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  • Die Bürde der Magier

     

    „Bitte, nur noch eine Geschichte. Danach schlafe ich sofort ein, versprochen.“

    „Vater hat dir doch bereits die Sage vom unsterblichen Wolf, erzählt.“

    „Aber die kenne ich doch schon. Ich will eine neue Geschichte hören. Eine, die ihr noch nie erzählt habt. Bitte!“

    Die Mutter seufzte, strich ihrem Sohn über die dichten, schwarzen Haare – und gab nach. So, wie sie es immer tat. Er konnte sie jederzeit um den kleinen Finger wickeln. Was ihm leider auch sehr bewusst war.

    „Na fein. Aber nur eine ganz kurze Geschichte, die mir meine Mutter erzählt hat, als ich in deinem Alter gewesen bin. Aber versprich mir hoch und heilig, dass du danach brav bist und die Augen zumachst.“

    Der Kleine nickte eifrig. „Ich schwöre bei Vana, dass ich ganz lieb sein werde.“

    „Gut. Dann will ich von dem Glück berichten, welches den Herren und Damen in den Gilden der Magier niemals vergönnt sein wird.“ Der Junge kuschelte sich erwartungsfroh in seine Decken. Seine Mutter setzte sich derweil zu ihm aufs Bett, strich ihm ab und an über die Haare und sprach mit ruhiger Stimme.

    „In grauer Vorzeit hat es viel mehr Magier gegeben als heutzutage. Sie waren überall, regierten sogar die Geschicke der einzelnen Reiche.“

    „Wirklich? Warum machen sie das heute nicht mehr?“

    „Wenn du mir zuhörst, wirst du es erfahren“, versetzte die Mutter nachsichtig lächelnd. „Also, damals regierten also die Magier, so, wie es heute die Lairds und der König tun. Aber so viel Macht ist den Magiern zu Kopf gestiegen, sie wollten immer mehr und mehr. So kam es zu Kriegen. Aber anstelle mit Schwertern, wurde mit Magie gekämpft. Das hatte schreckliche Auswirkungen auf alle Menschen. Am Ende sogar auf die Magier selbst, weswegen nur die Wenigsten überlebt haben. Die Götter selbst haben sie für ihre Machtgier bestraft. Und dafür, dass sie die Magie genutzt haben, um das Land derart zu verwüsten, wie sie es getan haben. Sogar mit Dämonen“, Mutter und Sohn vollführten simultan das Zeichen gegen das Böse, „sollen jene Magier paktiert haben. Kein Wunder also, dass ihr Untergang vorherbestimmt war.“

    „Darum haben sie heute nicht mehr das Sagen“, schloss der Knabe. Er war stolz darauf, verstanden zu haben.

    „So ist es. Diejenigen, die überlebt hatten, wurden streng von den Priestern und anderen Götterdienern kontrolliert. Nie wieder sollten solch schreckliche Ereignisse geschehen. Über die Zeit wurden darum auch die Magiergilden gegründet. Dort durften Magier ihrer Zauberkraft nachgehen, mussten sich aber wichtigen Regeln unterwerfen. In etwa so, wie wir uns an die Gesetze zu halten haben. Immer, wenn ein Magier gegen diese Regeln verstoßen hat, wurde er dafür zur Verantwortung gezogen. Die Götter wollen keinen Missbrauch von Magie, daher waren die Strafen manchmal sehr streng.“

    „Durfte man das? Ich meine … sind Magier nicht Edelleute?“

    „Damit kenne ich mich nicht so genau aus, aber ja, sie haben sicherlich einen sehr hohen Status. Selbst nach allem, was sie angerichtet haben. Aber die Priester haben geschworen, finstere Machenschaften zu verfolgen und die Übeltäter zu bestrafen. Egal, wie hoch diejenigen auch gestellt sein mögen. Die Magier kennen den Preis, den sie für ihre Macht zahlen müssen. Und soweit ich weiß, zahlen sie ihn gern. Schließlich sind nicht alle von ihnen böse. Die Meisten wollen – laut meiner Mutter – einfach nur lernen. Wissen anhäufen. Und vielleicht auch mit ihrer Magie den Menschen helfen.“

    „Ach so. Ich hatte schon Angst, dass sie alle etwas Schlimmes vorhaben“, nuschelte der Junge, der bereits schwere Augen bekam.

    „Ich denke nicht, dass viele von ihnen auch nur daran denken, irgendwem zu schaden. Aber wissen kann man das nie. Vielleicht wirkt sich Magie irgendwie auf den Kopf aus. So, dass man irgendwann die Kontrolle verliert“, sinnierte die Mutter nachdenklich. „Aber wie auch immer, es gibt genug Menschen, die ein Auge darauf haben. Wir müssen uns also nicht fürchten.“

    Ihr Sohn gähnte mit weit aufgerissenem Mund. Dann fragte er blinzelnd. „Und welches Glück können sie nicht haben? Das wolltest du doch erzählen.“ Er wollte die ganze Geschichte hören, auch wenn er kaum noch die Augen aufhalten konnte.

    „Gut aufgepasst, mein kleiner Spatz. Du verstehst nun, warum man auf Magier aufpassen muss und weshalb für sie etwas andere Regeln gelten. Zusatzregeln, sozusagen. Und von einer dieser Regeln will ich dir erzählen. Als meine Mutter mir das erste Mal davon berichtet hat, konnte ich es nicht glauben. Nun … vielleicht hat sie etwas falsch verstanden, oder die Regel gab es früher einmal, nun aber nicht mehr. Bilde dir dein eigenes Urteil darüber.“

    Brav nickte der Knabe, gähnte erneut.

    „Es heißt, dass die Magier, wenn sie einmal ihrer Berufung nachgehen, keine Kinder haben dürfen. Meine Mutter hat dies von einer Magd erfahren, die regelmäßig die Flure in der Gilde der Lichtsucher gefegt hat. Diese Magd hat ein Gespräch mitbekommen, in dem es darum gegangen ist, einem Magier seinen Sohn zu nehmen. Als ich dies hörte, habe ich darüber nachgedacht, wie viele Kinder in solchen Gilden sind. Und mir ist aufgefallen, dass es dort keine Kinder gibt. Keine kleinen Kinder zumindest. Außerdem habe ich noch nie gehört, dass ein Magier Nachkommen hatte. Sie scheinen alle eher zurückgezogen zu leben, die meisten haben nicht einmal Ehefrauen oder Ehemänner. Wie nun dieser spezielle Magier zu seinem Sohn gekommen ist, kann ich nicht sagen. Leider wusste meine Mutter auch nicht, was damals aus diesem Kind geworden ist. Sie ist aber sicher, dass die Magd nicht gelogen hat – denn bei der Erinnerung an das Gehörte, ist sie sehr blass geworden.“

    Die Mutter sah auf ihren eigenen Jungen hinab, der endlich eingeschlafen war. Trotz der eher schauderhaften Wendung ihrer Geschichte. Vermutlich hatte er den Schluss schon gar nicht mehr richtig mitbekommen. Oder, wie sie selbst damals, nicht wirklich verstanden.

    Sie dankte den Göttern inniglich dafür, dass ihr Mann ein einfacher Schreiner war. Zärtlich drückte sie ihrem Sohn einen Kuss auf die Stirn, vergewisserte sich, dass er es bequem und warm hatte, und verließ auf leisen Sohlen sein Zimmer.

    In Gedanken an diejenigen, die dieses Glück niemals würden kennen lernen, blickte sie nach oben und dankte Vana. Gleich morgen früh, so nahm sie sich vor, würde sie auf dem Markt ein paar schöne Blumen kaufen und sie Vana als Opfer darbringen. Und als Dank für den größten Segen in ihrem Leben: ihren Sohn.


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