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24. Oktober


Y_sea

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Ypey sponn noch anderen Mist zusammen, aber die Nachmittage gehörten Feanor.

 

Zwar waren es phantastische Nachmittage mit den beiden. Aber eine Woche lang gerieten wir jeden Abend aneinander, weil er vor dem eigentlich schon zu späten Abendessen noch Hausaufgaben machen und Flöten sollte. Fünf Minuten Flöten dehnten sich mit Wutanfällen zwischen je ein Dutzend Tönen auf etwa eine halbe Stunde aus.

 

Ich beschloss, etwas zu ändern.

 

"Heute machst du deine Hausaufgaben, bevor wir losfahren. Und je konzentrierter du tatsächlich fünf Minuten übst, desto eher können wir los. Alle Wutanfälle gehen von der Steinbruch-Zeit ab."

 

Feanor rümpfte seine Nase, zog aber sofort seine Flöte aus dem Ranzen und pfiff darauf herum. Gelangweilt. Ohne Finger.

 

Sollen wir mal ein Lied versuchen?", fragte ich ihn und holte einen Kochlöffel hervor, um ihm die Griffe vorzumachen.

 

Er brauchte zwischen jedem Ton sekundenlang, bis er den nächsten Griff fand, aber ich wiederholte die Sequenz aus sechs Tönen mehrmals und plötzlich ging ihm ein Licht auf.

 

"Das ist Hänschen-Klein!", rief er und ich war von seiner Begeisterung selbst überrascht.

 

Dann fiel sein Blick auf die Uhr.

 

"Das waren schon fast zehn Minuten", sagte er empört und schmiss die Flöte in seinen Ranzen und zog die Stiefel an.

 

"Los!", drängelte er mich.

 

Auf dem Weg zum Steinbruch kamen wir an einem Spielplatz vorbei.

 

"Hallo Feanor!", rief ein Mädchen, das gelangweilt alleine auf einer Wippe saß.

 

"Hallo", erwiderte Feanor und fuhr schnell weiter.

 

Ich dagegen hielt an.

 

"Wer bist denn du?", fragte ich sie. "Bist du mit Feanor in einer Klasse?"

 

"Ja. Ich heiße Marie-Ann."

 

Sie hatte die braunen, schulterlangen Haare zu zwei Zöpfen im Nacken gebunden. Es sah süß aus, aber auch ein bisschen wild.

 

"Hallo Marie-Ann, schön dich kennenzulernen. Ich bin Hedwig. Feanors Mutter."

 

Feanor hatte sein Fahrrad unterdessen gewendet und war zurück gekommen.

 

"Mama, was ist?", machte er ungeduldig.

 

Ich aber hielt meine Augen auf Marie-Ann und witterte eine pädagogische Möglichkeit.

 

"Feanor hat mir erzählt, dass du sehr gut werfen kannst."

 

"Mama!"

 

Der Horror in Feanors Stimme war deutlich zu hören.

 

Ich verkniff mir ein Lächeln.

 

Marie-Ann sah verwirrt von Feanor zu mir.

 

"Wir sind gerade auf dem Weg zum Steinbruch", erklärte ich ihr. "Da werfen wir mit Steinen auf kleine Ziele. Hast du nicht Lust mitzukommen?"

 

"Mama."

 

Jetzt war es schon mehr die Verzweiflung.

 

Sie guckte auf die Uhr.

 

"Meine Mutter hat gesagt, ich muss um sechs wieder zuhause sein", sagte sie.

 

"Nun, dann bleiben wir nur kurz", meinte ich. "Komm nur mit."

 

Sie saß immer noch so verloren auf der schiefen Wippe.

 

"Ich glaube, Feanor möchte nicht, dass ich mitkommen", sagte sie zaghaft.

 

"Ehrlich gesagt", sagte ich ungerührt, "glaube ich das auch. Aber weißt du, Feanor kennt die Bedeutung des Wortes "Rücksichtnahme" noch nicht. Nachdem ich ihm lange versucht habe, zu demonstrieren, wie das geht, würde ich jetzt gerne mal versuchen, ihm zu demonstrieren, wie es ist, wenn auf seine Wünsche keine Rücksicht genommen wird."

 

Einen Moment sah sie mich an, dann sagte sie: "Dabei helfe ich Ihnen gern, Frau Schulz."

 

Cleveres Mädchen, freute sich Ypey.

 

"Nenn mich Hedwig. Und sag du zu mir, sonst fühle ich mich so alt."

 

Feanors Schmollen hielt nur noch zwei Minuten an.

 

Dann lachte er plötzlich und amüsierte sich mit Marie-Ann über den Vertretungslehrer, den sie heute gehabt hatten. Ab da waren sie unerschütterlicher guter Laune und es war Feanor, der Marie-Ann begeistert zeigte, wie sie werfen sollte.

 

Wir schafften es sogar, rechtzeitig wieder bei dem Spielplatz zu sein, von wo aus Marie-Ann allein nach Hause fuhr.

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