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15. September - immer noch mittags


Y_sea

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"Helft ihr mir bitte beim Abwasch?", bat ich die beiden nach dem Essen.

 

"Nö, wir müssen Hausaufgaben machen", sagte Feanor und zog Richard hinter sich her aus der Wohnküche.

 

Müde betrachtete ich das Schlachtfeld von Tisch und den nicht minder versifften Herd.

 

Linda kriegt es offenbar hin, sich auszuruhen, meinte Ypey.

 

Linda!, keifte ich. Hör mir auf mit Linda! Alles kann sie besser. Sie kocht besser. Sie erzieht ihren Sohn besser. Sie kauft effizienter ein. Sie engagiert sich in der Schule mehr. Sie hält ihre Wohnung besser in Ordnung. UND DANN KÜMMERT SIE SICH AUCH NOCH BESSER UM SICH SELBST!

 

Wow, machte Ypey. Cool.

 

Ich presste meine Handinnenflächen auf die Augen.

 

Seufzte.

 

Dann machte ich mir einen Kaffee, den ich in Seelenruhe trinken wollte, bevor ich mich an den Abwasch machte. Stattdessen stürzte ich ihn zu heiß herunter und stand, ehe ich mich versah, an der Spüle und schrubbte die Pfanne.

 

Ts ts ts, dachte Ypey.

 

Daraufhin ließ ich die Pfanne immerhin für ein paar Sekunden alleine, um mir Musik anzumachen. Was Hartes. Schnell. Heaven Shall Burn. Laut.

 

Als ich den Spülschwamm wieder in der Hand hatte, meinte Ypey trocken: Kein Wunder, dass du so hektisch bist.

 

Im Gegenteil, antwortete ich siegesgewiss. Wenn ich mir vorhin schon Musik angemacht hätte, dann wäre ich beim Kochen viel entspannter gewesen.

 

Sie tat skeptisch.

 

Doch, glaub mir, beharrte ich und spülte mit langsamen Bewegungen genießerisch die fettige Pfanne. Ich wippte mit, ich sang sogar ein paar Zeilen mit. "A promise to the felons, you'll never rise again!"

 

Eigentlich glaube ich an Versöhnung, vertraute ich Ypey an.

 

Eigentlich?, schnaubte sie.

 

Aber diese Kompromisslosigkeit ist so erfrischend.

 

Dingdong.

 

Wenn es nicht gerade am Ende des Songs gewesen wäre, hätte ich die Klingel vermutlich nicht gehört. Ich hatte nicht gelogen. Ich war deutlich entspannter, als vor fünf Minuten.

 

Gelassen ging ich zur Tür. Durch das lange Fenster mit dem rauhen Glas neben der Tür meinte ich, die verschwommene Form von Linda zu erkennen, und eilte in die Küche zurück, um die Musik auszumachen, bevor ich immer noch mit Spülschaum an den Händen die Tür öffnete.

 

Linda stand mit verquollenen Augen davor, Kirsten in ihren verkrampften Armen.

 

"Ist Feanor schon da?", fragte sie mich mit zittriger Stimme.

 

"Ja, Richard ist hier, komm rein Linda", machte ich beruhigend. "Linda tut mir leid, wir hätten dir einen Zettel an die Tür hängen sollen. Hast du dir Sorgen gemacht?"

 

Erleichtert trat sie herein und erlaubte mir, dass ich ihr Kirsten abnahm, nachdem ich meine Hände an meinem T-Shirt getrocknet hatte.

 

"Ich habe verschlafen!", jammerte Linda und sank auf einen Stuhl. "Kirsten ist gerade so verschnupft und jammert nachts so viel und ich habe selbst nur drei Stunden in der Nacht geschlafen und das geht jetzt schon seit Wochen so."

 

"Ich kenne das, Linda", meinte ich. "Kein Problem. Es ist doch gut, wenn du am Tag deinen Schlaf nachholen kannst."

 

"Aber er stand bestimmt vor der verschlossenen Tür und kam nicht rein!", rief sie und sprang wieder von dem Stuhl auf.

 

"Du musst doch kein schlechtes Gewissen haben", beruhigte ich sie.

 

So so, machte Ypey.

 

"Es war gar nicht schlimm für ihn. Er ist einfach hier rüber gekommen."

 

"Danke, Hedwig", schluchzte Linda.

 

"Kein Problem. Dafür sind Nachbarinnen doch da. Es war überhaupt keine große Sache, dass er hier mit isst. Und jetzt machen sie Hausaufgaben- dachte ich zumindest", fügte ich an, weil ich Gelächter und die Hupe des ferngesteuerten Autos hörte. "Ist doch toll, dass sie sich so gut verstehen."

 

"Ja", sagte Linda und wischte sich die Tränen von den Wangen. "Das ist wirklich schön. Er hatte in der Vergangenheit Schwierigkeiten, Freundschaften zu schließen."

 

Ha!, höhnte Ypey.

 

Ich streichelte Kirstens Kopf und versuchte - versuchte wirklich - nicht schadenfroh zu sein, darüber dass auch bei ihrem Kind nicht alles so reibungslos lief, wie Eltern sich das wünschten. Aber Ypeys triumphierender Hohn war nicht zu ignorieren.

 

Zum Glück war Linda auf dem Weg zum Kinderzimmer und so bekam nur Kirsten meinen Anflug von Schadenfreude mit, als ich ihr den Schnodder von der Nase wischte.

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