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15. September - vormittags


Y_sea

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Sieh dir das an, flüsterte Ypey ehrfürchtig in meinem Kopf.

 

Ich verzog genervt den Mund.

 

Die schrill beleuchteten Regale vollgepackt mit Waren, die trotz ihrer krampfhaften Versuche aufzufallen, doch so unglaublich gleichförmig waren, stauten einen Stress in mir an, der mich unvorsichtig werden ließ, so dass ich diesen Konsumtempel, der ein gewöhnlicher Supermarkt war, so schnell wie möglich wieder verlassen konnte.

 

`Sieh dir das an', machte ich sie verächtlich nach. Das beeindruckt dich? Das ist alles Mist.

 

Ich zog wahllos eine Nudelsoße im Glas aus dem Regal, in dem hunderte Sorten von Dutzenden Marken standen.

 

Ich glaube kaum, dass jemand die Geschmäcker dieser Sorten unterscheiden kann. Alles nur, damit man zuhause keinen Aufwand hat, weil man schon so genug Stress hat. Und die angebliche Vielfalt verleiht dem Einheitsbrei einen Hauch Rafinesse.

 

Ich stellte die Tomatensoße mit Oliven zurück und packte die mit Gorgonzola in den Einkaufswagen.

 

Wenn sie alle gleich schmecken, warum nimmst du dann nicht die, die du zuerst in der Hand hattest?, fragte Ypey unschuldig.

 

Ich seufzte.

 

Diese hier hat Feanor gerne gegessen, gestand ich und Ypey lachte.

 

Du kannst lachen, fuhr ich fort, und ich gebe zu, dass es auf den ersten Blick beeindruckend aussieht. Aber ich glaube, richtiger Wohlstand ist etwas anderes.

 

Ich ging zur Fleischtheke und wollte drei Hähnchenschnitzel.

 

"Die sind ganz klein", sagte die dicke Verkäuferin. "Soll ich Ihnen nicht lieber sechs geben?"

 

Ich sah sie mir an. Es stimmte, sie waren nicht besonders groß.

 

"Ja gut", stimmte ich zu. "Geben Sie mir sechs."

 

Richtiger Wohlstand ist was?, fragte Ypey.

 

"Hedwig!", sagte Linda neben mir, die mit einem übervollen Einkaufswagen auch an der Fleischtheke aufgetaucht war. "Machst du auch gerade deinen Wocheneinkauf?"

 

"Äh, ne, ich kaufe eigentlich meistens nach der Uni schnell ein, was ich dann an dem Tag noch koche. Aber ich habe nachher eine Besprechung, die wahrscheinlich so lange dauert, dass ich dann keine Zeit habe, also gehe ich vorher."

 

"Ist das nicht furchtbar zeitaufwändig, jeden Tag einkaufen zu gehen? Ich finde es ja effizienter, das nur einmal die Woche machen zu müssen. Man muss halt ein bisschen planen."

 

Tja, dachte ich. Wenn man planen kann, kann man vermutlich etwas Zeit sparen. Aber ich finde nicht mal Zeit, meine Woche vorzuplanen.

 

Mir fiel auf, dass sie kurz die Hand vor den Mund hielt, so als wollte sie ein Gähnen verbergen. Ihre Augen hatten dunkle Schatten.

 

"Du siehst müde aus", sagte ich unvorsichtig.

 

"Tatsächlich?", erwiderte sie entsetzt und ich bereute schon, das gesagt zu haben.

 

"Nicht auffällig", versuchte ich vergeblich, sie zu beruhigen, "einfach etwas übermüdet. Ward ihr aus?"

 

"Nein", sagte sie und lachte auf. "Aus! Nein! Kirsten schläft schlecht."

 

"Oh, das tut mir leid."

 

Ich bekam die Tüte mit den Hähnchenschnitzeln und Linda war an der Reihe. Also verabschiedete ich mich und ging arbeiten.

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