff ich das Wort und meinte, dass ich ihnen etwas mitzuteilen oder viel mehr zu zeigen hätte. Ich trat aus dem Licht des Feuers heraus, löste den Ring an meinen Finger, zog die Stulpe aus und wickelte meinen Ärmel hoch. Auf mein Haar entleerte ich das Fläschchen Entfärbersalz und trat dann wieder ans Feuer heran. Mutter, du weißt was sie sahen. Iros stand auf und ging ins Zelt, die anderen, bis auf Dylan, starrten mich an. Dann kamen die Fragen, doch ich gab ihnen keine Antwort. Das letzte Geheimnis war ich noch nicht bereit zu teilen. Ich erkannte, dass tief in mir immer noch, selbst bei diesen Menschen, die Angst vor Ablehnung saß. Eines Tages vielleicht... Doch dies wurd wohl noch eine Weile dauern, denn nun liegt etwas anderes vor uns. Ich nahm ihnen, bis auf Iros, da er im Zelt verschwunden war, das Versprechen ab, anderen gegenüber, das was sie erfahren hatten, niemals zu erwähnen. Mira ging zu Iros ins Zelt, kam nach kurzer Zeit wieder und meinte, er täte ihr Leid, denn er hatte es von Anfang an gesagt, das etwas mit mir nicht stimmte. Gray erwiderte daraufhin, dass er das gewusst hatte, doch für ihn ändere sich deswegen nichts. Schließlich trat ich mit Dylan die erste Nachtwache an. Es würde für, ich weiß nicht wie lange, die letzte Nacht gemeinsam mit ihm sein. Doch diesmal ist es mir lieber, von ihm getrennt zu sein, als dass er uns in die Zwergenbinge begleitet. Bei Nervan weiß ich ihn in Sicherheit und nichts wird mich von unserem Auftrag ablenken. Nichtsdestotrotz wird es morgen schwer, mich von ihm zu verabschieden. Es ist das erste Mal, dass sich unsere Wege für längere Zeit trennen. Ich hoffe alles wird gut.
    Noch einmal, deine Worte sind angekommen, es tut mir leid. Ich werde eine Möglichkeit finden es bei Vater wieder gut zu machen und damit meine ich nicht die Rückzahlung des Goldes.
     
    In Liebe
    Enya
  15. Die Hexe
    Liebste Tochter,
    verzeih mir, dass ich erst jetzt antworte, es gab in Fiorinde viel zu tun. Dein Vater war in letzter Zeit nicht hier. […]
    Ich habe deine Briefe viele Male gelesen. Ich weiß nicht wo ich anfangen soll. Erst einmal, ich bin froh, dass du überhaupt noch lebst und nicht als Hexe verbrannt worden bist oder bei der Begegnung mit dem Riesensalamander den Tod gefunden hast. Es handelte sich bei diesem Tier nämlich um einen Schlammteufel. Die Berührung dieser Warzen wirkt wie der Zauber Pestklaue, an dem man nach wenigen Tagen stirbt, wenn man nicht mit heilender Magie behandelt wird.
    So, nun beginne ich aber von vorne. Von Begor Balodin habe ich auch schon gehört, klingt nach einer äußerst spannenden Reise, die ihr mit ihm angetreten habt. Um ehrlich zu sein, bin ich entsetzt angesichts der von dir erzählten Geschehnisse. Ich kann nicht anders, als dir zu sagen, dass es wirklich dumm war vor den Dorfbewohnern zu zaubern, jedoch werde ich dazu nichts Weiteres sagen, du hast selbst gesagt, dass du deine Lektion gelernt hast. Da habe ich dich Jahre gelehrt, dich zu verstecken, auf der Hut und stets auf deine Worte und Taten bedacht zu sein und du enthüllst in kurzer Zeit so viel von dir, was andere nie erfahren sollten. Nun, es ist geschehen und nicht mehr zu ändern. Vielleicht ist es auch einfach nicht möglich dein wahres Selbst für die Ewigkeit zu verbergen, erst recht nicht wenn du mit anderen über längere Zeit zusammen bist.
    Deine Haut stellt da tatsächlich ein großes Problem dar. Natürlich werde ich mich informieren, aber vertraue nicht darauf, dass ich eine Lösung finde. Am besten wäre es, wenn du deinen Vater aufsuchst. Wenn jemand etwas dagegen weiß, dann er. Kind, was machst du nur? Du weißt, dass du jeder Zeit nach Fiorinde zu mir kommen kannst, ja?
    Ich denke ich verstehe deine Gefühle gegenüber dem Eismagier, ich werde nicht weiter fragen, aber du wirst mir berichten, sollte sich etwas Neues ergeben. Du hast also auf deiner Reise einen Barden getroffen…Enya, ich weiß, nicht alle Männer und auch nicht alle Barden sind gleich, aber ich bitte dich trotzdem vorsichtig zu sein und gut zu überlegen auf was du dich einlässt. Lass dich nicht von süßen Worten und Versprechen täuschen. Ich möchte nicht, dass dir das Gleiche wie mir passiert.
    Wegen dem Mann aus den Küstenstaaten, ich werde mich darum kümmern. Du kannst mir die Sache getrost überlassen und dir sicher sein, dass ich ihn finden werde. Ja, es gibt nicht nur ehrenhafte Menschen auf dieser Welt und es wird nicht die letzte Begegnung dieser Art bleiben. […]
    Ich danke dir sehr für deine lieben Gedanken und für die wundervollen Lieder, die du mir geschrieben hast. Bei dem ersten hatte ich Tränen in den Augen, es ist wundervoll, auch wenn die Erinnerung immer noch schmerzt. Ich hoffe doch sehr, dass du das andere eines Tages deinen Kindern vorsingen wirst.
    Danke, Enya.
    Möge Er über dich wachen
    Chelinda
  16. Die Hexe
    Liebste Mutter,
    mein Gefühl des Unbehagens war berechtigt gewesen. In der Nacht wurde der Leichnam Riodbarts MacSeals aus der Erzabtei entwendet. Es verstimmt mich immer noch, dass ich nicht besser auf meine Intuition gehört habe.
    Am Morgen erfuhren wir davon, doch ihn und seine Entführer wiederzufinden war eine schier unmögliche Aufgabe und so verließen wir niedergeschlagen Muranmuir, um uns auf den Weg nach Crossing zu machen und dort Curathan abzusetzen. Der Abt war so freundlich gewesen und hatte uns nach den Strapazen unserer Reise ein paar Tage Unterkunft im Gasthaus „Zum tanzenden Ordensritter“ in Crossing gewährt.
    Schon auf dem Weg dorthin fühlte ich mich nicht wohl. Meine Periode stand bevor und die ganze Anspannung der Reise, mein Fehler und der Groll der anderen lasteten auf mir. In Crossing verabschiedete ich mich noch von Curathan und war dann froh um ein Bett in einem Einzelzimmer in der Taverne. Ich hatte auch noch ein anderes Problem, was mir etwas Sorgen bereitete. Mein Gold neigte sich dem Ende, so dass mir nicht mal mehr das Geld für drei Tage leben gereicht hätte.
    Während ich erschöpft und unwohl die Tage im Bett verbrachte, trafen Gray, Mira und Bruna auf Guomondur, der Meister des Eismagiers. Er hatte Fuardain, ein Land im hohen Norden verlassen um einem Freund einen Gefallen zu erweisen. Dieser Freund, Henry, war auf einer Expedition mit einem gewissen Zordan unterwegs gewesen und dort hatten sie eine Maske gefunden. Henry hatte um Guomondurs Hilfe gebeten, doch war er in Crossing nicht aufgetaucht.
    Zusammen mit dem Meister suchten sie Zordan auf. Dieser jedoch erklärte, dass Henry an einem Schlangenbiss auf der Expedition gestorben war und er noch nie etwas von so einer Maske gehört habe. Guomondur und Zordan gerieten in einen Streit, doch konnten die anderen eingreifen und brachten den Meister fort.
    Am nächsten Morgen wurden wir von schweren Schritten und Rufen geweckt. Grays Meister war von der Stadtwache verhaftet worden und wurde des Mordes an Zordan angeklagt. Dieser war am Morgen tot aufgefunden worden, gezeichnet von brutalen Schlägen. Selbst sein Gesicht war kaum noch erkennbar gewesen. Die anderen sowie Muktar, ein Mann aus dem südlichen Eschar und Diener des Toten, wurden verhört. Sie versuchten die Situation aufzuklären, doch der Streit der beiden, die Aussage des Nachbarn, er hätte in der Nacht eine kleine Gestalt am Haus gesehen und die Tatsache, dass Guomondur kein Albai war, überzeugten die Stadtwachen von der Schuld des Meisters. Auch die letzte Hoffnung, der Brief von Henry an Guomondur wurde uns genommen, denn er war in der Zwischenzeit entwendet worden.
    Am nächsten Tag ging es mir schon besser und ich schloss mich den anderen an, bei dem Versuch die Unschuld des Meisters zu beweisen. Ich erkundigte mich im Gildenhaus der Lichtsucher nach dem Dienst eines Sorellor, der mit dem Zauber Seelenkompass eine Person wiederfinden sollte, denn Mira hatte nach der Entwendung des Briefes ein paar Haare im Zimmer gefunden. Doch der Preis ließ uns etwas zögern. Gray war währenddessen Muktar in das Armenviertel gefolgt, hatte ihn jedoch verloren und stand vor fünf zwielichtigen Männern. Er konnte sie überzeugen für ihn zu arbeiten. Eine Stunde vor Sonnenaufgang sollten wir Nelson, einer der Männer, auf dem „Drogenplatz“ treffen. Ich ließ den Wirt mich wecken und klopfte dann bei den anderen an. Dabei wurde ich wieder einmal von der Sonderlichkeit Grays überrascht, als er mir splitternackt die Tür aufmachte. Nun, er ist kein hässlicher Mann, aber er könnte sich im Allgemeinen mehr bekleiden. Er hat eine seltsame Angewohnheit sich seiner Kleider immer wieder zu entledigen.
    Gemeinsam brachen wir auf. Dass ich im Leben an solche Orte gelangen würde…Vergeblich versuchte ich Mira davon abzuhalten, von einem Mann etwas von den Drogen anzunehmen. Nelson gab uns die Information, dass sich Muktar in letzter Zeit oft im Armenviertel herumgetrieben und sich nach der Kanalisation erkundigt hatte. Vielleicht wollte er etwas verstecken oder ungesehen aus der Stadt entkommen, so wie Bruna und Mira das geplant hatten, sollten wir nicht die Unschuld des Meisters beweisen können und ihn befreien müssen. Ein Unterfangen von dem ich nicht viel hielt, doch dies behielt ich für mich.
    Mira, die, wie ich aus Gesprächen herausgehört hatte, schon einmal versucht hatte in das Haus Zordans einzubrechen, wollte sich das Gebäude noch einmal genauer betrachten, in der Hoffnung etwas zu finden, was uns weiterhelfen würde. Nicht ganz begeistert von dem Plan, bot ich jedoch meine Hilfe an. Ich würde vor dem Haus warten und sie warnen, sollte Muktar wiederkommen.
    Oh Mutter, manchmal erscheinen mir die Wege des Lebens sonderbar, gar befremdlich. Bei diesem Versuch tat ich Dinge, die ich nicht tun wollte, doch war ich unfähig in der jeweils gegeben Situation einen anderen Weg zu sehen. So ging ich ihn mit Zögern und Widerwillen, doch ich ging ihn.
    Als ich dort auf der Straße wartete, kam Bruna und zusammen planten wir unser Handeln sollte der Diener auftauchen. Ich hoffte, dass dadurch ihr Zorn auf mich etwas gemildert würde. Bald darauf kam Muktar die Straße entlang. Bruna fing an mich zu beschimpfen. Als er nah genug war, schubste sie mich vor seine Füße. Ich rief um Hilfe, stand auf und klammerte mich an den großen, dunkelhäutigen Mann.
    Ja Mutter, ich nutzte die Schönheit meines Körpers. Und dabei kamen mir deine Worte in den Sinn, die ich damals bestritten hatte. „Glaube mir, mein Kind, eines Tages wirst du davon Gebrauch machen und es genießen.“ Und du hattest recht, auch wenn ich es in keinster Weise genossen habe, mein einziges Ziel war es Mira helfen. Doch trotz meines Versuchs, gelang es mir nicht, ihn länger als ein paar Augenblicke aufzuhalten. Das, was er zu erledigen hatte, schien sehr wichtig zu sein. Panisch lief ich um das Haus und schrie laut Miras Namen. Kurz darauf sah ich eine kleine Gestalt aus dem Fenster klettern. Doch der Nachbar hatte sie gesehen und fing an zu rufen. Schnell lenkte ich ihn mit Hilfe der arkanen Kunst für einen Moment ab, so dass Mira entkommen konnte. Erleichtert zog ich mich zurück und begab mich ins Gasthaus.
    Dort besprachen wir unser weiteres Vorgehen. Am Abend würde Mira noch einmal in das Haus gehen und ich sollte die Ablenkung für Muktar sein. Du kannst dir vorstellen, dass ich nicht glücklich über die Entwicklung der Dinge war, doch ich hatte das Gefühl in der Schuld der anderen zu stehen. Und wenn ich auf diese Weise behilflich sein könnte, würde ich auch etwas tun, was ich ungern tue. Ich nahm eines der Färbersalze, schütte es auf mein Haar und verließ mein Zimmer, um mir in der Stadt die Haare färben zu lassen. Ich hatte etwas Geld von dem Eismagier bekommen, doch reichte dies nicht aus, so dass ich noch einmal zurückkehrte. Gray gab mir das Geld sofort und verwundert nahm ich es an. Erst später bemerkte ich, dass es an den Haaren, die ich das erste Mal offen trug und die jetzt eine Farbe von dunklem Braun hatten, gelegen hatte. Es ist gut, dass ich sie sonst unter dem Tuch versteckt habe.
    Ich beeilte mich, denn das Salz hielt nur eine Stunde und ließ mir meine Haare ebenfalls in einem dunklen Braunton färben. So machte ich mich am Nachmittag zu Zordans Haus auf um Muktar als „Dank“ zum Abendessen einzuladen. Doch wieder schlug er meine Einladung ab, worüber ich auch ein wenig froh war, denn das Verführen der Männer liegt mir nicht so sehr wie dir Mutter. Und da kam mir eine Lüge über die Lippen. Ich war erschüttert, wie leicht dies geschehen war. Ich hoffe, dass mir dies vergeben wird. Ich behauptete, ich würde morgen die Stadt verlassen und es wäre die letzte Gelegenheit mich zu bedanken. Doch der Termin, den er hatte, schien äußert wichtig, so dass er meinte, er käme danach, wenn es nicht zu spät werden würde, zu meinem Gasthaus. Ich kehrte dorthin zurück und berichtete den anderen davon. Während sich Bruna und Mira in Richtung Zordans Haus aufmachten, nahm ich mit Gray eine Kleinigkeit zu mir. Dabei starrte er mich unentwegt an. Später ließ er mich alleine und noch etwas später tauchten Bruna und Mira wieder auf. Von Muktar war keine Spur.
    Der Halbling hatte nichts Bedeutendes gefunden, außer dem Testament Zordans. Etwas ratlos saßen wir oben in Grays Zimmer, als Nelson uns aufsuchte. Er erzählte uns, dass er Muktar hatte beschatten lassen und dass dieser sich zusammen mit einem Mann, dessen Beschreibung auf die von Zordan passte, mit einem dritten in der Kanalisation getroffen und etwas ausgetauscht hatte. Wir vermutenden, dass es sich dabei um die Maske handelte.
    Eilig machten wir uns fertig und folgten Nelson ins Armenviertel. Dort suchte er einen kleinen Jungen auf, der uns den Ausgang der Kanalisation zeigen sollte. Es war bereits seit einiger Zeit dunkel und die Stadttore verschlossen, so dass es die einzige Möglichkeit war aus der Stadt herauszukommen. Die Vorstellung durch die Kanalisation, die auch noch Territorium der Diebesgilde von Crossing war, zu laufen, glich einem Alptraum. Doch ich zwang mich den anderen zu folgen. Dort unten konzentrierte ich mich auf ein Lied, dass ich immer wieder in meinem Kopf sang, um mich von dem Gestank, der dort unten herrschte, abzulenken. Wir waren angewiesen worden, nicht zu sprechen und dem Jungen zu folgen, solange er uns nichts anderes befahl. Wir hatten wenig Glück, nach kurzer Zeit wurden wir von fünf Kreaturen angegriffen. Trotz Grays Heldenmut, er hatte sich schützend vor mich gestellt um einen Angriff abzuwehren, kostete mich dieser Kampf einiges an Kraft und Blut. Doch Schließlich flüchteten die verbliebenen Wesen und wir wurden für den Rest unseres Weges in Ruhe gelassen.
    Am Ausgang angekommen, mussten wir an zwei Wachen vorbei, danach verließ uns der Junge Jimmy und wir stiegen nach oben. Draußen entdeckte Mira sofort zwei Spuren von Männern. Irgendein Gefühl hatte mir gesagt, dass Zordan noch nicht den Tod gefunden hatte, doch aufgrund von mangelnden Hinweisen hatte ich nichts gesagt. Wir folgten den Spuren und ich versuchte mich mit dem Wasser aus meinem Wasserschlauch sauber zu machen. Gray gab mir auch noch seinen, doch es gelang mir nicht mehr, als mich nass zu machen. Nun nicht nur zitternd vor Ekel, sondern auch noch vor Kälte, folgte ich den anderen.
    Zu meiner Erleichterung entdeckten wir bald ein Lagerfeuer, an das wir uns heranschlichen. Jedoch hatte man uns gehört, denn Zordan und Muktar erwarteten uns mit gezückten Waffen. Der Kampf dauerte nur wenige Augenblicke. Zuvor hatte ich die Pferde befreit, damit sie uns nicht entkommen würde. Bruna brach Muktar das Bein, worauf dieser ihr einen Hieb mit seinem großen Krummsäbel gab. Sie brach zusammen und stand nicht wieder auf. Als er zu einem weiteren Schlag ausholte, warf ich mich auf Bruna und ein heftiger Schmerz durchfuhr mich, kurz wurde mir schwarz vor Augen, doch ich blieb bei Sinnen. Muktar überlebte diesen Kampf nicht, und Zordan lag bewusstlos auf dem Boden. Gray nahm ihn auf seine Schultern und ich stütze Bruna, die kaum mehr laufen konnte. Ihr Leben gerettet zu haben war den Schmerz wert. Ich dankte, dass mir diese Möglichkeit gegeben wurde, meinen Fehler zu begleichen.
    Völlig erschöpft, verwundet, stinkend und dreckig kamen wir an die Stadttore von Crossing, die noch verschlossen waren. Jedoch wurden wir hindurch gelassen, nachdem wir erzählt hatten, was uns widerfahren war. Wir lieferten Zordan der Stadtwache aus und begaben uns zusammen mit Guomondur, der freigelassen wurde, zurück ins Gasthaus. Dort fragte ich den Wirt sofort nach einer Schüssel Wasser, zog mich zurück und versuchte den Dreck, das Blut und den schwindelerregenden Gestank loszuwerden. Danach legte ich mich erschöpft ins Bett.
    Mein Geldproblem hat sich gelöst, denn Mira hatte Zordan das Geld, welches er wahrscheinlich für die Maske bekommen hatte, abgenommen und unter uns aufgeteilt. Ich wollte bei Gray meine Schuld begleichen, doch dieser winkte nur ab. Nach diesen Erlebnissen haben sich meine Zweifel zerstreut und mein Beschluss bei Gray, Mira und Bruna zu bleiben bestärkt. Ich hoffe dass sich der Groll der Zwergin gelegt hat und wieder Harmonie in der Gruppe herrscht. Ich bin gespannt, wo mich die weitere Reise mit dieser seltsamen, aber irgendwie auch liebenswerten Gruppe hinführt. Ich hoffe ich werde bald etwas Zeit haben um meine Fähigkeiten zu verbessern, ich komme mir noch so nutzlos vor.
    So wie es aussieht ist unser nächstes Ziel das Halfdal, Heimat der Halblinge. Wenn wir dort oben im Gebirge sind, könnte ich Vater besuchen. Was meinst du? Vielleicht hat er mich auch vergessen, es ist schon ein paar Jahre her, seitdem ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Obwohl er mein Vater ist, ist er mir das wahrscheinlich größte Rätsel auf ganz Midgard.
    Letzte Nacht hat uns Gray aufgeweckt. Er erschien sehr aufgewühlt, fast schon panisch. Er erzählte uns von seinem Traum, in dem ein Schatten über das Halfdal gekommen war, und alle Pflanzen verdorrt waren. Da erwachte ein Drache und bekämpfte das Dunkle. Mira erzählte uns, dass es sich bei diesem Drachen um Schmauch, wie ihn die Halblinge nennen, handelt. Sein richtiger Name ist Yonvalker Ashan und wird bei ihnen als Gott verehrt. So lange er schläft, ist das Halfdal fruchtbar. Mit seinem Schlaf scheint er der Heimat der Halblinge also einen großen Gefallen zu tun, folglich wäre es schlecht, wenn er aufwachen würde. Mir erscheint Grays Traum eher wie eine Version. Aber was ist das Dunkle, welches das Halfdal bedroht? Und was hat es mit dem Drachen, der gegen diesen Schatten kämpft, jedoch besser weiterschlafen sollte, auf sich?
    Der Drache alleine wäre Grund genug für mich gewesen ins Halfdal zu reisen, aber wenn wir dabei auch noch gegen dunkle Wesen oder Magie vorgehen, und damit der Drache nicht in seinem Schlaf gestört und die Fruchtbarkeit des Halfdals bewahrt wird, dann gibt es keinen Zweifel mehr, ich werde den anderen in Miras Heimat folgen. Nun werde ich mich jedoch erst einmal zum Frühstück begeben. Ich versuche dir sobald wie möglich wieder zu schreiben.
     
    In Liebe
    Enya
  17. Die Hexe
    Ich habe die letzte Zeit genutzt Teile meines verlorenen Wissens wiederzuerlangen. Darüber hinaus habe ich das ein oder andere Nützliche gelernt und meine Freude am Singen wiedergefunden. Doch nun ist es an der Zeit Fiorinde zu verlassen. Hier gibt es nichts mehr für mich zu tun, zumindest nichts was den Absichten meines Mentors entspräche oder mich meinen Zielen näher bringen würde. So ziehe ich hinaus in die Welt, werde mein Wissen und meine Macht mehren, um den Kräften der Ordnung eine Dienerin zu sein.
    Die Flammenklinge werde ich zurücklassen, Vater wird sie zu sich ins Gebirge mitnehmen. Dieses Schwert hat mir mein Leben gerettet und ich habe das Gefühl, es ist ein Teil von mir. Und doch möchte ich es nicht länger tragen. Seine nicht kontrollierbaren Flammen sind nur ein Grund, es ist mit einer Vergangenheit verbunden, die nicht mehr Teil meines neuen Lebens ist. Es gehört Enya.
    Wo mich mein Weg hinführen wird, das weiß ich noch nicht. Doch ich bin mir sicher, dass er mich eines Tages an die Bardenschule in Erainn führen wird, damit ich dort die Musikküste erlerne, die einst einer der Urdrachen den Drachensängern beibrachte. Auch wenn sein Erbe nicht mehr zu sehen ist, trage ich es doch in mir und bin immer noch die Tochter von Aneteckroth, dem bronzefarbenen Drachen.
  18. Die Hexe
    Liebste Mutter,
    am Morgen hieß es Abschied nehmen. Unser Auftrag gebot Eile und ich wollte es nicht unnötig lang und damit schwerer machen. So trennten sich unsere Wege nach einem letzten Kuss und ich sah Dylan nur noch einmal hinterher, mit dem Gedanken, dass ich ihn vielleicht das letzte Mal sah. Gen Mittag machten wir eine Rast. Als ich dort saß, mit meinen Gedanken bei Dylan, mein Herz schwer, hörte ich auf einmal eine Melodie. Solch eine wunderschöne Melodie, welche mich verzückte und die unterschiedlichsten Emotionen in mir hervorrief. Sie rief nach mir und lockte mich weg von den anderen. Ich war gerade ein paar Schritte gegangen, als der Boden zu meinen Füßen einbrach und ich in die Tiefe stürzte. Doch der Fall war schnell vorbei. Ich war auf einem Tisch gelandet, der durch die Wucht des Aufpralls entzwei gebrochen war. Durch das brackige Wasser, welches den Boden bedeckte, lief ich weiter, noch immer geführt von der bezaubernden Melodie. Vor mir sah ich einen Waffenständer, darauf lag ein Schwert, welches mit Flammen und Runen verziert war. Wie von selbst reichten meine Finger nach dem Schwertgriff. Dann hatte ich es endlich in der Hand und hob es hoch. Flammen züngelten an der Klinge entlang und erloschen kurz darauf zusammen mit der Musik. Obwohl ich nie den Besitz solch einer Waffe gewünscht hatte, noch mit ihr umgehen konnte, war mir in dem Moment klar, dass dieses Schwert in keine anderen Hände außer meine gehörte. Es schien als wäre ich aus einer Trance erwacht und endlich hörte ich die anderen, wie sie nach mit riefen. Einer nach dem anderen kamen sie ebenfalls herunter und wir wandten uns an das Steinportal, welches uns weiter unter die Erde führen würde. Hatten wir bereits Teile der Binge entdeckt? Doch eigentlich waren wir noch zu weit entfernt. Bevor irgendjemand ihn aufhalten konnte, griff Gray nach dem versteckten Hebel und öffnete so die Tür. Dabei wurde er von etwas in den Arm gebissen. Schon nach kurzer Zeit stellte sich heraus, dass er vergiftet worden war, doch niemand konnte ihm helfen. Im Raum hinter der Tür erwarteten uns sechs große Fledermäuse. Nachdem wir uns diesen entledigt hatten, fiel mir auf, dass wir uns in einem Hügelgrab befanden. Am liebsten wäre ich wieder gegangen, doch ich konnte die anderen nicht umstimmen. Nach einem voreiligen Eintritt in den nächsten Raum, fiel Bruna in eine Fallgrube und wir standen vier Skeletten und einem Geist gegenüber. Den Göttern sei Dank hatte ich den Zauber Flammenkreis erlernt. Damit konnte ich alle, bis auf Mira schützen. Sie verlor beinahe ihr Leben, als der Geist auf sie einhieb, doch mit einem Heiltrank konnte ich sie vor dem Tod bewahren. Schließlich war von den Untoten nichts mehr übrig und auch Gray schien die Auswirkungen des Gifts überwunden zu haben. Ein Streit zwischen Bruna und Iros entbrannte. Iros wollte sich für seine Beschuldigen nicht entschuldigen, woraufhin sich Bruna beleidigt nach oben verzog, während wir den Rest des Grabes erforschten. Um einige Schätze reicher, verbringen wir die Nacht nun hier, um vor weiteren Wölfen sicher zu sein. Ich glaube mit Iros und Bruna wird es ein anstrengendes Unterfangen werden. Iros hat bereits das Meiste an Schätzen an sich gerissen, ein magisches Amulett und ein Diadem, und sieht diese schon als sein Eigentum. Eigentlich sollte es mich nicht wundern, nach allem, was ich über ihn weiß. Ich jedoch kann nichts von dem was wir gefunden haben, als mein Eigen ansehen, weiß ich doch, was ich Vater schulde. Nun, solange die Schätze uns helfen, unseren Auftrag zu erfüllen, kann Iros sie gerne nutzen. Noch einen Tag, dann werden wir wissen was uns erwartet. Ich hoffe, wir finden das Buch in kurzer Zeit und können zurückkehren. Ich vermisse Dylan bereits und frage mich, ob er bei Nervan wirklich in Sicherheit ist. Was ist, wenn Sandrina wieder auf ihn wartet. Darüber darf ich gar nicht nachdenken, sonst kehre ich augenblicklich um. Ich wünsche mir, dass er seine Hände schont und nicht aus Langeweile auf seine Laute spielt. Hm…Langeweile, hoffentlich wird er nicht… Nein, ich vertraue ihm.
    Bezüglich des Schwertes habe ich noch einige Fragen, von denen ich nicht weiß, ob ich jemals Antworten bekommen werde. Was ich weiß ist, dass die Runen auf der Klinge nicht der Sprache der Zwerge entstammen, Bruna konnte sie nicht entziffern. Welche Macht ihr wohl inne wohnt?
     
    In Liebe
    Enya
  19. Die Hexe
    Liebste Mutter,
    am Criochdag gelangten wir an die verlassene Zwergenbinge. Wir entdeckten einen Eingang, der von Orcs bewacht wurde. Da wir jedoch nicht wussten, ob dieser tatsächlich in die Binge führen würde, begaben wir uns zum Haupttor, doch der Anblick dort ließ uns wieder umkehren. Wir überwanden die Wachen und drangen in das Innere von Nierthalf ein. Die nächste Begegnung mir Orcs war nicht weit, dabei fanden wir eine Karte der Ebene auf welcher wir uns befanden. Auf unseren Weg kam es immer wieder zu Diskussionen, insbesondere mit Iros. Schließlich weigerte sich Bruna mit uns weiterzugehen, da sich Iros noch immer nicht entschuldigt hatte. Wir gingen ohne sie weiter, als Iros, nach einem spitzen Kommentar Grays, doch umdrehte und sie zurückholte.
    Wir kamen in einen Turm in dem Gray und ich zwei Schriftrollen fanden. Doch viel Zeit blieb uns nicht, denn die nächsten Orcs erwarteten und bereits. Im folgenden Kampf entkamen drei der Orcs und Iros, Gray und ich nahmen die Verfolgung auf. Fast bis zum Tor brauchten wir, um auch den letzten daran zu hindern, unsere Anwesenheit zu verraten. Als wir wieder zurück waren, ließ Iros verlauten, dass er sich in der Gruppe nicht willkommen fühlte. Er hatte gedacht, er würde bei uns Freundschaft finden, er hatte das Gefühl, alles war er tun würde, wäre falsch. Des Weiteren behauptete er dass, es für meinen Zorn keinen Grund gäbe und ich nur etwas persönlich gegen ihn haben würde. Ich versuchte mich und meinen Zorn, der mir durchaus berechtigt schien, zu erklären, als unser Gespräch durch Wolfsgeheul unterbrochen wurde. Angesichts unserer Verfassung und der Anzahl der Gegner, zogen wir uns zurück. Wir gelangten in einen schmalen Gang, der sich später als Geheimgang herausstellte. Neben Speisekammer und Küche, entdeckten wir den Essensraum, in dem geschätzte 50 Orcs saßen. Erst da wurde uns bewusst, wo wir uns befanden und vor allem in welcher Gefahr. Wir wandten uns ab und erkundeten weiter die Gänge, bis wir auf eine Empore gelangten, auf der wir uns noch einmal Orcs stellen mussten. Mit Glück konnten wir sie alle überwinden, ohne dass es jemand bemerkte. Zu unseren Füßen arbeiteten Menschen in Ketten, von Orcs mit Peitschen angetrieben. Wir zogen uns zurück in den Geheimgang und nachdem wir uns verarzten hatten, gaben wir der Müdigkeit nach, die schon eine Weile an unseren Gliedern zerrte.
    Am Morgen, oder vielleicht war es auch noch mitten in der Nacht, ohne Sonne war zwischen Tag und Nacht nicht zu unterscheiden, wurden wir von Trommeln geweckt. Nachdem Iros auf der anderen Seite einen Durchgang entdeckt hatte, krochen wir über die Empore und fanden einen weiteren Geheimgang. Durch ihn gelangten wir in einen Raum, in dem vom danebengelegenen Thronsaal Stimmen zu hören waren. Dort lagen einige Schätze, unter anderem ein Ring, den sich Gray an den Finger steckte und drehte. Daraufhin ertönte ein lautes Heulen, welches uns das Mark in den Gliedern erstarren ließ. Der Geist eines Orckriegers erschien und näherte sich uns wütend. Doch das war nur ein geringes Problem, welches wir bald beseitigt hatten. Durch das Heulen alarmiert, öffneten die Orcs im Thronsaal die Tür zu unserem Raum. Von einer Sekunde auf die andere standen wir 30 Orcs und dem Hexenmeister entgegen. Sie forderten uns auf aufzugeben, doch Bruna ließ sich nicht beirren. Gray meinte, wir müssten fliehen, ich hielt eine Flucht für unmöglich, doch ein Gewinnen gegen diese Übermacht war ebenso ein hoffnungsloses Unterfangen. Doch was würde uns in Gefangenschaft erwarten? Wir sollten es bald erfahren.
    Nach dem Zauber des Hexers sah es für die am Boden liegende und einen Fisch nachahmende Bruna schlecht aus. Da sah ich Gray zaubern und im nächsten Moment erschien eine Eiswand, die Mira, Iros und mich vom Rest trennte. Entsetzt rief ich nach Gray und schlug gegen die Wand. Meine Gedanken waren blank, mein Herz kalt wie das Eis vor mir. Ich weigerte mich ihn zurückzulassen, aber Iros und Mira zogen mich mit ihnen und wir flüchteten durch den Geheimgang. Doch Gray hatte umsonst sein Leben aufs Spiel gesetzt, denn Orcs waren bereits überall und nahmen uns ebenfalls gefangen. Iros entkam den Orcs noch eine Weile länger, doch schließlich wurde auch er vorbei an eingesperrten Kobolden, Dunkelwölfen und Trollen in unsere Zelle geführt. Dies würden unsere Gegner sein in den Grubenkämpfen, die uns bevorstanden.
    Ein weiteres Mal waren wir gefangen, all unserer Sachen beraubt und erwarteten den Tod. Bevor die Kämpfe begannen kam der Hexer, in Begleitung von Menschen zu uns und fragte, was wir hier zu suchen hatten. Nichts sagten wir von dem Buch, erfuhren jedoch, dass er dem Herrn der Nebelberge diene und die Orcs ihm für irgendeinen Zweck dienlich waren. Nachdem wir die Waffe unserer Wahl benennen durften, wurden wir in die Grube geführt. Mehrere hundert Orcs saßen auf der Tribüne, grunzten, johlten, brüllten und lachten von oben auf uns herab. Angesichts unserer Verfassung wäre der Kampf unser Tod gewesen, doch noch sollte unser Leben nicht enden. Gray murmelte ein paar Worte, woraufhin der Orchäuptling inne hielt. Gray brüllte ihm zu, er solle den anderen befehlen uns unser Hab und Gut wieder zu bringen. Ein Orc, mit einem Wolfskopf auf seinem Gewand, erhob sich und fragte uns, was wir mit dem Häuptling gemacht hätten. Doch Gray ließ sich nicht beirren und rief dem Orc zu, er solle den anderen mitteilen, dass wir nichts mit ihm gemacht hätten und es ihm gut ginge. Dann geschah etwas womit weder wir, noch viele der Orcs gerechnet hatten. Der Wolforc hatte anscheinend schon länger einen Aufstand geplant und hielt diesen Zeitpunkt nun für geeignet ihn zu beginnen. Ein kurzer Blick reichte aus, um zu erkennen dass die Anhänger des Wolforcs überlegen waren. Gray brüllte dem Häuptling zu, den Befehl zu geben, den Aufrührer zu töten und ich riss in letzter Sekunde ihm die Streitaxt aus der Hand. In wenigen Augenblicken verwandelte sich die Arena in ein Schlachtfeld und uns schenkte niemand mehr Beachtung. Fluchtartig verließen wir den Raum und begaben uns auf die Suche nach unserem Besitz. Ich überredete Mira Bruna ihren Heiltrank zu geben, den sie hatte an sich bringen können, damit Brunas verletztes Bein geheilt wurde und sie wieder laufen konnte. In einem Raum fanden wir unsere Besitztümer, bis auf das Diadem und Grays Stab. Nach weiteren Zusammentreffen mit Orcs führte uns die Suche schließlich in die Ebene, die wir als erstes betreten hatten. In der Schatzkammer fanden wir neben Gold auch die fehlenden Dinge, doch von dem Buch war noch immer keine Spur. Als Mira eine Falle auslöste und versteinert wurde, mussten wir innehalten und Gray widmete sich der Spruchrolle, die, den Göttern sei Dank, einen Zauber enthielt, welcher Mira wieder zurück verwandelte. In der Schatzkammer hatten wir eine zweite Runenklinge gefunden, doch waren von ihr nur noch Bruchstücke übrig. Noch einmal begaben wir uns nach oben, um von dort aus wieder nach unten zu gelangen. Der Kampf war mittlerweile zu Ende und so trafen wir auf weitere Orcs. Doch sie flohen vor uns und so kamen wir ohne weitere Zwischenfälle über eine Wendeltreppe auf die untere Ebene. An zwei Orcwachen gelangten wir in weitere Schlafkammern. Der Hexer schien die Binge verlassen zu haben, denn von ihm war keine Spur mehr. Von dort aus gingen wir eine Treppe herunter, um den restlichen Teil der Höhle zu erkunden, in der Hoffnung irgendwo das Buch zu finden und trafen auf weitere Orcs. Wir hätten sie umgangen, doch zum einen wäre es schier unmöglich gewesen sich an ihnen vorbei zu schleichen, zum andere trieben sie mit Peitschen die Sklaven zu Arbeit an und das konnte ich nicht mit ansehen. Dieser Kampf hätte uns ein weiteres Mal beinahe das Leben gekostet, doch nicht die Orcs stellten die Bedrohung dar. Nach kurzer Zeit hörten wir schwere Schritte hinter uns und sahen einen Troll auf uns zu rennen. Mit mehr Glück als Verstand konnten wir dem Troll über den unterirdischen Fluss entkommen. Schließlich gelangten wir an eine Tür, an der ein Eintreten unmöglich war, fanden jedoch nach einigem Suchen den Mechanismus um sie zu öffnen.
    In den dahinterliegenden Räumen trafen wir auf den Geist eines Zwerges, der seit über 100 Jahren diese Heiligtümer bewachte. Dank des weißen Rings konnte Gray mit ihm kommunizieren. Marze, so sein Name, erzählte ihm von den Runenklingen, die fünf Schwerter, die von den Altvorderen vor etlichen Jahrhunderten geschmiedet worden waren, um die Gefahr zu bannen. Diese Klingen erwählten ihren Träger selbst, welche Großes vollbringen oder Unheil heraufbeschwören würden. Jede Klinge war einem Element zugeordnet. Feuermal, Steinherz, Wasserläufer, Wirbelwind und Eiswehr. Von ihm erfuhren wir auch, dass der Foliant, welchen wir suchten, sich im Raum hinter ihm befand. Die Fibel befasste sich mit den Runenklingen und würde uns vielleicht Antworten auf unsere Fragen geben. Sollten wir das Buch in Sicherheit, zu den Zwergen im Atrossgebirge bringen, wäre sein Geist erlöst und er würde endlich Frieden finden. Wir erzählten ihm von unserem Dilemma, dass uns zwang das Buch an Nervan zu überreichen, versprachen jedoch, die Zwerge im Atrossgebirge über das Buch zu informieren und mit unserem Auftraggeber zu reden. Schließlich holten wir das Buch, welches zu unserem Erstaunen völlig versteinert war und sich nicht öffnen ließ. Gray versuchte, die Magie, welche auf das Buch wirkte, zu bannen, doch sie war so alt und mächtig, dass es seine Fähigkeiten bei weitem überstieg. Ich berührte das Buch mit meinem Schwert, woraufhin die Klinge in Flammen aufging. Noch sind mir die Kraft und die Magie, die ihm inne wohnen, ein Mysterium. Und doch habe ich das Gefühl, ich werde mit der Klinge immer vertrauter. Immerhin weiß ich nun, was ich dort in der Hand halte: Feuermal, eine der fünf Runenklingen. Warum gerade mir diese Waffe in die Hände fiel? Und was ist mit der zerbrochenen Klinge, die wir ebenfalls gefunden haben? Gibt es eine Möglichkeit sie zu reparieren? Und wen wir sie dann wählen? Und was ist mit dem Rest der Klingen? Alles Fragen auf die keine Antwort wartete. Wir nahmen das Buch an uns und entschlossen uns, noch ein letztes Mal in der Binge zu nächtigen, denn wir waren am Ende unserer Kräfte.
    Morgen, wenn denn der nächste Tag angebrochen ist, werden wir Nierthalf verlassen. Ich hoffe, dass uns dies ohne weitere Schwierigkeiten gelingen wird. Ich kann es kaum erwarten wieder zurück im Schlauen Fuchs zu sein, zurück bei Dylan. Eines bereitet mir jedoch noch Sorgen. Die Schätze und das Geld, welches wir gefunden haben und damit auch die Schulden. Ich fürchte diesbezüglich wird es noch Diskussionen geben, vor allem mit Iros. Ich hoffe wir gelangen friedlich zu einer Lösung, die für alle in Ordnung ist. Bald hat dieser Schrecken ein Ende, mehr denn je freue ich mich auf eine warme Mahlzeit, ein Bett und eine Schüssel Wasser, um mich zu waschen.
     
    In Liebe
    Enya
  20. Die Hexe
    Liebste Mutter,
    wir sind endlich der Zwergenbinge Nierthalf und damit den Orcs entkommen und im Schlauen Fuchs angekommen. Am Morgen begaben wir uns durch die Schmiede ohne weitere Vorkommnisse hinaus und auf den Rückweg. Im Hügelgrab nahmen wir die Rüstung, die wir dort gelassen hat mit. Nach drei Tagen erreichen wir das Gasthaus. Der Weg war grauenvoll, allerdings nur für mich, passiert ist nichts mehr. Aber ich fand kein Wasser, nicht einen noch so kleinen Bach. Ich fühlte mich so unwohl wie schon lange nicht mehr. Schweiß, Blut und Dreck klebten an mir und der Geruch raubte mir fast den Verstand. Doch ich konnte nichts tun und ertrug es still. Schließlich kamen wir am Gasthaus an und betraten es. Das erste was ich sah, war Dylan, der zusammen mit einer jungen Frau ein Lied vortrug. Seinen Händen schien es wohl besser zu gehen. Ich war glücklich ihn wiederzusehen, doch ich war viel zu abgelenkt durch mein Unwohlsein, so dass meine Begrüßung eher halbherzig aus viel. Dylan meinte, dass er froh sei uns zu sehen, woraufhin Gray antwortete, er sei froh, überhaupt noch etwas zu sehen und erwähnte die Anzahl der Orcs, mit denen wir uns gemeinsam in Nierthalf befunden hatten. Ich funkelte Gray an und schon musste ich Vorwürfe und derlei über mich ergehen lassen. Ich ignorierte sie und begab mich zu Wirt, den ich um eine Schale Wasser bat. Wortlos ging ich die Treppe hinauf, Dylan folgte mir, immer noch damit beschäftigt, sich zu beschweren. Oben angekommen, zog ich mich aus, Dylan noch immer nicht beachtend und wusch mich. Er ließ mich nicht wieder meine Kleider anziehen und endlich wieder sauber, wurde mir in seinen Armen bewusst, wie sehr ich ihn vermisst hatte. Ich wäre gerne noch länger mit Dylan alleine gewesen, doch ich wollte bei den Erzählungen, dem Gespräch mit Nervan anwesend sein und so begaben wir uns wieder zu den anderen. Zu uns an den Tisch setzte sich auch die hübsche Bardin, die zusammen mit Dylan Musik vorgetragen hatte. Sie stellte sich als Lilie vor. Nachdem ihm unsere Geschichte, wie wir das Buch gefunden haben, bekannt war, zahlte der Gelehrte uns aus und bot an, dass wir eine Weile auf seiner Burg unterkommen könnten. Er riet uns Thame zu meiden, denn dort war unser Ruf nach den Ereignissen kein guter. Um Udele würden wir uns später kümmern, die Schätze wahrscheinlich in Twineward verkaufen. Nervan hatte bereits, wenn auch nur wenig, über den Herrn der Nebelberge gehört und bezeichnete ihn als Feind der Menschen. Gray äußerte unser Misstrauen, was Nervan etwas überraschte, er hatte jedoch Verständnis dafür. Von den Runenklingen berichteten wir ihm ebenfalls und ich wollte ihn auf seinen Wunsch hin Feuermal in die Hand geben. Doch als er sich gerade über das Schwert beugte, fing es an zu brennen und der Gelehrte wich zurück. Danach wirkte er nachdenklich. Die Runenklingen hatten sich gezeigt und Nervan bestätigte die Worte des Zwerges, nach denen sich die Klingen ihren Träger selbst erwählten und sie bis zum Tode binden würden. Auch er meinte, dass die Träger entweder großen Segen oder Verderben bringen würden. Welche Aufgabe, welche Verantwortung wurde uns mit der Wahl der Klinge auferlegt?
    Iros ließ verlauten, dass er nach Chryseia reisen wollte, um endlich seine Liebste für sich zu gewinnen. Da erfuhren wir von dem Versprechen, welches Dylan gegenüber Iros gegeben hatte. Sollte er mich sicher aus der Binge zurückbringen, würde Dylan ihm bei seinem Vorhaben helfen. Wir fragten, wie er das machen wollte, denn das Geld hatten weder er noch Dylan. Da meinte Iros, dass es auch andere Wege und Mittel gäbe. Wütend stand Gray auf und verließ den Tisch. Auch in mir brodelte es. Ich wollte meinen Ohren nicht trauen. Wie konnte er nur solch ein dummes Versprechen machen und dann auch noch Iros gegenüber. Als wäre ich ein Gegenstand, welchen der Chryseier bei sich trüge. Iros, dem ich am wenigsten vertrauen würde, mich zurück zu bringen.. Im Gegenteil, Iros wäre der erste der mich sterben lassen würde. Mich lebend aus der Zwergenbinge zurückzubringen, wenn noch drei weitere Menschen uns begleiten und eine Frau aus den Fängen ihres reichen Mannes zu befreien, vor allem mit eher fraglichen Mitteln, sind zwei sehr unterschiedliche Dinge. Doch ich war so fassungslos, dass ich nichts sagen konnte, und einen Streit anfangen, nachdem wir uns erst seit wenigen Stunden wiedergesehen hatten, wollte ich nicht.
    Am nächsten Morgen brachen wir auf und kamen nach sechs Tagen an die Burg Dun Irensrod und dem Dorf Morvill. In der Burg wurden wir von Nervans junger Tochter Jaris begrüßt. Beim Essen besprachen wir unser weiteres Vorgehen. Wir würden nun doch nach Thame reisen und dort einen Teil der Schätze verkaufen. Danach würden wir wiederkommen und auf Dun Irensrod bleiben und unsere Fähigkeiten verbessern. Nervan würde einen Teil der Kosten für unsere Lehrmeister übernehmen. Er würde wenig Zeit für uns haben, denn er wollte sich dem Buch über die Runenklingen widmen. Gray bat darum, ihn dabei unterstützen zu können. Neben einem Besuch in der Bibliothek der Burg, lernten wir noch die Elfe Myriel kennen, die für den Gelehrten Aug und Ohr im Wald von Tureliand ist. Alle zusammen bekamen wir ein Zimmer für die Nacht. Ich war froh, dass ich mich nicht mehr verstecken musste, es war die richtige Entscheidung gewesen.
    Beim Frühstück trafen wir auf ein bekanntes Gesicht. Tachwallon, der Barde, ein langjähriger Freund Nervans, saß am Tisch und begrüßte uns. Gray lachte und ich stieß ihn mit dem Ellenbogen in die Seite. Da sagte er etwas, was uns alle zum Lachen brachte: „Jedes Mal wenn unsere Reisegemeinschaft unter widrigen, komischen Umständen einem Barden begegnet, ist es zur Gewohnheit geworden, diese später wiederzutreffen.“ Dabei schaute er ganz bewusst Dylan an, welcher in schallendes Gelächter ausbrach. Außer uns verstand natürlich am Tisch niemand, den Grund für unsere Erheiterung. Bevor wir aufbrachen überreichte uns Nervan zwei Schriftstücke, eines bekundete die Erfüllung unseres Auftrags, das andere beinhaltete die Vergünstigung unserer Lernkosten. Damit wir auf der Reise schneller sein würden, lieh uns der Gelehrte Pferde und so brachen wir auf. Unser Auftraggeber ist wirklich ein wohlhabender, etwas rätselhafter Mann.
    Mir wäre es lieber gewesen, etwas auf der Burg zu bleiben, auszuruhen und endlich mal wieder beruhig schlafen zu können. Doch es ist besser, sich um die Dinge die zu erledigen sind, gleich zu kümmern. Und ich möchte natürlich so schnell wie möglich die Schulden begleichen, oder zumindest ein Teil davon. Noch wissen wir den Wert des Gefundenen nicht. Wenigstens muss ich mich nicht schon wieder von Dylan trennen, denn er begleitet uns. Bruna bleibt jedoch auf der Burg, ihr ist das Reisen nicht möglich, sie muss sich erst von den Strapazen der letzten Tage erholen.
     
    In Liebe
    Enya
  21. Die Hexe
    Liebste Mutter,
    nur wenige Tage sind vergangen und doch hat sich so viel ereignet, dass ich nicht weiß wo ich beginnen soll. Mit der Annahme, die Reise nach Thame und wieder zurück, würde ohne weitere Vorkommnisse und Schwierigkeiten verlaufen, hatte ich mich schwer getäuscht.
    Am ersten Abend kamen wir an eine Taverne an der Königsstraße und kehrten ein. Wir hatten bereits für Unterkunft, Speis und Trunk gezahlt, als wir am Tisch saßen und ich mein Ale trank. Ich nahm den letzten Schluck, als das eingeritzte S am Boden des Bechers mir wie ein Dolch ins Auge stach. Augenblicklich warf ich den Becher von mir und übergab mich. Ich verspürte Übelkeit, doch noch zeigten sich keine weiteren Anzeichen einer Vergiftung. Verwundert fragten die anderen nach und ich zeigte auf den Becher. Schlagartig wurde es eiskalt im Raum und Gray ging zum Wirt, packte diesen und brüllte ihn an. Den anderen Menschen in der Taverne befahl er hinaus zu gehen und damit sie seinem Befehl Folge leisteten, ließ er es schneien. Es ging so schnell und noch war ich zu überrascht über die Ereignisse, dass ich ihn nicht aufhalten konnte. Gray und Iros bearbeiten den Wirt solange, bis wir erfuhren, dass Sandrina ihm vor nicht allzu langer Zeit fünf Oring dafür gezahlt hatte, den vergifteten Becher uns zu reichen. Wir forderten unser Geld zurück, Iros nahm die fünf Oring an sich und wir verließen das Gasthaus. Doch zuvor sprach Gray unzusammenhängende arkane Worte und sagte dann dem Wirt, dass er nun alles mitbekommen würde, was in dem Raum passiere. Natürlich war dies völliger Unfug. Draußen standen die Menschen und schauten uns mit angsterfüllten Augen an. Gray teilte ihnen mit, sie könnten wieder hinein, doch niemand bewegte sich. Den Göttern sei Dank, ich hatte schnell genug reagiert, denn das Gift hatte noch nicht begonnen in mir zu wirken. Mit dem Wissen, dass Sandrina in der Nähe war, entschieden wir uns, nicht mehr in Gasthäuser einzukehren und die Nacht durchzureiten. Bis nach Thame machten wir immer wieder kleinere Pausen, doch wirklich schlafen konnten wir nicht. Am Morgen des zweiten Sedag im Wolfmond kam uns ein Trupp entgegen. Es waren Ritter des Sonnenordens, die uns aufgrund der Ereignisse im Gasthaus verhafteten. Gray wollte alleine mit ihnen gehen, doch sie ließen nicht mit sich reden. Das Grays Verhalten Folgen haben würde, hatte ich mir bereits gedacht. Wann wird er lernen, mit der Magie in Alba noch vorsichtiger zu sein und seine Wut besser zu kontrollieren? So kamen wir also in die Ordensritterburg in Thame, die ich eigentlich nie von Innen hatte sehen wollen. Angst überkam mich, ich hatte das Gefühl, der Name Vraidos stand auf meiner Stirn geschrieben. Hinzu kamen meine noch ungefärbten Haare, die ich wieder unter dem Tuch versteckt hatte. Ein weiteres Mal wurden uns unsere Waffen abgenommen. Uns wurden die Augen verbunden, wir wurden gefesselt, geknebelt und in eine Zelle geworfen. Ich konnte und wollte es nicht glauben. Wieder befanden wir uns in Gefangenschaft und hatten und auch noch mit den Ordenskriegern des Xan angelegt. Doch diesmal mussten wir keine sechs Tage ausharren, nach kurzer Zeit kamen ein Ordensritter und eine Frau an unsere Zellentür. Bei der Frau handelte es sich um Arlena NiConuilh, die Vorsteherin der Magiergilde von Thame. Wir übergaben das Schreiben von Nervan und schilderten ihr die Ereignisse aus unserer Sicht. Danach wurden wir wieder entlassen, doch die Sorellis wollte noch ein Gespräch mit Gray über seine Taten führen. Wir bekamen unser Hab und Gut zurück und begaben uns zum Zwergenviertel Thames. Dort erzählten wir Glarn Rabenbart unsere Geschichte und ließen die magischen Artefakte und den Schmuck schätzen.
    Und dann begann die Diskussion. Wie erwartet ließ sich das Geld und die Gegenstände nicht einfach so verteilen. Iros wollte das Schild, das Amulett, das Diadem und am liebsten auch noch den Dolch behalten, war aber nicht bereit uns dafür auszuzahlen. Er weigerte sich an die Abmachung, die wir vor Betreten der Zwergenbinge gemacht hatten, zu halten. Er war der Meinung, das Diadem war bei ihm am besten aufgehoben und ließ keine andere Meinung zu. Stundenlang diskutieren wir. Es war so ermüdend, Iros zeigte keinerlei Einsicht. Mira hatte sich zu Beginn der Diskussion verzogen und kam erst zurück, als wir zu einer Einigung gekommen waren. Noch immer war Iros uneinsichtig und nicht bereit sein eigenes Verhalten zu überdenken, stattdessen beschuldigte er uns neidisch auf ihn zu sein und ihm die magischen Artefakte nicht zu gönnen. Vergeblich versuchte Gray ihn vom Gegenteil zu überzeugen und ihm die Unsinnigkeit seiner Worte vor Augen zu halten. Altes wurde wieder auf den Tisch gebracht, doch es brachte uns nicht weiter. Schließlich gab Iros nach und die Gruppe sollte über den Träger des Diadems bestimmen.
    Als Mira wieder zu uns stieß, berichteten wir ihr kurz, was vorgefallen war und dann ergriff Gray das Wort. Er sprach mir aus der Seele, als er Iros mitteilte, dass er solche Diskussionen in Zukunft nicht mehr führen wollte und dass er seine Drohung, die er damals ausgesprochen hatte, wahr machen würde. Ein Gruppenmitglied, welches sich nicht gruppendienlich verhielt, im Gegenteil, gegen die Gruppe agierte, könnten wir nicht tragen. Mira versuchte noch einmal einzulenken, doch die Entscheidung war gefallen. Als ich versuchte etwas zu sagen, fuhr mir Iros über den Mund und behauptete, dass wir uns noch nie verstanden hätten, er könne mich nicht ausstehen und ich ihn nicht. Viel konnte ich dazu nicht mehr sagen. Er hatte mich nie verstanden, er hatte es nicht einmal versucht. Nicht ihn akzeptierte ich nicht, sondern sein Verhalten. Schrecklich war das Gefühl in dem Moment, ich sah wie schwer es Gray fiel, dies Iros zu sagen. Auch ich hätte mir etwas Anderes gewünscht, doch es würde sich nichts ändern. Es war die richtige Entscheidung gewesen und jetzt da sie getroffen wurde, erfüllte mich neben der Bedrückung auch Erleichterung. Da ergriff Dylan das Wort. Da er ein Versprechen Iros gegenüber gemacht hatte, mich jedoch nicht verlassen wollte, bot er ihm an, seine Schulden zu übernehmen. Zuerst weigerte sich Iros und verlangte von ihm, ihn nach Chryseia zu begleiten. Doch Dylan meinte, er würde nicht von meiner Seite weichen und wenn er dafür wortbrüchig werden müsste. Schließlich einigten sie sich und Iros verlangte seine Ausbezahlung. Wir gaben ihm seinen gerechten Anteil, doch dies war ihm nicht genug. Er verlangte auch noch die Runenklingen schätzen zu lassen. Doch sie waren von unschätzbarem Wert, so dass wir nur den Materialwert der zerbrochenen Klinge nahmen und ihm auch noch davon einen Anteil gaben. Zorn wallte in mir auf über Dylans dummes Versprechen und Iros Gier nach Geld. In meinen Augen waren die Runenklingen etwas, was man nicht mit Gold aufwiegen konnte. Schließlich waren sie von unschätzbarem Wert und erwählten ihren Träger selbst. Iros Argument für Entschädigung, er könnte ja der Träger sein, sollte die Klinge wieder ganz werden, hatte keinen Wert. Sollte das Schwert ihn tatsächlich wählen, würde sie zu ihm gelangen. Aber ich bezweifelte stark, dass die Klinge solch einen Träger erwählen würde. Wie konnte solch ein egoistischer, gieriger Mensch ein Segen für die Menschheit sein?
    Dann war es an der Zeit getrennte Wege zu gehen und wir forderten die Artefakte, die er noch bei sich trug. Es wunderte mich nicht, dass er sich weigerte sie herauszugeben. Er wollte uns dafür bezahlen, doch wir meinten, diese Gegenstände gehörten der Gruppe, wie ausgemacht und er hatte seinen Anteil, der ihm zustünde und noch mehr, bekommen. Als er sich zur Tür wendete, waren Gray und ich sofort bereit und nach ein paar arkanen Worten und Gesten von Gray sackte Iros zusammen und lag schlafend am Boden. Es tat mir leid, zu solch Mitteln greifen zu müssen, ja es beschämte mich, aber nach all den Ereignissen mit Iros, Bernardo, Sandrina, Udele, war in uns kein Raum mehr für Gnade und Nachsicht. Mira nahm ihm das Amulett ab, das Diadem hatte Gray zuvor an sich genommen. Doch als sie den kleinen Schild versuchte von Iros Arm zu lösen, wachte er auf und brüllte. Glarn war verwundert und fragte, was das Wirken von Magie in seinem Hause sollte. Wir erklärten, dass wir versuchten die Sache auf eine friedliche Art ohne Blutvergießen zu lösen. Gray schläferte Iros ein weiteres Mal ein und ich stellte mich an die Tür. Als Mira ein zweites Mal versuchte an das Schild zu kommen, gebot ihr Glarn Einhalt. Er wollte es anders regeln, stellte sich breitbeinig über Iros und weckte ihn. Er befahl ihm, uns unseren rechtmäßigen Besitz zu überreichen und dann ohne Weiteres sein Haus zu verlassen. Iros nahm das Schild, warf es von sich und stürmte wutentbrannt durch die Tür. Stille, Zorn und Schwermut füllten den Raum, welchen Iros verlassen hatte.
    Mira, Gray und ich regelten die restliche Verteilung des Goldes und der Gegenstände. Wir beschlossen, dass jeder in der Gruppe den Stirnreif einmal tragen würde und wir dann entscheiden würden, bei wem er am besten aufgehoben war. Wir waren uns einige und es gab keine Diskussionen mehr. So waren wir recht schnell fertig und begaben uns in die Stadt, um noch ein paar Besorgungen zu machen, bevor wir wieder nach Dun Irensrod aufbrachen. Da wir nun für längere Zeit in Nervans Burg bleiben würden, ließ ich mir meine Haare wieder färben.
    Dann begaben wir uns in die Magiergilde, denn dort wartete Arlena NiConuilh bereits auf Gray. Mira verabschiedete sich und wir vereinbarten uns am Tor zu treffen. Nun sitze ich hier und warte darauf, dass Gray zurückkommt.
    Wir sollten dafür sorgen, dass sich unser Ruf in Thame bessert. Gray hat nicht gerade in diesem Sinne gehandelt. Dass wir solch eine Begegnung mit dem Orden der Sonnenritter hatten, kann nichts Gutes bedeuten. Gray…Ich hoffe, er wird lernen seinen Zorn zu bändigen, es könnte uns eines Tages wirklich in Schwierigkeiten bringen. Was kann ich tun, um dies zu verhindern, ihn und uns zu schützen? Nun, irgendeinen Weg wird es geben. Nach all den Ereignissen ist mir noch einmal bewusst geworden, wie wichtig mir Gray, Mira und natürlich Dylan geworden sind und wie stark das Band zwischen uns geworden ist. Ohne sie und das gegenseitige Vertrauen würde ich das alles nicht durchstehen. Mich freut es, dass du sie kennenlernen möchtest. Ich hoffe die Gelegenheit ergibt sich bald.
    Ich werde einen Teil der Schulden abbezahlen, doch muss ich noch einen sicheren Weg finden, sie dir oder Vater zukommen zu lassen. Das restliche Gold wird bald folgen. Mit Dylan muss ich diesbezüglich noch ein Wörtchen reden…
    Sobald wir in Dun Irensrod angekommen sind, werde ich Ihn rufen und um Unterweisung bitten. Von Udele und Samiel werde ich Ihm ebenfalls berichten. Wenn finstere Mächte am Werken sind, kann Er mir vielleicht auch etwas zum Herrn der Nebenberge sagen.
    „Nur durch Vertrauen kann man neue Freunde gewinnen.“ Mutter, es fällt mir schwerer den je den Menschen, auf die wir treffen, nicht mit Misstrauen zu begegnen, sondern ihnen zu vertrauen. Zu viel ist in der Vergangenheit passiert. Erst Bernardo, dann Sandrina, die wie ein Schatten über uns schwebt und uns nicht ruhig schlafen lässt. Wegen Udele ist Thame für uns ein Ort, den wir besser meiden sollten. Und schließlich Iros. Immer wieder habe ich versucht, mir mit ihm eine Chance zu geben, doch ich habe es nie geschafft ihm zu vertrauen. Er hat das bedroht, was mir teuer war, den Zusammenhalt der Gruppe. Er hat uns benutzt und war am meisten auf seinen Vorteil bedacht. Ich dachte, nach dem Gespräch im Halfdal würde sich etwas ändern, doch ich hatte mich getäuscht. Und nun gehen wir getrennte Wege. Der „Abschied“ war grauenvoll und hinterlässt eine bittere Erinnerung. Ich möchte kein Mensch werden, der anderen misstraut. Ich möchte nach wie vor an das Gute glauben. Aber wie weiß ich, wem ich vertrauen kann? Wie oft werde ich noch enttäuscht werden? Und wie oft kann ich die Enttäuschung ertragen, bis ich mein Herz verschließe?
     
    In Liebe
    Enya
  22. Die Hexe
    An Chelinda,
    nachdem ich mit dem Brief an dich fertig war, begab ich mich zum Haus der Wunder in dem die Berggnomin Kelda Glitzerfels, eine Thaumaturgin, Talismane, Amulette und andere magische Artefakte verkauft und fragte nach einem Artefakt, welches die Haare dauerhaft färben könne, doch ihr war nichts dergleichen bekannt. So kehrte ich wieder in die Gilde ein und kaufte dort Zauberkomponenten, während ich auf Gray wartete. Bald kam er mit einem zerknirschten Gesichtsausdruck zurück. Die Gildenvorsteherin hatte ihm deutlich gemacht, was passieren wird, sollte er noch einmal in der Öffentlichkeit zaubern ohne einer Gilde beigetreten zu sein. Allerdings erfüllte er die Voraussetzungen für einen Beitritt in der Gilde des Weißen Steins nicht. Es wurden zwei Fürsprecher innerhalb der Gilde benötigt, zusätzlich würden sie selbstverständlich die Gesinnung überprüfen. Diese Anforderungen werden wir in jeder Magiergilde in Alba erfüllen müssen. Wir sollten in naher Zukunft um uns eine Mitgliedschaft bemühen, doch ich halte Thame für keine gute Wahl, zu viel ist in dieser Stadt schon passiert und unser Ruf zu schlecht. Ich würde sehr gerne nach Fiorinde reisen und dort der Gilde beitreten. Vielleicht wird uns unser Weg irgendwann dorthin führen. Ich hoffe es wird nicht mehr allzu lange dauern.
    Schließlich begaben wir uns ans Tor und bald tauchte Mira auf. Sie erzählte uns, sie hätte Meister Cleobolus getroffen. Er würde uns gerne zu Nervan begleiten. Ich wunderte mich, denn es war schon Abend und wer würde des Nachts reisen, außer ihn zwingen die Umstände dazu? Doch der Grund, weshalb er uns am Tor treffen wollte, wurde sogleich aufgeklärt, als er in Begleitung eines jungen Mannes auftauchte. Wir wunderten uns über seinen fehlelenden Wagen, doch er winkte ab und meinte nicht er würde uns begleiten. Er stellte uns den Mann als seinen Enkel Salomon vor. Der Mann war in einen schwarzen, zerfetzten Ledermantel gekleidete, hatte einen ebenfalls schwarzen Schlapphut auf und trug ein Langschwert bei sich. Er war etwa in meinem Alter, von durchschnittlicher Statur und Aussehen. Gray fragte Cleobolus, ob er für uns noch einmal die Sterne gedeutet hat. Und tatsächlich prophezeite uns der alte Mann, dass finstere Mächte sich sammeln und ihr Netzt um uns spannen würden. Das ist auch der Grund, warum er Salomon an unserer Seite wissen möchte. Er ist ein Jäger der finsteren Mächte. Cleobolus war der Meinung, nachdem der junge Mann eine schwierige Zeit durchgemacht hätte, wäre er nun bei uns gut aufgehoben. Nun, da mag er recht haben, trotzdem konnten wir uns eines gewissen Misstrauens nicht erwehren, welches sich noch steigerte als Cleobolus die Heimat Salomons erwähnte: Die Küstenstaaten. Wenig erfreuliche Erinnerungen verbinden wir mit Küstenstaatlern. Doch ich hatte mir vorgenommen, offen zu sein und mich nicht zu verschließen und sollte er tatsächlich ein Gegner finsterer Mächte sein, hatten wir immerhin schon ein gemeinsames Ziel. Gleich zu Beginn erzählten wir Salomon, warum wir ihm mit Misstrauen und Vorsicht begegneten, unterrichteten ihn über die „Regeln“ in unserer Gruppe und alles und jeden, der uns verfolgte und Schaden wollte. Die meiste Zeit über blieb er still und hörte sich an, was wir zu berichten hatten. Da niemand von uns etwas gegen seine Begleitung einzuwenden hatte, verabschiedeten wir uns von Cleobolus und machten uns auf den Weg nach Dun Irensrod.
    Es wurde bereits dunkel und wir kamen nur langsam voran. Dylan und Salomon waren dafür in ein Gasthaus einzukehren, Gray erinnerte sie daran, was letztes Mal passiert war, doch schließlich entschieden wir uns doch, die Nacht nicht im Freien zu verbringen. Doch bevor wir an ein Gasthaus kamen, trafen wir auf Bruna, die uns hinterher geritten war. Es war schon sehr spät, doch wir wurden dank Dylans Bekanntheit noch eingelassen. Am Tisch nahm ich meinen Becher und füllte das Ale vor mir hinein, um auf den Boden des Bechers zu schauen. Zu meiner Erleichterung fand ich dort kein eingeritztes S. Doch nach wie vor war ich vorsichtig und nahm erst einmal nur einen Schluck. Wir erzählten Bruna von den Ereignissen mit Iros und erklärten ihr, wie wir die Aufteilung der Gegenstände dieses Mal gehandhabt hatten. Es folgte eine kurze Diskussion über den Zwergenhammer, den wir in der Binge gefunden hatten, doch schließlich waren wir uns einig, er würde an Vater gehen, um unsere Schulden zu begleichen. Er wird ihm sicher gefallen, ein magischer Steilhammer, besonders effektiv gegen Orcs. Im Verlauf des Gesprächs packte Bruna einen Helm aus, den wir völlig vergessen hatten. Auch dieser würde an Vater gehen. Dafür nahm Bruna das Amulett, welches ihre Wunden schneller heilen ließ, an sich. Zu unserer Erleichterung verbrachten wir eine ruhige Nacht.
    Am nächsten Morgen brachen wir auf. Salomon hatte ich mein Pferd überlassen und ritt zusammen mit Dylan. Ich fragte den jungen Mann nach seinen Gründen für die Jagd der finsteren Mächte, doch er zog es vor zu schweigen und so fragte ich nicht weiter nach, konnte ich ihn doch am besten verstehen. Vielleicht würden wir es eines Tages erfahren. Ich hatte ebenfalls meine Zeit gebraucht, mich der Gruppe anzuvertrauen und noch immer wissen sie nicht alles.
    Nach dem wir eine Weile geritten waren, hörten wir ein Stöhnen aus dem Gebüsch am Waldrand. Umgehend stieg ich vom Pferd und eilte dorthin. Ein Zwerg in schwarzer Kleidung mit einem flammenden Zeichen auf der Brust lag dort, übelzugerichtet, kaum mehr bei Bewusstsein. Ich rief Bruna zur Hilfe und gemeinsam kümmerten wir uns um ihn. Als er wieder bei Sinnen war, stellte er sich an Baldur Schattenbann vor und erzählte uns, dass er ein Bote des Zwergenkönigs von Dvarnaut im Penganniongebirge sei und einen wichtigen Brief für Dvarin Doppelaxt, dem König des Atrossgebirges, bei sich gehabt hatte. Doch er war von zwei Wesen, er war der Meinung Oger, überfallen und niedergeschlagen worden. Nun fehlte das Schreiben, welches er zu Glarn Rabenbart hatte bringen sollen. Das Schriftstück enthält Informationen über eine Hexe, die ihr Unwesen in der Gegend treibt. Normalerweise jagt er Schattenzwerge, doch diesmal hatte er die Wycca, eine menschliche Kreatur der Finsternis, verfolgt, sie jedoch verloren.
    Die Stadt schien und nicht aus ihren Fängen entkommen zu lassen und so bauten wir eine Trage, auf die wir den Zwerg legten, kehrten um und machten uns ein weiteres Mal auf den Weg nach Thame. Am Abend erreichten wir das Tor, betraten die Stadt und begaben uns zum Zwergenviertel. Glarn war verwundert uns so schnell wieder zusehen und wir erklärten ihm den Grund unseres Kommens. Er rief augenblicklich nach jemandem, der sich um den Zwerg kümmern würde und lauschte dann Baldurs Geschichte. Der Besuch auf Nervans Burg würde wohl noch eine Weile warten müssen, denn wir machten es uns natürlich zur Aufgabe, das Schreiben zurückzubringen. Die Oger hatten sich, wenn man den Worten Baldurs Glauben schenkte, in eine verlassene Hochmotte zurückgezogen. Glarn holte eine Karte der Gegend und breitete sie auf dem Tisch aus. Schnell fanden wir den Ort, an den das Schriftstück wahrscheinlich gebracht worden war. Wir verabschiedeten uns und begaben uns in Romildas Herberge, wo wir auf Meister Cleobolus trafen.
    Eine Nacht werden wir in Thame zu verbringen, morgen werden wir uns auf den Weg Richtung Amberford machen, von dort aus, ist es nicht mehr weit zu der verlassenen Hochmotte Norrenshold. Schon wieder wird uns keine Rast gegönnt. Wie sehr wünsche ich mir einfach mal ein paar Tage Ruhe. Die Zeit im Halfdal scheint schon so lange her, so viel ist seitdem passiert. Vielleicht haben wir nach dieser Aufgabe die Möglichkeit auf Nervans Burg etwas zur Ruhe zu kommen, uns zu sammeln und das ein oder andere zu lernen, doch viel Hoffnung habe ich nicht.
    Schon lange wollte ich die Geburtstage der anderen wissen, doch erst jetzt bin ich dazu gekommen, sie zu fragen. Außer Mira war jedoch niemand begeistert von der Idee diese Tage zu feiern. Besonders Gray zeigte wenig Freude, den Tag an dem er geboren wurde, wollte er uns nicht nennen, wir sollten ihm einen beliebigen aussuchen. Welche bitteren Erinnerungen er damit wohl verbindet? Doch bei allem was wir erleben, uns schon wiederfahren ist, sind Momente der Freude und des Glücks umso wichtiger und kostbarer. Und diese Tage sollen von Glück, Freude und Unbeschwertheit erfüllt sein. Gemeinsam mit Mira werde ich mir Mühe geben! Für Bruna werden wir auf Dun Irensrod ein Fest feiern, denn ihr Geburtstag ist heute, am Seachdag, 1. Trideade Wolfsmond.
    Ich habe darüber nachgedacht, wie ich dir oder Vater die Abzahlung unserer Schulden zukommen lasse und bin zu der Entscheidung gekommen, dass ich sie in Dun Irensrod lagern und sobald der Betrag die nötige Höhe erreicht hat, ins Pengannion zu Vater reisen werde. Wenn dieser Zeitpunkt gekommen ist, werde ich dich davon unterrichten, damit du Teck unser Kommen ankündigen kannst.
     
    In Liebe
    Enya
  23. Die Hexe
    An Chelinda,
    am Morgen verabschiedeten wir uns von Cleobolus und machten uns auf den Weg zur verlassenen Hochmotte Norrenshold. Es wäre ein Leichtes gewesen sie zu finden, doch wir wurden durch Hexenkunst in die Irre geführt. Als wir dies begriffen, konnten wir uns von dem Zauber befreien und fanden schließlich an unser Ziel. Wir betraten die Motte durch das Nebengebäude und kamen im ersten Stockwerk in einen Flur. Am Ende des Flures stand ein Tisch mit einem silbernen Kreuz darauf. Augenblicklich kam mir in den Sinn, um was es sich hier handeln musste. Ein Ankoral, an dem etwas gebunden war. Da begannen Salomons Augen in einem weißen Licht zu glühen und er teilte uns mit, dass zwei Dämonen an das Kreuz gebunden waren. Von solch einem Zauber habe ich noch nie gehört, er scheint mir aber durchaus nützlich. Als wir den Gang betraten, erschienen die zwei Dämonen und wir nahmen den Kampf mit ihnen auf. Während wir gegen diese finsteren Kreaturen kämpften, erschien ein Oger aus einer der Türen, doch auch dieses Wesen konnten wir abwehren. Schließlich durchsuchten wir die restlichen Räume, doch von dem Brief fehlte jegliche Spur. Im Erdgeschoss fanden wir jedoch eine Falltür, die wir öffneten. Im Raum darunter befand sich die Hexe, die uns mit ihrem Hexenwerk und einem beschworenen Dämon erwartete. Erschöpft vom letzten Kampf zogen wir uns erst einmal zurück. Während Gray versuchte seine Kräfte durch Meditation wiederzuerlangen, begaben Salomon und ich uns nach oben, um die Umgebung im Auge zu behalten. Nach kurzer Zeit sahen wir eine Ogris auf den Eingang der Motte zu laufen. Wir warnten die anderen und verstellten die Tür. Nach einiger Zeit tauchte jedoch eine Axt aus dem Holz hervor. Schnell packten wir diese, entrissen sie den Händen der Ogris und Dylan schoss mit seiner Armbrust durch das entstandene Loch. Nach zwei Pfeilen floh sie und Salomon und ich nahmen die Verfolgung auf. Nachdem die Kreatur ihr Ende gefunden hatte, entdeckten wir bei ihr einen Mantel aus Zwergenbärten geknüpft. Mit Entsetzten betrachtete ich ihn, denn in den Händen hielt in den Mantel des Ogers von Thame oder vielmehr ein zweites Gewand dieser Art. Wir kehrten zurück und nach einiger Zeit öffneten wir die Falltür, diesmal leise, fanden im Keller jedoch nur den Dämon vor, den wir vernichteten. Um ein Haar wäre uns die Hexe entkommen, denn sie hatte sich hatte sich mit Magie unsichtbar gemacht. Doch wir hörten ihre Schritte auf der Treppe und folgten ihr. Als sie durch Grays Magie schlafend darnieder lag, fesselten und knebelten wir sie. Während Gray und Mira die verbliebenen Räume untersuchten, verhörten Salomon und ich das Hexenweib. Doch als ich nach ihrem Herrn fragte, spürte ich einen Windhauch, als ihre Brust aufriss und sie starb. Ihr finsterer Herr hatte erfolgreich verhindert, dass wir von ihm erfahren. Gray und Mira hatten im Keller neben dem Brief einen verletzten Mann gefunden, um den ich mich sogleich kümmerte. Er stellte sich als Gwyddon ap An vor. Er ist ein Druide aus Clanngadarn und wurde von der Hexe Edris gefangen und ausgefragt. Sein Ziel ist Clydach, ein kleines Dorf nördlich von Norrenshold. Wir boten ihm an, ihn dorthin zu begleiten, denn er war schwer verwundet und konnte sich nicht verteidigen, sollte etwas auf dem Weg passieren. Für unsere Hilfe versprach er uns eine Belohnung. Wir zerstörten das Pentagramm, mit welchem die Wycca den Dämon beschworen hatte und brachen dann auf. Die erste Nacht werden wir wohl im Freien verbringen, denn Salomon weigert sich in der Motte, wo die Hexe ihr Unwesen getrieben hat, zu nächtigen. Auch ich war wenig begeistert von dieser Idee.
    Ich bin froh der Wycca ihr Handwerk gelegt zu haben, doch es erzürnt mich, dass ich nicht den Namen ihres Herrn erfahren habe. In diesem Moment kam ich mir so machtlos gegen die Mächte der Finsternis vor. Noch viel habe ich zu lernen, Mutter. Noch sehr viel.
     
    In Liebe
    Enya
  24. Die Hexe
    An Chelinda,
    als wir in am Deachdag in Clydach ankamen, begaben wir uns in den Apfelkeller, dem einzigen Gasthaus in dem kleinen Dorf. Dort begegneten wir neben zwei könig-albischen Waldläufern, zwei Ordensritter, ein ältere und ein jüngerer. Der Junge hatte seltsame Anwandlungen und rief völlig zusammenhangslos heilige Wörter, Orte und Namen. Ansonsten geschah nichts Außergewöhnliches und das Treffen der Ordensritter verlief ohne weitere Schwierigkeiten. Nach einem Gespräch mit Gwyddon, er konnte mir leider nicht mehr über die Hexe erzählen, gingen wir zu Bett. Am nächsten Morgen gab uns der Druide als Dank einen Heiltrunk mit auf den Weg. Am Mittag des Myrkdag gelangten wir an die Stadttore von Thame. Sogleich begaben wir uns zu Glarn Rabenbart, der uns empfing und unserer Geschichte lauscht. Wir überreichten das verlorengegangene Schriftstück und ich zeigte ihm den Mantel aus Zwergenbärten. Baldur war sehr erleichtert und fragte uns nach seinem Maultier. Salomon hatte jedoch gemeint, er müsse es verkaufen und so stand er wortlos auf, verließ den Raum und kehrte nach einiger Zeit ebenfalls wortlos mit dem Tier zurück.
    Am Ceaddag der zweiten Trideade im Wolfmond kamen wir spät abends in Dun Irensrod an und erklärten Nervan unser spätes Kommen. Er berichtete uns, dass er die Magie, welche auf dem Zwergenbuch lag, noch nicht bannen konnte. Er würde es als nächstes mit einer Kombination aus Magie und Alchemie versuchen. Als wir über unsere weiteren Pläne sprachen, erzählte der Gelehrte uns von dem Jadgfest, welches der Laird Donuilh MacConuilh veranstalten würde. Dort hätten wir die Möglichkeit unseren Ruf und unser Ansehen zu verbessern. Außer bei den Zwergen waren wir nicht gern gesehen in Thame und es wäre gut, wenn sich dies wieder ändern würde. Das Fest beginnt am Sedag der 1. Trideade im Bärenmond. Wir entschlossen die Zeit bis dahin mit Studieren und Kennenlernen der Gegend und ihrer Bewohner zu verbringen. Um die Chance bei unserem Aufenthalt in Dun Irensrod bösen Überraschungen zu erleben zu verringern, erzählte ich Nervan von Sandrina und er versprach den Hauptmann Rensgar davon zu unterrichten. Da fiel mir der Stein ein, den mir Meister Cleobolus mitgegeben hatte und reichte ihn Nervan, woraufhin er ein Spiel hervor holte, mit dem wir uns noch eine Weile beschäftigten. Ich stellte mich gar nicht so schlecht an und gewann gegen Gray und Salomon. Gegen Nervan hatte ich natürlich keine Chance.
    Ich schaue den kommenden Tagen mit Freude entgegen. Es gibt sicher viel zu lernen und zu erfahren. Um einige Dinge werde ich mich noch kümmern müssen, auch wenn sie nicht nur angenehm sind. Das Fest von Bruna steht immer noch offen und bald habe auch ich Geburtstag. Aber ich befürchte die Zeit bis zum Fest wird viel zu kurz sein, um alles zu tun, was ich mir vorgenommen habe.
    Ich freue mich wieder von dir zu hören, es ist schon eine Weile her, dass ich einen Brief von dir erhalten habe. Wahrscheinlich bist du unterwegs und liest diese Zeilen erst, wenn du zurückkehrst. Ich bin gespannt, was du zu erzählen hast.
     
    In Liebe
    Enya
  25. Die Hexe
    An Chelinda,
    die letzten Tage waren erfüllt mit Studieren, Musik und Gesprächen, so dass ich dir erst jetzt schreibe. Mir geht es gut. Ich bin dabei mein Wissen über die arkane Kunst zu erweitern. Ausgerechnet einen Priester der Dheis Albi habe ich dabei als Lehrmeister. Doch Vater Limric ist ein guter Mann, der mich das Bannen von Dunkelheit und das Erschaffen einer Feuerkugel lehrt und mich in der Sprache der Priesterschaft unterweist. Gleich am ersten Tag, als Gray, Salomon und ich eigentlich auf dem Weg zu Tharyn, der Kräuterfrau waren, bat er uns um Hilfe, wir sollten uns um einen Spuk kümmern, der beim Friedhof sein Unwesen trieb. In einem Loch befand sich ein grauenvolles Gespenst, welches uns in Angst und Schrecken versetzte. Sein Blick allein genügte, um einem das Herz vor Angst erstarren zu lassen. Doch was mich noch mit größeren Entsetzten erfüllte, war der Moment, als Gray mit der Todesangst kämpfte und sein Herz drohte zu versagen. Ich hätte ihn beinahe verloren. Ein weiteres Mal. Mit aller Macht versuchte ich ihm Mut zu zusprechen, um ihn nicht vor meinen Augen sterben zu sehen. Mit vereinten Kräften und der Hilfe des Priesters gelang es uns schließlich den Geist zu bezwingen und zu bannen. Der Schock sitzt noch immer in meinen Gliedern. Wie oft werde ihn noch erleben? Wie lange bis sich die Pforten zu Ylathors Reich doch einmal öffnen? Ich hoffe der Tag wird nie kommen. Ich tue mein Bestes um stärker zu werden.
    Die Kräuterfrau empfing uns unwirsch und schickte uns sogleich wieder fort, ohne auf unsere Fragen und Bitten Antwort zu geben. Von Myriel erfuhr ich, dass sie sich aufgrund eines Streits mit einem Druiden zurückgezogen hatte. Doch auch dieses Problem konnten wir lösen, indem wir Haern, den Sohn des Druiden, dazu brachten, sich bei Tharyn im Namen seines Vaters zu entschuldigen. Danach bot auch sie sich als Lehrmeisterin an und ich bekam endlich die Kräuter, die mir schon eine Weile ausgegangen waren. Ich sollte anfangen, sie selbst zu suchen.
    Als wir Morvill einen Besuch abstatteten trafen wir auf ein Mädchen namens Elanor, Anführerin der Wildlinge, einer Gruppe von Kindern. Elanor ist die Tochter von Aethelsbaen, ein Müller und ehemaliger Hexenjäger, den wir, neben dem Wirt Warwick, ebenfalls im Gasthaus kennenlernten. Von ihm erfuhren wir, von den dunklen Gestalten, die im Dorf nach uns gefragt, dem Müller gedroht und sich als Schergen von Thalion ausgeben hatten. Auch er bot sich als Lehrmeister an.
    Im Dorf geschah etwas mit der Runenklinge. Ich trug sie wie immer bei mir, in der Scheide, die ich hatte anfertigen lassen, als sie plötzlich in Flammen aufging und das Leder zu Asche verbrannte.
    Gray, der neben mir gelaufen war, verbrannte das Feuer der Klinge ebenfalls. Erschrocken nahm ich das Schwert in die Hand und spürte die Macht, die ihm innewohnte. Für einen kurzen Moment war es zu einer Flammenklinge geworden, doch die Kraft erschien mir so unkontrollierbar. Ich kümmerte mich um Grays Wunden und entschuldigte mich. Danach hielt er Abstand von mir und auch ich erachtete es für sinnvoll, den anderen nicht mehr zu nahe zu kommen, solange ich die Runenklinge bei mir trug. Es wäre sehr hilfreich, würde Nervan den Bann der auf dem Buch über die Runenklingen liegt, lösen. Vielleicht würde ich dort einige Antworten finden und eine Möglichkeit die Macht der Klinge zu kontrollieren.
    Wie alle anderen sah ich Salomon in der Zeit des Lernens wenig. Doch er überraschte uns, als er eines Tages von den 25 Oring berichtete, die er in Norrenshold gefunden hatte. Er hatte es vergessen und wollte sie nun jedoch aufteilen. Er entschuldigte sich und damit war die Sache für uns erledigt. Bisher ist er nicht negativ aufgefallen, doch ich kann ihn nicht wirklich einschätzen. Nun gut, lange ist er noch nicht bei uns, ich sollte dem noch etwas Zeit geben.
    Ich nutze die Zeit um endlich mit Dylan zu sprechen. Ich teilte ihm mit, was ich von dem Versprechen an Iros hielt und bat ihn in Zukunft solche Versprechen niemandem mehr zu geben. Das Verhältnis der Versprechen war von solch Unstimmigkeit gewesen, Dylan hatte nur verlieren können, Iros hingegen nur gewinnen. Und seine Worte waren letztlich für uns alle von Nachteil gewesen. Er stimmte mir zu, dass es von ihm unüberlegt gewesen war, jedoch würde er es jederzeit wieder tun, wenn sich die Chance dadurch erhöhe, dass ich zu ihm zurückkehren würde. Dazu wusste ich nichts mehr zu erwidern und konnte nur hoffen, dass er das nächste Mal weiser entscheiden würde oder dass es ein nächstes Mal einfach nicht geben würde. Ich machte ihn auch auf sein Verhalten Gray gegenüber aufmerksam und meinte, dass eine Entschuldigung und Dankbarkeit ihm gegenüber angebracht wären.
    Die Tage verstrichen und schließlich brach der Morgen des ersten Tags im Bärenmond an. Beim Frühstück stand Dylan auf und beglückwünschte mich, woraufhin alle anderen folgten. Nein, das stimmt nicht, Gray verließ wortlos den Raum, ebenso Salomon. Dylan überreichte mir eine Schatulle, in welcher sich zwei Ohrringe befanden. Sie glichen dem Paar, von dem ich einen an die Echsenmenschen verloren und den anderen Dylan geschenkt hatte. Gerührt und glücklich bedankte ich mich bei ihm. Nervan wollte am Abend ein Fest feiern, doch ich meinte, dass es besser wäre eine große Feier nach der Jagd zu veranstalten, denn Brunas Geburtstag müsste auch noch gefeiert werden. Als ich mich in unser Gemach begab, um mich für den Tag zu richten, entdeckte ich auf meinen Nachtlager einen Handspiegel, Seife und ein Tuch aus gröberem Stoff. Daneben ein Tuch, in dem die acht Rubine eingewickelt waren.
    Den Tag verbrachte ich bei Vater Limmric. Beim Abendessen war Gray immer noch nicht da, Jaris saß ebenfalls nicht am Tisch. Salomon überreichte mir ein Kästchen, in dem sich ein silbernes Kreuz an einer Kette befand. Auf seiner Rückseite befand sich eine Inschrift auf Neu-Vallinga „Wie Feuer und Flamme“ Salomon meinte, das würde zu mir passen. Überrascht, bedankte ich mich und zog die Kette sogleich an. Dies hatte ich nicht erwartet, freute mich dafür jedoch umso mehr. Gerade als ich das Kreuz angezogen hatte, kamen die Bediensteten herein und brachten einen Kuchen, den Mira gebacken hatte. Ihr Geschenk würde sie mir später überreichen. Es war ein schöner Abend, die Stimmung war ausgelassen und Miras Kuchen sehr gut. Doch einer fehlte: Gray. Nach einiger Zeit begab ich mich auf die Suche und fand ihn schließlich in der Bibliothek. Dort saß er im Schein einer einsamen Kerze. Sein Anblick versetzt mir einen Stich. Ich bedankte mich für sein Geschenk und fragte ihn, ob er uns Gesellschaft leisten würde, doch er weigerte sich, mich zu begleiten. Ich weiß nicht, was geschehen ist, dass er den Tag seiner Geburt mit solch bitteren Erinnerungen verbindet. Als ich ihn ein paar Tage später darauf ansprach, wurde ich um keine Erkenntnis bereichert. Es schmerzt mich, dass er mir dieses Vertrauen nicht entgegenbringt und seine dunklen Seiten nicht teilt, obgleich ich ihn verstehen kann.
    Die Schätze und das Gold lagerte ich bei Nervan, darunter befand sich auch der Helm, von dem wir noch immer nicht wussten, was er konnte oder ob es einfach nur ein einfacher Helm war. Am einem Morgen ging Gray in unser Zimmer und zog ihn auf. Woraufhin er runter auf den Hof stapfte und den Hauptmann Rensgar nach seinem stärksten Mann fragte. Im folgenden Kampf verlor Gray die Kontrolle und hieb auf Rupert, seinen Gegner blindlings ein. Wir versuchten ihn aufzuhalten und nach mehreren Versuchen gelang es mir ihn einzuschläfern, doch der Helm ließ sich nicht von seinem Kopf lösen. Von Salomon erfuhren wir, dass der Helm verflucht war und ich schickte ihn los, um den Priester zu holen. Vater Jaris bannte die finstere Magie, die sich des Helmes bemächtigt hatte und er zerbrach. Zu meinem Entsetzten lagen nicht nur die Stücke des Helmes neben Grays Kopf, sondern auch das zerbrochene Diadem, welches er darunter getragen hatte. Und wieder einmal war durch Grays Neugier etwas geschehen… So viel Wirbel um dieses Diadem und nun ist es unbrauchbar. Ich hoffe, dass der Moment in dem wir seine Zerstörung bitter bereuen, niemals kommen wird. Für die Zukunft wird derjenige, der ein magisches Artefakt ausprobiert, nur dieses bei sich tragen. Bei dem Kampf hatte Rupert Gray einen Arm gebrochen und er würde nun mehrere Tage nicht mehr zu gebrauchen sein. Es waren noch sechs Tage bis zum Jadgfest. Den Göttern sei Dank wusste ich von einem Kraut welches die Heilung des Bruchs beschleunigen würde und fand es auch, so dass Grays Arm nach fünf Tagen, dank meiner täglichen Fürsorge, wieder verheilt war.
    Doch außer Gray galt meine Aufmerksamkeit noch einem anderen Menschen, Jaris, der Tochter von Nervan. Je länger ich sie beobachtete, desto sicherer war ich mir, dass sie schwanger war. Ich sprach ihre Zofe Betty an und sie bestätigte meinen Verdacht. Ich erfuhr das Tachwallon der Vater des Kindes war und dass die zwei ehrliche Gefühle für einander empfanden. Jaris hatte Angst es ihrem Vater zu sagen, denn der Barde war kein Mann von Stand und diese Verbindung wäre Nervans Ruf nicht zuträglich. Doch ich redete mit ihr und überzeugte sie, dass es besser sei, denn irgendwann würde er es ohnehin erfahren. Ich versicherte ihr meine Unterstützung und versprach ihr, dass ich mit ihren Vater nach dem Jadgfest reden würde.
    Bald ist es soweit. Auf das Fest und den Laird bin ich schon sehr gespannt. Ich weiß von ihm nur, dass er einen gewissen Ruf als Wüstling genießt. Ich hoffe wirklich, dass es uns gelingt uns mit ihm gutzustellen, er ist schließlich einer der mächtigsten Männer des Landes.
    Ich bin froh ein paar ruhige, mehr oder weniger sorgenfreie Tage gehabt zu haben, wobei sie nicht wirklich ruhig waren, aber zumindest befanden wir uns mal nicht im Gefängnis, eine verlassenen Zwergenbinge mit 200 Orcs oder einer verlassenen Hochmotte mir Hexen, Dämonen und Ogern.
    So langsam frage ich mich wirklich, in welche fernen Gefilde meine Mutter gereist ist und wann ich eine Antwort erhalten werde.
     
    In Liebe
    Enya
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