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Michael Bux

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  1. Ein Brief aus dem Nachlass des berühmten Fantasy-Literaten versetzte jüngst die Fachwelt in Oxford in Aufregung. Aber lest am besten selbst... Euer Michael Bux Sehr geehrter Herr Tolkien, ich schreibe Ihnen, um mich zu beschweren. Als eine der wichtigsten Figuren Ihres Hauptwerkes "Der Herr der Ringe" bin ich der Auffassung, dass mir das Recht zusteht, einige kritische Worte ans Sie zu richten. Ich möchte Ihnen empfehlen, die Bedeutung meines Schreibens nicht zu unterschätzen, da "Der Herr der Ringe" sich allgemein großer Beliebheit erfreut und in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Es betrifft also eine hinreichend große Leserschaft in aller Welt, wenn ich - obgleich nur eine Romanfigur - an dieser Stelle meine Unzufriedenheit kund tue. Ich frage mich, was im Kopf eines Schriftstellers vorgehen mag, wenn er mit seinen Figuren so umspringt, wie Sie es in dem oben erwähnten Werk mit mir getan haben. Ohne Zweifel ist eine gehörige Portion Arglosigkeit, wenn nicht sogar Sadismus vorauszusetzen, wenn Sie mich im zehnten Kapitel des ersten Buches dazu zwingen, mich von der Abenteurergruppe zu trennen und nur in Begleitung von Samweis Gamdschie gen Mordor aufzubrechen. Das ewige vertrauliche Getue dieses unterbelichteten Hobbits war schon kaum zu ertragen, als Ihnen nichts Besseres in den Sinn kam, mich quer durch die Totensümpfe waten zu lassen. Die Schlammflecken auf meinen Reisehosen waren mit keiner Seife Mittelerdes zu beseitigen, so dass ich mir im Anschluss an meine Reise ein neues Paar kaufen musste. (Seien Sie froh, werter Herr Tolkien, dass ich Sie nicht mit der Rechnung beschäme! ) Statt mich in einer wahnwitzigen Aktion von der kampferprobten Gruppe abzusetzen, wäre es mein ausdrücklicher Wunsch gewesen, den Einen Ring einem anderen zu übergeben und ins Auenland zurückzukehren. Aragorn wäre vielleicht der Richtige gewesen. (Er hätte ihn schon genommen, gestand er mir in einem ruhigen Augenblick, wenn ich ihn nur weiter bedrängt hätte.) Eigentlich hatte ich ja schon die Nase voll, seit wir von Meister Elronds Haus ausgebrochen waren! Ihre Rücksichtslosigkeiten, werter Herr Tolkien, gipfeln in der Frechheit, mir zum Schluß einen Finger abbeißen zu lassen! Ich bitte Sie, solche Grausamkeiten in Zukunft zu unterlassen. Mit Ihrer Rolle als Schriftsteller tragen Sie eine große Verantwortung, der Sie sich besser bewußt sein sollten. Sie sind nicht nur Ihren Lesern, sondern ebenso Ihren Figuren verpflichtet, sich um ihr Wohlergehen zu sorgen. Da Sie bisher keinerlei Regung gezeigt haben, den "Herrn der Ringe" entsprechend umzuschreiben, möchte ich Sie auffordern, jegliche Schriftstellerei zu unterlassen – solange, bis Ihnen die Tragweite Ihrer Entscheidungen bewußt wird. Mögen Ihre Füße immer warm und trocken sein! Frodo Beutlin Beutelsend, Auenland
  2. Es ist schon ein bisschen ungewohnt. Fantasy schien bislang keinen besonders guten Leumund zu haben. Auf einer Low-End-Skala in der Rubrik "Allgemeines Ansehen" schienen Orks, Zauberer und Elfen zwischen den Zeugen Jehovas und Fußpilz zu rangieren. Fantasy war lange nicht angesagt, in, hip, trendy oder en vogue. Fantasy-Rollenspiele deshalb auch nicht. Wer schon zu Schulzeiten Fantasy-Rollenspiele gespielt hat, wird wissen, wovon die Rede ist. Allzu oft musste man erklären, was man da eigentlich jeden Nachmittag trieb. Beinahe ebenso oft galt es, sich zu rechtfertigen und öffentlich Satan abzuschwören, denn die trübe Masse erkannte in Rollenspielern Hexenanbeter oder bestenfalls weltfremde Sonderlinge. Wieviel einfacher wäre es stattdessen gewesen, einfach "Mein Hobby ist Fußball." zu sagen und weiteren Problemen aus dem Weg zu gehen! Jeder kennt Fußball und stellt deshalb keine Fragen. Der Ball ist rund, und ein Spiel dauert neunzig Minuten. Aber Rollenspiel? Allein die Vorstellung, dass es Würfel geben könnte, die mehr als sechs Seiten haben, versetzt manche Leute in helle Aufregung. Hinzu kommt eine quasi unbegrenzte Spieldauer und nur ein einziges, leider nicht in Zahlen auswertbares Spielziel: Spaß haben. Gewinnen ist nebensächlich. Wahrlich! Ein komischer Zeitvertreib, dem da so manche mit Begeisterung frönen. Also: der Würfel ist vier-, sechs-, acht-, zehn-, zwölf- oder zwanzigseitig, und ein Spiel dauert beliebig lange. Da musste so mancher hessische Oberschulleiter schlucken… Aber irgendetwas scheint sich in der Welt verändert zu haben. Richtig, da war etwas. Hollywood schickt die Infanterie. Endlich werden die Kinoleinwände von Orks, Zauberern und Elfen bevölkert - und sie sehen richtig klasse aus! Außerdem sollen sie nicht nur ein Kinderpublikum ansprechen, sondern auch Volljährige auf die rotgepolsterten Sessel locken und haben deshalb eine Menge Geld gekostet - Geld, das die Produzenten wieder einfahren müssen, wenn sich die ganze Sache für sie lohnen soll. Kaffeetassen, Kugelschreiber, Bettwäsche - die Merchandise-Lawine rollt. Computerspiele und Extended-Ultra-Mega-Hyper-Long-DVDs des begehrten Films gehen über den Ladentisch, dass den Händlern die Finger bluten. Ein fünfzig Jahre altes Buch wird neu aufgelegt und zum Verkaufshit weil Filmvorlage, nachdem es lange Zeit hinten im Lager verstaubte. Mütter stehen hilflos vor Sonderregalen, weil sie gar nicht wissen, was sie zuerst ihrem Sprößling schenken sollen. Aber keine Sorge: die freundliche Bedienung ist gleich für Sie zur Stelle. Folgt mir in die Vergangenheit. Hier der dunkle und feuchte Hinterhof, fast vergessen und grau, auf dem Fantasy lange Zeit ihr Dasein fristen musste. Vom Abstellgleis führt man sie zurück in die Öffentlichkeit, ins Helle hinaus. Das Ramenlicht blendet ein Weilchen, bis sich die Augen daran gewöhnt haben. Plötzlich geht das Blitzlichtgewitter der Kameras nieder. Namhafte Magazine haben soeben das Titelbild für die Dezemberausgabe gesichert und ein kräftiges Zugpferd vor die Verkaufszahlen gespannt. Das Medium hat sich beinahe über Nacht etabliert und ist gesellschaftsfähig geworden. Ungeniert darf man wieder in der Straßenbahn über Orks, Zauberer und Elfen sprechen, ohne dass sich der Nachbar angewidert umdreht. Die Erinnerung an die Hexenprozesse von damals scheint wie ein böser Traum. Mehr noch: der Freak wird jetzt belohnt. Wer Runen lesen kann, die Blutlinien verschiedener Elfengeschlechter auswendig kennt und bei der passenden Gelegenheit einen dreistündigen Vortrag über die Unterschiede von Film und Textvorlage aus dem Ärmel schüttelt, hat gute Chancen, bei Wetten dass..? antreten zu dürfen. Applaus ist ihm gewiss. Das breite Interesse an Fantasy wächst. Ein frischer Wind kommt auf, der die Geister beflügelt. Dahinter schlummert im Kleinen das oft erzählte Märchen: der Sonderling wird zum angesagtesten Newcomer der Saison. Es ist schon ein bisschen ungewohnt. So weit, so gut: Filmemacher, Verlagschefs und Kinobesitzer verdienen sich eine goldene Nase, enthusiastische Fantasy-Freaks gelten als rehabilitiert. Also alles bestens? In früheren Jahren erfuhren andere Subkulturen einen ähnlichen Schub und landeten prompt an der Spitze des öffentlichen Interesses. Hinterhofkünstler und kreative Köpfe wurden ohne Rücksicht auf etwaige Schäden ans Tageslicht gezerrt und in eine gut geölte Werbe- und Verkaufsmaschinerie eingespannt. Zugegeben: die Popularität von Fantasy hilft, das Genre über einen gewissen Zeitraum durchzufüttern, bis wieder ein anderer Wind weht und der nächste Winterschlaf anbricht. Doch eines scheint sicher: die Welle der Begeisterung wird nicht ewig anschwellen, sondern irgendwann verebben. Streifen wir einen Augenblick hinter den Kulissen der Rollenspielszene umher. In kleinen, gemütlichen Schreibzimmern, bei warmem Licht und einer Tasse Kaffee, sitzen dort kreative Geister, die seit Jahren in der Einsamkeit ihrer Gedanken fabulieren. Phantastische Geschichten und Welten sind die Produkte ihres Könnens. Was schon seit langer Zeit einen kleinen Personenkreis erfreut, wurde neu entdeckt und auf die Masse losgelassen. Vergessen wird manchmal, dass sich diese Leute teilweise schon die Finger wund geschrieben haben, als man in Deutschland einen Dekaeder noch schnitzen musste. Verdient wurde mit solcher Arbeit kaum etwas. Obwohl es andere Wege gegeben hätte, weniger zu arbeiten und mehr Geld zu machen, blieben viele Phantasten ihrer Sache treu. Dumm? Oder leidenschaftlich? Jetzt atmen die alten Hasen durch, weil viele neue und gute Ideen durch den Trend mitgetragen werden - das ist sehr viel einfacher, als noch zu Hinterhof-Zeiten. Allerdings schwimmt da nebenher auch noch viel Schlechtes mit, denn alles, was den Hafen - sprich: den Kunden - erreicht, lässt das Goldsäckl anschwellen. Nicht jedes Brettspiel muss ein Hit sein, bloß weil es im Fantasystyle layoutet ist. Nicht jedes Buch muss gelesen werden, bloß weil ein Schwertkämpfer auf dem Cover posiert. Die Jagdsaison ist eröffnet! Und die alten Hasen stehen auf der Abschussliste. Die Diskrepanz zwischen dem Inhalt und der Aufmachung neuer Publikationen variiert. Alte Hasen wissen, was zu kaufen sich empfiehlt. Aber Newbies? Fantasy, die eben noch im Hinterhof schlummerte, wurde wachgeküsst und von einer breiten Massenvermarktung ihrer Jungfräulichkeit beraubt. Die Gefahr ist groß, dass der neue Fisch im Teich den alten frisst. Nur der Fairness halber: Mist gab es zu allen Zeiten, aber sobald sich Mist gut verkauft, wird mehr und mehr davon auf den Markt geworfen. Kurzfristiger Erfolg kann langfristige Schäden verursachen. Wer Fantasy liebt, sollte sich an minderwertigen Produkten stören, die neben seinen Favoriten im Regal stehen. Es bleibt die Hoffnung, dass der Trend neue Ideenmacher an die Oberfläche spült, die die Szene beleben und erweitern. Nachwuchs ist gesucht, denn auch Fantasyveteranen werden alt, grau und würfelfaul. Fantasy-Rollenspiele sind eine Quelle der Inspriration und Kreativität, Spielplatz für Junge und Junggebliebene. An alle Träumer: träumt bitte weiter, damit es so bleibt! Euer Michael Bux.
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