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Ithilwen

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Blogbeiträge von Ithilwen

  1. Ithilwen
    Es fing vermutlich damit an, dass ich das Halfdal verließ. Ich tat dies guten Mutes – meine Ausbildung war fast abgeschlossen, und nun zog ich aus, um die Welt der Großen zu erforschen. Mein treues Pony, Gundel, trug meine Vorräte, denn Odur Habustin, ein Cousin siebten Grades des Schwagers meiner Cousine, hatte mir in seinen zahlreichen Briefen aus der Fremde immer wieder berichtet, dass die Essgewohnheiten der großen Leute doch sehr zu wünschen lassen. So hatte ich Gundel alles aufgeladen, was ich bekommen und sie tragen konnte. Leider reichte es nur für etwa die Hälfte der Strecke nach Twyneward – dort wollte ich mich zunächst nach Reisegefährten umsehen, denn so ganz allein wollte ich dann doch nicht reisen. Schließlich macht kochen gleich nochmal so viel Spaß, wenn andere Leute mitessen.
     
    Nach etwa zwei Wochen Reisezeit, auf der mich viele Leute komisch angesehen hatten, wenn ich mich zum zweiten Frühstück, Mittagessen oder Fünf-Uhr-Tee auf meinem Tischtuch am Straßenrand niederließ, woraufhin ich ihnen etwas zu essen angeboten hatte, was sie aber ausnahmslos ablehnten – wirklich sehr unhöflich, diese großen Leute – erreichte ich Twyneward. Es stellte sich auch schnell heraus, dass einer der Gastwirte, Baldred, zur Zeit auf der Suche nach einer Köchin war. Dieser stellte mich auch prompt ein, so dass ich zunächst einige Zeit in seinem Gasthaus verbrachte.
     
    Eines Tages war eine große Zauberer-Vorstellung im Gasthaus angekündigt, wohl auch um ein wenig mehr Kundschaft anzulocken. Ich war sehr gespannt: Einen Zauberer sieht man nun einmal, gerade im Halfdal, nicht alle Tage. Das Gasthaus füllte sich dann am entsprechenden Abend auch recht früh, die Gäste waren gemischt, einige Zwerge waren da, ein paar seeehr große Menschen – man sagte mir, es seien Waelinger, wo auch immer die herkommen mögen – viele Einwohner von Twyneward, und auch einige Abenteurer auf der Durchreise entdeckte ich. Ich nahm mir gleich vor, sie später nach ihrem Ziel zu fragen, und ob ich mich ihnen vielleicht anschließen könnte.
     
    Doch zunächst galt es, den Durst der Gäste zu stillen – Hunger schien merkwürdigerweise keiner zu haben – und dann die Vorstellung zu genießen. Ich bemühte mich also nach Kräften, alle Gäste zu bedienen, bevor es losging, aber irgendwann war einfach kein Durchkommen mehr für mich, da es viel zu voll war in der kleinen Stube. Endlich saßen alle, die Vorhänge wurden zugezogen, es wurde dunkel. Dann plötzlich, mit einem lauten Knall und einem grellen Lichtblitz, erschien ein Mann auf der Bühne. Er trug ganz eindeutig einen Zauberermantel, mit vielen glitzernden Sternen drauf, und einen spitzen Hut, den er festhielt, während er sich übertrieben gestikulierend verbeugte und sich als „der größte Zauberer aller Zeiten“ vorstellte. Mehr konnte ich nicht erkennen, da ich ganz hinten an einem Tisch saß. Die vordersten Tische waren von den Abenteurern, den Waelingern und den Zwergen besetzt, die Waelinger und die Zwerge hatten schon einiges an Bier getrunken.
     
    Nach einigen doch recht amüsanten Tricks erklärte der größte Zauberer aller Zeiten, dass er vorhabe, seine Kunst im Messerwerfen zu demonstrieren – eine höchst fragwürdige Kunst, wenn ihr mich fragt. Messer sind dazu da, damit zu essen, nicht zum werfen. Er sprach eine junge Frau aus der Abenteurergruppe an, die sich nach kurzem Zögern als Freiwillige bereiterklärte. Sie drückte einer anderen Frau ein kleines Päckchen in die Hand, das sie aus ihrem Rucksack geholt hatte, sobald vom Messer werfen die Rede gewesen war, und murmelte ihr etwas zu. Der Zauberer, nein, Verzeihung, ich meinte natürlich der größte Zauberer aller Zeiten, grinste breit, soweit ich das beurteilen konnte. Die junge Frau – sie zählte vielleicht 16 Jahre – stellte sich vor die Wand. Das Publikum wurde merklich unruhig, aber sie hielt still. Glücklicherweise. Denn die Messer schlugen dicht neben ihrer Hüfte ein – erst eins neben ihrer rechten Schulter, dann eines neben ihrer linken Schulter, und zu guter Letzt warf der Zauberer zwei Messer gleichzeitig mit einer Hand, und diese bohrten sich auf beiden Seiten ihrer Hüfte mit etwa 2cm Abstand in die Wand. Ein riesen Applaus brach los. Er verbeugte sich, bedankte sich bei seiner Assistentin, die ihn breit angrinste und sich wieder hinsetzte, dann kündigte er eine Pause an.
     
    Ich beeilte mich, den Gästen neue Getränke zu bringen, einige gingen hinaus, um ein bisschen frische Luft zu schnappen, darunter auch die freiwillige Assistentin, andere begrüßten Bekannte aus der Stadt, die sie eben erst entdeckt hatten. Zu den Abenteurern hatte sich ein Mann in einer Blechbüchse gesellt, der sich angeregt mit einer Frau aus der Gruppe unterhielt, die in eine ebensolche Blechdose gekleidet war. Wirklich merkwürdige Angewohnheiten. Wobei diese zwei nicht die ersten Menschen waren, die ich so gekleidet sah. Einer der Abenteurer, jetzt, wo ich genauer hinsah und auch etwas näher war, erkannte ich, dass er spitze Ohren hatte, unterbrach die Blechbüchse, scheinbar erbost. Aus Odurs Briefen wusste ich, dass es sich um einen Elfen handeln musste. Ich betrachtete auch die anderen etwas genauer und entdeckte, dass auch zwei der Frauen Elfen waren. Eine dritte Frau sah sehr fremdländisch aus, ihre Augen waren wie zu Schlitzen verengt, sie war sehr blass. Eine weitere Frau war dabei, die ich auf den ersten Blick als Albai einschätzte – an ihr war nichts besonders auffälliges. Ein Junge saß noch am Tisch, scheinbar ebenfalls Albai, und richtete sich offensichtlich, auch wenn er sich dessen vielleicht selbst nicht gewahr war, nach der fremdländischen Frau, hörte ihr aufmerksam zu, wenn sie sprach, und ahmte sie in manchen Gesten nach.
     
    Ich hatte keine Gelegenheit, mit ihnen zu sprechen, bevor es weiterging. Diesmal fragte er das Publikum danach, wie viel Seidenstoff sich ihrer Meinung nach im Kopf eines der Waelinger finden würden. Er begann tatsächlich, dem Waelinger Stoff aus einem Ohr zu ziehen. Dann ging plötzlich alles ganz schnell. Ich sah nur, wie der Waelinger ausholte, dann brach eine Schlägerei los, die zunächst nur die Waelinger und die Zwerge betraf, kurz darauf mischten sich die Abenteurer ein, wobei sie hauptsächlich versuchten, Zwerge, Waelinger und den Zauberer auseinanderzuzerren, und auch ein Gnom sprang von der Bühne, wo der auf einmal herkam, wusste ich nicht. Die anderen Gäste, zum Teil schon recht betrunken, ließen sich nicht lange bitten und stürzten sich mit ins Handgemenge. Sehr unzivilisiert, diese großen Leute. Ich versuchte zu retten, was zu retten war – im Wesentlichen war das der Bierkrug, der vor mir stand – und verkroch mich hinter dem Tresen. Den Wirt sah ich gerade aus der Tür laufen, vermutlich war er auf dem Weg, die Stadtwache zu holen. Auf einmal sah ich ein gleißend helles Licht, doch es gelang mir, die Augen abzuwenden, bevor ich gar nichts mehr sehen konnte. Ich sah, wie die Abenteurer sich das ganze ansahen, feststellten, dass sich jetzt alle gezwungenermaßen wieder recht friedlich verhielten, und sich zur Tür hinausschoben.
     
    „Hey, wartet kurz!“ Ich lief ihnen hinterher. Das Mädchen, die Assistentin, drehte sich zuerst zu mir um und sah mich fragend an. „Könnt ihr nicht hierbleiben? Die da drinnen“ – ich deutete mit dem Daumen nach hinten „sind zwar im Moment außer Gefecht gesetzt, aber ich glaub nicht dass das so lange hält…“ Alle sahen den Magier an, der auf den Gnom gestützt stand, was recht ulkig aussah. „Nein, das geht nicht…“ meinte der. „Könnt ihr nicht wenigstens dableiben, bis die Stadtwache kommt?“ „Was? Die Stadtwache? Oh nein, können wir bitte schnell verschwinden?“ „Warum denn? Was hast du denn ausgefressen?“ Das wär das Mädchen. „Das… äh… ist eine lange Geschichte, die ich euch später mal erzählen kann. Jedenfalls würde ich ungerne der Stadtwache begegnen. Können wir also los?“ Nachdenkliche und verwunderte Blicke wurden getauscht. Ich schaltete mich wieder ein. „Ihr könnt ja auch oben auf dem Zimmer warten… Und ich hol euch dann wenn was ist. Eigentlich habe ich eh nach so Leuten wie euch gesucht. Eigentlich will ich nämlich Abenteuer erleben!“ Zweifelnde Blicke. „Na kommt, ihr könnt jedenfalls nicht ohne was zu essen gehen. Ihr könnt es euch ja auf eurem Zimmer gemütlich machen, und ich bringe euch was hoch.“ „Na komm schon, Marcello!“ Der Gnom sah den Zauberer erwartungsvoll an. „Na schön. Aber ihr sagt keinem, dass ich da bin, ja?“ Ich nickte. Ich war auch furchtbar neugierig, warum er nicht wollte, dass die Stadtwachen ihn sahen, aber erstmal war ich froh, dass ich sie überredet hatte, zu bleiben.
     
    Auf dem Zimmer stellte ich mich erst einmal vor und fragte sie nach ihren Namen. Der Zauberer hieß, wie ich schon mitbekommen hatte, Marcello, „Der größte Zauberer aller Zeiten“, der Gnom, scheinbar sein Helfer, hieß Elwedritsch, die fremdländische hieß Mirai Reina, wurde aber Reina genannt – sehr komisch, zuerst den Nachnamen zu nennen, wenn ihr mich fragt - der Elfenmann hieß Ganymed, das Mädchen Guineth – hier klingelte bei mir schon irgendeine Glocke, die ich aber nicht zuordnen konnte – die Elfenfrauen Ithilwen und Niphredil, die Blechbüchse Terra de Soel, der Junge Farand, die albische Frau Cliona. Und da wusste ich es dann, woher sie mir bekannt vorkamen: Odur hatte mir von ihnen geschrieben! Er war ihnen in Haelgarde begegnet, wenn ich mich recht erinnerte. So ein Zufall! Ich fragte sie gleich nach ihrer Begegnung mit ihm aus, und nach ihrer Reise, was sie wohl recht lustig fanden. Doch rasch besann ich mich auf meine Gastgeberpflichten und ging hinunter, um etwas zu essen zu holen. Unten war die Stadtwache bereits eingetroffen und führte Befragungen durch. Auch ich wurde abgefangen und befragt, verschwieg ihnen aber, dass der Zauberer, nach dem sie suchten, oben im Zimmer war. Sie fragten mich auch danach, wer denn mit Messern beworfen worden sei, und ich gab ihnen die Auskunft, dass das betreffende Mädchen noch oben sei. Ich bot ihm an, Guineth holen zu gehen, gab ihm noch etwas zu essen und ging wieder hoch, wobei ich ganz vergessen hatte, dass ich ja auch etwas zu essen mit hoch bringen wollte.
     
    So begleitete ich Guineth wieder nach unten, holte etwas zu essen für alle anderen und trug es hoch, während sie sich der Wache gegenüber niederließ. Die anderen erzählten mir begeistert von ihren Abenteuern, unterbrachen sich manchmal gegenseitig und schienen viel Spaß an der ganzen Sache zu haben. Einige Zeit später kam auch Guineth wieder hoch, ein bisschen rot im Gesicht. Sie verkündete, dass die Stadtwachen abgezogen wären und jetzt planten, die Stadttore kontrollieren zu lassen, damit ihnen der Magier nicht entkommen konnte, auch wenn sie es wohl geschafft hatte, der doch nicht sehr intelligenten Wache irgendwie klarzumachen, dass Marcello sie mit den Messern nicht hatte treffen wollen, dass es eine Show gewesen war.
     
    Jedenfalls wurde beschlossen, dass man sich doch besser schnell auf den Weg machen sollte. „Ich darf doch mit, ja?“, bettelte ich. „Ich koche auch für euch!“ Seufzen, Schulterzucken, neugierige Blicke von Farand, dem Jungen, dann, ohne dass man wirklich darüber gesprochen hatte, ein Nicken von Niphredil. Strahlend machte ich mich auf, um dem Wirt zu erzählen, dass ich ihn jetzt alleine lassen würde mit seiner kaputten Gaststube und meine Sachen zu packen. Drei Pfund Brot, ein Schinken, Salz, Mehl, Eier wären auch ganz gut, aber wie sollte man die transportieren? Kochgeschirr, jede Menge Möhrchen, ein paar Kräuter, Tuffeln, und noch einiges mehr wanderten in die Packtaschen. Der gute Baldred, der Gastwirt, nahm die Neuigkeiten halbwegs gelassen auf: Er sah wohl ein, dass hier im Moment für mich ohnehin nichts zu tun war, nahm mir aber das Versprechen ab, wenn ich wieder in die Gegend kommen sollte mal vorbeizukommen. Das gab ich ihm gern, er war ein sehr netter Mann und hatte im Gegensatz zu einigen anderen großen Leuten vollstes Verständnis dafür, dass am Tag sechs Mahlzeiten nötig waren. Er erlaubte mir auch, von den Vorräten so viel mitzunehmen wie ich, oder vielmehr wie Gundel, mein Pony, tragen konnte.
     
    Während ich also mit Packen beschäftigt war, hatte Marcello sich in ein Tagelöhner-Kostüm geworfen – ich erkannte ihn wirklich nicht wieder - wir machten uns sofort auf den Weg und passierten noch ungehindert die Stadttore, und so begann meine Abenteuerreise...
  2. Ithilwen
    [spoiler=Wächter der steinernen Flamme]
    Wir machten noch einen Umweg über das Dorf, um dort einmal nach dem Rechten zu sehen. Unglücklicherweise war der Wirt im Laufe des Morgens ebenfalls ermordet worden. Das Schlimmste befürchtend, eilten wir zum Köhler zurück. Niphredil sagte das Losungswort, und man lies uns ein. Dort sah es ziemlich übel aus. Es lebten noch alle, aber sie waren totenbleich, husteten und hielten sich den Bauch, als hätten sie Krämpfe. Rasch trieb Niphredil das Gift aus ihren Körpern, das sich dort eingenistet hatte. Dann hieß sie Marcello berichten. „Es muss das Wasser gewesen sein“, meinte der. „Wir hatten Durst, also haben wir Wasser aus dem Brunnen vor dem Haus geholt. Wir alle haben davon getrunken.“ Niphredil und Reina sahen sich den Brunnen genauer an und stellten fest, dass Marcello recht hatte. „Er muss hier in der Nähe sein. Wahrscheinlich wartet er, bis seiner Meinung nach alle an dem Gift gestorben sind. Alle, die noch Schlüssel haben, sind jetzt hier.“ Das war Ganymed. „Wir glauben, er ist unsichtbar, oder?“ Elwedritsch war es, der das fragte. Einige nickten. Das war mir zwar neu, aber sie schienen sich da sehr sicher zu sein. „Damit wir ihn bekämpfen können, müssen wir es also erstmal schaffen, ihn sichtbar zu machen, ja?“ Wieder nickten einige. „Gut, ich habe eine Idee. Ich glaube“ - er wandte sich zu den Dörflern - „es wird Zeit, euch jemanden vorzustellen.“ Was hatte dieser Gnom vor? Er ging mit Cliona hinaus, wobei er in einem merkwürdigen Dialekt, der ihr wohl auch geläufig war, auf sie einredete. Sie verschwanden hinterm Haus und klopften kurze Zeit später wieder an die Tür. „Also,“ begann Elwedritsch, „ihr braucht euch jetzt nicht erschrecken. Er ist ein ganz lieber.“ Und hinter ihm trat unser Skelettfreund ein. Trotz der Vorwarnung fasste der Köhler nach seinem Hammer, doch Reina fiel ihm rechtzeitig in den Arm. Ganz wohl war den Dörflern allen nicht, aber zumindest fürs erste verhielten sie sich ruhig. Und dann erklärte uns Elwedritsch seinen Plan.
     
    Etwa eine Stunde später verließ der Köhler das Haus mit zwei Eimern, den Schlüssel gut sichtbar über dem Hemd, unter dem die Rüstung verborgen war. Als er etwa hundert Meter weit gekommen war, hörte man ein dumpfes „Plock“, wie wenn ein Armbrustbolzen auf eine Rüstung trifft, und ein lautes Scheppern. Teil 1 des Plans hatte funktioniert. Elwedritsch saß am Guckloch und beobachtete die Szene. In der Hütte war es mucksmäuschenstill. Nach etwa zwei Minuten gab es nochmal ein lautes Scheppern, Elwedritsch schnippste mit den Fingern, die Tür flog auf und sämtliche Nah- und Fernkämpfer, die einigermaßen schnell im Wald vorwärtskamen, preschten vorwärts. Das als Köhler verkleidete, mit Kissen ausgestopfte Skelett hatte sich aus dem Staub gemacht, aber von der Stelle wo es gelegen hatte, bewegte sich ein Schwarm Fliegen sehr schnell von uns weg. Ithilwen und Ganymed waren die ersten, die dem Fliegenschwarm folgten, Ganymed beschleunigt und den Fliegen folgend, Ithilwen den Spuren und Ganymed folgend. Elwedritsch wandte sich zum verbleibenden Publikum um: „Das war Teil 2 und 3. Jetzt will er sich bestimmt im See waschen gehen, aber das wird ihm auch nichts nützen.“ Der Schlüssel, den das Skelett umgehabt hatte, war mit Fliegensalz bestreut gewesen. Und dagegen half eben auch Waschen nicht.
     
    Wir schlenderten gemütlich zum See, wobei wir die Schlüsselträger anwiesen, im Haus des Köhlers zu bleiben. Wir konnten nur hoffen, dass der restliche Teil des Plans ebenso gut laufen würde, wie der Anfang. Am See angelangt sahen wir gerade noch, wie aus einem der nahe am Ufer stehenden Bäume ein Pfeil in Richtung der Insel, die sich mittem im See befand, schwirrte. Mit erheblich mehr Krach, als bei einem Pfeil der Fall sein sollte, traf der Pfeil auf einem Felsen auf der Insel auf und explodierte in einer Feuerkugel. Als ich genauer hinsah glaubte ich, einen Haarschopf hinter dem ehemaligen Felsen hervorlugen zu sehen, der eilig eine andere Stellung bezog. Sekundenbruchteile später ließen sich Ganymed und Ithilwen aus verschiedenen Bäumen herunter und rannten in entgegengesetzte Richtungen, um ihrerseits neue Stellungen zu beziehen. Dermaßen in die Zange genommen, konnte der Mörder nicht entkommen! Es hagelte noch einige Pfeilschüsse, bis sich das Ziel nicht mehr regte. Mit gebührender Vorsicht und dem Boot der Müllersleute gelangten Ithilwen und Niphredil zuerst auf die Insel. Niphredil verkündete offiziell den Tod des Thanaturgen. Wir nahmen ihm seine Sachen ab, unter anderem drei Schlüssel, und schafften ihn ins Dorf, während die verbleibenden Schlüsselträger informiert wurden, dass sie jetzt wieder sicher seien. Der Thanaturg, der am ganzen Körper tätowiert war, wurde verbrannt - um auch ganz sicher zu gehen, dass er tot war - und vereinbarten mit der Schmiedin, dem Köhler, Cordowan und unserem Skelettfreund, der sich wieder im Wald versteckt hatte, ein Treffen zwei Stunden vor Mitternacht, bei der „steinernen Flamme“, jenem merkwürdig geformten Stein im Wald, bei dem die Schlüsselträger sich jeden Neumond trafen. Dort sollte dann irgendwas passieren, irgendein Tor oder so sollte aufgehen, unser Skelettfreund war scheinbar der einzige, der genau bescheid wusste, und der konnte nunmal nicht mit uns reden.
     
    Ein bisschen unheimlich war es schon. Das Skelett hatte uns zu verstehen gegeben, dass wir etwas zum Graben mitnehmen sollten, und so fingen wir um 10 Uhr an, die „steinerne Flamme“ auszugraben. Eine Viertelstunde vor Mitternacht hatten wir den Stein soweit freigelegt, dass unser Skelettfreund zufrieden war. Gespannt warteten wir die letzte Viertelstunde. Um Punkt Mitternacht begann der Stein, Konturen zu bekommen, die vorher nicht dagewesen waren. Nach kurzer Zeit erkannten wir, dass es sich um Schlüssellöcher handelte. Wir nahmen die Schlüssel zur Hand und steckten sie in die Schlösser. Sie passten problemlos und ließen sich leicht drehen. Als alle Schlüssel an ihrem Platz waren, verschob sich ein Teil vom Stein, es erschien ein Durchgang, der in den Stein hineinführte. Wir gingen hinein. Vor uns standen sieben Säulen, auf denen jeweils ein dickes Buch lag. Neugierig näherten wir uns den Säulen und betrachteten die Bücher. Cliona schlug eines auf und meinte: „Das ist Maralinga!“ Sie blätterte ein paar Seiten um und las immer mal wieder ein paar Sätze, dann meinte sie: „Hier kann man ganz viele Zauber draus lernen, die sollten wir auf jeden Fall mitnehmen.“ Wir klemmten uns die Bücher unter den Arm und verließen die „steinerne Flamme“. Draußen stellten wir fest, dass unser Skelettfreund zu Staub zerfallen war, und nur die Rüstung lag noch dort. Wir begruben ihn an Ort und Stelle, dann kehrten wir wieder ins Dorf zurück.
     
    Am nächsten Morgen wurden wir Zeugen davon, dass Cordowan Dara einen Heiratsantrag machte. Er hatte ihr zwar keine Blumen und auch keinen Ring mitgebracht, aber es war trotzdem sehr süß. Von den Büchern wollten die Schlüsselträger nichts wissen, und so behielten wir sie. Wir machten uns dann auch recht schnell auf den Weg, obwohl Dara uns bat, bis zu ihrer Hochzeit zu bleiben. Zu viele unerfreuliche Dinge waren hier geschehen, und wir wollten lieber weiterziehen.
     
     
  3. Ithilwen
    [spoiler=Wächter der steinernen Flamme]
    Ein lautes Pochen, Geschrei, laute Stimmen, grelles Licht. Ich schreckte aus einem Alptraum hoch, als jemand mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden neben mir zum liegen kam. In Panik wollte ich schon dem erstbesten eine Eisbirne verpassen, als ich erkannte, dass alle, die hier waren, meine Freunde waren. Neben mir lag Ganymed, über den sich Niphredil beugte, die hastig sämtliche mir bekannten und noch einige weitere Heilsprüche herunterrasselte. Ich sah genauer hin und erkannte, dass Ganymed den ganzen Hals mit Blut vollgeschmiert hatte, und auch Niphredils Hände waren voll davon. Eine Wunde konnte ich jedoch nicht mehr entdecken. Was war geschehen? Sie waren doch auf einem Baum gewesen - war Ganymed heruntergefallen und hatte sich dabei einen Ast in den Hals gerammt?
     
    Alle Leute - und wir waren viele Leute, wenn ihr euch erinnert - schrien wild durcheinander, wollten wissen, was passiert war, suchten im Durcheinander nach ihren Waffen. Als Niphredil scheinbar auch ihr Repertoire an Heilzaubern erschöpft hatte, berichtete sie. „Ich habe geschlafen, als Ganymed mich plötzlich wachgerüttelt hat und nur so komisch gegurgelt hat. Ich war noch nicht ganz wach, deswegen habe ich nicht so richtig verstanden, was los war. Dann habe ich gesehen, dass ihm ein Armbrustbolzen im Hals steckte! Irgendjemand hat im Dunkeln auf uns geschossen, und er hat auch noch genau getroffen, obwohl wir verdeckt im Blätterdach von einem Baum saßen! Ich habe keine Ahnung, wie er das gemacht hat, aber er muss verdammt gut sein. Und er muss Infrarotsicht haben, sonst hätte er das niemals hinkriegen können. Ich wette mit euch, das ist auch der Mörder von Vilbert!“
     
    Schritte, die über uns ertönten, ließen den Lärm ersterben und ersetzten ihn durch eine angespannte Stille. Kurz darauf tauchten Caya und Bordo, das Müllerpärchen, auf der Treppe auf. Nach ein paar erfolglosen Versuchen, sie abzuwimmeln - schließlich gab es keinen Grund, ihnen eine schlaflose Nacht zu bescheren - klärten wir sie über das Geschehen der letzten Viertelstunde auf. Danach war es verständlicherweise schwierig, sie dazu zu bewegen, wieder ins Bett zu gehen. Das ist ja auch schon fast die hinterhältigste Art, jemanden umbringen zu wollen - schlimmer ist es einzig und allein dann, wenn derjenige gerade beim Essen ist! Was wir im übrigen schon viel zu lange nicht mehr getan hatten, und nach diesen schrecklichen Ereignissen konnte doch gewiss keiner einen kleinen Snack ablehnen. Als ich jedoch den Vorschlag äußerte, nachdem die Wirtsleute mit einiger Überredungskunst wieder nach oben geschickt worden waren, starrten mich nur bleiche Gesichter entsetzt an. So musste ich meinen Snack doch alleine einnehmen und schlief danach, wider Erwarten, doch irgendwann noch einmal ein.
     
    Am nächsten Morgen fühlte ich mich wie gerädert, was wohl unter anderem am harten Boden, zum größeren Teil jedoch an den Ereignissen der vergangenen Nacht lag. Ich bemühte mich, aus der etwas spärlich bestückten Küche der Müllerin ein Frühstück zu zaubern, nicht zuletzt, um mich selbst abzulenken, während die anderen nach und nach ebenfalls erwachten. Ihnen schien es nicht viel besser zu gehen als mir, obwohl Ganymed scheinbar wieder ganz fit war - Niphredil hatte ganze Arbeit geleistet. An diesem Tag verschanzten wir uns die meiste Zeit im Müllershaus, um nicht Ziel eines weiteren Anschlags zu werden. Während jedoch einige von uns im Dorf waren, bekamen sie mit, dass ein weiterer Dörfler namens Alek ermordet worden war. Nach einer raschen Überprüfung stellte sich heraus, dass auch er eine Rüstung im Schrank hängen hatte. Vom Schlüssel, von dem meine Gefährten behaupteten, er müsse einen haben, fehlte aber jede Spur. Außerdem hatten sie irgendwo aufgeschnappt, dass es trotz allem an diesem Abend eine kleine Party beim Köhler geben würde, zu der alle Dörfler außer Bordo und Caya eingeladen waren. Wir beschlossen, uns dort ebenfalls blicken zu lassen, um ein Auge auf die verbleibenden Schlüsselträger zu haben und eventuell ein paar weitere Informationen zu erhalten - die großen Leute haben ja die Angewohnheit, redseliger zu werden, wenn sie etwas alkoholisches zu sich genommen haben, und da der Köhler selbstgebranntes Zeug ausschenkte, war damit zu rechnen, dass sich der ein oder andere verplapperte.
     
    Eine gute Sache hatte der Anschlag auf Ganymed: Die Geschichte hatte sich im Dorf bereits rumgesprochen, und so wurden wir nicht länger verdächtigt, einen Mord begangen zu haben.
     
    Im Laufe des eher langweiligen Tages, den wir wie gesagt zum Großteil im Haus verbrachten, kam Dara zu uns und bat uns, ebenfalls bei uns einziehen zu dürfen. Ihr Vater war furchtbar wütend auf sie, da sie sich erneut mit Cordovan getroffen hatte. Wir gewährten ihr natürlich Asyl (auch wenn es streng genommen ja nicht unser Haus war). Abends machten wir uns zusammen - ohne Dara - auf den Weg zum Köhler. Dort gab es gutes Bier, und auch der selbstgebrannte Schnaps war nicht zu verachten. Reina schlich in der Gegend herum, um Leute zu belauschen, und die anderen diskutierten eifrig über die Informationen, die Reina ihnen in einer unbeobachteten Minute zusteckte. Für mich gab es da nicht wirklich viel zu tun, ich hatte den Anschluss etwas verloren, daher sprach ich, gemeinsam mit Elwedritsch, den Getränken zu, die ausgeschenkt wurden.
     
    Als es schon stockfinster war, mit Sicherheit war Mitternacht schon vorbei, wurden wir von Niphredil und Ithilwen abkommandiert, sie zu begleiten, da der Wirt sich auf den Heimweg machte und sie ihn nicht alleine durch den Wald laufen lassen wollten - und scheinbar der Meinung waren, wir hätten inzwischen auch genug getrunken. Also gingen wir, wobei die Geräusche einer fröhlichen Feier uns noch lange hinterherhallten, und der Wirt schimpfte, er brauche keine Begleitung, und erst recht keine von uns, woraufhin wir ihm erklärten, dass wir einfach müde seien und ihm nachlaufen würden, weil wir sonst den Weg nicht finden würden. Was er uns natürlich nicht glaubte, wogegen er aber auch schwerlich etwas unternehmen konnte.
     
    „Zuhause“, das heißt im Müllershaus, angekommen, fiel ich sofort ins harte, ungemütliche Bett auf dem Boden und schlief ein. Diese Nacht weckte mich nichts mehr.
     
    Am nächsten Morgen erwachte ich mit einem leichten Brummschädel, aber nichts, was sich nicht bei einem guten Frühstück vergessen ließe. Verblüfft stellte ich fest, dass wir aus irgendeinem Grund weniger Leute als in der Nacht zuvor waren - es fehlten ein paar. Cliona konnte mich jedoch aufklären, dass sie noch nach dem Köhler gesehen hatten, der angeblich auch einen dieser mysteriösen Schlüssel besaß, und offenbar über Nacht dort geblieben waren. Da wir es satt hatten, uns im Haus einzusperren, beschlossen wir, wenn möglich alle Schlüsselträger zusammenzutrommeln und beim Köhler unterzubringen. Da konnte man besser auf sie aufpassen, als wenn alle einzeln irgendwo rumliefen. Außerdem wollten wir das Versteck des Assassinen ausfindig machen, wenn möglich. Dabei konnte uns unser neuer knochiger Freund sicher behilflich sein.
     
    Noch während wir diese Dinge besprachen - natürlich nach dem Frühstück, denn beim Frühstück wäre es ja geradezu Gotteslästerung gewesen - klopfte es an der Tür. Reina öffnete. „Was willst du?“ Ich konnte nicht sehen, wer da stand, weil Reina mir im Weg stand. „Ich möchte mit Dara reden. Ist sie hier?“ Dara war aufgesprungen, als sie die Stimme gehört hatte, und versuchte, sich an Reina vorbeizudrängeln. „Cordovan!“ „Hallo, Dara. Ähm, können wir uns irgendwo unter zwei Augen unterhalten?“ Niphredil mischte sich ein. „Ich glaube erstens nicht, dass das nötig ist, und zweitens nicht, dass es eine gute Idee ist, wenn Ihr euch allzuweit von anderen Augen entfernt. Außerdem hättet Ihr ruhig mal früher mit ihr sprechen können, sie war ganz aufgelöst, als sie gestern zu uns kam.“ Ich konnte nicht sehen, was Cordovans Reaktion darauf war, aber er schien schon mitbekommen zu haben, dass man mit Niphredil nicht gut diskutieren kann. „Ich muss ihr aber was sagen!“, versuchte er es noch einmal. „Was denn?“, hakte Niphredil nach. „Ich, also, wir, ähm, wir können uns nicht mehr treffen.“ Ich sah aus dem einen Augenwinkel, wie Daras Gesicht zusammenfiel und sie auf einem Stuhl zusammensackte, wo Guineth hineilte, um sie zu trösten. Aus dem anderen Augenwinkel sah ich, dass Cordovan und Niphredil sich völlig reglos gegenüberstanden, dann holte Niphredil blitzschnell aus und scheuerte Cordovan eine! Der heulte auf und hielt sich die Backe, dann trollte er sich ohne ein weiteres Wort. Dara saß noch länger schluchzend auf ihrem Stuhl und sah aus wie ein Häufchen Elend. Noch nichtmal von den guten Pfannekuchen mit Sirup wollte sie etwas probieren.
     
    Ich machte mich mit Niphredil, Dara und Guineth schonmal auf den Weg zum Köhler, die anderen wollten noch versuchen, Cordovan, Bermann und Maren zu überzeugen, ebenfalls dorthin zu kommen. Unseren Skelettfreund trafen wir auf dem Weg, und wir schafften es, ihn zu überzeugen, dass es auch für ihn sicherer wäre, mit zum Köhler zu kommen. Er wollte zwar nicht mit ins Haus kommen, aber immerhin sich in Rufweite aufhalten. Wobei es ja bei ihm mit dem Rufen nicht so weit her war. Etwa eine halbe Stunde nach uns trafen auch die übrigen Gruppenmitglieder ein, zusammen mit Maren und - erstaunlicherweise - Cordovan. Ich weiß wirklich nicht, was sie angestellt haben, um den zu überzeugen, mitzukommen. Bermann hatten sie jedoch offensichtlich nicht überreden können. Er hatte sie vielmehr noch beschimpft, sie hätten seine Tochter gegen ihn aufgehetzt, und so weiter. Sehr undankbar. Da willst du ihnen helfen, diesen großen Leuten, und alles was sie tun ist, dich zu beschimpfen. Dara machte sich natürlich Sorgen um ihren Vater, aber leider ließ sich nichts machen, um ihn in Sicherheit zu bringen.
     
    Wir ließen Marcello beim Köhler, alle anderen wollten mit nach dem Versteck des Assassinen suchen, und sagten ihm, er solle alle Fenster und Türen verbarrikadieren und unter keinen Umständen jemanden außer uns hineinlassen. Wir vereinbarten auch ein Losungswort, an dem er uns erkennen würde. Sie machten sich gleich daran, alle Fensterläden zu schließen, so dass das Haus schon fast unbewohnt aussah, als es aus unserem Blickfeld schwand. Unser Skelettfreund in Blechbüchse wartete schon auf uns. Er hatte wohl schon ein paar Erkundungen gemacht und führte uns Zielsicher in die Richtung, von der er glaubte, dass dort das Lager zu finden sei. Und tatsächlich kamen wir nach garnicht allzulanger Zeit zu einer gut geschützten Mulde, in der ein Zelt aufgestellt war. Außerdem gab es dort eine Kiste, an die eine Armbrust gelehnt war. Ganymed fand, man sollte diesem Typ so wenige Waffen wie möglich zur Verfügung lassen, und schwebte knapp über dem Boden zur Kiste, ritzte mit seinem Dolch die Sehne der Armbrust an und kehrte zu uns zurück. Ich hingegen war der Meinung, man sollte dem hinterhältigen, gemeinen Assassinen so wenig von seiner Ausrüstung lassen, wie überhaupt nur möglich, und stapfte daher kurzerhand in Richtung Kiste. Ganymed versuchte, mich zurückzuhalten, mit der Begründung, es wäre doch besser, wenn der Assassine nicht wüsste, dass wir da waren. Nachdem ich ihm aber klargemacht hatte, dass das wohl nicht funktionieren würde, da er ja die Sehne angeritzt hatte, was mit Sicherheit dem Assassinen verriet, dass jemand hier gewesen war, ließ er mich gehen.
     
    Ich spingste zunächst ins Zelt - nicht, dass er noch da drin war und schlief, und sich dann von hinten auf mich stürzte! - aber da war keiner, und ich sah auch keine tollen Ausrüstungsgegenstände. Also ging ich zur Kiste. Die war verschlossen, und am Schloss war offensichtlich irgendeine Art magischer Schutzmechanismus angebracht. Da ich nur zu gerne wissen wollte, was sich in der Kiste befand, beschloss ich, sie erstmal mitzunehmen und irgendwo anders zu öffnen. Ich fasste also die Griffe auf beiden Seiten der Truhe und hob sie vorsichtig an. Sie war ziemlich schwer. Ich machte einen Schritt - und plötzlich fiel ich zu Boden und konnte mich nicht mehr bewegen. Ich hörte, wie die anderen nach mir riefen, und versuchte, zu antworten, aber meine Zunge gehorchte mir nicht mehr. Ganymed regte sich mal wieder auf: „Ich hab ihr doch gesagt, sie soll die Finger davon lassen!“ Irgendwann trugen sie mich dann ein Stück weiter weg, und Cliona begann Bannen von Zauberwerk zu wirken. Nachdem etwa zwei Minuten verstrichen waren, in denen ich zwar die Stimmen der anderen hören, nicht aber verstehen konnte, worüber sie sprachen, hörte ich einen begeisterten Ausruf von Ithilwen. „Genau ins Schlüsselloch! Habt ihr das gesehen?“
     
    Nach weiteren acht Minuten konnte ich mich dann auch endlich wieder bewegen. Die Kiste hatten sie „aufgebrochen“: Ithilwen hatte wohl einen Pfeil genau ins Schlüsselloch der Kiste geschossen, woraufhin ein Auflösungsmechanismus das übrige getan hatte, um die Kiste und ihren Inhalt zu zerstören. Dabei hätte ich so gerne gewusst, was in der Kiste war! Aber immerhin konnte der Assassine es jetzt nicht mehr benutzen.
     
     
  4. Ithilwen
    [spoiler=Wächter der steinernen Flamme]
    Im Laufe des nächsten Morgens, an dem nach wie vor sehr gedrückte Stimmung herrschte, wurden wir Zeuge eines Streits zwischen Dara und ihrem Vater. Ich wollte wirklich nicht lauschen, aber sie stritten so laut, man kam gar nicht umhin, sie zu hören. Jedenfalls bekam ich mit, dass es um Cordovan, den Jagdaufseher des Dorfes ging, an dem Dara offensichtlich Gefallen gefunden hatte. Scheinbar hatte ihr Vater jedoch etwas dagegen einzuwenden. Dara flüchtete sich nach einigem Geschrei in die Kerzenzieherei, in der inzwischen gründlich sauber gemacht worden war.
    Da es sonst nicht wirklich viel zu tun gab, liefen wir ein wenig im Dorf herum und hörten uns nach Geschichten von Skeletten und Rüstungen um. Auch bei Dara sahen wir natürlich mal vorbei und fragten sie ein wenig aus. „Worüber habt ihr euch denn so gestritten?“, fragte ich sie unschuldig. „Ach, es ging um Cordovan. Mein Vater will mir verbieten, mich mit ihm zu treffen. Aber er sagt mir nicht warum! Auf jeden Fall kann er mir keinen vernünftigen Grund nennen!“ Wir versprachen ihr, mal mit ihrem Vater zu reden - vielleicht würde er uns ja einen vernünftigen Grund nennen können.
    Zunächst jedoch gingen ein paar von uns zur Müllersfrau, die scheinbar nicht sehr viele Freunde hatte, da sie und ihr Mann aus der Stadt zugezogen waren. Wir leisteten ihr ein wenig Gesellschaft und überredeten sie, später mit zum Wirtshaus zu kommen. Mir schien sie eine sehr nette Frau zu sein - ich konnte gar nicht verstehen, warum sie im Dorf so gemieden wurde.
    Anschließend gingen wir mit ihr ins Gasthaus zurück, wo wir uns eine Weile mit der Wirtin Josmine unterhielten, und scheinbar hatte auch Caya, die Müllerin, ihren Spaß dabei. Als Josmines Mann Bermann Zeit und Muße für ein Schwätzchen hatte, fragten wir auch ihn zu dem Streit vom heutigen Morgen, doch er sagte nur, das ginge uns nichts an, Cordovan sei ein „Schürzenjäger“, und er mache sich nur Sorgen um seine Tochter. Wir sollten nur mal Maren, die Schmiedin fragen! Aber so richtig überzeugend war diese Vorstellung nicht. So beschlossen wir, mal mit Maren und Cordovan zu sprechen.
     
    Vorher baten wir jedoch Caya, ihr Boot benutzen zu dürfen, um nochmal zum See zu fahren, bei dem Reina und Ganymed das Skelett am vorigen Tag aus den Augen verloren hatten - denn seine Rüstung sah genauso aus wie die, die beim ermordeten Vilbert Bärentod im Schrank gehangen hatte. Nur etwas stärker beansprucht, versteht sich. Caya lieh uns das Boot gerne, und so fuhren und liefen wir zum See. Dort angelangt entdeckten wir tatsächlich mitten im See auf einer Insel ein Skelett mit Rüstung!
    Da das Ruderboot nur zwei große Leute auf einmal fasste, mussten wir mehrfach übersetzen, bis alle, die dabei sein wollten, auf der Insel waren. Das waren: Ithilwen, Elwedritsch, Cliona, Farand, Guineth und ich. Der Plan war, das Skelett irgendwie festzuhalten, so dass wir mit ihm reden konnten - wie auch immer man mit einem Skelett reden will. Wir hatten auf der anderen Seite der Insel angelegt, so dass ein Felsen uns vom Skelett trennte. Leise schlichen wir um den Felsen herum, und da lag es. Es schien zu schlafen. Farand trat einen Schritt vor. „Hallo?“ Das Skelett zeigte keine Reaktion. Farand trat noch einen Schritt vor. „Entschuldigung?“ Plötzlich bewegte sich das Skelett, sprang auf und stürzte aufs Wasser zu. Dann passierte ganz viel gleichzeitig: Der Boden vor dem Skelett wurde ganz matschig, Elwedritsch pustete irgendein Pulver aus einem kleinen Röhrchen auf den Matsch, und Seile, die aus dem Nichts entstanden waren, schlangen sich um Arme und Beine des Skeletts. Es wehrte sich heftig, kam aber nicht frei. Es machte komische klackende Geräusche, die keiner Sprache ähnlich klangen, die ich kannte. Allerdings stelle ich es mir auch eher schwierig vor, als Skelett zu sprechen. Oder gar zu essen - wie furchtbar das sein muss, jahrhunderte nichts essen zu können!
    Verzweifelt versuchten wir in allen uns bekannten Sprachen, dem Skelett verständlich zu machen, dass wir ihm nichts tun wollten, aber lange Zeit ohne Erfolg - bis Cliona in eine mir bis dahin völlig unbekannte, jetzt jedoch sehr geläufige Sprache verfiel. Es war Maralinga, wie sie uns später erklärte, die Sprache der Valianer. Das Skelett beruhigte sich auf ihre Worte hin etwas, machte aber weiterhin klackernde Geräusche. Cliona sagte wieder etwas, es klang nach einer Frage, das Skelett nickte und klackerte. Das ging eine ganze Weile so, bis die Seile irgendwann vom Skelett abfielen. Wir schipperten wieder gemütlich zum Ufer zurück, das Skelett mit uns, und erst dort erklärte Cliona uns, was sie erfahren hatte. Wir sahen jetzt, dass das Skelett einen Schlüssel um den Hals hatte.
    Das Skelett bestätigte uns, dass es das einzige seiner Art war, das hier rumlief, dass es aber manche Leute gab, die nachts in einer Rüstung, die seiner glich, herumliefen. Wer das war, konnte es uns allerdings nicht sagen, denn seine Antworten beliefen sich auf „ja“ und „nein“. Außerdem konnten wir mit einigem Herumraten herausbekommen, dass es auf einen „Meister“ wartete, der wiederkommen sollte, und dass es noch mehr von den Schlüsseln gab.
    Da das Skelett nicht mit ins Dorf kommen wollte, ließen wir es im Wald, wo es auf uns warten wollte. Dann sprachen wir mit Maren, der Schmiedin. Sie gab ohne Umschweife zu, eine Rüstung zu besitzen, wie auch Vilbert sie besessen hatte, konnte uns aber nicht sagen, woher sie stammte, und wollte von Schlüsseln nichts wissen. Zu Cordovan sagte sie nur, dass er ihr eine Zeit lang hinterhergelaufen sei, aber von ihr einen Korb erhalten habe. Ein erneutes Gespräch mit dem Wirt, bei dem ich nicht zugegen war, muss wohl in einen heftigen Streit ausgeartet sein - jedenfalls hat er uns rausgeschmissen. Einfach so! Ich meine, was ist das denn für eine Gastfreundschaft, Gäste rauszuschmeißen, nur weil sie ein paar Fragen stellen? Das ist doch unmöglich! An den Rest des Tages kann ich mich nicht mehr wirklich erinnern, weil diese unglaubliche Unhöflichkeit der großen Leute mir so zu schaffen machte. Die anderen redeten noch mit allen möglichen Leuten, scheinbar waren sie an diese Ungepflogenheiten gewöhnt. Am Abend behaupteten sie dann, sie wüssten jetzt, wer alles Rüstungen und Schlüssel hätte. Woher sie das mit den Schlüsseln jetzt wieder wussten, konnte ich mir nicht erklären, aber wenn sie da so zuversichtlich waren, dann würden sie schon wissen, was sie wussten und was nicht. Oder so.
    Jedenfalls quartierten wir uns für diese Nacht beim Müller ein, da der Wirt uns ja nicht mehr da haben wollte - so eine Unverschämtheit! Da war es zwar jetzt sehr voll, aber irgendwie konnte man schon schlafen. Niphredil und Ganymed zogen es vor, draußen auf einem Baum zu schlafen, also mussten wir nicht ganz so viel stapeln. Nach einer weiteren halben Stunde, in der ich mich noch über den Wirt aufregte, schlief auch ich endlich ein.
     
  5. Ithilwen
    [spoiler=Wächter der steinernen Flamme]
    Wir blieben noch etwa zwei Wochen in Adhelstan. In der Zwischenzeit wurde Gwyn im Tempel aufbewahrt, während Herewald gen Norden reiste, um Euthasius, einen wohl sehr fähigen Magier, zu holen. Der Rest der Gruppe kannte ihn schon von früheren Abenteuern. Er sollte sich darum kümmern, dass Gwyn wieder auf den rechten Pfad zurückkam.
    Glücklicherweise traf ich gleich zu Beginn der zwei Wochen eine Köchin aus dem Halfdal, die im Gefolge von einem der Herren mitreiste, die sich das Turnier angesehen hatten. Sie war sogar, erstaunlicherweise, nicht mit mir verwandt – zumindest konnten wir in einer mehrere Stunden dauernden Diskussion keine Verwandtschaft feststellen. Aber Kochrezepte konnten wir austauschen, und sie erklärte sich bereit, mir Leomies Birneneis beizubringen, was sich bestimmt als nützlich erweisen würde. So hatte ich die zwei Wochen noch jemanden zum Plaudern und jemanden, der mitaß.
    Doch nach diesen zwei Wochen machten wir uns erneut auf den Weg, da wir eine Verabredung mit einem gewissen Gelehrten namens Fenglorn hatten, wie mir die anderen erzählten. Er habe ihnen einen Brief geschickt, sie sollten sich bis zu einem bestimmten Datum, das mir leider gerade entfallen ist, in Vinwacht einfinden. So begann also erneut die Reise und damit die Zeit der Entbehrungen. Die anderen, vor allem Reina, witzelten von Zeit zu Zeit darüber, was Fenglorn nun schon wieder für tolle Schätze gefunden haben mochte und erzählten von irgendeinem Grab und Leuten, die von Geistern besessen waren. Ziemlich gruseliges Zeug. Und damit sollte dieser Gelehrte irgendwas zu tun gehabt haben. Ich war mir nicht so sicher, ob es eine gute Idee war, Fenglorns Aufforderung nachzukommen, aber Reina, Ithilwen, Terra und Niphredil schienen fest entschlossen zu sein, und die anderen schlossen sich ihnen ohne Murren an. So hatte ich wohl kaum eine Wahl als mich wieder einmal vom Karren durchrütteln zu lassen.
    Es war später Nachmittag. Das Dorf konnte nicht mehr weit sein, wir konnten bereits die Spitze eines Burgturmes zwischen den Baumwipfeln erkennen, als Reina plötzlich stutzte und ihren Blick auf eine Stelle im Schatten fixierte. Blitzschnell glitt sie von ihrem Pferd, ein lautes Klappern ertönte aus der Richtung, in die sie gesehen hatte, ich konnte dort jedoch nichts erkennen, und sie rannte in den Wald. Ganymed folgte ihr auf dem Fuße. „Was war das denn?“, fragte ich den Nächststehenden, in dem Fall Guineth. „Hast du nicht das Skelett gesehen?“ „Nein… was denn für eins?“ „Na da saß eben ein Skelett auf dem Stein da.“ Ich strengte meine Augen ein wenig an und entdeckte den Stein. „Ja, und wo ist es jetzt?“ Sie zuckte die Schultern: „Weggerannt.“ „Aber Skelette rennen doch nicht…“ „Naja, das scheinbar schon…“ Nachdenklich kletterte ich auf den Karren und aß etwas Kuchen, da keiner Anstalten machte, den beiden zu folgen. Nach wenigen Minuten kehrten sie zurück und berichteten, dass das Skelett in einen See gerannt und nicht wieder aufgetaucht sei. Außerdem wussten sie noch, dass es eine alte Rüstung trug und irgendetwas um den Hals, was es war hatten sie aber nicht erkennen können.
    Als wir das Dorf Vinwacht erreichten, wurden wir gleich neugierig beäugt, als wir angeritten kamen, aber niemand bot uns etwas zu essen an – sehr unhöflich, diese großen Leute. In der Mitte des Dorfes fand sich jedoch das Gasthaus, wo wir einkehrten. Wir waren noch drei Tage zu früh und teilten dem Wirt Berman daher mit, dass wir vier Tage bleiben wollten. Wir fragten ihn auch, ob Fenglorn schon angekommen sei, was er jedoch verneinte. Wir fragten ihn auch vorsichtig nach Geschichten von irgendwelchen Skeletten in Rüstungen, und er wusste tatsächlich, dass es eine alte Sage über eine verschollene Armee hier in der Nähe gab. Allerdings meinte er, für solche Geschichten sollten wir besser Inga fragen, die abends den Kindern immer Geschichten erzähle.
    Der Wirt besaß auch eine Kerzenzieherei, und da sich einige dafür interessierten, erklärte sich seine älteste Tochter Dara bereit, uns dort ein wenig herumzuführen. Das Haus befand sich genau gegenüber von der Gaststube. Dara ging vor, öffnete die Tür – und stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus. Sie war kreidebleich und wich ein paar Schritte zurück, dann sank sie schluchzend in sich zusammen. Ich konnte nichts erkennen, denn es war dunkel im Raum, der hinter der Tür lag. Die Elfen schienen jedoch etwas sehen zu können und drängten sich vor dem Eingang. Niphredil beugte sich hinunter. „Er ist noch warm. Vielleicht ist der Mörder noch hier drin.“ Sie und Ganymed schritten durch die Tür, blieben hin und wieder kurz stehen und schienen sich auf irgendetwas zu konzentrieren. Ithilwen und Cliona blockierten die Tür, so dass dort niemand hinauskonnte, Terra stellte sich vors Fenster. Nachdem ich meine Neugier befriedigt und einen Blick auf den Körper erhascht hatte, der in einer Blutlache am Boden lag, wobei ich mir im Nachhinein wünschte, manchmal doch nicht ganz so neugierig zu sein, versuchte ich, Dara zu beruhigen, die immernoch hemmungslos schluchzend am Boden saß. Nach ein paar Minuten hörte ich einen Ausruf von Terra, und kurz darauf einen dumpfen Aufprall. Wenige Sekunden später kam die ganze Truppe aus dem Haus. Einige beobachteten scharf die gegenüberliegenden Dächer, konnten aber scheinbar nichts entdecken – jemand hatte durchs Fenster auf sie geschossen. Inzwischen waren einige Dörfler angelaufen gekommen, die Daras Schrei gehört hatten, und wollten wissen, was passiert sei. Ich überließ es den anderen, die Fragen zu beantworten, und brachte Dara nach drinnen. Was sie jetzt brauchte, war eine kräftige Brühe. Ich sorgte dafür, dass sie eine bekam und sich ins Bett legte.
    Es verging einige Zeit, bis die anderen zurückkehrten, manche nachdenklich, manche aufgebracht. Ich fragte Elwedritsch, was vorgefallen sei. Er zuckte mit den Schultern: „Wir werden verdächtigt. Kein Wunder, wenn ein Mord passiert, kaum dass wir eine Stunde hier sind, und dann auch noch dabei sind, als die Leiche entdeckt wird...“ Da musste ich ihm Recht geben. Mir war nicht ganz wohl bei der Sache, und ich schien dabei nicht die einzige zu sein. Die anderen hatten auch in Erfahrung gebracht, dass der Verstorbene Vilbert Bärentod hieß, und ein Leibeigener war, der sich bei Berman etwas dazuverdiente. Seine Familie war wohl eine der ältesten im Dorf gewesen. An sich schien er ein armer Tropf gewesen zu sein – verblüffend war daher, dass er eine sehr wertvolle Kettenrüstung im Schrank hängen hatte, die, wie Elwedritsch behauptete, sehr alt sein musste und von Valianern gefertigt worden war. Außerdem hatte er noch diverse Gerüchte aufgeschnappt, von anderen Leuten, die Skelette gesehen hatten, von dunklen Gestalten, die bei Nacht in Rüstung schauerliche Tänze veranstalteten, und einiges mehr. Man hatte auch die nähere Umgebung schon abgesucht, ob man den Mörder noch finden könnte, aber es gab keine Spur von ihm. Es herrschte sehr gedrückte Stimmung, als sich abends alle außer Terra schlafen legten, die der Totenwache beiwohnen wollte.
     
     
  6. Ithilwen
    [spoiler=Turney zu Adhelstan]
    Los ging es also in die Gaststätten in der Nähe. Und wir hatten Glück: Gleich in der ersten fanden wir eine zwielichtige Gestalt mit langem Mantel, die sich angesichts unserer Gruppe noch tiefer in seine dunkle Ecke drückte. Wie genau das Gespräch ablief, habe ich schon vergessen, jedenfalls hatten wir irgendwann herausbekommen, dass er vermutlich nicht unser Finstermagier war, dass er aber über ein wenig Entdeckungsmagie verfügte und uns zur Prinzessin führen konnte, wenn wir ihm Haare oder Fingernägel von ihr besorgten. Reina und Elwedritsch machten sich also noch einmal auf den Weg, um Haare und Fingernägel zu besorgen. Die arme Zofe wurde wohl wieder gerufen und berichtete, dass ihre Herrin Fingernägel stets sofort aus dem Fenster warf. Elwedritsch ging also in den Hof, um Fingernägel zu suchen. Das muss wirklich lustig ausgesehen haben, wie der Gnom auf dem Boden des Burghofes rumkriecht und nach Fingernägeln sucht…
    Währenddessen machten wir uns fertig, überprüften also im Wesentlichen, ob wir genügend Fackeln und Seile dabei hatten, und ob alle Waffen scharf und einsatzbereit waren. Herewald wurde kurzerhand dazu verdonnert, „die Pferde zu bewachen“, damit er seinen Arm nicht wieder beanspruchte. Reina trug ihm noch auf, wenn wir bis Mitternacht nicht wieder da sein sollten, sich auf den Ausländerfriedhof zu begeben und zwei Gestalten, die dort auftauchen würden, zu sagen, dass sie heute leider verhindert sei, sie aber morgen gerne treffen würde. Worum es da wohl wieder ging? Sie schien so einige Geheimnisse zu haben…
    Dann ging es los. Der dunkle Typ knotete eines der Haare an einer Silbernadel fest und zauberte etwas. Die Nadel drehte sich und wies nach einigen Sekunden in eine Richtung, der wir dann folgten. Der Typ führte uns zielsicher aus der Stadt hinaus, am Ausländerfriedhof vorbei, in den Wald. Es war schon ziemlich unheimlich, die anderen redeten auch kaum, und es wurde jetzt schnell dunkel, so dass wir Fackeln anzünden mussten. Ihr flackerndes Licht war auch nicht grade beruhigend, und der Wald hier war ungewöhnlich still, so dass ich bei jedem lauteren Geräusch zusammenzuckte.
    Nach einiger Zeit, mir kam es vor wie eine Ewigkeit, aber es waren wohl ein oder zwei Stunden, erreichten wir eine Lichtung. Etwa hundert Meter vor uns erhob sich eine schwarze Ruine gegen den Nachthimmel. Unser Führer blieb stehen: „Ich denke, ab hier benötigt ihr meine Dienste nicht länger, oder?“ Reina zögerte und sah uns fragend an, einige schüttelten den Kopf. Also gab sie ihm das Geld, das sie mit ihm ausgemacht hatte, und er verschwand leise wieder im Wald. „Also, los geht’s!“, sagte Farand, der ganz erpicht darauf schien, endlich etwas unternehmen zu können.
    Uns blieb nicht viel anderes übrig, daher gingen wir einfach grade auf die Ruine zu und hofften, dass draußen keine Wachen postiert waren. Und wir hatten Glück: Kein Mensch – und auch kein Ork – hatte uns bemerkt, als wir direkt vor der Ruine stehen blieben. Ganymed und Ithilwen machten sich mit je einer Fackel auf die Suche nach einem Eingang. Wenige Minuten später kam Ithilwen zurück und bedeutete uns, ihr zu folgen. Sie führte uns zu Öffnung im Boden. Dahinter war nur gähnende Schwärze. Sie leuchtete hinein: Eine Treppe führte hinunter. Terra ging vor, leise scheppernd. Wir folgten, auch leise, aber nach Möglichkeit nicht scheppernd. Am Fuße der Treppe lag eine große Höhle. Sie wirkte von hier aus leer, und so gingen wir weiter, ohne lange zu zögern. Die gezogenen Waffen der Kämpfer blinkten ab und zu im flackernden Fackelschein, von dem auch die Höhle erleuchtet war. Als Terra jedoch aus der Öffnung des Ganges trat, prallten plötzlich Waffen aufeinander, lautes Grunzen und jetzt auch Gestank drang zu mir durch, aber sehen konnte ich nichts, da waren zu viele Leute vor mir. Ithilwen stand hinter mir und schoss über mich hinweg, manchmal konnte ich zwischen zwei Gefährten einen Blick auf die herumwirbelnde Reina erhaschen. Nach ein paar Sekunden war es aber auch schon vorbei. Wir drangen weiter in die Höhle ein, so dass ich auch die vier Orks erkennen konnte, die tot am Boden lagen. Ansonsten befand sich keiner hier im Raum, aber wir hörten Fußgetrappel aus einem der übrigen drei Gänge. Marcello, Farand, Reina, Terra, Ithilwen und Ganymed bildeten einen Halbkreis um diesen. Vier Orks kamen herausgerannt, doch kaum hatten sie den Gang verlassen, wurden sie von einem solchen Klingenhagel eingedeckt, dass sie keine Chance hatten. Es folgten noch zweimal vier Orks, mit denen ebenso verfahren wurde. Farand fuchtelte die ersten paar Sekunden wirkungslos mit seinem Schwert herum und schien dabei eher die anderen zu behindern, als zu helfen. Einer der Orks hieb mit einer Streitaxt auf ihn ein und traf ihn am Kopf, so dass Farand zusammenbrach. Reina nahm sich seiner an und zog ihn ein Stück nach hinten zu Niphredil. Ganymed hob in der Zeit Farands Schwert auf, das zu Boden gefallen war. Marcello focht wie ein Weltmeister, so schnell hatte ich noch nie jemanden angreifen sehen. In ein paar Sekunden hatte er zwei Orks komplett zerstückelt.
    Niphredil hatte gleich begonnen, sich um Farands Kopf zu kümmern, der stark blutete. Ich hätte mich gerne irgendwo hingesetzt, aber hier war alles so dreckig, und überhaupt stank es hier furchtbar, und die Orkleichen machten es auch nicht gemütlicher, obwohl ich zugeben musste, dass sie als Leichen schon gemütlicher waren als lebendig. Und ich hatte Hunger. So war ich eigentlich dafür, schnell weiterzugehen, aber ich sah auch ein, dass Farand erst versorgt werden musste. Noch während dies geschah, tauchten sieben weitere Orks aus dem Gang auf, mit denen aber kurzer Prozess gemacht wurde. Marcello machte sich nicht einmal mehr die Mühe, hinzulaufen.
    Während Farand verbunden wurde, machten sich die anderen an die Arbeit, tote Orks vor den Gang aufzuschichten, damit dort nicht ohne weiteres noch mehr durchkommen konnten, und durchsuchten die übrigen zwei Gänge, fanden dort jedoch nicht interessantes und auch keine Orks.
    Nach zehn Minuten war Farand soweit versorgt. Der Gang wurde wieder freigeräumt. Von dort ging nach rechts eine Tür ab, die angelehnt war, nach links gab es eine geschlossene Tür, und geradeaus ging es wieder in eine größere Höhle. Terra stieß die angelehnte Tür auf; dahinter war nur eine weitere Höhle, die wohl als Schlafraum für Orks diente, jetzt aber leer war. Offenbar gab es nur die, denen wir eben begegnet waren. Die linke Tür war abgeschlossen, so dass wir zunächst weiter geradeaus gingen. Kaum betrat der erste den Raum, oder vielmehr die erste, nämlich Terra, stieg in der Mitte plötzlich Rauch auf, der schnell feste Konturen annahm. Was ein hässliches Vieh! Mit Hörnern! Es ging auch gleich auf uns los. Aber Terra, anstatt nach vorne zu preschen und die Hiebe einzustecken, während alle anderen auf das Vieh eindroschen, fing erstmal an zu zaubern. Dabei konnte doch sogar ich als absolut Unwissende erkennen, dass sie mit Abstand die beste Rüstung hatte! Stattdessen griff also Reina als erstes an. Ithilwen griff ebenfalls an, hatte jedoch jetzt statt ihres Schwertes ein Lasso in der Hand. Reina griff diesmal auch nicht mit ihrer Lieblingswaffe, der Sichel an der Kette, an – wie hieß es noch gleich, Kusari-Dingens, ich weiß es nicht mehr genau – sondern mit einem Schwert. Ihr erster Hieb saß perfekt, sie riss ein tiefes Loch in den Bauch des Dämons, falls Dämonen so was haben. Ithilwen warf das Lasso gut gezielt genau über den Kopf des Dämons und zog es da zu, so dass er jetzt ziemlich stranguliert wurde. Dennoch führte er noch einen Angriff mit seiner Hellebarde aus, mit dem er Reina traf und ihr, einfach mal so eben, ein Bein abtrennte. Die stürzte natürlich und fluchte in einer mir gänzlich fremden Sprache. So langsam war mir das alles ein bisschen viel Blut hier, auch wenn das meiste bis jetzt Orkblut gewesen war.
    Der Dämon überlebte keine zehn Sekunden mehr, das Lasso gab ihm wohl den Rest. Jetzt, wo es ein bisschen still war, hörten wir von nebenan Murmeln, das verdächtig nach Beschwörung klang. Niphredil hatte sich schon wieder ihrer nächsten Patientin zugewandt und war wohl mit einer Allheilung beschäftigt. Ganymed titschte unruhig in der Höhle herum, beschleunigt, so wie mir das aussah. Ithilwen schien auch nervös und ungeduldig, sie blickte immer wieder zu dem Raum, aus dem die Stimme kam. Wir waren vielleicht zwei Minuten in dem Raum, da hörten wir wieder Schritte, aber diesmal nur von einer Person. Ins Fackellicht trat noch ein Ork, ein besonders großes und besonders hässliches Exemplar. Ganymed stürzte sich auf ihn, und ehe jemand anderes reagieren konnte, war der Ork Hackfleisch. Allerdings bekam Ganymed auch ordentlich was ab.
    „Ich würde die ungern die Beschwörung da fertig machen lassen“, merkte Ithilwen mit einem Blick auf die Tür an. „Ich auch nicht“, stimmte Ganymed ihr zu, der sich selbst heilte, „aber im Moment lässt sich da wohl nicht viel machen.“ Terra hatte sich in eine Ecke des Raumes gesetzt, hatte die Augen zu und sah fast aus, als würde sie schlafen. „Was macht die da?“, flüsterte ich Elwedritsch zu. Der zuckte mit den Schultern. „Cliona, was macht die da?“ „Meditieren.“ Hmm. Da zog ich Essen vor, und das hatte, soweit ich wusste, den gleichen Effekt. Apropos Essen… Mein Magen machte sich zusehends bemerkbar.
    „Ja, ich hatte auch nicht vor, alleine mit den Magiern da rein zu spazieren. Trotzdem würde ich da gerne bald reingehen.“ „Wir gehen, sobald ich wieder heile bin, würde ich sagen.“ Ithilwen wirkte zwar immer noch nicht glücklich, aber schien Ganymed Recht zu geben.
    Die nächsten zehn Minuten war es entnervend still, nur das monotone Murmeln von der anderen Seite der Tür und gelegentliches Murmeln von Niphredil unterbrachen die Stille. Endlich war es so weit. Wir sammelten uns vor der Tür, nachdem wir Terra aus ihrem Halbschlaf geweckt hatten. Sie stieß die Tür auf. Dort standen ein Mann und die Prinzessin Gwyn einander gegenüber an einem Oktagon und murmelten die Beschwörung. Der Mann sah sofort auf, als wir die Tür öffneten. Das Mädchen rezitierte weiter die Beschwörungsformel. „Dunkelheit!“ Die Stimme des Mannes dröhnte durch den Raum. Ich fluchte leise. Es war völlige Schwärze um uns herum. Ganymed neben mir bewegte sich, in die Richtung, wo wir vorher den Magier gesehen hatten. Ich zögerte einen Moment, dann zog ich mein Kurzschwert und folgte ihm. Zaubern konnte man bei der Dunkelheit ohnehin nichts Sinnvolles. Terra schien da anderer Meinung zu sein, jedenfalls sprach sie irgendwelche Formeln, von denen ich aber ziemlich sicher war, dass sie nicht fertig waren, als sie aufhörte, zu reden, und stattdessen kurz aufschrie. Als ich glaubte, ungefähr dort angekommen zu sein, wo der Magier zuvor gestanden hatte, lauschte ich angestrengt, und stach mit meinem Schwert nach einem leisen Rascheln. Mehrmals versuchte ich, ihn zu treffen, aber es war hoffnungslos, es war wahrscheinlicher, dass ich einen von uns traf. Ganymed stöhnte in meiner Nähe auf, dann schrie er, dann ein dumpfer Aufprall. Dann hörte ich nur noch, wie etwas über den Boden schleifte, vermutlich wollte er zurück ins Licht robben. Hinter uns hörte ich Guineth verzweifelt immer wieder den gleichen Spruch vor sich hinmurmeln; Ich kannte ihn nicht, vermutete aber, dass sie versuchte, es hell zu machen. Ein weiterer Schrei ertönte, und etwas rauschte durch die Luft, es klang nach Marcellos Stimme. Von der anderen Seite des Raumes hörte plötzlich die Stimme der Prinzessin auf, und für einen Schreckensmoment dachte ich, die Beschwörung sei fertig, doch dann ertönte ein dumpfer Aufschlag aus ihrer Richtung. Irgendjemand war wohl zu ihr gegangen um sie zu unterbrechen. Und richtig: Eine Sekunde später hörte ich Ithilwen aus dieser Richtung aufschreien. Ich strengte meine Augen an, um vielleicht doch irgendwas im Dunkel erkennen zu können, aber da war nur völlige Schwärze. Irgendwas musste ich doch tun können! Mir kam eine Idee, vielleicht die einzige Möglichkeit, es wieder hell zu machen, wenn Guineth es so nicht schaffte. Guineths Stimme hatte kurz aufgehört, vermutlich hatte sie ihre Kraft für den Moment verbraucht. Ich tappte vorsichtig, aber so schnell ich es wagte, in Richtung von Ithilwens Schreien. Guineths Murmeln setzte wieder ein; ganz schön hartnäckig, das Mädel. Ich erreichte die Stelle, wo Ithilwens Schreie am lautesten waren, bückte mich und tastete nach der Prinzessin, bekam etwas Weiches zu fassen, einen Arm vielleicht, um das ein Seil lag. Leomie sei Dank, Ithilwen hatte es geschafft, ihr das Lasso überzuwerfen und sie so zu fesseln! Ich packte sie und rückte sie ein wenig zurecht, um ihr das Kurzschwert irgendwo in die Gegend zu halten, wo ich ihren Hals vermutete. Ithilwen schien ganze Arbeit geleistet zu haben; Gwyn wehrte sich nicht. „Hey, Finstermagier!“, rief ich beherzt in die Dunkelheit. Marcellos Schreie brachen abrupt ab, ich hörte, wie er auf den Boden fiel. „Lass sie los.“ Eine tiefe, gefährlich angespannte Stimme. „Erstmal machst du es wieder hell, würde ich vorschlagen. Ich mag es nämlich nicht, wenn es so dunkel ist.“ „Warum sollte ich? Ihr tut ihr doch eh nichts!“ „Da wäre ich mir nicht so sicher…“ Ich bewegte mein Schwert, bis ich einen leichten Widerstand spürte. Die Prinzessin wimmerte leise. „Ihr…“ Er schien sprachlos vor Wut. „Wie sieht es aus? Kriegen wir ein bisschen Licht? Ich habe nämlich auch Hunger, und im Dunklen isst es sich so schlecht. Mal ganz davon abgesehen, dass es hier furchtbar stinkt.“ Es wurde hell. Der Magier blickte mich aus hasserfüllten Augen an. Innerlich doch schon ziemlich am zittern, kontrollierte ich, ob mein Schwert sich auch wirklich an der richtigen Stelle befand. „So, das ist doch schonmal ein guter Anfang. Und jetzt rate ich euch gut, euch von der finsteren Magie abzuwenden, denn sonst wird es um euch herum immer dunkel sein!“ Der Finstermagier lachte heiser, aber seine Augen waren immer noch kalt und voller Hass. Das hatte wohl nicht geklappt. Immer diese Leute, die keine guten Ratschläge annehmen wollten… „Nagut, dann können wir ja jetzt wenigstens schön gesittet rausgehen, Ihr lasst euch fesseln und wir bringen euch zum Vater dieser entzückenden Lady hier. Was haltet ihr davon?“ Ganymed erschien in der Tür, er sah wieder halbwegs fit aus. Ithilwen stand gerade wieder vom Boden auf, auf dem sie zuvor zuckend gelegen hatte. „Vergiss es“, knurrte Ganymed. „Der kommt hier lebend nicht raus, sonst verschwindet er wieder.“ Er hatte seinen Bogen gespannt, und Ithilwen neben mir tat es ihm jetzt gleich. „Sobald ihr schießt, mache ich es wieder dunkel, also würde ich euch stark davon abraten.“ „Sobald es wieder dunkel wird, kann es sein, dass mir mein Schwert abrutscht!“ Er wandte sich von Ganymed wieder zu mir, und in dem Augenblick schoss Ganymed. Ithilwen tat es ihm nach, er wurde von beiden Pfeilen getroffen, und dann war er auf einmal weg. Ziemlich fassungslos starrten wir alle auf die Stelle, an der er verschwunden war. Dort lagen nur noch ein paar Gegenstände. Ithilwen trat zu mir und verschnürte Gwyn noch etwas fachgerechter. Die protestierte jetzt, wurde aber erst einmal ignoriert. Ich machte mich auf die Suche nach etwas zu essen, von irgendwas mussten die beiden hier ja auch leben. Ich konnte jedoch auch in den verbliebenen Räumen nichts finden. Schlecht gelaunt kehrte ich zu den anderen zurück. Ich wollte hier raus, ein gutes Essen, und dann schlafen. Erst mussten jedoch ein paar Leute wieder zusammengeflickt werden – Terra hatte ein paar üble Verbrennungen abbekommen, woher auch immer. Endlich konnten wir dann hoch, aber anstatt oben erstmal was zu essen, mussten wir natürlich sofort zurück in die Stadt. Ich trottete also schlecht gelaunt hinterdrein, und das Gezeter der Prinzessin von wegen Whitestead – das war wohl der Name ihres geliebten Finstermagiers – werde sie schon wieder holen und wir würden das alle bereuen und ihr Vater wäre ihr egal machte es auch nicht besser. Die Versuche der anderen, ihr zu erklären, dass ihrem Whitestead ja nicht so viel an ihr liegen könne, wenn er sie zurückließ, fruchteten überhaupt nicht. Sie schien ein sehr störrisches Wesen zu haben.
    Auf dem Ausländerfriedhof trafen wir Herewald, der Reina berichtete, er habe zwei Leute getroffen, die aber eher nicht so der Gesellschaft entsprachen, in der wir uns normalerweise aufhielten. Ich war zu hungrig und müde, um noch neugierig zu sein, wer das war. Zu allem Überfluss waren die anderen dann auch noch der Meinung, dass wir die Prinzessin jetzt sofort abliefern müssten. Also auf zur Burg, Terra, die Gwyn bis jetzt über die Schulter geworfen hatte, trug sie jetzt auf dem Arm, und die Fesseln hatten wir ihr abgenommen. Als die Burgwachen sahen, dass wir die Prinzessin mitgebracht hatten, ließen sie uns sofort rein und ließen den Syre wecken. Der kam, ziemlich verschlafen und im Nachthemd, aus seinen Gemächern. Das erste, was Gwyn tat, als sie ihn sah, war, sich loszureißen und ihn anzurempeln. „Na, na, geht man so mit seinem Vater um?“, rügte Reina sie. Ich fand die ganze Situation einfach viel zu absurd: Wir hatten hier eine angehende Finstermagierin, die wir aber schonen wollten, weil es noch die Hoffnung gab, sie auf den „richtigen Weg“ zurückzubringen, und um ihren Vater nicht in Schuldgefühle und Entsetzen zu stürzen. Wir hatten alle unser Leben riskiert, um sie da rauszukriegen. Und als allererstes, sobald es Gelegenheit hat, benimmt sich dieses verzogene Gör mal glatt total daneben, und Reina hat nichts Besseres zu tun, als sie freundlich darauf hinzuweisen, dass man so nicht mit seinen Eltern umgeht! Ich hätte Gwyn in dem Moment zugegebenermaßen ganz gerne eine Bratpfanne über den Kopf gezogen, hatte sie mich doch um mindestens zwei Mahlzeiten gebracht. Aber das ging wohl hier nicht, in Gegenwart ihres Vaters, und zudem hatte ich keine Bratpfanne zur Hand.
    Man einigte sich, dass sie für den Rest der Nacht in einem anderen Zimmer gut bewacht untergebracht würde und morgen früh, so bald wie möglich, in den Tempel umquartiert werden sollte. Dort sollte dann ein Euthasius, den die anderen wohl von früher kannten, sie abholen. Er kannte sich angeblich mit derlei Dingen aus, und man hoffte im Allgemeinen, dass er sie wieder zur Vernunft bringen könne. Herewald, ihr eigentlich-zukünftiger-Ehemann, da Terra ja für ihn das Turnier gewonnen hatte, wollte auf jeden Fall bei ihr Wache halten. Die Heiler-Fraktion war anscheinend zu müde, um ihn darauf hinzuweisen, dass er immer noch seinen Arm schonen musste, und so hielt er mit einigen anderen Wache vor ihrem Zimmer.
    Wir kehrten zurück zu unserem Zelt, und ich fiel nun doch völlig erschöpft auf meine Schlafstatt, ohne etwas zu essen. Was ein Tag!
     
     
  7. Ithilwen
    [spoiler=Turney zu Adhelstan]
    Das gleiche Vorgehen wie am vorigen Tag war Tagesordnung. Erst Terras erster Kampf brachte das durcheinander. Dieser war… Naja, wie soll ich sagen… dramatisch vielleicht. Bei ihrem Gegner handelte es sich um einen sehr arroganten Haudrauf, der ihr vorher groß ankündigte, er werde sie fertig machen, sie solle lieber gleich aufgeben. Zu Beginn sah es auch echt nicht gut aus, beim ersten Anreiten traf er Terra am Bein, und bei der Wucht wäre sie sicher heruntergefallen, wäre sie nicht festgeklebt gewesen. Beim zweiten Anreiten war sie geistesgegenwärtiger und griff zuerst an, traf ihn jedoch nicht, und sie rauschten ohne Schlagabtausch aneinander vorbei. Noch einmal wendeten sie die Pferde. Terra setzte sich gerade auf, die Sonne blitzte hell auf ihrer Rüstung, als sie wieder anritt, sie legte ihre Lanze an, konzentrierte sich ganz auf diesen einen Angriff, und mit einem ekelhaften Knirschen drang ihre Lanze in den Helm ihres Gegners, der zerplatzte. Einen Augenblick herrschte vollkommene Stille, auch Terra, die ihr Pferd wieder gewendet hatte, starrte entsetzt und ungläubig auf das Ergebnis ihres letzten Angriffs. Lautes Getöse brach los, Frauen kreischten, einige vielen in Ohnmacht. Offenbar völlig durcheinander kam Terra zu uns geritten, als das Gefolge des Ritters zu ihm trat, um ihn auf eine Bahre zu legen und davonzutragen.
    Ich war ziemlich erschüttert, ärgerte mich aber auch über die großen Leute: Was dachten sie sich denn auch, mit Pferden aufeinander zuzupreschen und dabei aufeinander einzustechen? Kein Wunder, dass da schonmal jemand durchbohrt wurde! Selbst Schuld, aber echt! Ich murmelte auf dem Weg und beim Kochen zornig vor mich hin, wagte aber nicht, in Terras Anwesenheit etwas laut zu äußern, die ein wenig apathisch hinter uns her trottete. Herewald war im Gegensatz zu uns anderen einfach nur begeistert, dass Terra ins Finale gekommen war. ‚Wir als ihr Gefolge‘ müssten doch stolz auf sie sein! Ganymed nahm das gleich zum Anlass, ihn einmal mehr anzupampen, was auch auf der Reise nicht selten vorgekommen war. Im Wesentlichen ging es immer nur darum, dass keiner von uns Terras Gefolge war, sondern dass sie sich uns vielmehr angeschlossen hatte, weil sie sonst alleine unterwegs gewesen wäre. Er schien schon ein bisschen schwer von Begriff zu sein, dieser Herewald.
    Als das Finale heranrückte, hatte sich Terra wieder gefasst, war aber wesentlich nachdenklicher als zuvor. Ich mochte gar nicht hinsehen, es konnte ja genausogut sein, dass Terra einmal von einer Lanze aufgespießt wurde. So bekam ich nicht viel vom Kampf mit. Nur ein dumpfer Aufprall und anschließend lautes Jubeln verrieten mir daher, dass es zuende war. Ich wagte einen kurzen Blick auf den Platz: Da saß Terra eben von ihrem Pferd ab, um ihrem Gegner vom Boden aufzuhelfen, der sich schnell trollte. Wir alle drängelten uns rasch zu Terra durch, um sie zu beglückwünschen, allen voran natürlich Herewald, der sie mit Dank und Lob überschüttete. Eine Fanfare wurde geblasen – man, war die laut! – und der Syre bat Terra und Herewald zu sich, während er seiner Tochter bedeutete aufzustehen. Die hatte ein merkwürdig ausdrucksloses Gesicht, dafür dass es hier um ihre Hochzeit ging, wenn ihr mich fragt.
    Während der Syre noch Terras Geschick und Tapferkeit lobte, hörte ich, wie etwas in der Nähe einschlug. Ein rascher Blick umher ließ mich auch erkennen, wo: Auf das eben noch so ausdruckslose Gesicht der Prinzessin war auf einmal ein überraschter Ausdruck getreten, auf ihrer Stirn war ein dicker schwarzer Punkt zu sehen, aus dem jetzt langsam eine rote Flüssigkeit quoll. Auf den Bänken um den Platz brach Panik aus, alle versuchten, so schnell wie möglich wegzukommen. Niphredil drängte sich zur Prinzessin durch, wurde erst von Wachen aufgehalten, dann jedoch nach einem Wink von Terra durchgelassen. Ithilwen, Reina und Ganymed spurteten schon in die Richtung, aus der der Bolzen gekommen war. Reina kehrte recht bald erfolglos zurück. In der Zwischenzeit hatten wir uns um die Prinzessin gescharrt, um ein wenig zu verdecken, dass Niphredil ihr den Bolzen aus der Stirn zog, und sie hatte festgestellt, dass sowohl der Bolzen als auch die Prinzessin eine Aura hatten, was Cliona zum Anlass genommen hatte, zu überprüfen, ob die Prinzessin verzaubert war. Dem war wohl so – ein Priester wurde herbeordert, um den Zauber zu bannen, was es auch immer sein mochte. Elwedritsch besah sich den Bolzen genauer und stellte fest, dass er mit Zielsuche versehen war. Außerdem bemerkte er noch, dass eine schwarze Flüssigkeit am Bolzen klebte, die Reina nach eingehender Untersuchung als irgendein Gift deklarierte, welches genau konnte sie nicht sagen.
    In der Zeit kehrten auch Ithilwen und Ganymed zurück. „Da hinten liegt ein zerbrochenes Fläschchen mit irgendeiner Flüssigkeit drin. Zumindest war sie mal drin…“, bemerkte Ganymed. „Zufällig schwarz?“, fragte Reina. Ithilwen nickte. „Es gibt zwar Spuren, aber die sind schon viel zu zertrampelt, um sie weiter als einen Meter verfolgen zu können.“
    Der Priester, der dann auch bald kam, machte sich ans Werk, und nach 10min begannen sich die Konturen der Prinzessin langsam zu verändern. Zuerst nahm die Haut einen ungesunden Grünstich an, dann verformte sich ihr Körper, wuchs ein wenig in die Breite, vor allem die Schultern wurden kräftiger, ihre Gesichtszüge wurden gröber, bis wir zu guter Letzt – Na, was wohl? - einen Ork vor uns liegen hatten. Wir waren alle recht verblüfft, der Syre hingegen war entsetzt. Terra überredete ihn, den Ork erstmal beseitigen zu lassen, wir würden uns darum kümmern, dass die Prinzessin wieder auftauchte. Also begleiteten wir alle den Syre auf die Burg, wo wir uns das Zimmer der Prinzessin vornahmen.
    Dort standen das Bett, ein Schreibtisch, ein Schrank, und ein Regal mit einer ganzen Menge Büchern. Guineth untersuchte das Regal und die Bücher, blätterte ein wenig durch und stieß plötzlich einen überraschten Laut aus. „Schau mal, Niphredil!“ Niphredil, die sich ebenfalls ein paar Bücher angesehen hatte, blickte ihr über die Schulter: „Hm. Nicht gerade Lektüre für eine sechszehnjährige Prinzessin.“ Auch Reina war inzwischen fündig geworden. „Schau mal einer an.“ Sie hielt in der einen Hand ein großes Pergament mit einem Hexagon darauf, dass sie unter einem doppelten Boden im Schrank gefunden hatte, in der anderen Hand einen kleinen Stapel Pergament, scheinbar Briefe, die sie eben aus einem doppelten Boden in einer der Schreibtischschubladen geholt hatte. Niphredil stellte das Buch wieder ins Regal, nahm die Briefe entgegen und las vor.
     
    Erster Brief
     
    Zweiter Brief
     
    Dritter Brief
     
    „Tja, ich würde sagen, wir haben unseren Finstermagier!“, war Marcellos Kommentar dazu. „Ja, und wir wissen auch, wie die Prinzessin abgehauen ist…“ Das war Guineth. „Und warum, wissen wir auch. Die Frage ist nur, wie finden wir sie?“ „Ist doch klar!“ Herewald, der bis jetzt nutzlos in der Ecke herumgestanden hatte, trat vor. „Wir folgen ihr auf dem gleichen Weg!“ Unterdrücktes Seufzen. „Na schön, dann stell dich mal auf das Pergament da mit dem Hexagon und rede einfach weiter, irgendwann wird das Schlüsselwort schon dabei sein.“ Der immer (noch) von Herewald genervte Ganymed. Herewald beäugte misstrauisch das Hexagon, stellte sich dann vorsichtig darauf. „So, und was soll ich jetzt sagen?“ „Irgendwas halt.“ „Wie wärs mit ‚Gwyn‘ oder ‚Geliebter‘ oder so?“, schlug Guineth vor. „Oder mit dem Namen von dem Finstermagier - weiß den eigentlich jemand?“ Ganymed schüttelte den Kopf, „Nein, den wusste Ringol auch nicht. Wir wissen jetzt nur, dass er mit W anfängt, den Briefen nach zu urteilen.“
    Es war sehr amüsant, zu beobachten, wie Herewald die nächsten 10 Minuten damit verbrachte, im Brustton der Überzeugung Worte zu rufen, die ihm andere sagten. Irgendwann fiel aber keinem mehr was ein, und so begannen wir, uns andere Gedanken zu machen. „Dieses Versetzen-Hexagon hat doch eine bestimmte Reichweite, oder?“, fragte Elwedritsch. Cliona dachte kurz nach, dann meinte sie: „Ja, im Normalfall sind das 500m.“ „Nehmen wir mal an, er war in einem Gasthaus einquartiert, als sie abgehauen ist. Dann suchen wir nach einer zwielichtigen Gestalt in einem Gasthaus in 500m Umkreis – das grenzt die Suche doch schon etwas ein“, stellte Reina fest. „Allerdings wissen wir nicht, ob das ganze heute passiert ist, die Kammerzofe hat ja gesagt, die Prinzessin sei die letzten paar Tage schon sehr ruhig gewesen. Ausschließen können wir es aber auch nicht, da sie ja wohl schon immer sehr ruhig war.“ „Also ist es wahrscheinlich am besten, wenn wir einfach mal die Gasthäuser absuchen – eine bessere Spur haben wir im Moment jedenfalls nicht“, tat Marcello seine Meinung kund. Alle nickten. „Und was mach ich jetzt?“, fragte Herewald, der immer noch auf dem Hexagon stand. „Du packst das Pergament wieder dahin, wo wir es her haben. Und du“, Niphredil wandte sich an die Kammerzofe, „rührst am besten nichts an.“ Die Zofe nickte verschreckt, ich gab ihr beim Hinausgehen noch den Rat, sich erst einmal eine kräftige Brühe zu holen und dann ins Bett zu gehen, was sie auch gleich befolgte – zumindest eilte sie in Richtung Küche davon, dem Duft nach zu urteilen.
     
     
  8. Ithilwen
    [spoiler=Turney zu Adhelstan]
    Am zweiten Tag schien Terra ihre Nervosität dann schon ein wenig abgelegt zu haben. Niphredil und Guineth brachen früh auf zum Turnierplatz und verarzteten einige Verletzte, wobei sie wieder ordentlich absahnten. Reina ging in die Stadt, um Erkundigungen über irgendwelche Leute einzuholen, die sie suchte. Bis zu Terras zweitem Kampf lief alles ungefähr wie am Tag zuvor. Da wir auch nicht wirklich wussten, wo wir nach MacDirk hätten suchen sollen und Reina eh gesagt hatte, dass er nach jedem Auftrag gleich wieder verschwand und sich ein halbes Jahr lang nicht mehr an dem Ort blicken ließe, konnten wir in der Richtung nicht wirklich etwas tun.
    Terra schlug sich wieder großartig, den ersten Gegner hob sie aus dem Sattel. Dessen Brustpanzer war ordentlich eingedellt, und sein Arm schien gebrochen zu sein. Er hatte jedoch offensichtlich seinen eigenen Heiler, so dass Niphredil und Guineth diesmal nicht viel zu tun hatten. Terras zweiter und letzter Kampf lief ähnlich. Der Typ hatte es aber auch verdient, so ein arroganter Schnösel. Terra schob ihn mit einem eleganten Schwung hinten vom Pferd runter.
    Damit war der Tag auch schon weitestgehend rum, nur morgen standen ihr jetzt noch ein oder vielleicht sogar zwei Kämpfe bevor, wenn sie den ersten auch gewinnen sollte. Vielleicht hatte sie doch Recht und das war gar nicht so abwegig.
     
     
     
  9. Ithilwen
    [spoiler=Turney zu Adhelstan]
    Am nächsten Morgen gingen wir also zunächst mit Terra zum Turnierplatz, um der Auslosung ihres ersten Gegners beizuwohnen. Sie hatte noch etwas Zeit, bis sie das erste Mal dran war. Also blieben einige bei ihr, nämlich genau die, die sie später auch verzaubern sollten, und außerdem Niphredil und Guineth. Terra wollte sich die anderen Teilnehmer schon einmal etwas genauer ansehen und versuchte, sie einzuschätzen, aber scheinbar hatte sie selbst noch nicht wirklich viel Turniererfahrung. Jedenfalls schien sie froh zu sein, dass Herewald ihr seine Rüstung geliehen hatte, denn alle anderen waren wesentlich besser gerüstet, als sie durch ihre eigene Rüstung gewesen wäre. Ansonsten konnte ich nicht wirklich einen Unterschied zwischen den Teilnehmern feststellen, lauter große Leute in Blechbüchsen. Man hatte uns allerdings gesagt, dass die Favoriten erst in späteren Runden hinzukommen würden – mal sehen, ob an denen irgendwas Besonderes war.
    Ich kochte Terra noch etwas, bevor es losging – am Tag zuvor hatte ich ja glücklicherweise Gelegenheit gehabt, meine Vorräte wieder aufzustocken. Aber auch das Essen schien nicht viel gegen ihre Nervosität zu helfen, dabei hatte ich ihr extra Pfannkuchen nach einem Spezialrezept meiner Mutter gemacht! So verbrachte ich nach dem Essen einige Zeit damit, darüber nachzugrübeln, was ich hätte anders machen sollen. Terra meditierte nach dem Essen schonmal. Währenddessen stromerten Ithilwen, Ganymed, Marcello, Farand und Reina durch die Stadt, um Ringol zu suchen. Sie kamen zurück, kurz bevor Terras großer Auftritt kam, hatten jedoch keine Zeit mehr, zu berichten. Terra wurde im Sattel festgeklebt, gesegnet und gestärkt, und sich selbst zauberte sie einen goldenen Panzer, so dass ihre Rüstung schön in der Sonne glänzte. Viel hübscher wurde die Blechbüchse dadurch allerdings auch nicht.
    Ich sah zunächst interessiert zu, fand aber nach kurzer Zeit relativ sinnlos, was die Leute da taten – aufs Pferd setzen, Lanzen nehmen, aufeinander zureiten und dabei versuchen sich zu treffen, wieder umdrehen, und von vorne das Ganze. Da sollte man die Zeit doch besser zum Kuchen essen nutzen – es war schon längst Kaffeezeit.
    Farand hingegen war ganz begeistert und mindestens so aufgeregt wie Terra, er durfte nämlich Knappe spielen. Auch ein komischer Job. Pferd halten, Lanze halten, Terra die Lanze geben. Spannend.
    Terra machte sich ganz gut, soweit ich das beurteilen konnte. Es war zwar mehrmals recht knapp, aber sie besiegte alle drei Gegner an diesem Tag, wobei sie einen ziemlich spektakulär aus dem Sattel hob. Niphredil und Guineth waren eifrig damit beschäftigt, Terras Gegner zu heilen, und schienen daran gar nicht mal so schlecht zu verdienen.
    Zwischendrin hatten die anderen Gelegenheit, uns von ihren Nachforschungen zu berichten:
    „Ringol ist tot, die Wachen hatten ihn gestern Abend noch nicht einmal dem Syre gemeldet. Die dachten, er sei irgendein dahergelaufener Verrückter. Heute Vormittag hat ihn ein Bettler in der Straße gefunden, tot. Seine Leiche liegt noch bei der Wache, wir sollten uns ihn vielleicht noch mal angucken.“
    Also zogen fast alle zwischen zwei Kämpfen noch einmal los, um der Stadtwache einen Besuch abzustatten. Niphredils Diagnose, die sie uns gab, als sie alle zurückkehrten: „Er wurde von hinten erstochen. Der Mörder scheint ihn überrascht zu haben, und er war klein. Reina sagt, sie hätte herausbekommen, dass MacDirk in der Stadt ist, ein berüchtigter Mörder, der einmal auftaucht und tötet, und danach sofort verschwindet. Er ist ein Kobold - würde also gut zur Größe des Mörders passen.“ Skeptische Blicke zu Reina, alle schienen sich zu fragen, woher sie das wusste, aber keiner fragte nach. Man war es offenbar schon gewohnt, dass sie so ihre Quellen hatte.
    Nachdem Terra diesen Tag so gut gemeistert hatte, war sie nicht etwa weniger aufgeregt – nein, sie wurde immer aufgeregter, und spekulierte sogar, was passieren würde, wenn sie tatsächlich gewinnen würde. Als ob das jemals passieren würde! Ich meine, klar hatte sie sich gut geschlagen, aber da musste sie ja nicht gleich größenwahnsinnig werden!
     
     
  10. Ithilwen
    [spoiler=Turney zu Adhelstan]
    Es wurde immer voller auf den Straßen, je näher wir Adhelstan kamen. Ich war echt froh, dass ich Gundel hatte: Ohne sie wäre ich sicher schon längst zertrampelt worden. Da waren Ritter, deren Gefolge, das mehr oder weniger groß war, und Händler – Unmengen von Händlern. Alles mögliche konnte man bei ihnen kaufen: Seifen, Waffen, Kräuter, Taschen, Stoffe, Nahrungsmittel, Fackeln… Es gab sicher nichts, was man hier nicht kriegen konnte. Wir schlugen unser Zelt am Rand der Stadt auf, oder genauer: Am Rande des Zeltlagers, dass sich um die Stadt gebildet hatte. Glücklicherweise gehörte das zu Marcellos Standardausrüstung. Ringol verabschiedete sich von uns, nachdem er sich noch einmal bedankt hatte; er wollte versuchen, mit dem Syre zu sprechen, in der Hoffnung, ihm die Bedrohung deutlich machen zu können, die vom Finstermagier ausging. Er zweifelte jedoch stark daran, dass er überhaupt vorgelassen würde, zumal ja die Tochter des Syres der Hauptpreis des Turniers war – da hatte er sicher jede Menge anderer Sorgen. Ich bezweifelte auch, dass er in die Burg kommen würde – er wusste ja noch nicht einmal den Namen des Finstermagiers! Vielleicht hatte er sich das eh alles nur ausgedacht… Er versprach uns jedenfalls, zurückzukommen, wenn er in der Burg fertig war.
    Nachdem das Zelt aufgeschlagen war, machten wir uns alle daran, die Gegend zu durchkämmen: Ich, um meine Vorräte aufzustocken, Ithilwen und Ganymed, um ihre Pfeile wieder aufzustocken, und der Rest, um Terra zur Turnieranmeldung zu begleiten. Ich fand alles, was ich brauchte, auch wenn es zum Teil schwer war, durchzukommen, und ich mehrmals beinahe umgerannt wurde.
    Wir trafen alle ungefähr gleichzeitig wieder beim Zelt ein. Terra war jetzt angemeldet und furchtbar aufgeregt. Die Auslosung der Gegner fand jedoch erst am nächsten Morgen statt, so dass sie jetzt erst einmal entspannen konnte. Ich sorgte auch gleich für etwas zu essen und einen Tee zur Beruhigung. Währenddessen verschwand Elwedritsch hinterm Zelt und winkte mir geheimnistuerisch, mitzukommen. Also folgte ich ihm, und er erklärte mir, dass sie soeben ein Geburtstagsgeschenk für Ithilwen erstanden hatten – zwei Feuerkugelpfeile, einen Auflösungspfeil und einen Lähmungspfeil. Er machte sich jetzt daran, Hüllen dafür zu basteln, so dass sie nicht aus Versehen zerbrechen konnten, und ich schuldete Niphredil 50 Silberstücke, wenn ich mich beteiligen wollte. Etwas besorgt spingste ich in meinen Geldbeutel: Das könnte so grade eben noch drin sein. Aber der musste dringend mal aufgestockt werden… Bei der nächstbesten Gelegenheit drückte ich Niphredil die 50 Silber in die Hand.
    Abends saßen wir alle gemütlich ums Feuer und machten einen Schlachtplan für morgen. Elwedritsch hatte die grandiose Idee, Terras Rüstung am Sattel festzukleben, so dass sie nicht aus dem Sattel fallen konnte, denn wenn das geschah, hatte sie gleich verloren. Außerdem würde sie vorher meditieren, um ihren ersten Angriff besonders konzentriert durchführen zu können. Ich würde sie zusätzlich noch segnen – wenn Leomie ihr wohlgesonnen war, konnte sie ja fast nur gewinnen. Herewald hatte es im Laufe des Tages geschafft, eine Rüstung für ihr Pferd aufzutreiben, und sie bekam seine Rüstung geliehen. Nachdem das alles besprochen war, machte Terra mit ihrer Nervosität alle anderen auch noch ein bisschen verrückt, dann gingen wir schlafen, wobei wir uns noch kurz wunderten, warum Ringol noch nicht wieder aufgetaucht war, dann aber vermuteten, dass es einfach zu spät geworden war und er irgendwo in der Stadt eine Bleibe gefunden hatte. Wir würden am nächsten Morgen nach ihm suchen.
     
     
  11. Ithilwen
    Mit den unbequemen Mahlzeiten auf dem Karren hatte ich mich nach ein paar Tagen halbwegs abgefunden. Ich saß mal wieder neben Elwedritsch auf dem Karren, es war nachmittag und regnete zur Abwechslung mal, die Straße war matschig und wir kamen noch langsamer als sonst voran, als wir auf einmal Kampfeslärm hörten. Der Fian Ganymed und die eine Elfe, Ithilwen, von der ich nicht recht wusste, was sie eigentlich war – sie schien sich vorzüglich aufs Jagen, Spurenlesen und solcherlei Dinge zu verstehen – preschten vor, die Ordenskriegerin Terra folgte ihnen mit Herewald, der eigentlich seinen Arm schonen sollte, und mit Reina, der KanThai, die dicht von Farand gefolgt war. Wir fuhren noch bis zur Ecke und brachten uns dann hinter dem Karren in Sicherheit, wobei sich Guineth und Niphredil, beides Heilerinnen, uns anschlossen. Marcello indes stürmte ebenfalls vor ins Kampfgetümmel.
    [spoiler=Turney zu Adhelstan]
    Ganymed und Ithilwen hatten, soweit ich das erkennen konnte, ein paar der Angreifer unter Beschuss – Orks. Soviel erkannte ich, obgleich ich noch nie zuvor einen gesehen hatte. Sie waren schon extrem hässlich und ich konnte sie bis hinter den Karren riechen - das verdarb selbst mir den Appetit. Etwa ein Dutzend von ihnen hatten offenbar bis vor ein paar Sekunden einen einzelnen Mann attackiert, der schon recht mitgenommen aussah – kein Wunder. Jetzt kam etwa die Hälfte in unsere Richtung gerannt, Ithilwen und Ganymed steckten ihre Bögen weg und zogen ihre Schwerter. Elwedritsch spannte seinen Schirm auf, und einer der Orks sank, offensichtlich von irgendwas getroffen, zu Boden. Etwas misstrauisch beäugte ich den Schirm, Elwedritsch grinste mir zu und wandte sich dann wieder dem Kampfgeschehen zu, was ich ebenfalls tat. Ich sah, wie Reina ihre merkwürdige Waffe, eine an einer Kette befestigte Sichel, in großem Bogen schwang, als sie auf die Angreifer zulief, den ersten verfehlte, dem zweiten mit einem sehr hässlichen Geräusch ein Bein abschlug und dem dritten die Sichel seitlich in die Bauchgegend grub. Auf diesen schlug sie weiter ein, während Marcello sich einen anderen vornahm und ihn mit blitzschnellen Streichen seines Rapiers auseinandernahm. Farand erging es nicht so gut: Kaum hatte er den ersten Ork ins Visier genommen, zog ihm dieser mit einer Keule eins über dem Kopf, so dass er gurgelnd zusammenbrach. Eine Schreckenssekunde lang dachte ich, er sei tot, doch dann sah ich, dass er sich noch schwach bewegte und offenbar versuchte, vom Kampf wegzukriechen. Ganymed hielt inne, als er das sah, sprang vor fing den nächsten Hieb des Orks ab, bevor er ihn einmal der Länge nach aufschlitzte. Dann nahm er Farand auf, um ihn zu uns zu tragen, setzte ihn bei uns ab und stürzte sich erneut ins Getümmel. Niphredil begann sofort damit, die Platzwunde am Kopf zu stillen. Inzwischen war auch Ithilwen bei den Orks angekommen, und ab da war es nur noch ein einziges Getümmel. Wir, also im wesentlichen Niphredil, verarztete Farand – er hatte danach einen dicken Verband um den Kopf. Die anderen schienen ohne große Probleme die restlichen Orks niederzumetzeln. Ein bisschen gruselig war es schon, ich war froh, dass ich zu den Abenteurern gehörte…
     
    Endlich war es vorbei, und wir kamen vorsichtig näher, wobei ich darauf achtete, nicht auf Orks oder deren Blut zu treten. Widerlich! Und wie sie stanken!
     
    Wir gelangten zu dem armen Menschen, dem wir zur Hilfe geeilt waren. Da sah ich, dass er auch spitze Ohren hatte - noch ein Elf also. Niphredil begann gleich, ihm Verbände anzulegen und murmelte anschließend einige Heilsprüche, wobei Guineth ihr zur Hand ging und ich nur hin und wieder einen Handgriff tat, wenn es nötig war. Die beiden waren ein gut eingespieltes Team, für mich gab es da nicht mehr viel zu tun.
     
    Als der Mann wieder soweit hergestellt war, stellte er sich als Ringol vor. Er sei königlich albischer Waldläufer. Wir machten uns wieder auf den Weg nach Adhelstan, während er weiter erzählte, auf dem Karren sitzend. „Es wundert mich nicht, dass ich angegriffen wurde, aber ich bin froh, dass ihr zur Stelle wart, und möchte euch noch einmal danken, dass ihr mich gerettet habt, denn andernfalls wäre möglicherweise auch Wissen verloren gegangen, das besser erhalten bliebe. Wisst ihr, ich bin seit einigen Jahren auf der Jagd nach einem Finstermagier. Ich habe die Spur manchmal verloren, aber jetzt bin ich mir ziemlich sicher, dass er hier in der Gegend sein Unwesen treibt. Ich bin davon überzeugt, dass er diese Orks geschickt hat, um mich zu töten, weil ich ihm auf die Schliche gekommen bin. Ihr solltet euch vor ihm in Acht nehmen, er hat sicher beobachtet, was hier vorgefallen ist.“
     
    Na großartig… Ein Finstermagier. Der uns wahrscheinlich jetzt alle umbringen will. So hatte ich mir mein erstes Abenteuer wirklich nicht vorgestellt. Andererseits, warum auch nicht? Dann hatte ich Odur wenigstens was zu erzählen, wenn ich ihn mal treffen sollte auf unseren Reisen. Nachdenklich kauend saß ich auf dem Karren und hatte doch tatsächlich einmal vergessen, dass man beim Essen nicht über wichtige Dinge nachdenken soll.
     
     
  12. Ithilwen
    Gleich am nächsten Tag musste ich feststellen, dass meine Reisegefährten nicht gerade einfach waren, was das Essen anging. Als ich mich zum zweiten Frühstück am Straßenrand niederlassen wollte, fragten sie völlig verständnislos, was ich vorhätte. „Es ist Zeit für das zweite Frühstück“, sagte ich ihnen, „schaut mal, wie hoch die Sonne schon steht.“ Verwirrung machte sich scheinbar breit, nur der Gnom, Elwedritsch, stieg ab und wollte sich dazugesellen. „Nichts da“, hieß es dann von Ganymed, dem Fian. „Wir wollen schließlich rechtzeitig zum Turnier in Adhelstan ankommen. Schließlich sind wir ja angeblich Terras ‚Gefolgsleute‘“ – er warf ihr einen etwas beleidigten Blick zu – „und sie muss ja für ihren Jugendfreund Herewald am Turnier teilnehmen, da er ja einen verletzten Arm hat!“ Es folgte ein genervter Blick zu genannter Blechbüchse. Dieser quasselte ununterbrochen, und auch wenn ich nichts gegen ein gelegentliches Schwätzchen habe, muss ich doch zugeben, dass er ein wenig nervig war, und ich ihm gerne mal einen guten Rat gegeben hätte.
    Doch jetzt stand ich vor einem ganz anderen Problem: Einige schienen Ganymed Recht zu geben. „Aber wir müssen doch was essen! Wir können doch nicht ohne Frühstück weiterreiten!“ „Wir haben doch schon gefrühstückt…“, kommentierte Ganymed. „Ja, aber was ist mit dem zweiten Frühstück?“ „Wir reiten weiter bis heute Abend. Da gibt’s dann im Gasthaus wieder was zu essen.“ „Also ich könnte auch was essen“, merkte Elwedritsch an. „Also gut, stimmen wir ab. Wer ist dafür, dass wir jetzt eine Pause machen und was essen?“ Elwedritsch, Farand und ich hoben die Hand. „Wer ist dagegen?“ Fünf Hände hoben sich. Ich brummte mürrisch, aber da ließ sich wohl nichts machen. „Ihr könnt euch ja auf meinen Karren setzen und da was essen“, schlug Marcello vor. Ziemlich eingeschnappt über die Ignoranz der großen Leute kletterte ich auf den Wagen und packte ein großzügiges Picknick aus, auf Elwedritsch’s Wunsch zauberte ich auch noch einen Krummbeerekuchen, zu albisch einen Kartoffelkuchen herbei. Der Hund, Balian, der sich bei der Gruppe befand, bekam selbstverständlich auch ein großes Stück Schinken.
    Gegen Mittag versuchte ich noch einmal, die Leute zu überzeugen, dass es doch viel schöner und sinnvoller sei, zum Essen anzuhalten. „Sag mal, wie willst du denn was erleben, wenn du die ganze Zeit nur isst?“, wurde ich gefragt. „Na ganz einfach – die Abenteuer kommen doch zu mir, wenn ich an einer Stelle bleibe. Wenn ich dauernd vor ihnen wegreite, dann holen sie mich doch nie ein.“ „Aber es wäre doch blöd, wenn du beim Essen von Räubern überfallen wirst?“ „Nee, das wäre doch spannend. Außerdem würden sie mich ja nicht überraschen, weil ich warte ja quasi auf sie.“ „Naja, aber du weißt ja nicht, dass sie kommen. Es ist doch besser, wenn man selber das Abenteuer findet, als wenn das Abenteuer einen findet. Dann ist man wenigstens vorbereitet.“ Diese Logik gefiel mir zwar ganz und gar nicht; welchen Sinn hatte es, Abenteuer zu suchen, wenn sie doch von selber kamen und man gemütlich bei einem Picknick auf sie warten konnte? Aber ich verzehrte auch mein Mittagessen auf dem Karren.
    Die restlichen Tage murrte ich noch ab und zu, freundete mich aber langsam mit der Karren-Lösung an, da ich einsah, dass Widerspruch zwecklos war.
  13. Ithilwen
    Hallo,
    Felolie ist mein Name, aber nennt mich Feli. Ich komme aus dem Halfdal, wo alles etwas kleiner ist - aber klein sein hat durchaus seine praktischen Seiten. Dort habe ich den Beruf einer Köchin erlernt, und ich bin gut darin, wenn ich das mal so sagen darf. Und auch wenn ihr großen Leute gutes Essen einfach nicht genügend zu würdigen wisst, werdet ihr sicher genauso denken, wenn ihr einmal von meinen Speisen gekostet habt. Außerdem bin ich Leomie-Priesterin und kann also niemanden ohne etwas zu essen von dannen ziehen lassen - da ich es aber ohnehin für eine schlechte Angewohnheit der großen Leute halte, Gästen nicht sofort und ohne Verzögerung etwas zu essen anzubieten, die von mangelnder Gastfreundschaft zeugt, koche ich gerne für meine Gäste und habe noch keinen hungrig aus meinem Haus gehen lassen. Eure Chancen stehen also gut, solltet ihr mich irgendwo treffen, einmal in den Genuss meiner Kochkünste zu kommen. Ich würde mich freuen, euch bewirten zu können, und auch eure Freunde dürft ihr gerne mitbringen.
    Nun aber genug vom Essen, da ich weiß, wie ungeduldig ihr großen Leute stets seid - ihr seid gekommen, um über meine Abenteuer zu lesen, und so will ich denn davon berichten.
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