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Erkenntnisse aus 10 Jahren Kampagne


Abd al Rahman

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Jetzt, nachdem nach 10 Jahren meine Midgard-Megakampagne durch ist, kann ich meine Erkenntnisse als Spielleiter zusammenfassen.

 

  • Sandboxing ist für Spieler und Spielleiter eine Herausforderung. Man muss sich dran gewöhnen, sonst verläuft man sich in der Sandbox. Zu viel Freiheit bedeutet auch, dass man sich verzetteln und den roten Faden verlieren kann. Schließlich spielen wir unsere Figuren meistens maximal 1x die Woche für wenige Stunden.

 

 

  • Mit Midgard sind epische Handlungssfäden möglich und sie machen Spass, auch ohne die Regeln viel anpassen zu müssen. Die von uns verwendeten Hausregeln (Lerndauer, Spezialisierungen auf Fertigkeiten) wurden nach der Umstellung auf M5 überflüssig.

 

 

  • Bei einer Sandbox ist es nicht notwendig sich detailliert auf Schauplätze vorzubereiten - es sei denn die Spieler versichern dem Spielleiter dass sie das nächste Mal garantiert xy besuchen werden. Als Spielleiter lernt man am Besten alles über die bespielte Kultur(en). Wie leben die Menschen? Wie schaut ihre Religion aus? Wie funktioniert der Alltag? Ich hab mir kleine Kurzgeschichten zur Vorbereitung ausgedacht, in denen ich beliebige Personen ihren Alltag oder besondere Geschehnisse erleben ließ. So konnte ich mir die Spielwelt quasi von innen anschauen.

 

 

  • Man darf auch mal sagen, "Sorry, ihr habt mich überrannt. Ich muss mich erstmal überlegen was jetzt passiert." In einer Sandbox passieren auch Dinge, die man nicht so einfach über's Knie brechen kann, wo man sich erstmal Gedanken über alle Konsequenzen machen muss. Die Spieler akzeptieren es, wenn man hier das Spiel mal unterbricht.

 

 

  • Zu viel Vorbereitung kann schädlich sein. Man muss nicht jede kleine mögliche Verwicklung oder jeden möglichen Handlungsstrang oder gar die Hauptfiguren im Kopf haben. Zum einen widerspricht das der Idee einer Sandbox, zum anderen wäre das alles viel zu komplex um es im Kopf zu behalten. Tiefe und komplexität kann man auch anders erzeugen. Hier ein zufälliges, völlig aus jeden Kontext gerissenes Ereignis einwerfen, dort einen NSC einführen, bei dem man noch keine Ahnung hat wer er genau ist oder was er genau will. Sowas wird oft zum selbstläufer und kann zu einem der Haupthandlungsstränge führen. Das gibt des Spielern auch die Gewissheit Dinge selbst in der Hand zu haben.

 

 

  • Loslassen als Spielleiter. Das ist wichtig. Es ist nicht die alleinige Welt des Spielleiters. Die Spieler sollen sie sich zu eigen machen. Sie mit den Mitteln ihrer Figuren und den Wünschen der Spieler gestalten.

 

 

  • Man darf als Spielleiter auch sagen, wenn man zu etwas keine Lust hat. In einer Sandbox dürfen Spieler machen was sie wollen. Der Spielleiter ist allerdings ebenfalls ein Mitspieler. Wenn die Spieler eine Richtung einschlagen wollen, auf die der Spielleiter keine Lust hat, darf er das ansprechen.

 

 

  • Änderungen dürfen an der Sandbox auch nachträglich vorgenommen werden. Wenn ein Spieler ein tiefergehendes Problem (wohlgemerkt der Spieler und nicht die Figur) mit einer Entwicklung hat (die Entwicklung also massiv den Spielspass beeinträchtigt), darf diese Entwicklung auch rückgängig gemacht werden - egal ob sie der Spielleiter oder die Spieler angestoßen haben. Man muss halt in der Gruppe drüber reden, wie man die Spielwelt so hinbiegt, dass sie allen wieder Spass macht. Man will ha ein paar Jahre in dieser Welt verbringen.

 

 

  • Stark von der Tagesform abhängig. Als Spielleiter bedeutet eine Sandbox, dass man viel improvisieren muss. Wie gut man das hinbekommt ist von der Tagesform abhängig. Je besser man seine Sandbox kennt, je besser kann man Schwächen in der Tagesform ausgleichen. Hört sich lustig an, ist aber so: Man kann sich auf's improvisieren vorbereiten.

12 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Gute Zusammenfassung, die ich voll unterschreiben kann. Für mich ist diese Art von Rollenspiel das Größte, ich liebe es als Spielerin, Möglichkeiten zu entdecken oder NSC zu treffen, die der SL gerade aus dem Ärmel geschüttelt hat und die er (oder sie) dann gemeinsam mit den Spielern aufbaut. Unsere "Sandkästen" waren und sind Fiorinde, Slamohrad nach SK, das erfundene Hulda, das ich hier auch eingestellt habe, Gearasburgh (kam als marodes Städtchen im offiziellen "Unheilnebel" vor und wurde quasi von der Gruppe im Spiel zu neuer Blüte geführt) und das erfundene Genova in den Küstenstaaten (stelle ich vielleicht irgendwann mal ein). Viele wunderbare Abenteuer begannen und endeten an diesen Orten, hatten Nachspiele, Freund- und Feindschaften zur Folge und führten quasi von Hölzchen auf Stöckchen. Zum selbstgewählten temporären Ende der Kampagnen hatte man sich eine komplexe Welt erspielt, die mit nichts vergleichbar ist, was irgendein Printprodukt bieten könnte.

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Man kann sich nicht nur auf's Improvisieren vorbereiten, auf eine gute Improvisation sollte man sich sogar vorbereiten. Improvisation (im Rollenspiel) heißt ja nicht, spontan auf etwas Unvorhergesehenes zu reagieren, sondern mit Hilfe eines Toolsets auf das Unvorhergesehene vorbereitet zu sein.

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Eine Frage zu #6 "Loslassen des SL", auch im Kontext der aktuellen "offen/verdeckt würfeln" Diskussion:

Wie gestalten deine Spieler denn die Welt, wenn sie die Hintergründe nicht kennen? Die Spieler wissen doch auch nur minimal mehr als ihre Figuren. (Ein Spieler hat das Wissen der gesamten Gruppe inklusive Wahrheitsgehalt von Informationen, aber Hintergründe fehlen doch trotzdem).

Wenn einer deiner Spieler etwas "überraschendes" einbauen möchte, musst du doch auch abwägen, ob du das zulassen möchtest oder nicht. Ist es dann nicht auch unbefriedigend für den Spieler, wenn seine "tolle Idee" dann doch abgelehnt wird?

Allerdings geh ich davon aus, dass ihr innerhalb von 10 Jahren inzwischen so auf der selben Wellenlänge seid, dass es meist passt.

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@Mitel

 

Ich glaub nicht, dass ich so wahnsinnig viel anders mache wie andere Spielleiter bzw. Spielrunden.

 

Ein paar mal haben mir meine Spieler gesagt, was sie gerne hätten. Wenn ich einen NSC oder sonst eine Begebenheit in den Ring werfe, schau ich mal was die Spieler damit machen. Nehmen sie ihn/es an? Ignorieren sie ihn/es? Es gab NSC, die ich eigentlich nur als kleine Auflockerung eingeführt habe. Die wurden dann trotzdem zu wichtigen NSC, weil die Spieler Gefallen an ihnen fanden. Es gab aber auch NSC die wieder in der Versenkung verschwanden, weil sie bei den Spielern nicht zündeten. Genauso mit Schauplätzen oder ganzen Abenteuern.

 

Ich hab ettliche Episoden vorbereitet, die von den Spielern links liegen gelassen wurden und es gab genausoviel wo ich wild improvisieren musste, weil ich ich in die gewünschte Richtung nichts vorbereitet hatte. Ich glaube das ist normal bei einer Sandbox.

 

Wir haben ein paar mal auch ganz offen darüber geredet, welche Entscheidung die Kampagne in welche Richtung führen würde. Das ist in den 10 Jahren (wenn ich mich recht entsinne) nur zwei oder drei mal passiert. Das waren jedesmal große Entscheidungen, bei denen ich mir nicht sicher war, ob die Spieler Spass an der neuen Richting der Kampagne gehabt hätten.

 

Die tollen Ideen der Spieler werden seltener abgelehnt wie man meinen mag. Auch wenn die Spieler die Hintergründe natürlich nicht alle kennen, entwickeln sie ein Gefühl für das Setting und was theoretisch möglich wäre und was nicht. Da macht ein gelegentliches "Sorry, xy passt mir gar nicht." nicht viel aus.

 

 

Eine Frage zu #6 "Loslassen des SL", auch im Kontext der aktuellen "offen/verdeckt würfeln" Diskussion:

Wie gestalten deine Spieler denn die Welt, wenn sie die Hintergründe nicht kennen? Die Spieler wissen doch auch nur minimal mehr als ihre Figuren. (Ein Spieler hat das Wissen der gesamten Gruppe inklusive Wahrheitsgehalt von Informationen, aber Hintergründe fehlen doch trotzdem).

Wenn einer deiner Spieler etwas "überraschendes" einbauen möchte, musst du doch auch abwägen, ob du das zulassen möchtest oder nicht. Ist es dann nicht auch unbefriedigend für den Spieler, wenn seine "tolle Idee" dann doch abgelehnt wird?

Allerdings geh ich davon aus, dass ihr innerhalb von 10 Jahren inzwischen so auf der selben Wellenlänge seid, dass es meist passt.

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Deine und Rosendorns Schilderungen klingen oft vertraut, manchmal wie aus einer anderen Welt...und genau das wird es sein, was bei den Diskussionen oft die Pattsituation erzeugt:

Ihr beide habt viele Regelwerke und Welten bespielt, andere nur Midgard.

Viele Mechanismen habt ihr aus anderen Regelwerken auf Midgard oder zumindest euer Spielleiten übertragen können, was von Aussen auch kein Problem war, was aber von Innen heraus - aus reiner Midgardsicht - schwer zu bewerkstelligen scheint.

 

Daher auch Sachen wie: "Es muss verdeckte Würfe geben, wie kann man nur ohne?" VS. "Guck mal, da gibt es ein Regelwerk, das versteckte Würfe nutzt, hab ich sonst noch nie gesehen."

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Deswegen schreibe ich so Beiträge entweder in meinen Blog oder in der Rollenspieltheorie. Ich mach mir ziemlich viel Gedanken über meinen Leitstil und wie ich wie welche Effekte erzeugen kann. Deshalb beschäftige ich mich mit Rollenspieltheorie. Ich will herausfinden, warum mir was Spass macht und warum eine Spielsitzung mal besser und mal schlechter läuft um gemachte Fehler nicht zu wiederholen, bzw. gelungenes zuverlässig abrufbar zu machen.

 

Klappt ganz gut, denke ich.

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Als einer der Spieler der Kampagne kann ich sagen, sie hat meine Einstellung zu Abenteuern und Spielleitungs-Stielen stark beeinflusst. Ich habe mich schon auf Cons oder anderen Privatrunden erlebt, dass ich genervt von Railroading und / oder Spieler-Kleinhalten war, weil es mir keinen Spaß (mehr) macht und ich mich in den Möglichkeiten, meinen Charakter zu spielen und meine Ideen einzubringen zu stark eingeengt fühle. 

 

Die Vorteile einer so groß angelegten, völlig ergebnisoffenen Kampagne sind, dass man als Spieler viele tolle Möglichkeiten hat, auf den Verlauf der Geschichte Einfluss zu nehmen und die Charakterentwicklung, gar die Entwicklung der eigenen Gruppe als Ganzes, in Spielerhand liegt. Man verinnerlicht das Setting und die Welt und daraus entstehen dann die Ideen, wie die Gruppe weiter handeln soll. Damit kann man auch episch spielen, ohne die Midgard Regeln zu ändern, man muss sie nur offener, etwas großzügiger interpretieren - was mit M5 leichter geworden ist.

 

Der Nachteil sind die teils langen Diskussionen und Planungen, wie es weiter gehen soll. Das beschreibt Ab al Rahman mit "Verlaufen in der Sandbox". Hier ist es wichtig, dass der SL mit Rat zur Seite steht, schon gemachte Erkenntnisse in Erinnerung ruft oder über NSC plausibel Ideen einbringt, die aufgegriffen werden können. Der Sinn dahinter ist nicht, die Spieler in eine bestimmte Richtung zu bringen, sondern ihre Richtungsfindung zu beschleunigen, damit die nächste konkrete Handlung eingeleitet werden kann. Das muss man als Gruppe einüben, sonst entsteht Frust, weil man sich im Kreis dreht. 

 

Unsere Kampagne war, neben glorreichen Einzelrunden auf Cons oder privat, das mit großem Abstand beste und epischste, was ich an Rollenspiel bisher gespielt habe. :thumbs: 

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Ich bin auch Spieler bei Abts Kampagne gewesen.

 

Also, so völlig ergebnisoffen fand ich die Kampagne nicht. Das lag aber nicht an Sandbox oder Railroading, sondern am Inhalt der Kampagne.

 

Wir waren als Zeitreisende tief in der Vergangenheit gestrandet.

Wir hatten gewisse grobe Geschichtskenntnisse.

Dementsprechend bin ich, und mein Charakter, immer davon ausgegangen, dass bestimmte Zwischenergebnisse und Großereignisse eintreten werden. In unseren Abenteuern entschied sich lediglich, welche Rolle wir dabei spielten und auf welche Weise wir die große Zeitspanne lebend überwinden.

 

Abt hat es ganz vorzüglich hin bekommen, dass immer wieder Aha-Effekte eintraten weil wir als Spieler Dinge wieder erkannten, die wir aus dem Gegenwarts-Midgard schon wussten, ohne die Hintergründe zu kennen. Wir wissen jetzt z.B. warum sich Elfen und Zwerge nicht verstehen. Da liegt ein zerstörtes Gebirge zwischen ihnen. Und wir wissen wo ein gewisses heiliges Schwert abgeblieben ist und warum alle Priester zusammen es nicht aufspüren können :D

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