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Enyas Briefe

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23. Brief - Cuindag, 1. Trideade Wolfmond


Die Hexe

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Liebste Mutter,

nur wenige Tage sind vergangen und doch hat sich so viel ereignet, dass ich nicht weiß wo ich beginnen soll. Mit der Annahme, die Reise nach Thame und wieder zurück, würde ohne weitere Vorkommnisse und Schwierigkeiten verlaufen, hatte ich mich schwer getäuscht.

Am ersten Abend kamen wir an eine Taverne an der Königsstraße und kehrten ein. Wir hatten bereits für Unterkunft, Speis und Trunk gezahlt, als wir am Tisch saßen und ich mein Ale trank. Ich nahm den letzten Schluck, als das eingeritzte S am Boden des Bechers mir wie ein Dolch ins Auge stach. Augenblicklich warf ich den Becher von mir und übergab mich. Ich verspürte Übelkeit, doch noch zeigten sich keine weiteren Anzeichen einer Vergiftung. Verwundert fragten die anderen nach und ich zeigte auf den Becher. Schlagartig wurde es eiskalt im Raum und Gray ging zum Wirt, packte diesen und brüllte ihn an. Den anderen Menschen in der Taverne befahl er hinaus zu gehen und damit sie seinem Befehl Folge leisteten, ließ er es schneien. Es ging so schnell und noch war ich zu überrascht über die Ereignisse, dass ich ihn nicht aufhalten konnte. Gray und Iros bearbeiten den Wirt solange, bis wir erfuhren, dass Sandrina ihm vor nicht allzu langer Zeit fünf Oring dafür gezahlt hatte, den vergifteten Becher uns zu reichen. Wir forderten unser Geld zurück, Iros nahm die fünf Oring an sich und wir verließen das Gasthaus. Doch zuvor sprach Gray unzusammenhängende arkane Worte und sagte dann dem Wirt, dass er nun alles mitbekommen würde, was in dem Raum passiere. Natürlich war dies völliger Unfug. Draußen standen die Menschen und schauten uns mit angsterfüllten Augen an. Gray teilte ihnen mit, sie könnten wieder hinein, doch niemand bewegte sich. Den Göttern sei Dank, ich hatte schnell genug reagiert, denn das Gift hatte noch nicht begonnen in mir zu wirken. Mit dem Wissen, dass Sandrina in der Nähe war, entschieden wir uns, nicht mehr in Gasthäuser einzukehren und die Nacht durchzureiten. Bis nach Thame machten wir immer wieder kleinere Pausen, doch wirklich schlafen konnten wir nicht. Am Morgen des zweiten Sedag im Wolfmond kam uns ein Trupp entgegen. Es waren Ritter des Sonnenordens, die uns aufgrund der Ereignisse im Gasthaus verhafteten. Gray wollte alleine mit ihnen gehen, doch sie ließen nicht mit sich reden. Das Grays Verhalten Folgen haben würde, hatte ich mir bereits gedacht. Wann wird er lernen, mit der Magie in Alba noch vorsichtiger zu sein und seine Wut besser zu kontrollieren? So kamen wir also in die Ordensritterburg in Thame, die ich eigentlich nie von Innen hatte sehen wollen. Angst überkam mich, ich hatte das Gefühl, der Name Vraidos stand auf meiner Stirn geschrieben. Hinzu kamen meine noch ungefärbten Haare, die ich wieder unter dem Tuch versteckt hatte. Ein weiteres Mal wurden uns unsere Waffen abgenommen. Uns wurden die Augen verbunden, wir wurden gefesselt, geknebelt und in eine Zelle geworfen. Ich konnte und wollte es nicht glauben. Wieder befanden wir uns in Gefangenschaft und hatten und auch noch mit den Ordenskriegern des Xan angelegt. Doch diesmal mussten wir keine sechs Tage ausharren, nach kurzer Zeit kamen ein Ordensritter und eine Frau an unsere Zellentür. Bei der Frau handelte es sich um Arlena NiConuilh, die Vorsteherin der Magiergilde von Thame. Wir übergaben das Schreiben von Nervan und schilderten ihr die Ereignisse aus unserer Sicht. Danach wurden wir wieder entlassen, doch die Sorellis wollte noch ein Gespräch mit Gray über seine Taten führen. Wir bekamen unser Hab und Gut zurück und begaben uns zum Zwergenviertel Thames. Dort erzählten wir Glarn Rabenbart unsere Geschichte und ließen die magischen Artefakte und den Schmuck schätzen.

Und dann begann die Diskussion. Wie erwartet ließ sich das Geld und die Gegenstände nicht einfach so verteilen. Iros wollte das Schild, das Amulett, das Diadem und am liebsten auch noch den Dolch behalten, war aber nicht bereit uns dafür auszuzahlen. Er weigerte sich an die Abmachung, die wir vor Betreten der Zwergenbinge gemacht hatten, zu halten. Er war der Meinung, das Diadem war bei ihm am besten aufgehoben und ließ keine andere Meinung zu. Stundenlang diskutieren wir. Es war so ermüdend, Iros zeigte keinerlei Einsicht. Mira hatte sich zu Beginn der Diskussion verzogen und kam erst zurück, als wir zu einer Einigung gekommen waren. Noch immer war Iros uneinsichtig und nicht bereit sein eigenes Verhalten zu überdenken, stattdessen beschuldigte er uns neidisch auf ihn zu sein und ihm die magischen Artefakte nicht zu gönnen. Vergeblich versuchte Gray ihn vom Gegenteil zu überzeugen und ihm die Unsinnigkeit seiner Worte vor Augen zu halten. Altes wurde wieder auf den Tisch gebracht, doch es brachte uns nicht weiter. Schließlich gab Iros nach und die Gruppe sollte über den Träger des Diadems bestimmen.

Als Mira wieder zu uns stieß, berichteten wir ihr kurz, was vorgefallen war und dann ergriff Gray das Wort. Er sprach mir aus der Seele, als er Iros mitteilte, dass er solche Diskussionen in Zukunft nicht mehr führen wollte und dass er seine Drohung, die er damals ausgesprochen hatte, wahr machen würde. Ein Gruppenmitglied, welches sich nicht gruppendienlich verhielt, im Gegenteil, gegen die Gruppe agierte, könnten wir nicht tragen. Mira versuchte noch einmal einzulenken, doch die Entscheidung war gefallen. Als ich versuchte etwas zu sagen, fuhr mir Iros über den Mund und behauptete, dass wir uns noch nie verstanden hätten, er könne mich nicht ausstehen und ich ihn nicht. Viel konnte ich dazu nicht mehr sagen. Er hatte mich nie verstanden, er hatte es nicht einmal versucht. Nicht ihn akzeptierte ich nicht, sondern sein Verhalten. Schrecklich war das Gefühl in dem Moment, ich sah wie schwer es Gray fiel, dies Iros zu sagen. Auch ich hätte mir etwas Anderes gewünscht, doch es würde sich nichts ändern. Es war die richtige Entscheidung gewesen und jetzt da sie getroffen wurde, erfüllte mich neben der Bedrückung auch Erleichterung. Da ergriff Dylan das Wort. Da er ein Versprechen Iros gegenüber gemacht hatte, mich jedoch nicht verlassen wollte, bot er ihm an, seine Schulden zu übernehmen. Zuerst weigerte sich Iros und verlangte von ihm, ihn nach Chryseia zu begleiten. Doch Dylan meinte, er würde nicht von meiner Seite weichen und wenn er dafür wortbrüchig werden müsste. Schließlich einigten sie sich und Iros verlangte seine Ausbezahlung. Wir gaben ihm seinen gerechten Anteil, doch dies war ihm nicht genug. Er verlangte auch noch die Runenklingen schätzen zu lassen. Doch sie waren von unschätzbarem Wert, so dass wir nur den Materialwert der zerbrochenen Klinge nahmen und ihm auch noch davon einen Anteil gaben. Zorn wallte in mir auf über Dylans dummes Versprechen und Iros Gier nach Geld. In meinen Augen waren die Runenklingen etwas, was man nicht mit Gold aufwiegen konnte. Schließlich waren sie von unschätzbarem Wert und erwählten ihren Träger selbst. Iros Argument für Entschädigung, er könnte ja der Träger sein, sollte die Klinge wieder ganz werden, hatte keinen Wert. Sollte das Schwert ihn tatsächlich wählen, würde sie zu ihm gelangen. Aber ich bezweifelte stark, dass die Klinge solch einen Träger erwählen würde. Wie konnte solch ein egoistischer, gieriger Mensch ein Segen für die Menschheit sein?

Dann war es an der Zeit getrennte Wege zu gehen und wir forderten die Artefakte, die er noch bei sich trug. Es wunderte mich nicht, dass er sich weigerte sie herauszugeben. Er wollte uns dafür bezahlen, doch wir meinten, diese Gegenstände gehörten der Gruppe, wie ausgemacht und er hatte seinen Anteil, der ihm zustünde und noch mehr, bekommen. Als er sich zur Tür wendete, waren Gray und ich sofort bereit und nach ein paar arkanen Worten und Gesten von Gray sackte Iros zusammen und lag schlafend am Boden. Es tat mir leid, zu solch Mitteln greifen zu müssen, ja es beschämte mich, aber nach all den Ereignissen mit Iros, Bernardo, Sandrina, Udele, war in uns kein Raum mehr für Gnade und Nachsicht. Mira nahm ihm das Amulett ab, das Diadem hatte Gray zuvor an sich genommen. Doch als sie den kleinen Schild versuchte von Iros Arm zu lösen, wachte er auf und brüllte. Glarn war verwundert und fragte, was das Wirken von Magie in seinem Hause sollte. Wir erklärten, dass wir versuchten die Sache auf eine friedliche Art ohne Blutvergießen zu lösen. Gray schläferte Iros ein weiteres Mal ein und ich stellte mich an die Tür. Als Mira ein zweites Mal versuchte an das Schild zu kommen, gebot ihr Glarn Einhalt. Er wollte es anders regeln, stellte sich breitbeinig über Iros und weckte ihn. Er befahl ihm, uns unseren rechtmäßigen Besitz zu überreichen und dann ohne Weiteres sein Haus zu verlassen. Iros nahm das Schild, warf es von sich und stürmte wutentbrannt durch die Tür. Stille, Zorn und Schwermut füllten den Raum, welchen Iros verlassen hatte.

Mira, Gray und ich regelten die restliche Verteilung des Goldes und der Gegenstände. Wir beschlossen, dass jeder in der Gruppe den Stirnreif einmal tragen würde und wir dann entscheiden würden, bei wem er am besten aufgehoben war. Wir waren uns einige und es gab keine Diskussionen mehr. So waren wir recht schnell fertig und begaben uns in die Stadt, um noch ein paar Besorgungen zu machen, bevor wir wieder nach Dun Irensrod aufbrachen. Da wir nun für längere Zeit in Nervans Burg bleiben würden, ließ ich mir meine Haare wieder färben.

Dann begaben wir uns in die Magiergilde, denn dort wartete Arlena NiConuilh bereits auf Gray. Mira verabschiedete sich und wir vereinbarten uns am Tor zu treffen. Nun sitze ich hier und warte darauf, dass Gray zurückkommt.

Wir sollten dafür sorgen, dass sich unser Ruf in Thame bessert. Gray hat nicht gerade in diesem Sinne gehandelt. Dass wir solch eine Begegnung mit dem Orden der Sonnenritter hatten, kann nichts Gutes bedeuten. Gray…Ich hoffe, er wird lernen seinen Zorn zu bändigen, es könnte uns eines Tages wirklich in Schwierigkeiten bringen. Was kann ich tun, um dies zu verhindern, ihn und uns zu schützen? Nun, irgendeinen Weg wird es geben. Nach all den Ereignissen ist mir noch einmal bewusst geworden, wie wichtig mir Gray, Mira und natürlich Dylan geworden sind und wie stark das Band zwischen uns geworden ist. Ohne sie und das gegenseitige Vertrauen würde ich das alles nicht durchstehen. Mich freut es, dass du sie kennenlernen möchtest. Ich hoffe die Gelegenheit ergibt sich bald.

Ich werde einen Teil der Schulden abbezahlen, doch muss ich noch einen sicheren Weg finden, sie dir oder Vater zukommen zu lassen. Das restliche Gold wird bald folgen. Mit Dylan muss ich diesbezüglich noch ein Wörtchen reden…

Sobald wir in Dun Irensrod angekommen sind, werde ich Ihn rufen und um Unterweisung bitten. Von Udele und Samiel werde ich Ihm ebenfalls berichten. Wenn finstere Mächte am Werken sind, kann Er mir vielleicht auch etwas zum Herrn der Nebenberge sagen.

„Nur durch Vertrauen kann man neue Freunde gewinnen.“ Mutter, es fällt mir schwerer den je den Menschen, auf die wir treffen, nicht mit Misstrauen zu begegnen, sondern ihnen zu vertrauen. Zu viel ist in der Vergangenheit passiert. Erst Bernardo, dann Sandrina, die wie ein Schatten über uns schwebt und uns nicht ruhig schlafen lässt. Wegen Udele ist Thame für uns ein Ort, den wir besser meiden sollten. Und schließlich Iros. Immer wieder habe ich versucht, mir mit ihm eine Chance zu geben, doch ich habe es nie geschafft ihm zu vertrauen. Er hat das bedroht, was mir teuer war, den Zusammenhalt der Gruppe. Er hat uns benutzt und war am meisten auf seinen Vorteil bedacht. Ich dachte, nach dem Gespräch im Halfdal würde sich etwas ändern, doch ich hatte mich getäuscht. Und nun gehen wir getrennte Wege. Der „Abschied“ war grauenvoll und hinterlässt eine bittere Erinnerung. Ich möchte kein Mensch werden, der anderen misstraut. Ich möchte nach wie vor an das Gute glauben. Aber wie weiß ich, wem ich vertrauen kann? Wie oft werde ich noch enttäuscht werden? Und wie oft kann ich die Enttäuschung ertragen, bis ich mein Herz verschließe?

 

In Liebe

Enya

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