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01. September


Y_sea

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Ypey rannte mit den anderen durch den dunklen Gang.

 

"Das solltest du aber noch mal üben!", keuchte Morien neben ihr.

 

Eine magische Sirene heulte laut und deutlich. Ypey antwortete nicht. Die Fackel in Moriens Hand stieb ihr glühendes Gas nach hinten. Fast ging sie aus. Er hatte recht. Die Falle eben hatte Ypey übersehen. Wo war der magische Alarm ausgelöst worden?, fragte sich Ypey, während sie an das Ende des kurzen Ganges kam. Das Licht von Moriens Fackel flackerte über eine Eichentür. Eiserne Beschläge. Rostiges Schloss. Die Dietriche hatte Ypey noch in der Hand. Keine Zeit zum Fallen suchen. Gleich würden die Wachen hier sein, dafür sorgte der Alarm. Reichte die Zeit? Die Finger in den schwarzen Samthandschuhen wählten zielsicher den richtig geformten Metallhaken, einen Draht, leicht gebogen. Vorsichtiges Einführen in die heilige Öffnung des Schlosses. Vielleicht ein bisschen Öl? Klick---

 

Mit einem Knall sprang meine Bürotür auf und mein Kollege Florian kam herein. Ich erschrak jedes Mal, wenn er so ins Büro platzte, vor allem dann, wenn ich gerade nicht unbedingt arbeitete, sondern spielte oder etwas las, das nichts mit dem Job zu tun hatte, oder -- wie gerade -- das letzte Rollenspielen gedanklich Revue passieren ließ.

 

"Moin Hedwig", sagte er fröhlich, "wie war dein Wochenende?"

 

"Gut", antwortete ich kurz angebunden, weil ich versuchte, mein Herzklopfen und Zusammenzucken zu verbergen. Aber meine Rollenspiel-Erlebnisse würden ihn sowieso nicht interessieren. "Und deins?"

 

"Ich war in Köln bei einem ehemaligen Mitwohni. War super."

 

Ich grunzte zustimmend und wendete mich wieder meinem Computer zu. Eclipse hatte ich immerhin schon gestartet und es zeigte mir dankenswerterweise die Datei, an der ich am Freitag aufgehört hatte zu arbeiten. Ach ja, dachte ich, es geht um die Builderklasse für das zweite Modell, die ich mit der des ersten Modells so abgleichen will, dass ich beide von einer gemeinsamen Basisklasse ableiten kann. Ich schlug Design Patterns auf und versuchte mir zum x-ten Mal die Logik hinter Builder zu vergegenwärtigen. Das hatte schon letzten Freitag nicht gut geklappt. Jetzt war mein Geist voll mit schwarzen Samthandschuhen, die aus dem großen Bund Dietriche mit feinfühligen Fingerspitzen den Richtigen heraus suchten, für das Schloss der Ebenholztruhe mit den Messingbeschlägen, die in der kleinen Kammer hinter der Eichentür gestanden hatte. Die Finger fanden den Stab mit dem Doppelbart, der passen könnte, probten vorsichtig in das Schloss hinein. Wieder war keine Zeit, um nach Fallen zu suchen. Ich konnte schon die Schritte der Wachen durch den Gang hallen hören. Ein feines Klicken und der Deckel der Ebenholztruhe sprang auf, wie der Deckel meines MacBooks---

 

Das war natürlich Quatsch, dachte ich. Wieso sollte der Deckel einer Holzkiste aufspringen?

 

Ich starrte auf die aufgeschlagene Seite von Desing Patterns. Alles, was ich verstand, war die Seitenzahl.

 

Frustriert sah ich lieber nach Emails und lächelte, als ich eine von Tarek fand, der mir schon heute morgen geschrieben hatte. Tarek war unser Spielleiter und hatte Ypey und ein paar andere im Auftrag von Ypeys Diebesgott in das Anwesen eines reichen und verhassten Kaufmanns geführt. Nervenkitzel. Reiche Beute. Und eine beunruhigende Information über den Abt des örtlichen Klosters.

 

Ich antwortete, erleichtert, dass der Builder noch warten musste, und wir fanden uns im Chat.

 

>Tarek: Hedwig, wie geht's. Bist du gut nach Hause gekommen?

 

>Hedwig: Klar bin ich gut nach Hause gekommen. Danke fürs Leiten. Es war superspitze. Nach solchen Wochenenden habe ich echt Schwierigkeiten, mich auf meinen Job zu konzentrieren. Geht dir das auch so?

 

>Tarek: Ne, natürlich nicht, deswegen chatte ich mit dir, anstatt den Text für das Seminar gleich zu lesen...

 

>Hedwig: Haha, ich meine das ernst. Ypey wirkt auf mich so viel lebendiger. Ihr Leben ist so viel reicher als meins.

 

>Tarek: Ich weiß genau, was du meinst. Versuch doch mal, dir vorzustellen, wir Ypey mit deinem Job klar kommt.

 

Ich lachte. Und ignorierte Florians Blick.

 

>Hedwig: Nette Vorstellung.

 

>Tarek: Ich muss los in die Uni. Viel Spaß bei der Einschulung. Morgen, richtig?

 

>Hedwig: Genau. Danke. Bis dann.

 

 

Die Einschulung! Morgen war die Einschulung meines Sohnes.

 

Aber das war nicht der Gedanke, der sich wie eine Klette in den Wirren meines Kopfes festgesetzt hatte.

 

Was würde Ypey von meinem Leben halten? Ich grinste vor mich hin. Na, Ypey, wie fändest du das hier?

 

Na, offensichtlich genauso totlangweilig, wie du.

 

Ich prustete leicht. Florian sah herüber, aber ich reagierte nicht auf ihn, sondern richtete meine Augen auf die aufgeschlagene Seite des Buches, um mir den Anschein zu geben, ich würde arbeiten.

 

Na schön, dachte ich mild herausfordernd. Und was würdest du an meiner Stelle tun?

 

Hm, dachte Ypey in meinem Kopf. Lass mal sehen. Wie wäre es, wenn du nicht die Builder Klasse, sondern die Builder Methode nimmst.

 

Was?

 

Ich blätterte um. Ich ließ meine Augen über die Seiten gleiten, las über die Unterschiede, wann das eine und wann das andere angebracht war. Das war es. Sie hatte recht.

 

Das ist die Lösung. Wie bist du darauf gekommen?

 

Alles hier drin, erwiderte Ypey selbstzufrieden. In dem Dickicht deiner Gedanken. Du musst dich nur ein bisschen besser zurecht finden.

 

Kopfschüttelnd begann ich mit den Änderungen im Programmcode.

2 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Leicht grinsen musste ich ja schon, ich bin allerdings auch Programmierer und Rollenspieler. Aber ein breites Publikum wirst du damit eher nicht erreichen. Die meisten Menschen verstehen beim Programmieren nur Bahnhof, bei objektorientiertem Programmieren schalten sie auf Hirntot um. Wenn du da so viele Fachbegriffe verwendest werden sich nur die wenigsten mit Hedwig identifizieren können.

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Juhu, ein Kommentar! Thanx Airlag! Hab auch die Gelegenheit genutzt, deine Comics anzugucken, aber dazu an der Stelle mehr.

 

Die gute Hedwig programmiert ja nicht nur, sondern ist auch noch Mutter und hört Heavy Metal und spätestens da wird es in der Kombination doch sehr dünn mit potentiellen Identifikations-Subjekten. Aber wir lesen ja auch über Zauberschulen und Dämonenbeschwörungen ohne selbst davon Ahnung zu haben, oder? Und über verliebte Highschool Mädchen gibt es doch schon genug Bücher. Finde ich.

 

Aber du hast natürlich völlig recht, ich werde versuchen, das Fachbegriffe-Dropping in Grenzen zu halten.

 

Cheers.

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