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Artikel: Die Geschichte vom Ende der Welt


Galaphil

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In einem kleinen Dorf kam ein bunter Wagen an. Die Schausteller waren gekommen. Schnell sammelten sich die Kinder und die Frauen um den Wagen, als er auf dem Dorfplatz, neben dem Brunnen und unter der Linde, anhielt. Die Schausteller versprachen Geschichten und Musik, auf jeden Fall aber eine Abwechslung zum rauen Alltag.

Der Anführer der Schausteller war ein alter Mann mit Bart, der wie ein Gaukler in grüne Stoffe gekleidet war. Neben ihm waren drei seltsame Frauen im Wagen, grundauf verschieden und doch so vertraut: da war Gauri, die Abanzzi, mit langem, schwarzem und gelocktem Haar, mit bunten Röcken und einer weißen Bluse. Sie schlug die Trommel und gab den Rhythmus vor. Ihre Ausstrahlung war überwältigend.
Dann war da die blonde Nordländerin, Penihamar war ihr Name. Sie hatte sehr festes, weißblondes Haar, dass zu Zöpfen geflochten war. Ihrem Gesicht konnte man keinerlei Regung ansehen, während sie die Fiedel zupfte. Sie war in blutrote Kleider gehüllt, die ihren ganzen Körper bedeckten.
Und die dritte war Ilmary, die Moravin. Sie hatte langes, feuerrotes Haar und ein füchsisches Gesicht. Sie war in hellblaue Kleider gehüllt, die mit Leder verstärkt waren. Und sie spielte die Flöten neben ihrem Gesang und ihrer Erzählung, denn ihre Stimme war so mitreißend, dass sie jeden Zuhörer binnen kürzester Zeit in ihren Bann schlug.

Nachdem sie die Bühne heruntergeklappt hatten, setzten sie sich, und als der Erzähler, der seinen Namen nicht verriet, die Leute zusammengerufen und das Geld eingesammelt hatte, trugen die drei Bardinnen ihr Lied vor, das Lied von der Apokalypse.

Denn es war einmal eine Stadt, Mittelpunkt eines großen Reiches, verdorben, aber großartig, herrlich und mächtig. Doch der Reichtum lockte Neider an und da niemand in Frieden und Wohlstand leben kann, ohne diejenigen anzulocken, die weniger haben, fanden sich bald marodierende Söldner und Barbaren, die gegen das Reich und die Stadt zogen, um zu plündern und sich am Reichtum der Stadt und ihrer Bewohner zu bedienen.
Doch vorher kam der Ritter mit seinem Knappen, um den Herren der Stadt zu warnen – doch dieser, verblendet von seiner Macht, wollte nicht hören. Und da das höfische Intrigenspiel an der Burg des Herren der Stadt perfektioniert war, wurde der Ritter in eine Falle gelockt und landete schließlich am Scheiterhaufen. Die Verbrennung des Ritters aber wurde als öffentliches Schauspiel aufgezogen, an dem sich die ganze Stadtbevölkerung ergötzen sollte, ungeachtet der Söldner und Barbaren, die vor den Toren der Stadt herum zogen und diese belagerten.
Denn so verblendet war der Herr der Stadt, dass er in seinem Wahne die Gefahren nicht sehen und hören wollte und nur von seinem eigenen Reichtum und seiner Macht träumte.

Doch der weise alte Mann kam über die Hügel, und er brachte eine Herde voll Rinder mit sich, die sich den Weg durch die Söldner bahnten und er sagte, er wolle die Hammeln zur Schlachtbank führen. Die Söldner gaben ihm den Weg frei, aber die Wachen am Tore verstanden ihn nicht, denn auch sie waren von der Dekadenz der Stadt und des Reichtums verblendet.

Und als der Knappe seinen Herrn, den Ritter, retten wollte, und durch einen Schwertstreich der Wachen sein Leben verlor, und als der Scheiterhaufen in Brand gesteckt wurde, da kam ein Sturm auf, der aus der Richtung kam, aus der der weise Mann seine Rinder gegen die Stadt trieb. Und als der Ritter bis auf die Knochen verbrannte und die Stadt mit seinem letzten Atemzug verfluchte, da wirbelte der Sturm die Glut auf, knickte die Bäume und trug das Feuer zum Wald. Dort fand es reichlich Nahrung und die Hitze und die Glut setzten die Häuser und die Burg des Herren in Brand, so dass die ganze Stadt und das Umland in Flammen standen.

Die Söldner und Barbaren aber, die rings um die Stadt kampierten, dachten, dass man sie angreifen wolle und brachten all jene um, die vor dem Inferno flüchten wollten. Plündernd und raubend packten sie schamlos ein, was sie bekommen konnten, schändeten die Frauen, versklavten die Kinder und mordeten die Männer. Sie ließen nur das zurück, was nichts mehr taugte oder ein Raub der Flammen geworden war.

Dann verschwanden die Truppen.

Und dann verschwanden die Ratten.

Und man sagte, dass die Pest das Land heimsuchte.

Ilmary, vom Schein des Feuers beleuchtet, sang nun:
Drei Tage und drei Nächte wagten wir uns nicht aus unserer Höhle und hausten wie die Wölfe, weil der Himmel rot war von der Feuersbrunst auf Erden.
Und das Feuer raste über das Land, getrieben vom Sturme, und ließ keinen Stein auf dem anderen.

Nach einem wilden Trommelsolo setzte Gauri fort:
Und weitere drei Tage und drei Nächte kauerten wir unter der Erde, als diese sich schwarz färbte von der Asche und heiß und stickig war, sodass wir keine Luft zum Atmen hatten und kein Wasser zum Trinken.
Und die Glut sengte sich durchs Land und ebnete die Reste des Reiches ein, bis auch das letzte Nest erloschen war und nur noch Asche überblieb.

Nun folgte ein schneller, schriller Akkord auf der Fiedel und eine lang gezogene harmonische Melodie, dann sprach Penihamar mit wispernder Stimme, so dass sich die Zuhörer anstrengen mussten, sie zu verstehen:
Dann fiel der Schnee, drei Tage und drei Nächte lang. Und er bedeckte das Land, löschte jegliche Erinnerung an das alte Reich, seinen Herrn und seinen Reichtum aus, und es blieb eisiges Schweigen zurück.
Und als die Kälte uns aus unserem Versteck trieb und wir über das vergessene Land zogen, da haben wir uns auf dem Weg gemacht, um euch von der Apokalypse zu berichten.

Und als die drei Frauen nun alle zusammen mit ihren Instrumenten, Flöte, Trommel und Fiedel, eine neue Melodie anstimmten, die das Thema der neuen Welt war, da fuhr der alte Mann mit der Erzählung fort:
Und dann, als wir den Fluss entlangzogen, durch den Schnee und die Kälte, da meinten wir, sie zu sehen: Vorneweg der Ritter, der in seiner Rüstung glänzte.
Dahinter folgte der Knappe, ebenfalls in die weiße Rüstung der Helden gekleidet. Er trug einen Schild in den Farben der drei Damen. Dahinter folgten die drei Schwestern, auf diesem Pfad erneut vereint durch das Geflecht des Schicksals.

Sie zogen am Fluss entlang, gegen den Strich der Zeit, am anderen Ufer von einem seltsamen Wanderer verfolgt, der ein großes Buch mit leeren Seiten aufgeklappt hielt – und er diktierte dem Schnee und dem Nebel seine letzten Worte.

Und dann verstummte die Musik. Und es verstummten die drei Bardinnen und der Gaukler. Und Ilmary legte den Finger vor die Lippen, um die Dörfler daran zu erinnern, die Stille einzuhalten.

 

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Dann verbeugten sich die vier Schausteller. Und nur die Stille blieb zurück.

Und die Dörfler sahen vor sich die dunkle Schneelandschaft und das aufgeschlagene Buch mit den leeren Seiten im Schnee liegen. Und es fröstelte sie. Denn der volle Mond stand am Himmel und die Nacht war sternenklar und kalt.


Nach: Die Gefährten der Dämmerung von Francois Bourgeon

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Bearbeitet von Galaphil
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Danke Thufir und danke auch an allen, die mir schon Feedback gegeben haben.

 

Eine Frage, die aufgekommen ist:

Die Geschichte steckt voller symbolischer Bezüge, das meiste ist nicht wörtlich zu nehmen, sondern steht für etwas anderes.

Ein Beispiel: Die Rinder, die der Weise in die Stadt treibt, steht für den Sturm, der über die Stadt fegt.

Die Hammeln dagegen stehen für die Stadtbewohner, deren Dekadenz zur Schlachtbank geführt wird.

 

Und so gibt es noch viele andere Vergleiche, zB die Apokalypse mit Feuer, Asche und Kälte, die natürlich die atomare Zerstörung meint.

 

Lieben Gruß Galaphil

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  • 1 Monat später...

Ja, klar. Ich habe aber darauf aufbauend vor 17 Jahren eine Rollenspielrunde aufgebaut, mit den drei Frauen als Hauptfiguren. 2 davon wurden hier im Forum schon vorgestellt, für die dritte wäre das Monat ein guter Zeitpunkt.

 

Die vorgestellte Geschichte ist um die Eigenheiten der Spielerfiguren ein bisschen erweitert worden.

 

Lieben Gruß Galaphil

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