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Wie alles begann


Ithilwen

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Es fing vermutlich damit an, dass ich das Halfdal verließ. Ich tat dies guten Mutes – meine Ausbildung war fast abgeschlossen, und nun zog ich aus, um die Welt der Großen zu erforschen. Mein treues Pony, Gundel, trug meine Vorräte, denn Odur Habustin, ein Cousin siebten Grades des Schwagers meiner Cousine, hatte mir in seinen zahlreichen Briefen aus der Fremde immer wieder berichtet, dass die Essgewohnheiten der großen Leute doch sehr zu wünschen lassen. So hatte ich Gundel alles aufgeladen, was ich bekommen und sie tragen konnte. Leider reichte es nur für etwa die Hälfte der Strecke nach Twyneward – dort wollte ich mich zunächst nach Reisegefährten umsehen, denn so ganz allein wollte ich dann doch nicht reisen. Schließlich macht kochen gleich nochmal so viel Spaß, wenn andere Leute mitessen.

 

Nach etwa zwei Wochen Reisezeit, auf der mich viele Leute komisch angesehen hatten, wenn ich mich zum zweiten Frühstück, Mittagessen oder Fünf-Uhr-Tee auf meinem Tischtuch am Straßenrand niederließ, woraufhin ich ihnen etwas zu essen angeboten hatte, was sie aber ausnahmslos ablehnten – wirklich sehr unhöflich, diese großen Leute – erreichte ich Twyneward. Es stellte sich auch schnell heraus, dass einer der Gastwirte, Baldred, zur Zeit auf der Suche nach einer Köchin war. Dieser stellte mich auch prompt ein, so dass ich zunächst einige Zeit in seinem Gasthaus verbrachte.

 

Eines Tages war eine große Zauberer-Vorstellung im Gasthaus angekündigt, wohl auch um ein wenig mehr Kundschaft anzulocken. Ich war sehr gespannt: Einen Zauberer sieht man nun einmal, gerade im Halfdal, nicht alle Tage. Das Gasthaus füllte sich dann am entsprechenden Abend auch recht früh, die Gäste waren gemischt, einige Zwerge waren da, ein paar seeehr große Menschen – man sagte mir, es seien Waelinger, wo auch immer die herkommen mögen – viele Einwohner von Twyneward, und auch einige Abenteurer auf der Durchreise entdeckte ich. Ich nahm mir gleich vor, sie später nach ihrem Ziel zu fragen, und ob ich mich ihnen vielleicht anschließen könnte.

 

Doch zunächst galt es, den Durst der Gäste zu stillen – Hunger schien merkwürdigerweise keiner zu haben – und dann die Vorstellung zu genießen. Ich bemühte mich also nach Kräften, alle Gäste zu bedienen, bevor es losging, aber irgendwann war einfach kein Durchkommen mehr für mich, da es viel zu voll war in der kleinen Stube. Endlich saßen alle, die Vorhänge wurden zugezogen, es wurde dunkel. Dann plötzlich, mit einem lauten Knall und einem grellen Lichtblitz, erschien ein Mann auf der Bühne. Er trug ganz eindeutig einen Zauberermantel, mit vielen glitzernden Sternen drauf, und einen spitzen Hut, den er festhielt, während er sich übertrieben gestikulierend verbeugte und sich als „der größte Zauberer aller Zeiten“ vorstellte. Mehr konnte ich nicht erkennen, da ich ganz hinten an einem Tisch saß. Die vordersten Tische waren von den Abenteurern, den Waelingern und den Zwergen besetzt, die Waelinger und die Zwerge hatten schon einiges an Bier getrunken.

 

Nach einigen doch recht amüsanten Tricks erklärte der größte Zauberer aller Zeiten, dass er vorhabe, seine Kunst im Messerwerfen zu demonstrieren – eine höchst fragwürdige Kunst, wenn ihr mich fragt. Messer sind dazu da, damit zu essen, nicht zum werfen. Er sprach eine junge Frau aus der Abenteurergruppe an, die sich nach kurzem Zögern als Freiwillige bereiterklärte. Sie drückte einer anderen Frau ein kleines Päckchen in die Hand, das sie aus ihrem Rucksack geholt hatte, sobald vom Messer werfen die Rede gewesen war, und murmelte ihr etwas zu. Der Zauberer, nein, Verzeihung, ich meinte natürlich der größte Zauberer aller Zeiten, grinste breit, soweit ich das beurteilen konnte. Die junge Frau – sie zählte vielleicht 16 Jahre – stellte sich vor die Wand. Das Publikum wurde merklich unruhig, aber sie hielt still. Glücklicherweise. Denn die Messer schlugen dicht neben ihrer Hüfte ein – erst eins neben ihrer rechten Schulter, dann eines neben ihrer linken Schulter, und zu guter Letzt warf der Zauberer zwei Messer gleichzeitig mit einer Hand, und diese bohrten sich auf beiden Seiten ihrer Hüfte mit etwa 2cm Abstand in die Wand. Ein riesen Applaus brach los. Er verbeugte sich, bedankte sich bei seiner Assistentin, die ihn breit angrinste und sich wieder hinsetzte, dann kündigte er eine Pause an.

 

Ich beeilte mich, den Gästen neue Getränke zu bringen, einige gingen hinaus, um ein bisschen frische Luft zu schnappen, darunter auch die freiwillige Assistentin, andere begrüßten Bekannte aus der Stadt, die sie eben erst entdeckt hatten. Zu den Abenteurern hatte sich ein Mann in einer Blechbüchse gesellt, der sich angeregt mit einer Frau aus der Gruppe unterhielt, die in eine ebensolche Blechdose gekleidet war. Wirklich merkwürdige Angewohnheiten. Wobei diese zwei nicht die ersten Menschen waren, die ich so gekleidet sah. Einer der Abenteurer, jetzt, wo ich genauer hinsah und auch etwas näher war, erkannte ich, dass er spitze Ohren hatte, unterbrach die Blechbüchse, scheinbar erbost. Aus Odurs Briefen wusste ich, dass es sich um einen Elfen handeln musste. Ich betrachtete auch die anderen etwas genauer und entdeckte, dass auch zwei der Frauen Elfen waren. Eine dritte Frau sah sehr fremdländisch aus, ihre Augen waren wie zu Schlitzen verengt, sie war sehr blass. Eine weitere Frau war dabei, die ich auf den ersten Blick als Albai einschätzte – an ihr war nichts besonders auffälliges. Ein Junge saß noch am Tisch, scheinbar ebenfalls Albai, und richtete sich offensichtlich, auch wenn er sich dessen vielleicht selbst nicht gewahr war, nach der fremdländischen Frau, hörte ihr aufmerksam zu, wenn sie sprach, und ahmte sie in manchen Gesten nach.

 

Ich hatte keine Gelegenheit, mit ihnen zu sprechen, bevor es weiterging. Diesmal fragte er das Publikum danach, wie viel Seidenstoff sich ihrer Meinung nach im Kopf eines der Waelinger finden würden. Er begann tatsächlich, dem Waelinger Stoff aus einem Ohr zu ziehen. Dann ging plötzlich alles ganz schnell. Ich sah nur, wie der Waelinger ausholte, dann brach eine Schlägerei los, die zunächst nur die Waelinger und die Zwerge betraf, kurz darauf mischten sich die Abenteurer ein, wobei sie hauptsächlich versuchten, Zwerge, Waelinger und den Zauberer auseinanderzuzerren, und auch ein Gnom sprang von der Bühne, wo der auf einmal herkam, wusste ich nicht. Die anderen Gäste, zum Teil schon recht betrunken, ließen sich nicht lange bitten und stürzten sich mit ins Handgemenge. Sehr unzivilisiert, diese großen Leute. Ich versuchte zu retten, was zu retten war – im Wesentlichen war das der Bierkrug, der vor mir stand – und verkroch mich hinter dem Tresen. Den Wirt sah ich gerade aus der Tür laufen, vermutlich war er auf dem Weg, die Stadtwache zu holen. Auf einmal sah ich ein gleißend helles Licht, doch es gelang mir, die Augen abzuwenden, bevor ich gar nichts mehr sehen konnte. Ich sah, wie die Abenteurer sich das ganze ansahen, feststellten, dass sich jetzt alle gezwungenermaßen wieder recht friedlich verhielten, und sich zur Tür hinausschoben.

 

„Hey, wartet kurz!“ Ich lief ihnen hinterher. Das Mädchen, die Assistentin, drehte sich zuerst zu mir um und sah mich fragend an. „Könnt ihr nicht hierbleiben? Die da drinnen“ – ich deutete mit dem Daumen nach hinten „sind zwar im Moment außer Gefecht gesetzt, aber ich glaub nicht dass das so lange hält…“ Alle sahen den Magier an, der auf den Gnom gestützt stand, was recht ulkig aussah. „Nein, das geht nicht…“ meinte der. „Könnt ihr nicht wenigstens dableiben, bis die Stadtwache kommt?“ „Was? Die Stadtwache? Oh nein, können wir bitte schnell verschwinden?“ „Warum denn? Was hast du denn ausgefressen?“ Das wär das Mädchen. „Das… äh… ist eine lange Geschichte, die ich euch später mal erzählen kann. Jedenfalls würde ich ungerne der Stadtwache begegnen. Können wir also los?“ Nachdenkliche und verwunderte Blicke wurden getauscht. Ich schaltete mich wieder ein. „Ihr könnt ja auch oben auf dem Zimmer warten… Und ich hol euch dann wenn was ist. Eigentlich habe ich eh nach so Leuten wie euch gesucht. Eigentlich will ich nämlich Abenteuer erleben!“ Zweifelnde Blicke. „Na kommt, ihr könnt jedenfalls nicht ohne was zu essen gehen. Ihr könnt es euch ja auf eurem Zimmer gemütlich machen, und ich bringe euch was hoch.“ „Na komm schon, Marcello!“ Der Gnom sah den Zauberer erwartungsvoll an. „Na schön. Aber ihr sagt keinem, dass ich da bin, ja?“ Ich nickte. Ich war auch furchtbar neugierig, warum er nicht wollte, dass die Stadtwachen ihn sahen, aber erstmal war ich froh, dass ich sie überredet hatte, zu bleiben.

 

Auf dem Zimmer stellte ich mich erst einmal vor und fragte sie nach ihren Namen. Der Zauberer hieß, wie ich schon mitbekommen hatte, Marcello, „Der größte Zauberer aller Zeiten“, der Gnom, scheinbar sein Helfer, hieß Elwedritsch, die fremdländische hieß Mirai Reina, wurde aber Reina genannt – sehr komisch, zuerst den Nachnamen zu nennen, wenn ihr mich fragt - der Elfenmann hieß Ganymed, das Mädchen Guineth – hier klingelte bei mir schon irgendeine Glocke, die ich aber nicht zuordnen konnte – die Elfenfrauen Ithilwen und Niphredil, die Blechbüchse Terra de Soel, der Junge Farand, die albische Frau Cliona. Und da wusste ich es dann, woher sie mir bekannt vorkamen: Odur hatte mir von ihnen geschrieben! Er war ihnen in Haelgarde begegnet, wenn ich mich recht erinnerte. So ein Zufall! Ich fragte sie gleich nach ihrer Begegnung mit ihm aus, und nach ihrer Reise, was sie wohl recht lustig fanden. Doch rasch besann ich mich auf meine Gastgeberpflichten und ging hinunter, um etwas zu essen zu holen. Unten war die Stadtwache bereits eingetroffen und führte Befragungen durch. Auch ich wurde abgefangen und befragt, verschwieg ihnen aber, dass der Zauberer, nach dem sie suchten, oben im Zimmer war. Sie fragten mich auch danach, wer denn mit Messern beworfen worden sei, und ich gab ihnen die Auskunft, dass das betreffende Mädchen noch oben sei. Ich bot ihm an, Guineth holen zu gehen, gab ihm noch etwas zu essen und ging wieder hoch, wobei ich ganz vergessen hatte, dass ich ja auch etwas zu essen mit hoch bringen wollte.

 

So begleitete ich Guineth wieder nach unten, holte etwas zu essen für alle anderen und trug es hoch, während sie sich der Wache gegenüber niederließ. Die anderen erzählten mir begeistert von ihren Abenteuern, unterbrachen sich manchmal gegenseitig und schienen viel Spaß an der ganzen Sache zu haben. Einige Zeit später kam auch Guineth wieder hoch, ein bisschen rot im Gesicht. Sie verkündete, dass die Stadtwachen abgezogen wären und jetzt planten, die Stadttore kontrollieren zu lassen, damit ihnen der Magier nicht entkommen konnte, auch wenn sie es wohl geschafft hatte, der doch nicht sehr intelligenten Wache irgendwie klarzumachen, dass Marcello sie mit den Messern nicht hatte treffen wollen, dass es eine Show gewesen war.

 

Jedenfalls wurde beschlossen, dass man sich doch besser schnell auf den Weg machen sollte. „Ich darf doch mit, ja?“, bettelte ich. „Ich koche auch für euch!“ Seufzen, Schulterzucken, neugierige Blicke von Farand, dem Jungen, dann, ohne dass man wirklich darüber gesprochen hatte, ein Nicken von Niphredil. Strahlend machte ich mich auf, um dem Wirt zu erzählen, dass ich ihn jetzt alleine lassen würde mit seiner kaputten Gaststube und meine Sachen zu packen. Drei Pfund Brot, ein Schinken, Salz, Mehl, Eier wären auch ganz gut, aber wie sollte man die transportieren? Kochgeschirr, jede Menge Möhrchen, ein paar Kräuter, Tuffeln, und noch einiges mehr wanderten in die Packtaschen. Der gute Baldred, der Gastwirt, nahm die Neuigkeiten halbwegs gelassen auf: Er sah wohl ein, dass hier im Moment für mich ohnehin nichts zu tun war, nahm mir aber das Versprechen ab, wenn ich wieder in die Gegend kommen sollte mal vorbeizukommen. Das gab ich ihm gern, er war ein sehr netter Mann und hatte im Gegensatz zu einigen anderen großen Leuten vollstes Verständnis dafür, dass am Tag sechs Mahlzeiten nötig waren. Er erlaubte mir auch, von den Vorräten so viel mitzunehmen wie ich, oder vielmehr wie Gundel, mein Pony, tragen konnte.

 

Während ich also mit Packen beschäftigt war, hatte Marcello sich in ein Tagelöhner-Kostüm geworfen – ich erkannte ihn wirklich nicht wieder - wir machten uns sofort auf den Weg und passierten noch ungehindert die Stadttore, und so begann meine Abenteuerreise...

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