Zum Inhalt springen
  • Beiträge
    26
  • Kommentare
    49
  • Aufrufe
    25905

15. September - mittags


Y_sea

345 Aufrufe

"Au!", schrie ich auf.

 

Heißes Öl war aus dem kleinen Topf auf meine Fingerknöchel gesprizt und brannte sich schmerzhaft in die Haut, aber ich hatte keine Zeit, sie zu kühlen. Es war erst die erste Hälfte der Zwiebel gewesen, die ich gerade hektisch in nicht ganz kleine Stücke geschnitten hatte, nachdem ich geradezu panisch die störrische braune Schale abgeknibbelt hatte. Die abblätternden Fetzen waren so klein, dass es mich schier verrückt gemacht hatte, weil ich ja schon gesehen hatte, dass das Öl anfing zu dampfen.

 

Ich nahm wieder das große Küchenmesser, mit dem ich so geübt umging, dass es Ypey eigentlich stolz machen müsste. Aber jenseits des Wirbels von Hast und Hetze, merkte ich, dass sie mich kritisch beobachtete.

 

Als ich die zweite Hälfte der Zwiebel in Würfel gehackt hatte, hatte die erste schon schwarze Ränder bekommen. Schnell den Reis dazu. Umrühren.

 

In großen Stücken schnitt ich die erdige Schale von dem Sellerie, da auch das für ihn bestimmte Wasser bereits kochte.

 

Der Reis brennt an, gab Ypey hilfreiche Auskunft.

 

Blitzartig füllte ich einen Becher mit kaltem Wasser aus dem Hahn und löschte den Reis gerade noch rechtzeitig ab. Das Wasser begann sofort zu dampfen, ich drehte runter und deckte den Topf ab.

 

Warum hast du die Herdplatten angeschaltet, bevor du das Gemüse fertig hattest?, fragte Ypey zuckersüß.

 

Halt die Klappe, erwiderte ich angespannt und wendete mich wieder dem Sellerie zu. Von meinen Fingern war Erde von der Schale an die geschälte Knolle gekommen, so dass ich ihn kurz abwaschen musste, bevor ich ihn in das kochende Wasser gleiten lassen konnte. Schmerzhaft protestierten die kleinen Brandwunden an meinen Knöcheln, als der Wasserdampf sie umnebelte.

 

Nach drei Minuten extremer Hektik, entspannte ich mich dabei, mit gemächlicheren Bewegungen drei Teller für die Panade vorzubereiten.

 

Mein Körper sog dabei tief Luft ein, so als habe er zuvor nicht genug bekommen. Mein Herz klopfte heftig. Die Hände zitterten sogar noch leicht, so dass die Teller mit einem harten Klacken aneinanderstießen.

 

"Puh", machte ich.

 

Im Ernst, sagte Ypey. Ist dein Leben zu langweilig, dass du dir absichtlich ein bisschen Stress machen musst?

 

Ich hatte keine Zeit zum Antworten. Ich kippte Mehl auf den einen, Paniermehl auf den anderen Teller.

 

Was hast du an Zeit gespart?, fuhr sie fort, während ich ein Ei holte. Eine halbe Minute? Ich gebe zu, eine halbe Minute ist viel Zeit, wenn man gegen einen zweihändig angreifenden, beschleunigten Gegner kämpft. Aber ehrlich. Feanor wird nicht verhungern, wenn er dreißig Sekunden auf sein Mittagessen warten muss.

 

Ich grunzte nur, während ich das Ei aufschlug.

 

Ich bin ein großer Fan von professioneller Eleganz, Hedwig, plapperte Ypey einfach weiter, während ich das Ei mit schnellen Schlägen verquirlte. Bin ich wirklich und deine Zeiteffizienz ist vorbildlich. Aber sie geht eine Spur zu weit. Findest du nicht? Du machst dich kaputt.

 

Ich nahm vier der kleinen Schnitzel aus dem Kühlschrank. Die anderen beiden würde sich Robin heute abend machen und er mochte sie lieber ohne Panade.

 

Als ich das erste paniert zwischen ebenso panierten Fingerspitzen hielt, drehte ich die Platte an, auf der die Pfanne stand und kippte einen Schuss Öl hinein.

 

Du machst es schon wieder, kommentierte Ypey.

 

Sie hat recht, dachte ich--- und änderte es nicht.

 

Das zweite Schnitzel war fertig paniert, da brutzelte schon das Öl. Mit flinken Bewegungen legte ich die beiden fertigen in die Pfanne, drehte die Hitze etwas herunter und beeilte mich, das dritte und vierte innerhalb kürzester Zeit dazuzugeben.

 

Dann schüttete ich die Panadereste weg, stellte die Teller in die Spülmaschine und betrachtete misstrauisch den Herd. Der Reis brauchte keine Aufmerksamkeit mehr, der Sellerie war längst noch nicht fertig und die Schnitzel musste ich erst in ein paar Minuten umdrehen.

 

Mir ist nicht zu langweilig, antwortete ich endlich säuerlich. Mein Leben ist so voll mit Hektik und Effizienzzwang, dass ich kaum Zeit zum Luftholen habe. Jetzt, seit Feanor in der Schule ist, ist es noch schlimmer geworden. Robin arbeitet mehr und ich schaffe meine Arbeitszeit in der Uni nicht mehr. Ich muss zuhause arbeiten und auch so komme ich nicht hinterher, ständig deadlines, ständig Druck, ständig unfertige Sachen abgeben.

 

Luft holen!, erinnerte mich Ypey.

 

Ich atmete tief durch.

 

Dann ließ ich mich auf einen Stuhl plumpsen und spürte die Energie aus meinem Körper strömen, als hätte jemand den Stöpsel gezogen. Ich stützte die Ellenbogen auf den Tisch und legte den zu schweren Kopf in die Hände.

 

Zehn Sekunden später stemmte ich mich mühsam hoch und begann mit schlurfenden Schritten, den Tisch zu decken. Deutlich spürte ich in mir ein Kopfschütteln, das Ypeys Missbilligung zum Ausdruck brachte.

 

Das ist dieser Induktionsherd, dachte ich entschuldigend, während ich Teller und Besteck für mich und Feanor deckte. Wochenlang habe ich auf dieser Doppelherdplatte gekocht, die ewig gebraucht hat, bis sie warm wurde. Jetzt geht es mir einfach zu schnell.

 

Interessant.

 

Ich stellte Gläser und eine Karaffe mit Leitungswasser auf den Tisch.

 

Was ist interessant?, fragte ich schließlich doch nach.

 

Interessant ist der Effekt der Technik, überlegte sie, während ich die Schnitzel wendete. Ihr habt unglaublich tolle Gegenstände, die euch viele Dinge so immens viel leichter machen. Ich meine, guck dir den Herd mal an. Anschalten, zwanzig Sekunden später brutzelt das Öl. Da, wo ich herkommen, muss man erstmal einen Baum fällen, ihn in handliche Stücke hacken, braucht zwanzig Minuten, um ein Feuer anzumachen -- naja, du weißt schon. Und ihr macht es mit einem Fingerschnippen. Toll, oder? Und sieh dich an. Statt diese totale Erleichterung zu genießen und dir ein schönes Leben zu machen, verdampfst du in Hektik, weil der Herd zu schnell ist.

 

Ich hatte den Pfannenwender noch in der Hand, obwohl längst alle vier Schnitzel die schon gebräunte Seite oben hatten.

 

Tatsächlich, dachte ich. Interessant.

 

"Was gibt's zu essen?", brüllte Feanor durch die sich öffnende Tür.

 

Ich legte endlich den Pfannenwender aus der Hand und ging in den Flur, um ihn zu begrüßen. Durch die offene Tür sah ich Richard und lächelte ihm zu.

 

"Schnitzel und Reis", antwortete ich und hob Feanors Jacke vom Boden auf und hängte sie an den Haken.

 

"Kann Richard hier essen?", fragte Feanor und warf seine Schuhe durch den Flur.

 

"Klar", erwiderte ich und winkte Richard herein. "Weiß deine Mutter bescheid?"

 

"Danke, Frau Schulz", sagte Richard artig. "Ich glaube, meine Mutter schläft. Die Klingel ist ausgestellt."

 

Dabei stellte er seine Schuhe ordentlich unter die Schuhbank. Sehnsüchtig beobachtete ich, wie er die Jacke an einen Haken hing und seinen Schulranzen darunter stellte. Schnell räumte ich Feanors Ranzen und Schuhe aus dem Weg, damit nicht noch jemand darüber stolperte.

 

"Richard, komm mal, ich habe ein ferngesteuertes Auto", schrie mein Sohn, der längst in seinem Zimmer verschwunden war.

 

"Das Essen ist schon fertig", sagte ich zaghaft.

 

Richard sah sich aufgeschreckt um, konnte sich nicht entscheiden, zwischen mir und dem ferngesteuerten Auto.

 

"Ach, geh ruhig noch spielen", meinte ich dann zu Richard. "Ich muss sowieso noch zwei Schnitzel panieren."

 

Richard stürmte ins Kinderzimmer und ich eilte in die Küche.

 

Jetzt ärgerte ich mich, dass ich die Panadenteller schon weggeräumt hatte.

 

Mit der Hand am Kühlschrankgriff hielt ich inne.

 

Aha, meinte Ypey. Fällt es dir also auch auf. Warum musst du noch zwei Schnitzel panieren?

 

Die sind doch so klein, stammelte ich und spürte Feuchtigkeit in meine Augen treten.

 

Na und? Feanor hat ihn eingeladen. Sollen sie beide nur eins essen. Es ist sowieso unglaublich viel Fleisch für eine Mahlzeit. Und der Sellerie ist doch auch noch da.

 

Wenn sie von dem eine Gabel voll essen, bin ich schon froh, antwortete ich matt. Ich mache besser noch die beiden, die für Robin heute abend waren, und kaufe nachher noch zwei neue.

 

Hedwig!, machte Ypey entgeistert.

 

Na gut, gab ich kleinlaut nach, stellte einen dritten Teller auf den Tisch, tat Feanor und Robin je zwei Schnitzel und einen großen Löffel Reis auf den Teller und hielt mich selbst an den Sellerie.

 

Du hast sie echt nicht alle, fand Ypey.

 

Ist sowieso gesünder, murmelte ich und rief die Jungen.

2 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Gast
Kommentar schreiben...

×   Du hast formatierten Text eingefügt.   Formatierung jetzt entfernen

  Nur 75 Emojis sind erlaubt.

×   Dein Link wurde automatisch eingebettet.   Einbetten rückgängig machen und als Link darstellen

×   Dein vorheriger Inhalt wurde wiederhergestellt.   Editor leeren

×   Du kannst Bilder nicht direkt einfügen. Lade Bilder hoch oder lade sie von einer URL.

×
×
  • Neu erstellen...