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Aus gegebenem Anlass


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Es ist schon ein bisschen ungewohnt. Fantasy schien bislang keinen besonders guten Leumund zu haben. Auf einer Low-End-Skala in der Rubrik "Allgemeines Ansehen" schienen Orks, Zauberer und Elfen zwischen den Zeugen Jehovas und Fußpilz zu rangieren. Fantasy war lange nicht angesagt, in, hip, trendy oder en vogue. Fantasy-Rollenspiele deshalb auch nicht. Wer schon zu Schulzeiten Fantasy-Rollenspiele gespielt hat, wird wissen, wovon die Rede ist. Allzu oft musste man erklären, was man da eigentlich jeden Nachmittag trieb. Beinahe ebenso oft galt es, sich zu rechtfertigen und öffentlich Satan abzuschwören, denn die trübe Masse erkannte in Rollenspielern Hexenanbeter oder bestenfalls weltfremde Sonderlinge. Wieviel einfacher wäre es stattdessen gewesen, einfach "Mein Hobby ist Fußball." zu sagen und weiteren Problemen aus dem Weg zu gehen! Jeder kennt Fußball und stellt deshalb keine Fragen. Der Ball ist rund, und ein Spiel dauert neunzig Minuten. Aber Rollenspiel? Allein die Vorstellung, dass es Würfel geben könnte, die mehr als sechs Seiten haben, versetzt manche Leute in helle Aufregung. Hinzu kommt eine quasi unbegrenzte Spieldauer und nur ein einziges, leider nicht in Zahlen auswertbares Spielziel: Spaß haben. Gewinnen ist nebensächlich. Wahrlich! Ein komischer Zeitvertreib, dem da so manche mit Begeisterung frönen. Also: der Würfel ist vier-, sechs-, acht-, zehn-, zwölf- oder zwanzigseitig, und ein Spiel dauert beliebig lange. Da musste so mancher hessische Oberschulleiter schlucken… Aber irgendetwas scheint sich in der Welt verändert zu haben.

 

Richtig, da war etwas. Hollywood schickt die Infanterie. Endlich werden die Kinoleinwände von Orks, Zauberern und Elfen bevölkert - und sie sehen richtig klasse aus! Außerdem sollen sie nicht nur ein Kinderpublikum ansprechen, sondern auch Volljährige auf die rotgepolsterten Sessel locken und haben deshalb eine Menge Geld gekostet - Geld, das die Produzenten wieder einfahren müssen, wenn sich die ganze Sache für sie lohnen soll. Kaffeetassen, Kugelschreiber, Bettwäsche - die Merchandise-Lawine rollt. Computerspiele und Extended-Ultra-Mega-Hyper-Long-DVDs des begehrten Films gehen über den Ladentisch, dass den Händlern die Finger bluten. Ein fünfzig Jahre altes Buch wird neu aufgelegt und zum Verkaufshit weil Filmvorlage, nachdem es lange Zeit hinten im Lager verstaubte. Mütter stehen hilflos vor Sonderregalen, weil sie gar nicht wissen, was sie zuerst ihrem Sprößling schenken sollen. Aber keine Sorge: die freundliche Bedienung ist gleich für Sie zur Stelle.

 

Folgt mir in die Vergangenheit. Hier der dunkle und feuchte Hinterhof, fast vergessen und grau, auf dem Fantasy lange Zeit ihr Dasein fristen musste. Vom Abstellgleis führt man sie zurück in die Öffentlichkeit, ins Helle hinaus. Das Ramenlicht blendet ein Weilchen, bis sich die Augen daran gewöhnt haben. Plötzlich geht das Blitzlichtgewitter der Kameras nieder. Namhafte Magazine haben soeben das Titelbild für die Dezemberausgabe gesichert und ein kräftiges Zugpferd vor die Verkaufszahlen gespannt. Das Medium hat sich beinahe über Nacht etabliert und ist gesellschaftsfähig geworden. Ungeniert darf man wieder in der Straßenbahn über Orks, Zauberer und Elfen sprechen, ohne dass sich der Nachbar angewidert umdreht. Die Erinnerung an die Hexenprozesse von damals scheint wie ein böser Traum. Mehr noch: der Freak wird jetzt belohnt. Wer Runen lesen kann, die Blutlinien verschiedener Elfengeschlechter auswendig kennt und bei der passenden Gelegenheit einen dreistündigen Vortrag über die Unterschiede von Film und Textvorlage aus dem Ärmel schüttelt, hat gute Chancen, bei Wetten dass..? antreten zu dürfen. Applaus ist ihm gewiss. Das breite Interesse an Fantasy wächst. Ein frischer Wind kommt auf, der die Geister beflügelt. Dahinter schlummert im Kleinen das oft erzählte Märchen: der Sonderling wird zum angesagtesten Newcomer der Saison. Es ist schon ein bisschen ungewohnt.

 

So weit, so gut: Filmemacher, Verlagschefs und Kinobesitzer verdienen sich eine goldene Nase, enthusiastische Fantasy-Freaks gelten als rehabilitiert. Also alles bestens? In früheren Jahren erfuhren andere Subkulturen einen ähnlichen Schub und landeten prompt an der Spitze des öffentlichen Interesses. Hinterhofkünstler und kreative Köpfe wurden ohne Rücksicht auf etwaige Schäden ans Tageslicht gezerrt und in eine gut geölte Werbe- und Verkaufsmaschinerie eingespannt. Zugegeben: die Popularität von Fantasy hilft, das Genre über einen gewissen Zeitraum durchzufüttern, bis wieder ein anderer Wind weht und der nächste Winterschlaf anbricht. Doch eines scheint sicher: die Welle der Begeisterung wird nicht ewig anschwellen, sondern irgendwann verebben.

 

Streifen wir einen Augenblick hinter den Kulissen der Rollenspielszene umher. In kleinen, gemütlichen Schreibzimmern, bei warmem Licht und einer Tasse Kaffee, sitzen dort kreative Geister, die seit Jahren in der Einsamkeit ihrer Gedanken fabulieren. Phantastische Geschichten und Welten sind die Produkte ihres Könnens. Was schon seit langer Zeit einen kleinen Personenkreis erfreut, wurde neu entdeckt und auf die Masse losgelassen. Vergessen wird manchmal, dass sich diese Leute teilweise schon die Finger wund geschrieben haben, als man in Deutschland einen Dekaeder noch schnitzen musste.

 

Verdient wurde mit solcher Arbeit kaum etwas. Obwohl es andere Wege gegeben hätte, weniger zu arbeiten und mehr Geld zu machen, blieben viele Phantasten ihrer Sache treu. Dumm? Oder leidenschaftlich? Jetzt atmen die alten Hasen durch, weil viele neue und gute Ideen durch den Trend mitgetragen werden - das ist sehr viel einfacher, als noch zu Hinterhof-Zeiten. Allerdings schwimmt da nebenher auch noch viel Schlechtes mit, denn alles, was den Hafen - sprich: den Kunden - erreicht, lässt das Goldsäckl anschwellen. Nicht jedes Brettspiel muss ein Hit sein, bloß weil es im Fantasystyle layoutet ist. Nicht jedes Buch muss gelesen werden, bloß weil ein Schwertkämpfer auf dem Cover posiert. Die Jagdsaison ist eröffnet! Und die alten Hasen stehen auf der Abschussliste. Die Diskrepanz zwischen dem Inhalt und der Aufmachung neuer Publikationen variiert. Alte Hasen wissen, was zu kaufen sich empfiehlt. Aber Newbies?

 

Fantasy, die eben noch im Hinterhof schlummerte, wurde wachgeküsst und von einer breiten Massenvermarktung ihrer Jungfräulichkeit beraubt. Die Gefahr ist groß, dass der neue Fisch im Teich den alten frisst. Nur der Fairness halber: Mist gab es zu allen Zeiten, aber sobald sich Mist gut verkauft, wird mehr und mehr davon auf den Markt geworfen. Kurzfristiger Erfolg kann langfristige Schäden verursachen. Wer Fantasy liebt, sollte sich an minderwertigen Produkten stören, die neben seinen Favoriten im Regal stehen. Es bleibt die Hoffnung, dass der Trend neue Ideenmacher an die Oberfläche spült, die die Szene beleben und erweitern. Nachwuchs ist gesucht, denn auch Fantasyveteranen werden alt, grau und würfelfaul. Fantasy-Rollenspiele sind eine Quelle der Inspriration und Kreativität, Spielplatz für Junge und Junggebliebene. An alle Träumer: träumt bitte weiter, damit es so bleibt!

 

Euer Michael Bux.

 

 

 

 

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Könnte ich mir kaum vorstellen! Auch wenn Midgard M3 noch ausdrücklich im Vorwort als Universal-RPG ausgelegt war, sogar mit Erwähnung von Tolkiens Mittelerde, wird wohl heute der Fachhandel durch die Filme inspirierte Newbies eher auf die gängigen und mit Filmfotos neu aufgelegten Original-LOTR-RPGs verweisen, die mächtig ziehen dürften.

Midgard führte meiner Ansicht nach eh ein etwas stiefmütterliches Dasein im Schatten des "großen" und bei weitem publikeren DSA.

Auch wenn durch die Spieletage in Essen Midgard mittlerweile wenigstens ein Begriff ist und es ja auch in jedem gutsortierten Laden oder net-shop zu kaufen gibt, haftet dem System meiner Meinung nach immer noch ein wenig etwas von einer auserlesenen und (ruhig ein wenig arrogant) elitären Schar von Rollenspielern an, was UNS von den ganzen "Massen-RPGs" in gewisser Weise abhebt. Den gleichen Effekt beobachte ich bei vielen Freunden, die es hassen, dass es jetzt auf einmal soe viele Pseudo-Tolkien-Fans gibt, die eigentlich nur die Filme kennen. Das sind alles sehr subjektive Ansichten, die ich aber hier ruhig äußern darf, glaube ich.

Die Lektüre Michaels Kolummne war übrigens unterhaltend.

 

 

 

 

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Keine Ahnung, ob der Film den Fantasy- und Rollenspielverkauf anheben hilft, in Darmstadt wird ein Spieleladen demnächst wohl zumachen. Also kann der Schub wohl nicht gekommen sein.

 

Aber die HdR-Filme haben halt schon den Vorteil, dass man Fantasyrollenspiel jetzt leichter erklären kann. Früher hatte ich immer auf das Buch verwiesen, von dem viele gehört aber - wegen seiner Dicke abgeschreckt - wenig gelesen hatten. Mit dem Film ist der Verweis auf den HdR leichter, denn "Film gucken" ist viel einfacher als Lesen wink.gif

 

 

 

 

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Zitat[/b] (Michael Bux @ Jan. 09 2003,21:16)][...] Allzu oft musste man erklären, was man da eigentlich jeden Nachmittag trieb. Beinahe ebenso oft galt es, sich zu rechtfertigen und öffentlich Satan abzuschwören, denn die trübe Masse erkannte in Rollenspielern Hexenanbeter oder bestenfalls weltfremde Sonderlinge. [...]

Michael, dein Artikel ist super.

 

Als wir damals Rollenspiel spielten (vor etwa 10 Jahren), trafen wir uns immer in meiner Wohnung. 8 Leute - 6 davon Raucher. Nach einer Stunde wurden die Fenster geöffnet und eine Nebelschwade zog nach draußen.

 

Eines Tages ergab es sich, dass unter der Woche ein Polizeiauto vor meiner Wohnung stand. Und kurze Zeit später kursierte ein Gerücht: Ich würde mit Drogen dealen! Warum? Tja, jeden Sonntag kamen Leute mit Koffern zu mir, blieben ein paar Stunden, rauch quoll aus den Fenstern und abends gingen die Leute vergnügt und aufgedreht wieder weg.

 

Soviel zum Thema Rechtfertigung ...

 

Rana

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Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass durch die gegenwärtige Verfilmung von Fantzasystoff der Rollenspielmarkt deutlich verändert wird. Auch sehe ich für die etablierten Systeme keine Existenzgefahr durch schlechte "neue Fische". Die einzige Gefahr wäre, sollte es wieder einmal eine Boomphase für den Rollenspielsektor geben, dass einzelne unkontrolliert wachsen. Die eingesessenen Systeme haben aber bereits die erste Phase des Booms Anfang/Mitte der 90er und die nachfolgende Stabilisierung auf niedrigem Niveau überlebt.

 

Ich persönlich bin im übrigen noch nie wegen meines Hobbies komisch angesehen worden. Aber vielleicht laufen in Berlin ja auch einfach zu viele Freaks rum, so dass Rollenspieler hier nicht weiter auffallen... wink.gif

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Erstmal clap.gif für deinen Post, Michael.

 

Zu den Verkaufszahlen von Midgard: Die sind schon im Aufschwunng, das liegt aber weniger am HdR-Film, sondern v.a. am neuen Regelwerk. Vom Arakanum ist ja sogar schon die 2. Auflage verfügbar.

 

@Rana:

Ich hab mich erstmal schiefgelacht, nachdem ich deinen Post gelesen hab. Mag sein, dass du es damals nich so lustig fandst. Das hatte aber hoffentlich keine weiteren Folgen, oder? Jedenfalls beweist es doch, wie tolerant Rollenspieler aufgenommen wurden und z.T. noch werden. Ich hab ja auch schon lustige Sachen beim Rollenspiel erlebt, aber sowas...

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Zitat[/b] (Florian @ Jan. 13 2003,17:58)]@Rana:

Ich hab mich erstmal schiefgelacht, nachdem ich deinen Post gelesen hab. Mag sein, dass du es damals nich so lustig fandst. Das hatte aber hoffentlich keine weiteren Folgen, oder? Jedenfalls beweist es doch, wie tolerant Rollenspieler aufgenommen wurden und z.T. noch werden. Ich hab ja auch schon lustige Sachen beim Rollenspiel erlebt, aber sowas...

Nein, hatte keine Folgen. Da ich nichts mit Drogen am Hut habe (mal von legalen Zigaretten abgesehen wink.gif ), hat mich das völlig kalt gelassen. Außerdem brauchen in einem Dorf die Leute immer was zum schwätzen. Und die Meinung "der Leute" über mich hat mich noch nie interessiert ...

 

Rana

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Zitat[/b] (Kazzirah @ Jan. 11 2003,15:51)]Ich persönlich bin im übrigen noch nie wegen meines Hobbies komisch angesehen worden. Aber vielleicht laufen in Berlin ja auch einfach zu viele Freaks rum, so dass Rollenspieler hier nicht weiter auffallen... wink.gif

Nein? Ja, ja, die große weltoffene Metropole! Seufz!

 

Mal abgesehen davon, dass es mir immer am A**** vorbeiging, haben sich doch v.a. während meiner Schulzeit viele Leute über mein Hobby (meist hinter meinem Rücken) lustiggemacht, von wegen Kinderkram und so.

Bestes Beispiel dafür war einer meiner besten Freunde und Gründungsmitglieder meiner Ur-Midgard-Gruppe, der sich mehr und mehr mit steigendem Alter abkapselte und die Faähigkeit verlor, mit dem Spiel zu wachsen. Er entwickelte sich in seine "reale" Richtung, also Frau, Auto, Job, während die anderen das mit ihrem Hobby in Einklang brachten und den "spirit" aufrecht erhielten. Unser Spiel ist mit unserem Alter auch erwachsener geworden, aber das wird v.a. von der Lebensgefährtin des besagten ehemaligen Mitspielers nicht akzeptiert, die schätzungsweise mit verantwortlich ist, dass er sich so von uns entfremdete. Kann auch sein, dass die Enttäuschung mitspricht und ich das alles falsch deute, aber ich denke schon, nicht völlig falsch zu liegen.

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Hallo!

 

Ich gehe nicht damit hausieren, daß ich Rollenspiele mache. Ich weiß auch nie wie meine nicht so engen Freunde darauf reagieren würden.Ich glaube sie würden mich schief anschauen. Ob der Film etwas daran geändert hat oder ändern wird, bin ich mir nicht sicher, ich glaube nicht. In dem Dorf in dem ich lebe, würde ich trotzdem kein Verständnis finden. Meine Spielgruppe trifft sich auch nicht bei mir, sondern in der Stadt. Ich denke da ist das " Klima " einfach anders.

 

Schöne Grüße

 

Ethan Edwards

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Und das Rollenspiele kein "Satansspiel" mehr ist, kann man auch daran erkennen, dass immer mehr Buchläden Rollenspiele im Sortiment haben oder es zumindest bestellen können. Der Buchladen in unserer Stadt hat D&D und DSA im Sortiment, man kann allerdings auch problemlos andere Rollenspiele bestellen. Ja und immer mehr Spielwarenläden haben nun auch Rollenspiele.

Und diesen schlechten Ruf von Früher, den haben die Rollenspiele schon lange nicht mehr.

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Zitat[/b] (neverlord @ Jan. 18 2003,11:46)]Und diesen schlechten Ruf von Früher, den haben die Rollenspiele schon lange nicht mehr.

Stimmt!!! Den schwarzen Peter haben sie an die Computerspiele weitergegeben  sneaky2.gif !!!

Unsere Gesellschaft bevorzugt halt weiterhin die Erklärung, die gerade passt und von den wahren Gründen und Problemen ablenkt. Also, liebe Rollenspieler, weiterhin kräftig Aufklärungsarbeit leisten!  sly.gif

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