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Oskar...erlebt tiefere Weisheiten in geschmolzenem Schnee und verbleibt dennoch ratlos


Oskar

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Nach jetzt vier Monaten bei meinem Chef muss ich mal eines vorweg schicken:

Wo ich geboren wurde, war es immer schön warm.

Jeden Tag schien die Sonne, und es roch nach Meer.

Wir Hunde lieben es, faul in der Sonne am Hafen zu liegen und den Gerüchen hinterher zu schnuppern, auch wenn ich selber niemals dazu kommen sollte.

Die anderen erzählten mir davon, und ihre Augen wurden groß vor Sehnsucht.

Die anderen waren die eingefangenen Straßenhunde, die den größten Teil der Bewohner in dem großen, staubigen Gehege ausmachten, in dem ich als Welpe landete, fast direkt nach meiner Entwöhnung.

Aber das ist eine andere Geschichte...

 

Inzwischen wohne ich bei meinem Chef, und bei dem gibt es immer nicht nur ausreichend zu essen, sondern ich bin auch nicht mehr ganz allein unter Hunden.

So etwas hört sich aus meinem Mund vielleicht etwas seltsam an, aber wir Hunde sind ja dafür geboren, mit Menschen zusammen zu leben.

Wie auch immer, ich möchte nicht in mein früheres Leben zurück!

 

Obwohl es hier zur Zeit wirklich ganz furchtbar kalt ist!

Während der ganzen letzten Wochen lag Schnee.

Die Straßen waren entweder mit grauen, matschigen Klumpen bedeckt oder mit einer gefährlich glatten und harten Schicht überzogen.

Es ist merkwürdig:

In der Nacht, wenn wir heim kommen, ist der Schnee auf der Straße schön weiß und luftig, aber schon am nächsten Morgen hat er sich in diese grauen und stinkenden Klumpen verwandelt,

riecht nach Gummi und verbrannt zugleich. Außerdem verbirgt er scharfe Steinchen, die sich in meinen Ballen verfangen und stechen.

Kurz gesagt: Schnee auf der Straße ist total blöd.

 

Schnee im Wald dagegen wird mit den Tagen zwar härter und rauher, bleibt aber so frisch und duftig, dass ich noch tagealten Fährten folgen kann.

Schnee im Wald macht Spaß.

 

Zumindest hat er das bis neulich getan, denn seit heute ist der ganze schöne Waldschnee weg, einfach verschwunden!

Erst gestern habe ich gemerkt, um wieviel dünner er gelegen hat, und heute war er nicht mehr da.

Schade.

Stattdessen sind Waldboden und Wege völlig aufgeweicht und schlammig.

Jetzt rutsche ich mit den Hinterläufen weg, wenn ich ganz enge Kurven laufen und Haken schlagen will.

Aber kalt ist es immer noch, nur eben auch noch schrecklich nass dazu.

Nach unserem heutigen Gang war ich nicht nur bis zur Nase voller brauner Sprenkel.

Ich hatte auch lauter krustige Schlammzotteln am Bauch und auf dem Rücken, weil ich nicht vorher wusste, wie tückisch ein solcher Boden sich auf Sprinter wie mich auswirkt.

Schußendlich hat diese blöde weiße Schäferhündin mich nur deshalb erwischen können, weil ich in diesem knöcheltiefen Matsch eben nicht meine Wendigkeit ausspielen konnte.

 

Zuerst lief ja alles wie geplant:

Sie hatte ihr Spielzeug abgelegt und schnupperte versunken an den Büschen.

 

Ich schlich mich von hinten heran, spurtete auf den letzten Metern los, schnappte mir das stinkende Ding und wollte mit ihr das älteste Hundespiel der Welt spielen.

Mann, war die vielleicht sauer, nachdem ich sie so richtig angestachelt hatte und ihr ständig vor der Schnauze entwischt war!

Ich bin sogar zweimal aus vollem Lauf über sie hinweg gesprungen, als sie glaubte, mir den Weg abschneiden zu können!

 

"Gib mir meinen Ball zurück, du mieses Stück von einem Terrier!" knurrte sie mich schon ganz ordentlich böse an.

Aha, dachte ich, diese Bälle können ja ganz schön verschieden aussehen.

Ich selber mache mir ja gar nichts aus ihnen - außer, sie gehören einem anderen...

und der Anfang war vielversprechend!

Ich nuschelte an ihrem versabberten und erdigen Fetzen vorbei:

"How ihm bir, how ihm bir! Pang miff boch, bu pwäbew Paf!

Um iff bim peim Püpp, iff bim eim pompepper Pewwier!"

Ich musste lachen, als ich mich so reden hörte, weil ihr komischer Ball ganz schön groß, schlaff und schwierig zu halten war.

Er roch nach ihr und nach Mensch, und auch ein wenig nach Leder.

Die weiße Schäferhündin lachte kein bischen.

 

Sie:"Wenn du mir nicht sofort meinen Ball zurück gibst, wirst Du es bitter bereuen!

Lass ihn endlich fallen!"

Ich:"Iff beweue miemiemie, bemm iff bim Offkar, ber Pewwier!

Waff iff hage, hage iff!

Um bu barff mie gah miw pum, beim Peff bwehb bir bem Halw ung!"

 

Sie setzte sich mit gerunzelter Stirn erst einmal hin und legte den Kopf auf die Seite:

"Hä?"

Nun ja, es war nicht einfach, mit diesem Fetzen in den Zähnen deutlich zu sprechen und gleichzeitig vor ihr zu flüchten.

Außerdem begann ich zu speicheln, weil mir lauter Erde von ihrem blöden Ball in den Rachen geriet.

Dazu musste ich ihn immer wieder nachfassen, weil er so glitschig war.

 

Ich legte ihn erst einmal ab, spuckte die angesabberte Erde aus und grinste:

"Du bist so träge wie ein dickes Schaf, und Du kriegst mich nie!

Ich bin Oskar, ich nehme fast nichts ernst, weil mir immer die Sonne aus dem Arsch scheint!"

 

Gut, ich gebe zu, das war ein wenig dick aufgetragen.

Vor allem, da sie bestimmt dreimal so schwer ist wie ich und, um bei der Wahrheit zu bleiben, überhaupt nicht dick.

Im Gegenteil, bis dahin hat sie sich als wirklich sportlich erwiesen und ist bei ihrer Jagd auf mich einfach nur an ihrer Größe und meiner Wendigkeit gescheitert.

Jedoch geht nun einmal mein sonniges Gemüt ganz gerne einmal mit mir durch, so auch jetzt.

 

Was ein Fehler war, ich sehe es an ihren funkelnden Augen.

Der Witz mit dem dicken Schaf war zuviel, tatsächlich hat sie ihn anscheinend schon beim ersten Mal verstanden und mir nur eine zweite Chance gegeben.

Vielleicht sollte ich die Sache nicht zu sehr auf die Spitze treiben...?

 

Sie:"Gut, kleiner Oskar. Du hast gewonnen. Behalte einfach meinen Ball."

Langsam steht sie auf, blickt demonstrativ ins Nirgendwo und bläht ihre Nase nach imaginärem Wild.

Doch ich spüre im Genick: Sie meint mich.

 

Sie:"Behalte ihn einfach, solange Du kannst.

Meine Menschenfrau hat ihn mir geschenkt, als ich ein Welpe war, und sie darf ihn seitdem immer bis an mein Seeufer tragen und ihn für mich werfen.

Verstehst Du?

Meine Menschenfrau, mein Ball, mein See!

Jetzt wirst du gegen mich kämpfen.

Und die Sonne werde ich dir aus deinem kleinem Terrier-Arsch zu den Ohren hinaus beißen.

Mach dich bereit!

Ich bin Candy."

 

Oh, verdammt!

Ich habe mich leicht verschätzt:

Die Gute ist eine erstklassige Alpha-Hündin, die würde niemals mit mir spielen, erst recht nicht um ihren Ball. Sie ist für ihre Verhältnisse nur überaus geduldig gewesen.

Ich habe meine Wirkung als Womanizer wohl zu hoch eingeschätzt, denn gerade jetzt setzt sie dieses kalte Lächeln auf, dass jeden Rüden stocken läßt.

 

Ihre Chefin steht auf dem Weg und lächelt freundlich zu uns herüber:

"Na? Und Ihr beide spielt schön?

Wo ist denn Dein Herrchen?"

Ich habe keine Ahnung, was ein Herrchen ist, aber etwas in ihrem Ton erinnert mich an meinen Chef, den ich in diesem Moment ungeduldig von Weitem pfeifen höre.

Mist, schon wieder habe ich seine Aufforderungen zum Weitergehen und Nachkommen überhört, was bedeutet, dass ich mit dieser Hündin auf mich allein gestellt bin.

Das ändert einiges.

 

Ich grinse die Schäferhündin unsicher an:

"Hey! War nur Spaß?

Hier hast du deinen Ball zurück.

Schau, ich lege ihn hierhin und gehe einfach?

Und wir beide tun so, als wäre nichts gewesen, ja?"

Sie dreht die Ohren nach hinten, zeigt mir ihren Fang und leckt sich mit kurzer, spitzer Zunge darüber:

"Klar. Nur Spaß, kleiner Scheißer. Du kannst es ja versuchen:

Geh Du nur; dreh Dich einfach um und geh.

Vielleicht spürst du dann weniger."

 

Dabei knickt sie hinten sprungbereit ein.

Meine Gedanken überschlagen sich:

Abhauen und überleben?

Schnell genug bin ich, meinen Chef zu erreichen.

Kluge Wahl, genau das sollte ich tun!

Aber: Sie hat mich einen kleinen Scheißer genannt!

Mich, Oskar!

Aus heiterem Himmel kommen Stolz und Kampfgeist über mich, wobei ich aber nicht meinen Humor verliere: ich drücke die Brust auf die Erde und strecke meine Rute kerzengerade in die Luft.

Dabei lache ich sie unbekümmert an:

"Das fetteste Schaf kommt zuerst auf den Spieß!"

 

Sie nimmt zwei Sätze Anlauf, dann springt sie ab, wie ich es geahnt habe.

Ich zwinge mich mit meiner Hechtrolle zu warten, bis sie fast über mir ist, damit sie ihren Sprung nicht mehr ändern kann. Dann will ich mir ihren blöden Ball schnappen und zur Seite weg hechten.

Toller Plan, er geht auch auf, aber nur bis zu dem Teil mit "Ball schnappen":

Meine Hinterbeine rutschen in die eine Richtung weg, meine Vorderbeine in die andere, ich lande mit meinem Hintern seitlich und liege plötzlich halb auf dem Rücken.

 

Sie kommt über mich wie ein böser Schneesturm, ich sehe nur noch Zähne und höre sie röhren:

"Das war's für Dich!"

Ich rolle endgültig auf den Rücken, ergebe mich in mein Schicksal und biete ihr meinen Hals.

 

Dies also ist mein Ende.

Ein übermütiger kleiner Terrier, totgebissen in eiskalter und nasser Walderde von einem tollwütigen Schaf auf der Jagd nach seinem Ball.

Pech, aber selber schuld.

 

Doch halt!

Kampflos gehe ich nicht in den Tod!

Gerade noch rechtzeitig erwache ich aus meiner Schockstarre:

Bestimmt bin ich kleiner, vielleicht bin ich unterlegen, doch sicher besitze ich ein junges Gebiss mit spitzen Zähnen und ganz bestimmt bin ich ein Terrier!

Wir sind zwar klein, haben jedoch mächtig Kraft im Kiefer!

Ich grabe meine Hinterläufe in ihren Bauch, kratze ihr mit meinen vorderen Krallen das Gesicht (das habe ich Thomas abgeschaut) und beiße nach ihrer Nase.

 

Ganz plötzlich ist die Schäferhündin nicht mehr über mir.

Ich bleibe vorsichtshalber noch ein wenig im Schlamm liegen, der mir zum Verhängnis wurde und der sich dennoch mit einem Male so wunderbar weich und lebendig anfühlt.

Dann höre ich ihre Chefin kreischen, wobei deren nachgiebiger Tonfall so gar nicht zu ihrer schrillen Stimme passen will:

"Candy!! BÖSERBÖSER Hund!

Du KANNST doch nicht den ARMEN kleinen Hund verbeissen! PFUIPFUI!

Der will doch nur SPIELEN! PFUI! AUS! SITZ! AUS! PLATZ! PFUI! AUSundSITZ!

SITZSITZPLATZ!"

 

Candy antwortet ihr in demselben kalten Ton wie vorher zu mir:

"Moment, Frau! Fass mich nicht an!

Er hat mir deinen Ball gestohlen und mich beleidigt!"

Und dann geschieht das Unfassbare:

Candy knurrt ihre Chefin an!

Sehen kann ich von der Szene nicht viel, weil ich die Gunst des Augenblicks nutze und auf den Bauch rolle, wobei ich mich noch mehr mit nasser Erde beschmiere.

Dann gebe ich einfach Fersengeld, denn alles in allem kann ich dieses Gespann so gar nicht einschätzen:

Candy ist mir zu herrschsüchtig, Ihre Chefin zuwenig Alpha für Candy, und das beide anscheinend ihren Status untereinander nicht geklärt haben, verwirrt mich.

Wer von beiden sagt denn jetzt bitte dem anderen, wann wer was tun oder lassen soll?

So etwas habe ich noch niemals in meinem kurzen Leben mit ansehen müssen.

 

Ich gehe, ich renne fort von hier.

"AUS, Candy! AUS! SITZ! PFUI!"

"Lass mich los, Frau!"

"PFUIPFUIPFUI! BÖSER Hund! SITZ!"

 

Die schrillen Schreie verblassen hinter mir.

 

Pfui?

Egal, ich sehe zu, dass ich zu meinem Chef komme, der schon ziemlich ungeduldig wartet und mir mit der Pfeife den Weg weist.

 

Und was sagt er, als ich endlich bei ihm bin?

"Hey Kleiner, gibt's dich auch noch?

Du siehst aus wie ein Schwein!"

Ich kriege mich kaum ein vor Freude, doch er hält mich auf Abstand, klar, ich habe ja nicht gehört.

"Oskar: Hier!"

Ich setze mich vor ihn, er leint mich an.

So, wie er mich anblitzt, hat er schon ganz schön lange auf mich gewartet hat.

"Oskar: Fuß!"

Folgsam setze ich mich neben ihn und warte auf seinen ersten Schritt.

Ich sage Euch: Zum ersten Mal habe ich dieses Kommando gerne befolgt und bin mustergültig bis zum Auto neben ihm gelaufen.

Dort hat er sein Schweigen gebrochen:

"Ok, alles gut. Guter Oskar!"

...und mir etwas zu naschen gegeben!

 

Nach allem Nachdenken auf der Rückfahrt weiß ich immer noch nicht, was ein Pfui ist. Jedenfalls nichts Schlimmes, glaube ich.

Andererseits hat Candys Chefin auch Kommandos geschrieen, die ich selber schon ganz gut kenne, wenn auch in einem Ton, über den auch ich gelacht hätte, trotz der schrillen Lautstärke.

Komisch, mein Chef schrillt mir nie in die Ohren und trotzdem weiß ich genau, wie ernst er wann seine Kommandos meint.

Ich weiß auch schon genau, dass er mich zuerst am Genick zieht und, wenn ich dann noch widerborstig bin, mir entweder den Knöchel auf die Nase haut oder mir in's Ohr beißt und mich dabei anknurrt.

Und wie er knurren kann!

 

Zwei Dinge habe ich heute gelernt:

In Zukunft werde ich genau hinhören, ob ein Hund seinen Chef auch Chef nennt.

Denn wenn nicht, kann die Sache böse ausgehen!

 

Und, noch wichtiger: Prüfe genau den Untergrund, bevor Du losrennst!

 

Euer Oskar

 

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